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2. Das Weib

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Es kann eigentlich gar keine Rede davon sein, dass Genesis 2 die Urfrau als Übel wertet, denn sie ist dort ganz im Gegenteil die eigentliche Vollendung einer zuvor unvollendeten Schöpfung. Biblische Hamartiologien, die der Frau eine besondere Disposition zur Sünde zusprechen, knüpfen dennoch in der Regel an dieses Kapitel an und leiten aus ihrem späteren Erscheinen im Schöpfungsplan und aus den näheren Umständen ihrer Geburt ihre moralische Minderwertigkeit ab. Die wertmäßige Herabsetzung ist in der Regel eine Konsequenz ihrer seinsmäßigen Einstufung. In dieser Hinsicht ist die Auskunft der Bibel aber widersprüchlich. Von der Erschaffung der Frau wird in den beiden ersten Kapiteln der Genesis zweimal hintereinander berichtet, und beide Berichte sind, was Natur und Stellung der Frau anbelangt, miteinander unvereinbar. Aus dem ersten Bericht folgt die Ebenbürtigkeit der Geschlechter: „Und Gott schuf den Menschen in seinem Ebenbilde, im Ebenbilde Gottes schuf er ihn; Mann und Weib schuf er sie“ (Gen 1,27). Dieser Satz wird später noch einmal bestätigt: „Am Tage, da Gott Adam erschuf, machte er ihn in der Ähnlichkeit Gottes, Mann und Weib schuf er sie, segnete sie und nannte ihren Namen ‚Mensch‘ (…)“ (Gen 5,1f.). Der Herrschaftsauftrag: „füllet die Erde und bezwinget sie, und herrschet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und alle Tiere, die sich auf der Erde regen“ (Gen 1,28), geht ohne Ansehen des Geschlechts an beide Partner. Im zweiten Bericht ist der Mann hingegen das erste Geschöpf (Gen 2,7) und die Frau das letzte Geschöpf (2,21). Die merkwürdige Geschichte ihrer Erschaffung aus der Rippe des Mannes hat die vorige Version von der Ebenbürtigkeit der Geschlechter beinahe aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängt: „Da versenkte Gott, der Ewige, den Menschen in einen tiefen Schlaf, so dass er einschlief, nahm dann eine von seinen Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott, der Ewige baute die Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, zu einem Weibe, und brachte es dem Menschen. Da sprach der Mensch: ‚Dieses Mal ist es Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleische. Diese soll Männin (Ischa) genannt werden, denn diese ist vom Manne (Isch) genommen worden.‘ Darum verlässt der Mann seinen Vater und seine Mutter und hängt an seinem Weibe, und sie werden zu einem Fleische“ (Gen, 2,21b–25). Der zweite Bericht widerspricht also der Ebenbürtigkeit der Geschlechter. In genauer Umkehrung des natürlichen Geburtsvorgangs kommt die Frau aus dem Körper des Mannes zur Welt und hat von vornherein eine bestimmte, nämlich eine dienende Rolle (Gen 2,18–21). Damit soll nicht die Unterdrückung der Frau festgeschrieben, sondern die Ehe als leibliche Einswerdung begründet werden (Gen 2,24–25). Das ursprünglich harmonisch intendierte Geschlechterverhältnis wird erst infolge des Sündenfalls (Gen 3), für den die Frau, nach diesem Bericht, als verführte Verführerin eine Hauptschuld trifft, zum Kampf der Geschlechter. Die Konsequenz ihres Fehlers sind Frustration und Unterdrückung: „nach deinem Mann, sagt Gott zu ihr, sei dein Verlangen und er beherrsche dich“ (Gen 3,16b). Diese Konsequenz betrachtet die Bibel aber als Fluch und verankert sie nicht in der Natur. Damit eröffnet sie immerhin die Aussicht auf eine Wiederherstellung der ursprünglichen Harmonie. Misogyne Hamartiologien suchen ihre biblischen Anhaltspunkte trotzdem im zweiten Bericht von der Erschaffung der Frau. Die Frage ist dann, wie sie es mit dem ersten Bericht halten, der für sie ja auch verbindlich ist. Wir fragen deshalb zunächst, wie sich beide Berichte nach der klassischen jüdischen Bibelauslegung verhalten.

