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1882 Koch entdeckt den Erreger der Tuberkulose
ОглавлениеNoch vor hundert Jahren starben in Deutschland Jedes Jahr Hunderttausende von Menschen an Infektionskrankheiten – Cholera, Tuberkulose, Diphtherie. Behörden und Ärzte standen dem Massensterben meist hilflos gegenüber. Doch dann widmete ein junger Arzt sein Leben dem Kampf gegen diese heimtückischen Geißeln der Menschheit: Robert Koch. Seine am 24. März 1882 öffentlich gemachten Forschungen zum Erreger der Tuberkulose waren ein Durchbruch bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten.
Robert Koch konnte erstmals nachweisen, dass Tuberkulose (Tbc) durch ein Bakterium ausgelöst wird. Eine medizinische Sensation: Bis dahin hatten Ärzte noch an sogenannte »Miasmen« geglaubt – mysteriöse giftige Ausdünstungen des Bodens. Nun gab es endlich Hoffnung, ein wirksames Mittel gegen die im Volksmund auch »Schwindsucht« genannte Krankheit zu finden. Tuberkulose galt damals als Geißel der Armen. Vor allem in städtischen Ballungsgebieten, wo viele Menschen auf engem Raum und in schlechten sanitären Verhältnissen zusammenlebten, forderte die Seuche immer wieder zahlreiche Opfer. Jedes Jahr wurden Hunderttausende von der hochansteckenden Krankheit dahingerafft. Noch 1880 war allein im Deutschen Reich jeder zweite Todesfall in der Altersgruppe der Fünfzehn- bis Vierzigjährigen auf Tbc zurückzuführen.
Keinem anderen als Koch hätte die Fachwelt eine derart bahnbrechende Entdeckung zugetraut. Binnen weniger Jahre war der Mediziner vom einfachen Provinzdoktor zur Lichtgestalt der medizinischen Forschung in Deutschland, ja weltweit avanciert. Arzt war er geworden, nachdem ihm seine aus dem Harz stammende Bergmannsfamilie den Plan ausgetrieben hatte, als Kaufmann nach Übersee zu gehen. Unter schweren Entbehrungen ermöglichten ihm die Eltern das Medizinstudium. Der junge Mann erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen und schloss mit 22 Jahren das Studium ab.
Bereits als Student faszinierte ihn die Forschung, jede freie Minute verbrachte er im Labor. Schon damals, so will es wenigstens die Legende, soll ihn die Erforschung mysteriöser Infektionskrankheiten besonders gereizt haben. Aus seinen ersten Wanderjahren als Landarzt riss ihn 1870 der Deutsch-Französische Krieg. Er wurde Militärarzt. Erneut erwachte sein Forschergeist: Viele Verwundete kamen mit Blutvergiftung (Sepsis) in der Heimat an. Wie entstand die Infektion? Nur durch Gifte in der Luft oder durch lebende Organismen? Doch erst nach dem Krieg, als er sich als Landarzt in der Provinz Posen niederließ, konnte er mit systematischen Untersuchungen beginnen.
Zu seinem ersten Forschungsobjekt wurde indes nicht die Sepsis, sondern eine andere Krankheit: Unter seinen Patienten waren viele Bauern, die ein schwerwiegendes Problem hatten: Immer wieder raffte Milzbrand ihr Vieh dahin. Mit Elan machte er sich an die Erforschung dieser Seuche, vervollständigte sein Labor mit Fotoapparat, chemischen Farben und optischen Geräten. Koch wollte den Erreger der Tierkrankheit entdecken – und damit die Möglichkeit schaffen, ihn zu bekämpfen. 1876 gelang ihm der Durchbruch: In Tierkadavern entdeckte er unter dem Mikroskop stäbchenförmige Gebilde. Niemand vermutete in ihnen Seuchenerreger, doch der Forscher wollte es genauer wissen. Robert Koch entwickelte in diesem Zusammenhang die Methode, Bakterien auf Nährböden zu züchten, die seitdem in der gesamten bakteriologischen Forschung angewendet wird. Es war eine große Genugtuung, als sie Sporen bildeten, zu Fäden auswuchsen. Inmitten der ländlichen Idylle war ihm die größte Entdeckung auf dem Gebiet der Mikroorganismen gelungen: Er hatte Lebewesen, sogenannte Anthrax-Bakterien, als Erreger einer Infektionskrankheit nachgewiesen.
Koch hatte seine Berufung gefunden. Fortan widmete er sich der Untersuchung und Bekämpfung ansteckender Krankheiten. Und steckte sich ein neues Ziel: Er wollte Menschen heilen. 1880 wurde er an das neugegründete Kaiserliche Gesundheitsamt nach Berlin berufen, wo er die Leitung der Bakteriologischen Abteilung übernahm und seine Arbeit unter sehr viel besseren Bedingungen fortführen konnte. Zu seinem bevorzugten Forschungsobjekt wurde jetzt die Tuberkulose. Dass er zwei Jahre später den Tuberkulose-Erreger entdecken konnte, reichte ihm nicht: Koch wollte die Krankheit nicht nur erkennen – er wollte sie besiegen.
Er arbeitete fieberhaft, trieb seine Mitarbeiter zu immer neuen Leistungen an. Mittlerweile war er zum international gefragten Experten geworden. Die britische Regierung rief ihn 1883 nach Ägypten und Indien, wo Choleraepidemien wüteten. Auch deren Erreger spürte der Besessene auf. Bald galten abgekochtes Wasser, Isolierung der Cholerakranken sowie die Desinfektion ihrer Kleidung und Bettwäsche als entscheidende Schutzmaßnahmen gegen die Seuche.
