Читать книгу Das Böse in den Weltreligionen - Группа авторов - Страница 20

b) Gottes- und Teufelsstaat

Оглавление

Wie bekannt, war Augustinus einige Jahre Manichäer, also Anhänger einer ausgesprochen dualistischen Weltanschauung, die Materie und Welt als Gegenpol des Geistes ansieht und beides in einem (vermutlich) göttlichen Doppelprinzip begründet.5 In einem Prozess intensiven Suchens wendet sich Augustinus immer deutlicher gegen diese Theorie, erliegt nach Meinung vieler umso intensiver ihrem Geist. So hat sich auch in Augustinus, der 397 Bischof der nordafrikanischen Provinzstadt Hippo wird, ein höchst weltkritisches Daseinsgefühl herausgebildet6, das ihn zum vielfältigen Nachdenken über das Böse zwingt.7

Unter den Vorzeichen der hellenistischen Kultur entdeckt Augustinus ein Thema neu, das nach dem Abschied vom apokalyptischen Denken beinahe verloren gegangen war. Es ist die Geschichte, also eine sich zeitlich erstreckende Kontinuität von Ereignissen, die individuelle Lebenslängen überdauert. Augustinus entdeckt in ihr eine kontinuierliche Struktur von Mächten, die ihrerseits die freien Menschen bestimmen. Was hält diese Geschichte, die Erfahrung kontinuierlichen Leidens und der Unterdrückung (Körtner 1988) im Innersten zusammen? „Wie lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten und unser Blut an den Bewohnern der Erde zu rächen?“ (Offb 6,9). Diese Frage war zu beantworten.

Bei Augustinus nun hat sich die Zeitperspektive entschärft. Zwar erreicht die Geschichte irgendwann ihr Ziel, aber die einzelnen Menschen werden ihr entgleiten und eingehen in Gottes Reich. Auch das Machtmotiv hat sich entspannt, denn jetzt rufen nicht mehr Getötete um Rache, sondern überblicken Wissende den Gesamtablauf. Nach Augustinus ist diese Geschichte ein ständig wogender Kampf zwischen zwei Gemeinschaften („Bürgerschaften“ oder „Städten“), der Gemeinschaft Gottes und derjenigen des Teufels (van Oort 1991). Konkreter Anlass zu diesen Überlegungen wurden für Augustinus die Erschütterungen des Reiches durch die Einfälle neuer Völkerschaften aus dem Norden sowie die altheidnische Überzeugung, nur die Rückkehr zur alten Religion könne Rettung bringen.

Aber Augustins Antwort überschritt diese Fragestellung bei weitem. Seine Arbeit „Vom Gottesstaat“ (De civitate Dei) geriet mit seinen 22 Büchern zu seinem größten Werk (dessen jüngste deutsche Übersetzung gut 1700 Seiten umfasst; Thimme). In ihm verarbeitete er alles, was in das kollektive Gedächtnis seiner Zeit eingegangen war; er hat also alles Vergangenheitswissen, das biblische eingeschlossen, unter eine einheitliche Perspektive gestellt. Das Werk wurde zugleich zur glänzenden Verteidigung des christlichen Glaubens, dessen Anhänger dem „Teufelsstaat“ (civitas diaboli) Widerpart bieten (Kamlah).

Damit ist ein weiteres Generalthema angedeutet, das späteres Denken des Christentums nachdrücklich prägen wird. Das Böse zeigt sich als der entscheidende Kampf- und Machtfaktor, zugleich als die entscheidende Triebfeder menschlicher Geschichte. Bis in die Gegenwart hinein ist diese Thematik nie mehr aus dem europäischen Geschichtsbild verschwunden. Es wird ins Mittelalter übernommen, dort von Joachim von Fiore (1135– 1202) auf seine Problemlage hin modifiziert und sorgt dort zum ersten Mal für erhebliche politische Unruhe. Über die klassische Lehre der Sieben Zeitalter des Danielbuchs hinaus fügt er nämlich einen Zeitindikator hinzu und verschärft damit wieder den apokalyptischen Akzent. Dem Zeitalter des Vaters (Altes Testament) und dem petrinischen Zeitalter des Sohnes (Kirche bis in seine Gegenwart) folgt jetzt das johanneische Zeitalter des Heiligen Geistes (West).