Der wichtigste mittelalterliche jüdische Bibelerklärer, Rabbi Schlomo ben Jizchak, Abk.: Raschi (1040–1105 n.), geht in seinem Kommentar zu Genesis 1,27 auf das Verhältnis der beiden Berichte ein: „‚Männlich und weiblich erschuf er sie‘, weiter aber heißt es: ‚Er nahm eine von seinen Rippen‘ (Gen 2,21). Der buchstäbliche Sinn des ersten Verses (Gen 1,27) ist: hier teilt er dir mit, dass beide am sechsten Tag erschaffen wurden, und erklärt dir noch nicht, wie sie erschaffen wurden, das erklärt er dir an der anderen Stelle (Gen 2,21).“ Nach ihm verhält sich also der erste zum zweiten Bericht wie ein Inhaltsverzeichnis zum entsprechenden Buchkapitel. Das hat zur Folge, dass für ihn die egalitäre Version der Geschlechtsdifferenz durch die hierarchische expliziert wird, ja, er liest die Unterdrückung der Frau, die nach der Bibel eigentlich erst eine Folge des Sündenfalls ist (Gen 3,16), in den Herrschaftsauftrag des Urpaares (Gen 1,28) hinein (Kom zur St.). Ganz ähnlich sieht die Verhältnisbestimmung beim wichtigsten mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophen, Moses Maimonides (1138– 1204 n.), aus. Er fasst Genesis 2,21, wie er in seinem Führer der Verirrten sagt, als „Pforte“ zu einem tieferen, wie wir noch sehen werden, misogynen Verständnis von Genesis 1,27 auf (II, 30). Sowohl Raschi als auch Maimonides lesen also den egalitären Bericht im Licht des zweiten hierarchischen Berichts. Es gibt aber auch die umgekehrte Auslegungstradition, die Raschi in seinem Kommentar zu Gen 1,27 und 2,21 übrigens auch anführt. Diese Auslegungstradition hat die erste Stelle: „Und Gott schuf den Menschen (…) Mann und Weib schuf er sie“ (Gen 1,27) im Sinne des Mythos vom androgynen Urmenschen gedeutet, wie ihn Aristophanes im Symposion Platons erzählt. Danach bestand der Urzwitter aus zwei Gesichtern, vier Beinen, vier Armen usw. und wurde infolge seines Hochmutes in zwei Hälften geteilt. Der Eros sei die Heilkraft, die die beiden unglücklichen Hälften wieder zusammenführe. Wie in diesem Mythos heißt es in einer rabbinischen Auslegung zu Gen 1,27 unter Verwendung des griechischen Lehnwortes: „Rabbi Jeremia ben Elasar sagte: Gott bildete in der Stunde der Menschenschöpfung den Menschen als Androgynos, wie es heißt: ‚Mann und Weib schuf er sie.‘ Nach R. Samuel bar Nachmani hat der erste Mensch bei seiner Erschaffung zwei Gesichter, Gott durchsägte ihn in zwei Hälften und bildete zwei Rücken aus ihm, den einen nach dieser Seite und den anderen nach jener Seite hin.“ Darauf wird eingewandt, dass die Geschichte mit der Rippe in der Bibel doch einen ganz anderen Operationsverlauf schildere. R. Schmuel bar Nachmani verweist aber darauf, dass das hebräische Wort für „Rippe“, „Zela“ auch „Seite“ bedeuten könne (wie in Ex 26,20: „Die andere Seite, Zela, der Wohnung nach der Nordrichtung“) und die Urfrau demnach nicht die Rippe, sondern die andere Seite des Mannes gewesen sei (GenR 8,1). Hier wird also die hierarchische Version (Gen 2,21) im Licht der egalitären Version (Gen 1,27) der Erschaffung des Urpaares gelesen. Ferner wird im Gegensatz zum zweiten Schöpfungsbericht, in dem der Mensch zunächst Mann und alleine ist, im Anschluss an Gen 5,1–2: „Männlich und weiblich erschuf er sie () und rief ihren Namen Mensch“ kühn geschlossen, dass vom ganzen Menschen nur dann die Rede sein kann, wenn seine beiden Seiten vereint sind. Darauf stützt Rabbi Eleasar seinen lakonischen Ausspruch: „Jeder Mann, der keine Frau hat, ist kein Mensch“ (GenR 17,2; bJeb 63a). Es gibt also in der jüdischen Bibelauslegung, die Divergenzen nicht durch Quellenscheidung ausräumt, beide Harmonisierungen: Für die eine Richtung der Ausleger ist der erste Bericht maßgeblich und der zweite untergeordnet, für die andere der zweite Bericht maßgeblich und der erste untergeordnet. Die Vertreter einer misogynen Anthropologie gehören eher der letzteren Richtung an. Im Talmud stoßen beide Gruppen aufeinander, und die Vertreter der egalitären und der hierarchischen Harmonisierung der biblischen Stellen müssen ihre jeweilige Stellungnahme gegenseitig exegetisch bzw. anthropologisch begründen. Wie so oft in der rabbinischen Literatur knüpft die grundsätzliche Erörterung an einer ganz unscheinbaren, orthographischen Eigentümlichkeit des biblischen Textes an. Das Verb, das im zweiten Schöpfungsbericht die Bildung des Menschen beschreibt (Gen 2,7), wird im Vers über die Bildung der Tiere (2,19) ohne ersichtlichen Grund anders geschrieben. Der Ausdruck: „Und er bildete“, WaJizer wird im ersten Vers mit zwei Jud (WaJJizer) und im zweiten nur mit einem Jud (WaJizer) geschrieben. Die Erklärer fragen sich, was die Bibel damit andeuten wolle. Die nachfolgende talmudische Diskussion zieht daraus zunächst Schlussfolgerungen über den Unterschied von Mensch und Tier: „Rabbi Nachman ben Rabbi Chisda trug vor: Weshalb steht im Vers: ‚und der Herr, Gott bildete den Menschen‘; (das Wort WaJJizer) mit zwei Jud? – weil der Heilige, gepriesen sei er, (im Menschen) zwei Triebe schuf, einen guten Trieb (Jezer HaTow) und einen bösen Trieb (Jezer HaRa). R. Nachman ben R. Jizchak wandte ein: Demnach hat das Vieh, bei dem (das Wort) WaJJizer nicht geschrieben steht, keinen (bösen) Trieb, und wir sehen ja aber, dass es Schaden anrichtet, beißt und ausschlägt? Dies ist vielmehr nach R. Schimon ben Pasi zu erklären, denn R. Schimon ben Pasi sagte: Wehe mir vor meinem Bildner (Jozri) und wehe mir vor meiner Triebhaftigkeit (Jizri). Oder aber auch nach R. Jeremia ben Elasar, denn er sagte: Zwei Gesichter hatte der Heilige, gepriesen sei er, Adam dem Urmenschen erschaffen, wie es heißt: ‚hinten und vorne engst du mich gebildet ein‘ (Achor WaKedem Zartani, Ps 139,5)“ (GenR 8,1; bBer 61a). Der erste Ausspruch fasst die beiden Jud als Hinweise auf die beiden Triebe im Menschen, den guten (Jezer