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d) Drei Perspektiven
ОглавлениеDas Christentum unterscheidet sich von anderen Religionen dadurch, dass am Beginn seiner Geschichte kein erfolgreicher, sondern ein scheiternder Prophet steht. Daraus ergeben sich für das Christentum drei Leitperspektiven, die die Bosheitsproblematik mit wechselnder Intensität integrieren.
Die erste Perspektive lautet Personalisierung. Wie Jesus ein menschliches Individuum war, so trifft das Böse in erster Linie Personen. In seiner entscheidenden Mitte erweist es sich als Leiden und Tod. Letztlich ist die „Sünde“ nur von Interesse, sofern einzelnen Menschen oder Menschengruppen Schädliches, Erniedrigendes und Tödliches angetan wird. Es geht also um die Opfer und um die Täter; dabei wird Jesus zum Repräsentanten derer, die an Mitmenschen leiden.
Die zweite Perspektive lautet: Macht als Versuchung zum Bösen. Die Liquidierung Jesu war zweifellos an Fragen von Macht und Ideologie, von religiöser und gesellschaftlicher Ordnung gekoppelt. Das Böse erscheint als die Tat von Menschen, die ihre Gewalt über Menschen als Träger politischer Macht und ideologischer Legitimation ausüben. Damit ist der christlichen Tradition ein bleibender gesellschaftskritischer Impuls eingegeben.
Die dritte Perspektive lautet: Wenn Jesus am Kreuz sogar von Gott verlassen wurde (Mt 27,46), dann wird Jesu Tod, wie wir schon sahen, zur Anfrage an Gott. Mit dem Tod Jesu ist – modern ausgedrückt – die Theodizeefrage verbunden, wodurch in der christlichen Tradition jede Erfahrung des Bösen und des Leidens einen sehr ernsten Hintergrund erhält.
Von Perspektiven ist die Rede, nicht von deren konkretem Inhalt. Die Erinnerung an Jesu Geschick weiß also von einem konkreten Lebensschicksal zu berichten, das für das Christentums eine universale symbolische Bedeutung erhielt. Doch ist noch einmal daran zu erinnern, dass sich die christliche Identität nicht von dem breiten Strom der jüdisch-kanonischen Schriften abkoppeln kann. Unverzichtbar bleiben deshalb auch für die christliche Religion die intensive Wahrnehmung von Krankheit und Vergänglichkeit, die Benennung von Not und Untergang, die Erfahrung von Leiden und Angst (Berger 1996, 1998). Es sind dies Fragen, die heute noch meist im Vorfeld von ausdrücklichen Sinnfragen verhandelt werden.