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1835 Die erste Eisenbahn des Landes
ОглавлениеAm 7. Dezember 1835 läutete man ein neues Zeitalter ein: Die »Adler« zog als erste dampfbetriebene Lokomotive in Deutschland einen Zug von Nürnberg nach Fürth. Zunächst mit Skepsis aufgenommen, erwies sich die Eisenbahn als Motor der rasanten Industrialisierung, die das Land aus seiner Rückständigkeit führte.
Im Schneckentempo fuhr das vierzig PS starke, schnaufende Dampfross über die rund sechs Kilometer lange Trasse, gesteuert von William Wilson, der als Ingenieur und Lokführer samt der Maschine aus England geholt worden war. »Hoch lebe unser König!«, jubelte die begeisterte Menge, als die »Adler« an ihr vorbeistampfte, Journalisten aus dem In- und Ausland berichteten über das Ereignis. Und die Begeisterung hielt an: Fast eine halbe Million Passagiere wurden im ersten Jahr gezählt, die 207 Aktionäre der lokalen Betreibergesellschaft konnten sich über eine stattliche Dividende von 20 Prozent freuen. Hinter der Eisenbahngesellschaft standen technikbegeisterte Kaufleute aus Nürnberg und Fürth. Binnen kürzester Zeit trieben sie mehr als das nötige Kapital in Höhe von 175 000 Gulden auf – heute fünf bis sechs Millionen Euro. Das Königreich Bayern beteiligte sich nur mit zwei Aktien im Wert von insgesamt 200 Gulden und zeigte sich auch noch als säumiger Zahler. König Ludwig I. hatte zwar die Konzession zum Bahnbau erteilt, sein Interesse galt aber den Wasserstraßen, speziell dem Main-Donau-Kanal. Doch angesichts des Erfolgs dachte er um: In Bayern wie in den anderen deutschen Gebieten wurden Strecken geplant und rasend schnell gebaut.
Der Eisenbahn schlug aber auch von anderer Seite Skepsis entgegen: Man munkelte, dass Kühe, die nahe der Strecke grasten, keine Milch mehr geben und Vögel tot vom Himmel fallen würden. Und manche Ärzte forderten: »Ortsveränderungen mittels Dampfmaschinen sollten im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten werden.« Dichter wie Heine und Eichendorff beklagten den Verlust der Muße und die Zerstörung der Natur. Doch auch sie konnten die einmal in Gang gesetzte Dynamik nicht mehr aufhalten, das ganze Land war im Eisenbahnfieber. Das Schienennetz wuchs von rund 500 Kilometern im Jahr 1840 bis auf fast 34 000 Kilometer 1880. Allerorten wurden Trassen aufgeschüttet, Brücken gebaut, Tunnels gegraben. Die Produktion von Schienen, Wagen und Lokomotiven sorgte für Tausende von neuen Arbeitsplätzen in deutschen Fabriken. Die Eisenbahn beschäftigte 1870 in Deutschland fast 160000 Menschen, drei Jahre später waren es schon 234000. Damit wirkte sie maßgeblich als Motor der Industrialisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland – und sie führte das Land mit Volldampf in eine neue Epoche.