HaTow) und den bösen Trieb (Jezer HaRa) auf. Der Mensch hat demnach im Gegensatz zu den instinktgeleiteten Tieren die Möglichkeit, seinen guten oder bösen Trieben zu folgen. Der zweite Ausspruch weist dagegen darauf hin, dass dies kein Privileg des Menschen sei, sondern dass auch Tiere gutmütig oder aggressiv sein können, was gleichfalls auf zwei gegensätzliche Triebe schließen lässt. Dennoch wird das Verb bei der Tierschöpfung (Gen 2,19) nur mit einem Jud geschrieben. Folglich müssen die beiden Jud im Vers über die Menschenschöpfung (Gen 2,7) eine andere Bedeutung haben und auf einen anderen artspezifischen Unterschied hinweisen. Dieser Ansicht zufolge machen also die guten und schlechten Triebe allein noch nicht das Wesen des Menschen aus – und für die Annahme eines freien Willens reichen sie in der Tat nicht hin. Deshalb wird ein weiterer Deutungsvorschlag für die beiden Jud unterbreitet. Das hebräische Wort WaJjizer wird aus den Wörtern „Waj“, „O Weh!“ und „Jozri“, „mein Bildner“ bzw. „Jizri“, „mein Trieb“ zusammengesetzt und soll die Seufzer ausdrücken: „O Weh mir vor meinem Schöpfer, wenn ich meinen Trieben folge!“ und: „O Weh mir vor meinen Trieben, wenn ich meinem Schöpfer folge!“. Nach dieser Ansicht schwankt der Mensch nicht nur zwischen zwei Trieben, sondern zwischen zwei Instanzen: Pflicht und Neigung, Über-Ich und Es, Gott und Teufel. Diese tragische Zerrissenheit begründet erst sein Gewissen und zeichnet ihn vor den Tieren aus. Bei diesen Ansichten der moralischen Natur des Menschen spielt die Geschlechterdifferenz überhaupt keine Rolle. Die letzte Erklärung bringt erst wieder den Mythos vom Urzwitter ins Spiel. Das Doppel-Jud des Verbs WaJJizer, bilden, das hier mit dem Verb Zarar, zusammenbinden identifiziert wird, symbolisiert sinnfällig das Urpaar. Der Mensch bestünde demnach von Anfang an aus männlichen und weiblichen Anteilen. Damit wird also die egalitäre Version der Erschaffung der Frau im ersten Kapitel der Genesis in die hierarchische Version des zweiten hineinprojiziert. Im Talmud wird nun die Frage aufgeworfen, wie sich der Mythos des Androgyns, nach dem die Frau die gleichrangige andere Hälfte des Mannes ist, mit der Geschichte von der Rippe vertrage, nach der die Frau ja eine Art Abfallprodukt des Mannes ist: „‚Und der Herr, Gott, baute die Rippe!‘ Raw und Schmuel streiten hierüber: (Raw) sagt, es war ein Gesicht (Parzuf), (Schmuel) sagt, es war ein Schwanz (Sanaw). () Einleuchtend ist es nach demjenigen, welcher sagt, es war ein Gesicht, da (das Wort) WaJJizer mit zwei Jud geschrieben ist, warum aber heißt es WaJJizer nach demjenigen, welcher sagt, dass es ein Schwanz war? Dies nach Rabbi Schimon ben Pasi, denn R. Schimon ben Pasi sagte: Wehe mir vor meinem Bildner (Jozri) und wehe mir vor meiner Triebhaftigkeit (Jizri). Einleuchtend ist es nach demjenigen, welcher sagt, es war ein Gesicht, da es heißt: ‚Mann und Weib schuf er sie‘ (Gen 1,27), wieso aber heißt es: ‚Mann und Weib schuf er sie‘ (Gen 1,27) nach demjenigen, welcher sagt, es war ein Schwanz? Dies nach Rabbi Abahu, denn R. Abahu wies auf einen Widerspruch hin. Es heißt: ‚Mann und Weib schuf er sie‘, dagegen heißt es: ‚im Ebenbild Gottes erschuf er den Menschen‘ (Gen 1,27. 5,1.9,6). Wie ist dies (in Übereinstimmung zu bringen?). Dies ist wie folgt zu erklären: Zuerst war es sein Wille, zwei zu erschaffen, schließlich aber wurde nur einer erschaffen (…)“ (bBer 61a). Der erste Kontrahent (Raw) versteht „Rippe“ (Gen 2,21) wohl aufgrund der möglichen Wortbedeutung: „Seite“ als „Gesicht“ eines Januskopfes (Diprósapos) und setzt somit die ursprüngliche Gleichrangigkeit der Geschlechter voraus. Nach seinem Vertändnis bestätigt die Geschichte mit der Rippe die egalitären Implikationen der Graphie in Gen 2,7. Der zweite Kontrahent (Schmuel) versteht „Rippe“ dagegen als „Schwanz“. Es ist möglich, dass er auf den Midrasch von der dreizehnten überflüssigen Rippe Adams oder vom animalischen Schwanzstumpf des Urmenschen anspielt, aber zur Ehrenrettung des Weisen wird man annehmen dürfen, dass er damit nicht verächtlich über die Frauen (wie in Dtn 28,13.44) sprechen, sondern den sekundären Charakter der Geschlechtsdifferenz ausdrücken wollte. Nun will der Talmud aber wissen, wie sich der Vertreter einer solchen entschieden hierarchischen Auffassung des Geschlechterverhältnisses die beiden fraglichen Jud im Verb WaJJizer (Gen 2,7) erklären kann, die schon graphisch auf ein ebenbürtiges Urpaar anzuspielen scheinen. Sie greifen auf die vorige Erklärung dieser Buchstaben zurück und entziffern sie als Hinweise auf die zwiespältige moralische Natur des Menschen und bestätigen damit, dass sie nicht etwa das weibliche Geschlecht, sondern die Geschlechterdifferenz für die Bestimmung des Menschen niedrig einschätzen. Wie erklären sie sich dann, so fragt der Talmud weiter, die explizit egalitäre Formulierung im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,27)? Sie verweisen auf die Mehrzahl im Vers: „Mann und Weib erschuf er sie“ (Gen 1,27) und auf die Einzahl im Vers: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde“ (Gen 9,6). Daraus schließen sie, dass Gott zwar ursprünglich zwei gleichberechtigte Urmenschen schaffen wollte, aber schließlich, wohl in weiser Voraussicht unlösbarer Konflikte, lieber nur einen Menschen machte. Hier bestätigt sich weiter die moralische Natur des Arguments Schmuels, der die Einheit des Menschengeschlechts der Gleichheit der Geschlechter vorzieht. Die „hierarchische“ Richtung ist jedenfalls der „egalitären“ Richtung keine Erklärung schuldig geblieben. Umgekehrt zeigt die Fortsetzung der Diskussion, dass die „hierarchische“ Richtung mit ihren Gegenargumenten auch der „egalitären“ Richtung nichts anhaben kann. Und der Talmud entscheidet sich, wie stets bei solchen Debatten, für keine der beiden Richtungen.