Was sich hier abstrakt trinitarisch liest, bedeutet in Wirklichkeit eine Kampfansage an den damaligen Zustand der Kirche und einen flammenden Appell, mit dem Bösen in ihr endlich aufzuräumen; sogar Franziskus von Assisi (1181–1226) wird bald als Widerpart des Antichrist in das Gedankengebäude aufgenommen. Deshalb entfaltet sich ein hartnäckiger Streit um die wahre Franziskus-Nachfolge (Potestà), um die Ablehnung der „fleischlichen“ Kirche zu Gunsten der „Geistkirche“ (Feld). Die Revolution des charismatischen Cola di Rienzo (1347) in Rom gab für den Kampf um Gerechtigkeit und Frieden konkreten Anschauungsunterricht. Die Nachwirkungen dieses Konzepts wirken bis weit in die Neuzeit hinein (Congar, 118–128). Zwar bedeutete Augustins Werk auch einen Rückzug aus der Politik, aber unbestritten ist ebenso, dass seine universalgeschichtliche Utopie den Grundstein für die modernen universalgeschichtlichen Friedensutopien gelegt hat (Flasch, 400).

Für unser Thema ist die Kehrseite dieser Medaille von Interesse, denn immer wieder versucht man, das Böse in der Geschichte zu denunzieren und zu vernichten. Man denke an die linken Reformatoren und an die Achse des Bösen. Man denke an den Aufruf zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse in der berühmten „Betrachtung über die zwei Banner“ in den Exerzitien des Ignatius von Loyola (1491–1556; Sievernich-Switek), deren Wirkung auf den katholischen Klerus der Neuzeit kaum zu überschätzen ist. Bei Kant und Hegel gerät der Gedanke zur Fortschrittsidee; das Böse wird sozusagen von selbst überwunden, bei K. Marx zur gewaltsamen Revolution.

Wie sehr sich im 20. Jahrhundert dann namentlich die katholische Kirche auf unerträgliche Kompromisse mit der politischen Rechten einließ, um nur den Kommunismus vernichten zu können, und wie selbstverständlich nach 1945 die Lagerbildung von Ost und West christlich und wiederum antikommunistisch legitimiert wurde, das zeigt etwas von der bleibenden Faszination der augustinischen Geschichtstheorie.

Das alles war nicht im Sinne Augustins, aber zu dieser Entwicklung hat er entscheidend beigetragen. Am Schluss löst sich dann alles in jenseitiger Erfüllung auf. Fünf Weltalter sind nach ihm verflossen, ein jedes mit einer bestimmten Zahl von Generationen. Dem sechsten weist er (anders als Joachim von Fiore) keine Grenze mehr zu, „und es lässt sich nicht nach einer bestimmten Zahl von Geschlechterfolgen begrenzen“. Apokalyptische Ungeduld ist also der meditativen Schau ins Zeitlose gewichen. Das Siebte und ansonsten höchst dramatische endgültige Zeitalter führt deshalb ins Jenseits. Es ist der Sabbat, die große Ruhe. „Da werden wir feiern und schauen, schauen und lieben, lieben und preisen. Ja wahrhaftig, so wird es sein, am Endziel ohne Ende“ (Ende des Buches 22). Alles Böse wird dort überwunden sein.

Wirklich? In gegenwärtiger Bezugnahme auf dieses Werk wird meistens vergessen, dass das vorletzte Buch vom weniger glücklichen Ende der Verdammten, also von der endlosen Feuerqual derer spricht, denen Gottes Barmherzigkeit nicht zuteil wird. Es muss am Ende, wie Augustinus andernorts sagt, um der kosmischen Ordnung willen (nur) so viele Gerettete geben wie Engel von Gott abgefallen sind. So hat sich ein dualistisches Gleichgewichtsdenken durchgehalten; die christliche Tradition muss sich fragen lassen, ob und wie konsequent sie die jesuanische Botschaft von Gottes vorbehaltloser Güte wirklich durchgedacht und durchgearbeitet hat.

Das Böse in den Weltreligionen

Подняться наверх