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1.Geschichtliche Entwicklung
Оглавление105Die Europäische Union war zu Beginn 1957 eine Wirtschaftsgemeinschaft, eine Sozial- und Arbeitspolitik war daher nicht vorgesehen. Die Grundfreiheiten der jetzigen Art. 45, 49, 56 AEUV, welche die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit regeln, zielten ursprünglich nicht auf den sozialen Schutz der Arbeitnehmer, sondern auf Integration und Durchdringung der nationalen Märkte. Konkrete Bestimmungen zum Arbeitsrecht fanden sich nur in den jetzigen Art. 157, 159 AEUV (Art. 141, 143 EG a. F.). Das hat sich in der Zwischenzeit grundlegend gewandelt. Die Union hat sich zum Ziel gesetzt, eine Sozialunion zu verwirklichen (Art. 3 EUV), und ihre Befugnisse zur Rechtsetzung kontinuierlich ausgebaut. Einen ersten Schritt zur Realisierung einer solchen Sozialunion stellten ab 1974 die rechtlich unverbindlichen sozialpolitischen Aktionsprogramme dar.
Die Sozialpolitik (Art. 151 ff. AEUV) besitzt heute einen großen Stellenwert. Von Bedeutung ist insbesondere Art. 153 AEUV, der eine Vielzahl von Kompetenzen zum Richtlinienerlass für Regelungen des Arbeitslebens vorsieht. Im Jahr 1989 verabschiedete der Rat die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (nicht zu verwechseln mit der ESC; Rdnr. 102). Sie enthält eine Reihe von sozialen Schutzpositionen wie z. B. den Schutz von Kindern und Jugendlichen, älteren und behinderten Arbeitnehmern oder die Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer. Ihr kam keine rechtliche Verbindlichkeit zu, sie formulierte aber die politischen Ziele der Gemeinschaft und war Grundlage für weitere Aktionsprogramme, die über Richtlinien umgesetzt wurden.
Die nächste Phase der Entwicklung wurde 1992 durch den Vertrag von Maastricht eingeläutet. Dem Vertrag war das Protokoll über die Sozialpolitik (sog. Sozialabkommen, abgedr. in RdA 1993, 234) beigefügt, das durch den Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997 in den EG-Vertrag überführt wurde und heute in Art. 151–161 AEUV verortet ist.
Der am 1.12.2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon brachte eine grundlegende Überarbeitung des Europäischen Primärrechts: aus dem EG-Vertrag wurde der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die Säulenstruktur der Union wurde abgeschafft. Seither gibt es nur noch eine einheitliche, mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Europäische Union. Am selben Tag wurde zudem die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta, vgl. Nipperdey, Nr. 856) für die Union und die Mitgliedstaaten rechtsverbindlich. Sie enthält einen umfassenden Katalog von Grundrechten und Grundsätzen, wobei erstere subjektive Rechte begründen und letztere die Mitgliedsstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts leiten. Neben den aus dem Grundgesetz bekannten Freiheitsrechten umfasst sie insbesondere ein „Recht, zu arbeiten“ (Art. 15 Abs. 1 GR-Charta), einen „Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung“ (Art. 30 GR-Charta), ein „Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“ und auf „bezahlten Jahresurlaub“ (Art. 31 GR-Charta) sowie verschiedene Diskriminierungsverbote (Art. 21 GR-Charta).
106Das Arbeitsrecht der EU setzt sich aus primärem und sekundärem Unionsrecht zusammen.
Primärrecht sind die Gründungs- und Änderungsverträge der Europäischen Union, zuletzt also der Vertrag von Lissabon, mit Anhängen und Protokollen, die auch die Rechtsetzungskompetenzen in der Union regeln.
Sekundärrecht sind die von den Normsetzungsorganen der Union erlassenen Regelungen, vor allem die Verordnungen und die Richtlinien. Die Verordnungen gelten in den Mitgliedstaaten unmittelbar und zwingend; sie verdrängen entgegenstehendes nationales Recht. Die Richtlinien geben verbindliche Regelungsziele vor, die von den Mitgliedstaaten durch Gesetzgebung und Rspr. noch umzusetzen sind (vgl. Art. 288 AEUV), unter gewissen Voraussetzungen aber auch unmittelbare Wirkungen entfalten können (Rdnr. 114).