Die meisten mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophen beziehen die Position Schmuels und ziehen daraus weitreichende Konsequenzen für die natürliche Bosheit der Frau. Dabei ist allerdings auch der starke Einfluss der platonischen und der aristotelischen Philosophie zu berücksichtigen. Die hierarchische Tendenz tritt besonders deutlich im platonischen Gegenstück zur biblischen Genesis hervor, dem überaus einflussreichen Schöpfungsmythos des Timaios. Hier überträgt der göttliche Werkmeister (Demiourgós) den Unsterblichen die Aufgabe, die Sterblichen hervorzubringen; wenn er es nämlich selbst machen würde, sagt er bezeichnenderweise, „würden sie den Göttern gleich“ (41c). Genau genommen gehen der Demiurg und die Unsterblichen bei der Erschaffung des Menschen arbeitsteilig vor: Ersterer zeugt die göttliche Seele, Letztere erzeugen den sterblichen Körper (41c–d). Der Urmensch stellt sich demnach als ein Mischwesen aus göttlichen und sterblichen, geistigen und materiellen Teilen dar. Die Frau ist in diesem Schöpfungsmythos nicht nur ein physisches, sondern ein moralisches „Abfallprodukt“ des Mannes: „Da die menschliche Natur, sagt Timaios, eine zwiespältige sei, so solle das überlegenere von beiden Geschlechtern dasjenige sein, welches in der Folge den Namen ‚Mann‘ führen werde“ (41e–42a). Und wie kommt die Frau zur Welt? „Wer aber die ihm zukommende Zeit wohl verlebte, so Timaios weiter, der werde (…) ein glückseliges (…) Leben führen; sei er aber in diesen Dingen gescheitert, dann werde er bei seiner zweiten Geburt in die Natur eines Weibes übergehen“ (42b–c). „Lasse er jedoch auch dann von seiner Schlechtigkeit nicht ab, dann werde er, seiner Verschlechterung entsprechend, sich jeweils nach der Ähnlichkeit seiner Charakterentwicklung in eine entsprechende tierische Natur verwandeln“ (42c). Die Frau ist sozusagen die Durchgangsstufe des gefallenen Mannes zum Tier, und die Geschlechtsorgane erscheinen als tierische Glieder des Menschen (91b). Wir brauchen also gar nicht den griechischen Mythos der Pandora zu bemühen, jener eisernen Urfrau, aus deren Büchse alle Übel dieser Welt entschlüpften, auch im beinahe vollständig entmythologisierten Schöpfungsmythos des Timaios ist die Frau die Strafe des Mannes. Diese Mythen spiegeln die Inegalität der Geschlechter wider, die Aristoteles in seiner Politik metaphysisch formuliert: „das Verhältnis des Männlichen zum Weiblichen (ist) von Natur so, dass das Eine besser, das Andere geringer ist, und das Eine regiert und das Andere regiert wird“ (1254b10–15). Hier zeigt sich der wichtigste Unterschied zur biblischen Genesis. Die Unterordnung der Frau ist in der Natur festgeschrieben, und eine Gleichstellung der Geschlechter wäre demnach widernatürlich. Nicht einmal eine utopische Perspektive auf eine zukünftige Wiederherstellung der paradiesischen Harmonie zwischen Mann und Frau bleibt als Möglichkeit bestehen.

