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b) Zwischen Hass und Versöhnung
ОглавлениеDeshalb ist es wichtig, sich den Gründen von Jesu Geschick genauer zuzuwenden. Die historische Rekonstruktion des Prozesses ergibt kein eindeutiges Bild.3 Vielleicht wollte man sich in einer politisch angespannten Situation eines unangenehmen Kritikers entledigen („Er wiegelt das Volk auf“; Lk 23,5); dann aber wäre auch seine Gefolgschaft verurteilt worden. Möglicherweise hat sich Jesus mit seinem ausdrücklichen Schweigen dem offiziellen Tribunal verweigert; das musste den Tod zur Folge haben (Dtn 17,12).4 Durfte Jesus diese Bestimmung missachten? Hier ist die für die Legitimität des Christentums entscheidende Frage anzusetzen. Letztlich kann die Stellungnahme für oder gegen Jesus von den gängigen jüdischen Kriterien her nicht entschieden werden. Viel wichtiger ist deshalb die unabweisbare Tatsache, dass Jesu Tod für seine Bewegung zum Siegel seines für die Verlorenen und Entrechteten solidarischen Lebens wird. Er wird zu dem, „der sich für unsere Sünden hingegeben hat“ (Gal 1,4).
Aus diesem Grund verbietet es sich schon der Urgemeinde, die Generalverantwortung für den Tod Jesu einfach „den Juden“ aufzubürden (Apg 2,46). Zwar kennen wir das böse Matthäuswort, „sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (27, 25), und den Versuch des Lukas, die römischen Behörden zu entlasten. Viel wichtiger aber ist der frühe Versuch, den Tod Jesu in Gottes Heilsplan selbst zu begründen. „Musste nicht der Messias all das erleiden … Er legte ihnen dar, … was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“ (Lk 24,26f.).
Damit ist allerdings (anachronistisch ausgedrückt) von Anfang an das Theodizeeproblem ins Spiel gebracht. Es fragt sich nämlich, ob der Gott der Güte eine solche Katastrophe zulassen, gar herbeiführen kann. Diese Frage hat nicht nur das Vertrauen der ersten Anhänger auf eine extreme Belastungsprobe gestellt, sondern die christliche Theologie durch Jahrhunderte hindurch beschäftigt und deren Erlösungstheorien nachdrücklich bestimmt. Je mehr diese aber den Tod zum großen und objektiv verlaufenden Erlösungsgeschehen machten (Th. Schneider 1999; Körtner 1999), verfremdeten sie damit den ungelösten Kern dieser Bosheitserfahrung. Bis in die Gegenwart hinein spricht die römische Liturgie meist unkommentiert von einer „glücklichen Schuld“.
Im 20. Jahrhundert hat sich die Verstehens- und Interpretationslage grundlegend geändert. Verstärkt wurde der Tod Jesu wieder historisch aus anthropologischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen heraus rekonstruiert. Zum Tragen kamen Elemente der Gesellschafts- und Ideologiekritik, der Gruppen- und der Religionspsychologie, der Macht- und Institutionenanalyse. Solche Rekonstruktionen wurden zur Kritik an institutionalisierter Religion, an macht- und traditionsbetonten Gesellschaften sowie am nackten Egoismus all derer, die durch den Appell an Gemeinschaft und Solidarität etwas zu verlieren haben.
Das Kreuz wurde weltweit zum Kennzeichen mit einer doppelten Botschaft. Es gilt als Zeichen der Erlösung. An sich ist es aber ein durch und durch böses Ereignis, heute oft umschrieben als Zynismus und tiefste Demütigung, als Folter und Mord. Wahrscheinlich hat kein anderer Mord eine für Weltgeschichte und religiöses Bewusstsein so nachdrückliche Bedeutung erreicht. Dass und wie ausgerechnet dieses Unheilsereignis in der christlichen Tradition als Heilsereignis verstanden wurde, wird noch zu besprechen sein. Bei allen Heilsinterpretationen ist jedoch nicht zu vergessen, dass unterschwellig immer eine zweite Botschaft wirkt. Nach außen hin wurde Jesu Tod Anlass zu Versöhnung und Hass, nach innen blieb immer ein abgründiger Rest. Jesus wurde zum Gottessohn, der am Kreuz die Welt erlöste, blieb aber gemäß Matthäus (27,36) zugleich derjenige, der verzweifelt seine Gottverlassenheit hinausgeschrien hat. Er wurde gleichermaßen zum Dulder und zum Rebell vor Gott. Was von beiden war er wirklich? Historisch ist diese Frage nicht zu entscheiden, und beides liegt für biblische Glaubenserfahrung eng beieinander. An dieser grundlegenden und nie aufgelösten Doppelbödigkeit ist festzuhalten, wenn wir diesen Tod als paradoxes Zeichen des Heils weiter verfolgen.