Der Erfolg führte zu einem nächsten Karriereschritt: Koch wurde zum Direktor des Universitäts-Instituts für Hygiene in Berlin berufen. Dennoch war er unzufrieden – seine Welt war das Labor, nicht der Hörsaal. Als 1889 Gerüchte auftauchten, sein französischer Rivale Louis Pasteur arbeite an einem Impfstoff gegen Milzbrand, packte Robert Koch wieder der Forscherehrgeiz: Jetzt endlich wollte er sein Mittel zur Heilung der Tuberkulose finden. Er schloss sich im Labor ein und »war tagelang für niemanden zu sprechen«, so sein Mitarbeiter Martin Kirchner später. »Hekatomben von Meerschweinchen« seien in den darauffolgenden Monaten den medizinischen Versuchen Kochs zum Opfer gefallen – Versuchen, die schließlich ein vorgebliches Wundermittel hervorbrachten: »Tuberkulin«. Es sollte der größte Misserfolg im Leben des angesehenen Forschers werden. Denn viel zu früh hatte er sich dazu entschlossen, sein neues Medikament der Öffentlichkeit vorzustellen.
Die Wirksamkeit des Präparats war in Tierversuchen noch nicht eindeutig nachgewiesen, geschweige denn am Menschen getestet worden. Wie groß der medizinische Nimbus Kochs in dieser Zeit jedoch war, zeigte sich, als er im August des Jahres 1890 staunenden Fachkollegen auf dem Internationalen Medizinischen Kongress in der deutschen Hauptstadt von diesem Mittel berichtete: Die Neuigkeit löste Begeisterungsstürme aus, weil »von dem Moment an, wo Robert Koch über eine Tatsache dieser Tragweite berichtet, dieselbe existieren müsse«, so ein Zeitzeuge. Es folgte ein wahrer »Tuberkulin«-Rausch: Die Weltpresse erging sich in regelrechten Lobeshymnen auf die kochsche Wunderessenz, der Forscher selbst wurde postwendend zum Ehrenbürger von Berlin ernannt. In Massen drängten Tbc-Kranke in die deutsche Hauptstadt, wo sie sich rasche Heilung erhofften.
Doch der Rausch mündete schnell in ein Desaster: Das Mittel war kaum wirksam, verschlechterte gar in nicht wenigen Fällen den Krankheitsverlauf noch – was vielfach zum Tod der behandelten Patienten führte. Bis heute ist unklar, was Koch zu dieser verfrühten Bekanntmachung seiner »Tuberkulin«-Forschungen veranlasst hatte. War es der Druck der preußischen Regierung, die wollte, dass der Sieg der Medizin im Kampf gegen die »Schwindsucht« auf ewig mit dem Namen der deutschen Hauptstadt verbunden werden sollte? Oder vielmehr der Geschäftssinn von Koch, der den selbstinszenierten Hype um das Tuberkulin nutzen wollte, um sein Medikament am Markt zu platzieren?
In der Tat forderte der Mediziner vom Preußischen Staat ein eigenes Forschungsinstitut, genau wie es Pasteur in Paris besaß. Dort wollte er das Heilmittel selbst produzieren. Vertrauliche Briefe zeigen, dass Koch den zu erwartenden Profit auf 4,5 Millionen Mark jährlich schätzte; in heutiger Währung wäre das ein Vielfaches dieses Betrages.
»Sein Forschungstrieb und seine reine Wahrheitsliebe werden nur erreicht von seiner Uneigennützigkeit und seiner Liebe zur Menschheit.«
GUSTAV VON GOSSLER, PREUSSISCHER KULTUSMINISTER, NOVEMBER 1890
Doch als nach nur wenigen Monaten die »Tuberkulin«-Blase endgültig platzte, war guter Rat teuer. Die »Affäre Koch« beschäftigte sogar die Reichsregierung in Berlin. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: Koch bekam im Jahr 1891 zwar sein Institut, aber nicht wie gewünscht ausschließlich für das »Tuberkulin«, sondern für die allgemeine Erforschung von Infektionskrankheiten. Das international bekannte Institut trägt seinen Namen: »Robert-Koch-Institut«.
Als Wissenschaftler voll und ganz rehabilitiert wurde Koch indes erst wieder 1905, als ihm in Stockholm für seine Entdeckung des Tuberkelbazillus der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde. Zu dieser Zeit hatte sich zudem herausgestellt, dass »Tuberkulin« zwar nicht als Heilmittel taugte, jedoch unverzichtbare Dienste als Diagnostikum bei Tbc-Erkrankungen leistete. Außerdem hatten die entscheidend von Koch angestoßenen gesundheitspolitischen Maßnahmen – etwa die Pflicht zur Meldung von Erkrankungen, die Einrichtung von Diagnostikzentren, die Isolierung von Kranken sowie bessere Lebensbedingungen in den Arbeitervierteln – dazu beigetragen, die Tuberkulose weltweit schrittweise erfolgreich zurückzudrängen. Heute gilt Robert Koch als einer der größten Ärzte und Forscher Deutschlands, ja sogar der Welt. Seine bahnbrechenden Entdeckungen haben Millionen von Menschen vor dem Tod bewahrt.