Die biblische und philosophische Anthropologie vermischen sich erstmals in der hellenistisch-jüdischen Exegese, deren wichtigster Vertreter Philon von Alexandrien (20 v.–50 n.) war. Er las die griechische Philosophie einschließlich ihrer frauenfeindlichen Tendenzen in die Bibel hinein. Das Problem des biblischen Doppelberichts der Menschenschöpfung löst er in seinen allegorischen Kommentaren zur Genesis ganz im Sinne des Timaios durch die Annahme einer Doppelschöpfung. Der erste Bericht gebe die Erschaffung des geistigen und der zweite die Bildung des sinnlichen Menschen wieder (Legum Allegoria I, § 31; Werke, ed. L. Cohn, Bd. III, S. 26). Die auffällige Mehrzahl im biblischen Schöpfungsbeschluss: „Lasset uns Menschen machen“ (Gen 1,26) deutet er auf „Mitarbeiter“ Gottes, die für die schlechten Seiten des Menschen zuständig waren (Über die Weltschöpfung, § 75, Werke, ed. L. Cohn, Bd. I, 1909, S. 53). Die Ebenbildlichkeit kann sich nur auf den Geist des Menschen beziehen, „denn weder hat Gott menschliche Gestalt noch ist der menschliche Körper gottähnlich (Über die Weltschöpfung, § 69, Werke, ed. L. Cohn, Bd. I, 1909, S. 50 ff.; gl. auch § 134; ebd. S. 174). Die Ebenbildlichkeit geht insbesondere der Geschlechtlichkeit des Menschen voraus, wie ja die Reihenfolge im biblischen Vers lehre: „Und Gott schuf den Menschen in seinem Ebenbilde, im Ebenbilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie “ (Gen 1,27; ebd. § 76; S. 53). Aber auch unter solchen Voraussetzungen hätte Philon an einem egalitären Begriff des Menschengeschlechts festhalten können, zumal er die biblische Geschichte mit der Rippe als „durchaus mythenhaft(e)“ Allegorie für die Entstehung der Sinnlichkeit betrachtete (Legum Allegoria I, § 19; Werke, ebd. Bd. III, S. 60). Er identifiziert aber andererseits Sinnlichkeit und Weiblichkeit, „denn der Geist in uns ist das männliche Prinzip, die Sinnlichkeit das weibliche“ (Über die Weltschöpfung, § 165, ebd. Bd. I, S. 86ff.; Legum Allegoria II, § 44; ebd. Bd. III, S. 66) – und somit ist die Frau die bevorzugte Angriffsfläche für Wollust und Sünde. Dieser Dualismus ist das metaphysische Fundament der Misogynie Philons, der Rest ist exegetische Fassade. Wie für Platon, so ist die Frau auch für Philon bloß ein moralisches „Abfallprodukt“ des Mannes, das ihm schließlich zum Verhängnis wird und ihn in die Niederungen der Lust hinabzieht: „Solange (der Mensch bzw. Mann) – nämlich allein war, glich er in seinem Alleinsein der Welt und Gott (…). Als aber auch das Weib gebildet war (…) trat die Liebe hinzu, die sie wie zwei getrennte Hälften eines Wesens vereinigte (…). Dieses Verlangen aber erzeugt auch jene Wollust des Körpers (…) um deren Willen die Menschen das sterbliche und unglückliche Leben für ein unsterbliches und glückliches eintauschen“ (Über die Weltschöpfung § 152, ebd. Bd. I, S. 81f.). Die Schlange ist fast schon überflüssig, das Weib ist bereits die Schlange des Mannes – im aramäischen Sprachraum gab es das Wortspiel „Chawa“, „Eva“; „Chiwja“, „Schlange“. Kein Wunder, dass Philon auch sonst ein ziemlich negatives Frauenbild hat. So beschreibt er die Frauen als selbstsüchtig, eifersüchtig und verführerisch (Hypothetica 11, 14; engl. Ed. F. H. Colson, Bd. 9, Repr. 1967, S. 443).7 Aus der Allegorie der Rippe leitet Philo einen Frauenspiegel ab. Sie stehe von Natur aus auf einer tieferen Stufe als der Mann, sie müsse jünger sein als er, ihm gehorchen wie eine Tochter und ihm dienen wie ein Körperglied (Quaestiones et Solutiones in Genesim I, § 27 zu Gen 2,21; ed. F. H. Colson, Bd. 9, Repr. 1971, S. 16). Die verhängnisvolle Fortsetzung dieser misogynen Bibelauslegung bei den christlichen Kirchenvätern kann man bei Elaine Pagels Adam, Eva und die Schlange. Die Theologie der Sünde (engl. 1988, dt. 1991) nachlesen. Man könnte zusammenfassend sagen, Philons Interpretation des Sündenfalls – und die aller seiner Nachfolger – gleicht der Adams. Als Gott ihn zur Rede stellte, erwiderte er: „Das Weib, das du mir gegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß“ (Gen 3,12).

Diese Tendenz tritt auch in Maimonides’ Führer der Verirrten hervor. Im 1. Kapitel sagt er über die Gottesebenbildlichkeit des Menschen dasselbe wie Philon: „Wegen (der) Vernunfterkenntnis wird vom Menschen gesagt: ‚Im Ebenbilde Gottes schuf er ihn‘ (Gen 1,27)“ – nicht aber wegen der „Gestalt und Figur“ (I, 1). Wie hält Maimonides es aber mit der Fortsetzung dieses Verses: „Mann und Weib erschuf er sie“ (Gen 1,27)? Die zustimmende Erwähnung des Mythos des Androgyn (II, 30) lässt eine egalitäre Interpretation möglich erscheinen. Maimonides deutet aber an – und seine Kommentatoren sprechen es offen aus –, dass diese Doppelgeschlechtlichkeit allegorisch auf die Doppelnatur des Menschen hinweise, der aus Form und Materie, Vernunft und Sinnlichkeit bestehe. Anderswo versucht er diese Deutung lexikalisch zu untermauern und führt aus, dass die Wörter „Mann“ (Isch) und „Weib“ (Ischah, Gen 2,23) auf Hebräisch im Allgemeinen auch Zusammengehöriges bezeichnen können und „Weib“ insbesondere „in übertragener Bedeutung auf jeden Gegenstand angewandt (wird), der dazu bereitet und bestimmt ist, sich mit einem anderen Gegenstand zu verbinden“ (I, 6). Ferner beruft er sich auch auf den Timaios, der die Form „Mann“ und die Materie „Weib“ genannt habe (eigentlich „Vater“ und „Mutter“, Timaios 50d, I, 17). So wird die egalitäre Version des Schöpfungsberichts konsequent hierarchisch umgedeutet. Denn obschon Form und Materie in jedem körperlichen Wesen wie Mann und Weib in der Ehe verbunden sind (III, 8) und gleichsam „ein Fleisch“ (Gen 2,24) bilden, so gibt es nach Maimonides doch einen abgrundtiefen Wertunterschied zwischen diesen metaphysischen Bestandteilen: Die Form ist vollkommen und die Materie „aus dem hässlichen und dunklen