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c) Das Böse erfahren und ernst nehmen
ОглавлениеDie Rede vom Teufel ist in der christlichen Tradition ein typischer Fall der Interaktion zwischen Religion und Kultur. Viele christliche Theologen fürchten, ohne diese Redeweise ließe sich die Übermacht des Bösen nicht mehr in Vorstellungen und Worte fassen. Andere betonen zu Recht, dass dem Teufel keine reale Existenz zukommt. Diskriminierung und Außenseitertum, faszinierter Satanskult und destruktive Praktiken bis hin zur Folter und Tötung von Menschen sind möglich.
Der teils unbefangene Umgang mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kunst mit Teufel und Dämonen zeugt eher von einem allgemeinen Weltbild als von spezifisch christlicher Identität. Oft treten die Teufel als Mit-Akteure in irdischen und in himmlischen Ereignissen auf. Aus guten Gründen fiel es der Theologie immer schwer, hier eine Grenze zwischen wahrer Frömmigkeit und Aberglauben zu ziehen. Während bei Paulus zu lesen ist, dass Christen von den Mächten der Unterdrückung endgültig befreit sind (Gal, Kol, vgl. Luther), zeigt sich später, dass die Angst vor diesen Mächten offensichtlich zur ambivalenten Grundausstattung religiöser Menschen gehört.
So zeigt sich in der Bosheitsgeschichte des Christentums: Die Spannung zwischen ursprünglicher Bosheitsüberwindung (die durch die Todeserfahrung Jesu möglich wurde) und einer immer neu aufbrechenden Bosheitserfahrung wurde zwar immer wieder besprochen und begangen, konnte aber nie gelöst werden. Offensichtlich haben Theologie und Glaube gerade dann versagt, wenn sie das Böse für gelöst hielten oder glaubten, man könne es mit dem Einsatz von Macht oder Gewalt lösen. Problematisch ist also nicht die Tatsache, dass dem Bösen faktisch auch Christen immer wieder verfielen. Problematisch ist der gewalttätige (bisweilen naive, oft aber höchst arrogante) Anspruch, der sich in den besprochenen Phänomenen äußerte. Es ist die scharfe Diskrepanz zwischen Selbstbild und Wirklichkeit, die das Böse auf die Ebene der laufenden Selbstrechtfertigung potenziert.14 Wer die wahre Erfahrungsqualität des Dämonischen nämlich begreifen will, sollte nicht theologische Lehrbücher, sondern allenfalls Hieronymus Bosch, den Isenheimer Altar oder die Gedenkstätte eines Konzentrationslagers zu Rate ziehen. Dort wird man vielleicht begreifen, warum es sich auch heute noch rationaler Verfügbarkeit entzieht, geht es doch um die immer neue Interaktion von Menschen und verlockender Macht, von Menschen und Waffen, von Menschen und Manipulation. Sollte das Christentum allerdings in Bescheidenheit davon ausgehen, dass es Unheilserfahrungen zur Kenntnis zu nehmen und nicht selbst zu definieren hat, dann käme es seinem selbst gesetzten Ziel näher. Tut es das nicht, dann wird es weiterhin den Dualismus produzieren, zu dessen Überwindung es angetreten ist.