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c) Ererbte Ursünde

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Streng genommen denkt Augustinus nicht in politischen oder gesellschaftlichen Größen. Sein zentrales Operationsmodell ist das Selbst, d. h. das Ich, wie er es vor Gott oder vor sich selbst erfährt. Zugleich ließ dieses Ich bei Augustinus eine tiefe Ohnmachtserfahrung zurück. P. Ricœur prägte für diese Paradoxie den Begriff der „gefangenen Freiheit“, Hinweis auf die innere Dialektik, die unser Wollen immer bindet (Ricœur 1971). Anthropologisch ist heute unumstritten, dass kein Mensch über seine Freiheit verfügen kann, wie ich über ein Objekt verfüge. Schließlich gibt es in meiner Geschichte immer Bindungen, soziale Prägungen und unheilvolle Zusammenhänge, denen ich mich auch in größter Freiheit nicht entziehen kann.

Natürlich lassen sich für solche Erfahrungen immer auch biographische, psychologische oder spirituelle Gründe nennen (Minois). Ein jedes Menschenleben beginnt sozusagen mit dem Optimismus naiver Selbstvergessenheit und steuert auf den Punkt zu, an dem ich meine Freiheit (auswählend, nehmend und verzichtend) auf mich nehmen muss. Kierkegaard spricht von der damit verbundenen Angst, vom „Schwindel der Freiheit“, die mich in Distanz zu mir selbst bringt (Häring 1999, 115f.).

Augustinus hat als erster abendländischer Denker versucht, die Grenze menschlicher Freiheit mit dem Postulat zurechenbarer Verantwortlichkeit zu vereinen (Minois). Kern der neuen Theorie ist (anders als im Traktat über den freien Willen) der Machtcharakter des Bösen, das den Einzelmenschen nicht von außen her in die Knie zwingt, sondern dessen Freiheit von innen her korrumpiert.8 Weil aber alle Menschen in freier Bejahung dieser Unfreiheit von innen her erliegen, ist die Menschheit insgesamt von Gott verdammt. Sie erscheint jetzt als „massa damnata“9, als ein Lehmklumpen, den der Töpfer formen oder verwerfen kann (Jer 18,6).10

Wie kann Augustinus zu dieser Lösung kommen? Mit unseren Geschichtserfahrungen lässt sich seine Verzweiflung an der Menschheit wohl nachvollziehen. In biblischer Symbolwelt heißt das: Adam hat der Menschheit die Zukunft verdorben. Sie hat aber auch etwas zutiefst Unchristliches, weil sie die Hoffnungsdynamik der jesuanischen Botschaft unterschlägt. Missverständnisse der Schrift tun ein Übriges: Die Römerbriefstelle 9,12, gemäß der Gott „Jakob liebt und Esau hasst“, wird von Augustinus falsch im Sinne eines reinen Willkürgottes ausgelegt (Kraus, 301–306). Und falsch ist die Rede von „Adam, in dem alle Menschen gesündigt haben“ (Röm 5,12d; Käsemann, 138–140). Adam also sei es gewesen, der seine Freiheit vor Gott im Namen aller Menschen verloren hat11.

Damit hält eine unglaublich unbarmherzige Theorie Einzug in das westliche Christentum. Die gesamte Menschheit wird recht- und heillos gegenüber Gott, bevor ihre Geschichte überhaupt beginnt. Wer in die ewigen Höllenqualen verdammt wird, kann Gott daraus keinen Vorwurf machen. Es ist die Theorie von der „Ursünde“ (peccatum originale), die man später gerne „Erbsünde“ nennt. Ob es eine wirkliche „Vererbung“ der Ursünde gibt, bleibt bei Augustinus immer unklar. Wichtig bleibt für ihn das Indiz, dass Zeugung immer mit Lust – und damit mit Sünde – verbunden ist (Häring 1979, 224; Wils, 268–271). Trotz vieler Milderungen (M. Müller, Weger, Pannenberg, 258–285) bleibt ein Stachel zurück (U. Baumann 1990). Augustinus ist von zwei gegenläufigen Erfahrungen bestimmt. Da ist, wie schon gesagt, seine eigene Ohnmachtserfahrung, die Betroffenheit durch das Böse mit all seinen Abgründen, das die Menschen bis in ihr Innerstes bestimmt (Eichinger). Aber dagegen steht für Augustinus auch die konkrete Erfahrung eines unergründlich guten Gottes, der sein Heil in grenzenloser Fülle anbietet. Es ist für ihn die Erfahrung einer Kirche, die dieses Heil in unerschöpflicher Weise vermittelt.

Als Seelsorger lässt sich Augustinus auf ein höchst gefährliches Spiel ein, das sich später bei Luther wiederholen sollte. Es ist eine Dynamik des Gegensatzes, die sich in vielen Bekehrungsgeschichten wiederholt. Denn den von Gott verdammten Menschen steht in wunderbarer Entsprechung nun der neue Weg der Rettung offen. Man mag bei Augustinus die Dramatik dieser Gegensätze noch nachvollziehen. Später gerät sie zu einer nüchternen Doktrin. Dann ist es, als sprächen diejenigen vom Ertrinken, die das Wasser höchstens von ferne sahen.

Das Böse in den Weltreligionen

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