Staub“ die Quelle aller Übel. Jedes Lebewesen, schreibt Maimonides, „stirbt und erkrankt (…) nur infolge seiner Materie und nicht infolge seiner Form, und alle Vergehungen und Sünden eines Menschen sind nur von seiner Materie und nicht von seiner Form verursacht, während hingegen alle seine Vorzüge nur von seiner Form bedingt sind“ (III, 8). Die Form, von der nach Maimonides allein die Ebenbildlichkeit ausgesagt werden kann, hat zwar „Macht, Herrschaft und Verfügungsgewalt über die Materie (…) so dass sie sie bezwingen, ihr ihre Begierden versagen und diese auf das möglichst richtige und gleiche Maß zurückführen kann“. Aber die widerspenstige Materie lässt sich kaum bändigen: „Obgleich sie aber das Weib eines Mannes ist, sucht sie immer einen anderen Mann, mit dem sie ihren Gatten vertauschen kann, den sie verführt und in jeder Weise an sich zieht, bis er von ihr erreicht, was ihr Gatte von ihr erreicht hat. Dies ist also der Zustand der Materie. Er besteht darin (…), dass sie sich unaufhörlich bewegt, jede Form, die bei ihr ist, abzulegen und eine andere Form anzunehmen, und dass sie sich unaufhörlich bewegt, jede Form, die bei ihr ist, abzulegen und eine andere herbeizuschaffen, und genau in derselben Weise verfährt sie, nachdem die andere Form in sie gelangt ist.“ Nicht zufällig vergleicht Maimonides deshalb eingangs die Materie mit der Hure aus dem Buch der Sprüche (7,6–23) und stellt ihr das untergebene Weib aus dem gleichen biblischen Buch (31) entgegen, „das nicht buhlt, sondern sich mit der Instandhaltung des Hauses und der Pflege der Interessen seines Gatten begnügt“ (Führer, Einl.). Bei alledem handelt es sich zwar zunächst nur um Allegorien. Doch die metaphysische Degradierung der Weiblichkeit bildet die ideologische Legitimierung für die soziale Degradierung. Wie bei Philon, so werden auch bei Maimonides die zunächst aus dem realen Eheleben abstrahierten Metaphern wieder auf das reale Eheleben zurückprojiziert.8 Wie die Form die widerspenstige Materie dominieren soll, so der Mann die geistig minderbemittelte Frau (vgl. die Epistel über die Zwangskonversion 1). Maimonides nimmt sogar das ominöse Nietzsche-Wort: „Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“ (Also sprach Zarathustra I, Von alten und jungen Weiblein) vorweg und verlangt, dass der Ehemann eine pflichtvergessene Ehefrau mit der Peitsche züchtigen solle (Hilchot Ischut 21,10) – eine Entscheidung, die bei den damaligen französischen Rabbinen Verwunderung hervorrief (vgl. die kritische Glosse von R. David aus Posquieres). Wenn man diese religionsphilosophischen Positionen zur Stellung der Frau in der Schöpfung in den Rahmen der talmudischen Diskussion einordnen möchte, dann könnte man sagen, dass die mittelalterlichen jüdischen Philosophen eher der Position Schmuels zuneigen.9 Was in Bibel und Talmud allerdings fehlt, ist die „Ontologisierung von Gut und Böse“. Danach ist das weibliche nämlich nicht physisch oder moralisch, sondern metaphysisch das schwache Geschlecht. Zu den beschwerlichen Flüchen der Bibel wird hier der beschwerlichste hinzugefügt, die Personifikation des Bösen.

Die jüdische Mystik hat sich als wahre „Tradition(Kabbala) im Gegensatz zur jüdischen Philososphie verstanden. Doch in ihren klassischen Werken findet sich zu unserem Punkt nicht nur eine misogyne Ontologisierung, sondern geradezu eine misogyne Remythisierung von Gut und Böse. So etwa in folgender, viel zitierter Auslegung zu den beiden Versionen der Genesis im ersten kanonischen Werk der Kabbala, dem Sefer Ha-Bahir (Buch des Leuchtens, ca. 1185 n.): „‚Und Gott schuf sie (zugleich männlich und weiblich), denn es heißt: ‚Männlich und weiblich schuf er sie‘ (Gen 1,27). Kann man denn das sagen? Es heißt doch (an der gleichen Stelle): ‚Gott schuf den Menschen in seinem Bilde‘ und danach: ‚Ich will ihm eine Gehilfin machen‘ (Gen 2,18)‚ ‚Und er nahm eine von seinen Seiten, und schloss Fleisch daran?‘ (Gen 2,21). Verstehe dies vielmehr so: Es stehen hier (die beiden verschiedenen Verben) ‚bilden‘ (Jazar) und ‚schaffen‘ (Bara). Schaffen von der Zeit, als er die Seele machte – er schuf sie als etwas aus Männlichem und Weiblichem gemachtes; ‚bilden‘ steht von der Zeit, als er die Seele mit dem Körper vereinigte und alles zusammenbrachte. Und woher, dass ‚bilden‘ (Jazar) ein Ausdruck für ‚zusammenbringen‘ ist? Aus dem Vers: ‚Und Gott der Herr hatte alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels zusammengebracht (WaJizer) und führte sie zum Menschen‘ (Gen 2,19). Und das bedeutet der Vers: ‚Männlich und weiblich schuf er sie und segnete sie‘ (Gen 5,2) – die Seele des Weibes aus dem Weiblichen und die Seele des Mannes aus dem Männlichen. Und darum ging die Schlange der Eva nach; sie sagte: Da ihre Seele von der Seite des Nordens stammt, werde ich sie bald verführen. Und worin bestand die Verführung? Sie wohnte ihr bei“ (Ed. G. Scholem § 140, Ed. Maraglioth § 199). Danach schildern die beiden Versionen der Genesis zwei aufeinander folgende Phasen des Schöpfungsprozesses: Der erste bezieht sich auf die „Erschaffung“ (Berija) der Seelen und der zweite auf ihre „Verbindung“ (WaJizer wird hier von den Wurzeln „Azar“, „ansammeln“ oder „Zarar“, „zusammenbinden“ abgeleitet10) mit den Leibern. Hieraus hätte auch der Schluss gezogen werden können, dass die menschliche Seele aus männlichen und weiblichen Anteilen besteht und dass die Geschlechtsdifferenz erst in den Leibern eingezeichnet wird; stattdessen wird der Schluss gezogen, dass die männlichen und die weiblichen Seelen völlig verschiedenen Ursprungs seien und da, wo die weibliche Seele herkomme, das Böse zu Hause sei (nach Jerm 1,14: „Vom Norden her öffnet sich das Böse über alle Bewohner der Erde“). Auf das sexuelle Verhältnis Evas zur Schlange kommen wir noch einmal im nächsten Abschnitt zurück.

