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c) Missverstandene Lösungen

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Das schließt nicht aus, dass sich auch andere Interpretationen dieser Todeserfahrung bemächtigten. Es sind die Sühne- und die Opfer-, die Loskauf- und die Restitutionsinterpretation, die in der Alten Kirche beliebte dämonistische Interpretation sowie die Interpretationen, die sich auf die Ursündentheorie (Augustinus) und auf das Satisfaktionsmodell (Anselm von Canterbury) berufen. Sie alle verfingen sich (wenn vielleicht auch wider Willen) irgendwann in der Falle eines magischen Realismus mit den oft besprochenen sadistischen und masochistischen Folgen. Ihnen allen überlegen ist immer noch die Interpretation des Hebräerbriefs 4,14–10,18. Zwar schließt er sich völlig dem Opfermodell Israels an und lässt Jesus als den wahren Hohenpriester auftreten, zugleich aber ist mit Jesu Tod die Opferpraxis überwunden: „Wo die Sünden vergeben sind, da gibt es kein Sündopfer mehr“ (Hebr 10,18). Das heißt nicht, Jesus habe das zeitlich letzte Opfer aller Opfer dargebracht, wie man das oft interpretierte, sondern: Er hat dieses Denken, das Gewalt eben doch wieder mit Gewalt beantworten will (Girard, Schwager), in seiner Gefährlichkeit entlarvt und damit zu Ende gebracht.

Von herausragender Bedeutung sind zwei weitere Interpretationen. Paulus gilt als der erste und grundlegende Theoretiker der Rechtfertigungsbotschaft schlechthin: Allein „durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes“ wird der Mensch gerechtfertigt (Röm 3,28). Ohne den Kontext einer sich dem Hellenismus öffnenden jüdischen Kultur wäre dieser Durchbruch nicht möglich gewesen. Was Paulus bei seiner dramatischen Bekehrungserfahrung aufgegangen sein muss, hat eine seiner Wurzeln in der religionskritischen und höchst beunruhigenden Erfahrung, dass auch auf das beste Glaubenssystem an sich, und stehe es moralisch, intellektuell oder spirituell noch so hoch, kein endgültiger Verlass sein kann; im Namen der Tora wurde selbst Gottes geliebter Sohn getötet. Genau dort, wo ein Glaubenssystem in die Enge getrieben wird, offenbart es ungewollt seine Schwächen. Das Gebot der Gottesliebe wird mit Gewalt erzwungen. Paulus reagiert mit radikaler Relativierung. Gott macht seine Zuwendung zum Menschen von keinen Versöhnungsleistungen abhängig. „Gott ist treu“ (1 Kor 1,9), und diese Treue kann durch keine Bosheit, nicht einmal durch die Perversion des Glaubens zu einem berechnend frommen Heilsegoismus zerstört werden. Die Erfahrung schlimmster Bosheit führt also zur Vertiefung des Glaubens an einen bedingungslos gütigen Gott (M. Theobald, Kertelge 1991).

Auch an der Auferstehungsbotschaft interessiert in unserem Zusammenhang deren Reaktionspotential auf Jesu Tod. Diesem Tod eignet ja für damalige Wahrnehmung in erster Linie eine enorme, symbolisch ins Höchste verdichtete Bosheitsqualität, zumal der Tod im jüdischen Verständnis mit Gottferne und Identitätsverlust verbunden ist (Dohmen). Nun korrigiert Gott dieses Unrecht, indem er Jesus zum Leben erweckt, den Tod also in einer Neuschöpfung korrigiert. Das kann nur bedeuten: Gott behält Macht sogar über diesen verbrecherischen Tod; er bleibt also unbedingter Herr auch über das Böse (Kessler, Kremer).

Wird damit das Böse verharmlost? Für die ursprünglichen biblischen Zeugnisse gilt das m. E. nicht; die Erinnerung an den Tod bleibt präsent. Bei späteren Auslegungen ist diese Gefahr aber nicht von der Hand zu weisen. Einerseits wird Gottes Macht zu einer Art abstrakt überzeitlichen All-Macht stilisiert, die alles Irdische, dessen Qualen eingeschlossen, verharmlost. Andererseits drohen Gottes Macht und Güte das Leid der Welt in einer Art Über-Welt zu überspielen. Oft wird das Böse zum Kennzeichen des irdisch vorläufigen Jammertals oder im Rahmen einer „soul making theodicy“ zum pädagogischen Mittel degradiert (Ammicht-Quinn, 229–231), der Tod Jesu zum reinen Heilsopfer instrumentalisiert oder zum reinen Heilsereignis spiritualisiert. Leiden wird masochistisch angeeignet und man dankt Gottes Güte, statt sich über Jesu Gottverlassenheit zu empören (Riess, Schenk).

Für diese Fehlentwicklungen lassen sich drei Gründe anführen. Der erste Grund liegt in der antijüdischen Polemik, die schon das Neue Testament geprägt und sich später verschärft hat. Was Mose und das „Gesetz“, so die Polemik, nur vorbereiten konnten, wurde in Jesus Christus endgültig erfüllt (Joh 1,17). Dieser „Perfektionismus“, wie man diese Haltung nannte, führte zu einer unerwarteten Grundhaltung: Für die christliche Bewegung gilt die neue christliche Selbstidentifikation und Lebenspraxis jetzt nicht mehr als neue Herausforderung auf der Grundlage jüdischer Tradition, sondern der ganz andere, als endgültig jenseitige Heilsvollzug; das Neue Zeitalter hat begonnen (vgl. 1 Kor 2; Bakker).

Der zweite Grund liegt im allmählichen Verlust des ursprünglichen Kontextes. Die Hellenisierung des Christentums und die damit verbundene Inkulturation in eine stark philosophisch und gnostisch geprägte Umwelt verliert jedes Gegengewicht.

Ein dritter Grund liegt in der zunehmenden Einkleidung des Geschehens mit Metaphern, die antiken Opferreligionen entstammen. Man mag die Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury aus vielen Gründen verteidigen, faktisch hat sie als die perfekte Rationalisierung dieses magischen Denkens gewirkt.

Verdrängt wurde also die Tatsache, dass es im Kern christlicher Erinnerung um einen bleibenden Kampf zwischen Leben und Tod geht. Nicht ohne Grund wies E. Käsemann oft darauf hin, dass Paulus die Rechtfertigung nicht (wie Luther) als persönliches Beziehungsproblem, sondern als Machtfrage im Rahmen einer apokalyptischen Fragestellung begreift. In jedem Fall ist das die Kernfrage der christlichen Botschaft: Wer hat im Kräftespiel zwischen Leben und Tod letztlich die Macht? Leben wir im Machtbereich des Guten oder der Vernichtung, des Lebens oder des Todes? Christlich gesehen gibt es zur Hoffnung zwar allen Grund, aber erst am Ende der Zeiten ist die Frage ausgestanden.

Das Böse in den Weltreligionen

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