Im Allgemeinen neigte die jüdische Mystik aber eher der Position Raws zu, die übrigens auch an der angeführten Stelle im Sefer HaBahir anklingt. Die aus Genesis 1,27 hervorgehende Ebenbildlichkeit und Ebenbürtigkeit von Mann und Weib empfinden die Kabbalisten nicht wie die Philosophen als Gottes unwürdig, sondern als Bestätigung des kabbalistischen Gottesbildes. Der spanische Kabbalist Todros Abulafia (1222–1298) behauptet in seinem Kommentar zu unserer Talmudstelle (bBer 61a), dass Gen 1,27 die Grundlage der ganzen Kabbala sei: „Wisse, dass wir eine Überlieferung in unseren Händen halten, dass der erste Mensch zwei Gesichter (Parzufim) hatte, wie R. Jeremia lehrt (…) und beachte, dass die gesamte wahre Überlieferung (Kabbala) im Allgemeinen und im Besonderen, auf diesem Fundament aufbaut (…). Nach der Meinung der in der Wahrheit Eingeweihten (…) widersprechen sich die beiden in Frage stehenden Verse nicht, denn der Versteil: ‚Mann und Frau schuf er sie‘ (Gen 1,27) und der Versteil: ‚Im Bilde Gottes schuf er ihn‘ (ebd.) bilden eine Einheit. Wer das Geheimnis des Bildes kennt, von dem es heißt: ‚in unserem Abbild nach unserer Ähnlichkeit‘ (1,26), wird verstehen. Ich darf es nicht weiter erklären, denn es ist verboten, es auch nur andeutungsweise aufzuschreiben, es darf nur sittsamen Menschen von Mund zu Mund überliefert werden“ (Ozar HaKawod, ca. 1280, Warschau 1879, 9b11). Mit der geheimnisvollen Andeutung am Schluss spielt der Kabbalist auf das Mysterium des göttlichen Androgyns an. Die Kabbalisten beschreiben Gott als System von zehn Attributen (Sfirot), die den konträren und komplementären Seiten der Gottheit, der „milden“ oder „strengen“, der „rechten“ oder der „linken“ oder eben der „männlichen“ oder „weiblichen“ Seite angehören. So ist also auch das göttliche Urbild gleichsam androgyn, und die Ebenbildlichkeit des Urmenschen schließt daher nicht die Zweigeschlechtlichkeit aus. Nach dem heiligen Buch der Kabbala, dem Buch Sohar, ist die sexuelle Polarität das Grundgesetz des göttlichen Lebens: „Als der heilige Alte (Attika Kaddischa), der Verborgenste der Verborgenen sich eine Struktur geben wollte, strukturierte er das Ganze männlich und weiblich (Dechar WeNukba) (…). Durch sie existiert alles als männlich und weiblich und ohne sie würde nichts existieren“ (Sohar, Idra Suta, III, 290a12). Deshalb beschreiben die Kabbalisten inner- wie außergöttliche Vorgänge bevorzugt als sexuelle Beziehungen und sprechen von Verlobung, Hochzeit, Beischlaf, Zeugung, Scheidung und Versöhnung der göttlichen Attribute. Diese kabbalistische Theosophie wirkt sich natürlich auch auf die Exegese unserer Bibelstellen aus. Rabbi Schimon bar Jochai, der Held des Buches Sohar, betrachtet die Verse Gen 1,27 und 5,2 als Grundformel: „Höhere Geheimnisse sind in diesen Versen offenbart worden. (Es heißt) ‚Männlich und weiblich schuf er sie‘, um die himmlische Herrlichkeit zu erkennen zu geben, nämlich das Geheimnis des Zusammenhangs, denn in diesem Geheimnis wurde der Mensch erschaffen. (…) Darum ist ein Bild, in dem nicht Männlich und Weiblich vereinigt sind, nicht himmlischer Art. (…) Komm und sieh: Überall, wo sich nicht ein Männliches und Weibliches vereinigt finden, schlägt der Heilige, gesegnet sei er, nicht seinen Wohnsitz auf. Der Segen findet sich nur dort, wo Männlich und Weiblich vereinigt sind, wie es heißt: ‚Und er segnete sie und nannte ihren Namen, am Tage, da sie geschaffen wurden, Mensch‘ (Gen 5,2) und nicht: ‚Er segnete ihn und nannte seinen Namen Mensch.‘ Denn sogar ‚Mensch‘ wird nur männlich und weiblich zusammen genannt“ (SoharI 55b zu 1 Mose 5,213). Das Ideal des Menschen ist also nicht wie bei den platonischen Philosophen der einsame Mann, der erfolgreich seine weibliche, sinnliche Seite unterdrückt, sondern nur Mann und Frau zusammen; der einsame Mann ist, wie schon der Talmud sagte, ein halber Mensch – und kein Gottesbild. Vorzüglich im Geschlechtsakt wird die zerrissene Ebenbildlichkeit wiederhergestellt: „Und wann wird der Mensch eins genannt? In der Stunde, wenn Mann und Weib sich finden in höherer Heiligkeit und ihr Sinn auf Heiligung gerichtet ist (Kawwana). Und merke, dass in der Stunde, wenn der Mann sich mit dem Weib in der Liebesvereinigung (Siwug) befindet, in rechter Weise auf Heiligung gerichtet, dann wird der Mensch vollkommen und kann eins genannt werden, ohne Makel. Darum wolle der Mensch sich in dieser Stunde mit seinem Weib erfreuen, in Freundschaft mit ihr, beide wie eines auf jenes Ziel gerichtet. Wenn beide so vereinigt sind, ist es eine volle Einheit der Seele und des Leibes. Der Seele – einer mit dem anderen in Freundschaft verbunden. Des Leibes – wie uns gelehrt wurde, dass ein Mensch, der nicht heiratet, wie ein abgespaltenes Wesen ist. Nur wenn sich Mann und Weib vereinigen und sie eine Seele und ein Leib werden, wird der Mensch eins genannt“ (Sohar II, 81 a–b zu 3 Mose 19,2; ebd., S. 124f.; ferner I 49b–50a u. III, 296a, a. a. O., S. 121). Anders als die Philosophen, die den Geschlechtsverkehr beinahe als Sünde betrachten und auf den Zweck der Fortpflanzung und Körperhygiene beschränken wollten, sehen die Kabbalisten im Geschlechts- und nicht im Vernunftakt den höchsten menschlichen Akt, in dem der Mensch wahrhaft Mensch und Gott ähnlich wird. Alles deutet also darauf hin, dass die Kabbalisten die Geschichte mit der Rippe in Genesis 2,21ff. im Sinne von Gen 1,27 lesen. Das Buch Sohar harmonisiert die beiden Schöpfungsberichte folgendermaßen: Er ist zunächst darüber verwundert, wie es in Genesis 2,18 heißen kann: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, wo es doch bereits in Genesis 1,27 geheißen hatte: „Mann und Weib erschuf er sie.“ Dazu gibt er im Sinne des Mythos vom Androgyn folgende Erklärung: „(Adam) bemühte sich nicht um seinen weiblichen Teil und hatte keine Stütze an ihm, da dieser nur seine Seite bildete und sie rückwärts wie eines waren – so war denn doch der Mensch allein. ‚Ich will ihm einen Gehilfen schaffen ihm gegenüber‘ (so wörtlich Gen 2,18, D. K.). Das heißt: seinem Antlitz gegenüber, dass eines am anderen hafte, Angesicht zu Angesicht. Was tat der Heilige, gepriesen sei er? Er sägte ihn entzwei und nahm das Weibliche von ihm. Wie es heißt: ‚Und nahm eine seiner Seiten.‘ Was bedeutet ‚eine‘: Seine weibliche Seite, wie es heißt: ‚Eine einzige ist meine Taube, meine Reine‘ (Tamati, was man auch Zwillingsschwester, Teomati vokalisieren kann, HL 9, 6), ‚Und er brachte sie zu Adam‘ (Gen 1,22). Er bereitete sie wie eine Braut und ließ sie vor sein Angesicht kommen, beide leuchten von Angesicht zu Angesicht“ (III, 44b, ebd. S. 126). Gen 1,27 berichtet demnach von einem Androgyn, der wie siamesische Zwillinge verschiedenen Geschlechts Rücken an Rücken zusammengewachsen war, und Gen 2,22 von dem chirurgischen Eingriff Gottes, der die Zwillinge trennt und als Partner zusammenführt. Ähnlich wie das Urpaar waren, nach den Kabbalisten, alle glücklichen Ehepaare ursprünglich Zwillingsseelen, und jeder Mensch hat ein für ihn vorherbestimmtes „Gattenwesen“ (Ben- oder Bat-Sug, Sohar II, 102b–103a, ebd. S. 161). In der Seelenwanderungslehre des Isaac Luria (1534–1572) wird u. a. folgender Grund für die Reinkarnation angeführt: „Manchmal kehrt die Seele zurück, um sein Gattenwesen (Bat Sugo) zu empfangen; denn er war in seinem früheren Dasein nicht würdig, sie zu empfangen“ (Scha’ar HaGilgulim, Hadama 8; Kirjat Arba 1981, S. 32). Diese egalitäre Harmonisierung der biblischen Stellen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sohar gerade mit ihr die Dämonisierung des Weiblichen anlegt, die in den späteren kabbalistischen und chassidischen Schriften immer wieder durchbricht. Denn die Frau, als die „andere Seite“ des Mannes, korrespondiert eben mit dem Bösen, das nach den Kabbalisten die „andere Seite(Sitra Achra) Gottes ist. Das Urweib hatte diese Schuld, mit der sie philosophische und mystische „Männer“ beluden, freilich weiter auf die Schlange geschoben: „Die Schlange, sagt sie, hat mich verführt, und ich aß“ (3,14). Und ihrer zwielichtigen ophitischen und naassenischen Lobby gelang es bis heute nicht, das arme Tier von diesem Odium zu befreien.

Das Böse in den Weltreligionen

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