Читать книгу Arbeitsrecht - Hans Brox - Страница 52

5.Bislang erlassene Richtlinien

Оглавление

117Im Vordergrund der europäischen Richtliniengesetzgebung stand zunächst die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Dieses Ziel verfolgen vor allem folgende Richtlinien:

• Die Lohngleichheitsrichtlinie (Richtlinie 75/117/EWG vom 10.2. 1975) erstreckt den Grundsatz der Lohngleichheit – über den jetzigen Art. 157 I AEUV hinaus – auf Arbeiten, die als gleichwertig anerkannt sind.

• Die Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 76/207/EWG vom 9.2.1976; geändert durch die Richtlinie 2002/73/EG vom 23.9.2002) verfolgt das Ziel der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung, zum beruflichen Aufstieg sowie bei den Arbeitsbedingungen. Ihre Umsetzung durch die ursprüngliche Fassung des § 611a BGB (inzwischen im AGG aufgegangen) hielt der EuGH in zwei Entscheidungen nicht für ausreichend (EuGH NJW 1984, 2021; NJW 1991, 628; vgl. auch Rdnr. 220). § 611a und b BGB wurden daraufhin mit Wirkung zum 1.9.1994 durch das Zweite Gleichberechtigungsgesetz nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren verschärft. Die Gleichbehandlungsrichtlinie Soziale Sicherheit im Betrieb (Richtlinie 86/378/EWG vom 24.7.1986) erstreckt den Gleichbehandlungsgrundsatz auf die betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit. Darunter fallen alle Zusatz- oder Ersatzleistungen zur bestehenden gesetzlichen Sozialversicherung (z. B. bei Krankheit, Invalidität, Alter, Vorruhestand, Arbeits- oder Berufsunfällen, Arbeitslosigkeit).

• Die Gleichbehandlungsrichtlinie zur Beweislast (Richtlinie 97/80/EG vom 15.12.1997).

• Die Richtlinie 2006/54/EG vom 5.7.2006 fasst die vorgenannten Richtlinien zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern zusammen. Sie trat am 15.8.2009 in Kraft.

Einem allgemeinen Diskriminierungsschutz dienen zwei Richtlinien aus dem Jahr 2000: die Richtlinie 2000/43/EG v. 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft und die Richtlinie 2000/78/EG v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf bezüglich der Merkmale Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung. Diese Richtlinien sind im Jahr 2006 nach einer langen Diskussion durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in nationales Recht umgesetzt worden (dazu Kamanabrou, RdA 2006, 321).

118Für das Individualarbeitsrecht bedeutsam sind ferner folgende Richtlinien (zu den Texten s. jeweils die DTV-Textsammlung Europäisches Arbeitsrecht):

• Informations- und Konsultationspflichten des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmervertretern und den nationalen Behörden sieht bei Massenentlassungen (mindestens 10 Arbeitnehmer in 30 Tagen) die Richtlinie 98/59/EG vom 20.7.1998 vor. Sie ist durch Änderung des § 17 KSchG umgesetzt worden (vgl. Rdnr. 534 ff.).

• Die Richtlinie zum Betriebsübergang (Richtlinie 2001/23/EG v. 12.3.2001) dient der Wahrung der Arbeitnehmerrechte beim Übergang von Unternehmen, Betrieben, Unternehmens- oder Betriebsteilen. In das deutsche Recht ist die europäische Vorgabe durch § 613a BGB transformiert worden (dazu Fall b, Rdnr. 113; Einzelh.: Rdnr. 704 ff.).

• Die Insolvenzrichtlinie (Richtlinie 80/987/EWG vom 20.10.1980, geändert durch die Richtlinie 2002/74/EG v. 23.9.2002, neu gefasst durch die Richtlinie 2008/94/EG v. 22.10.2008) verfolgt die Sicherung von Arbeitnehmeransprüchen bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Die deutschen Regelungen über das Insolvenzgeld (§§ 165 ff. SGB III; Rdnr. 345) sowie über den Insolvenzschutz bei der betrieblichen Altersversorgung (§§ 7 ff. BetrAVG; Rdnr. 401) tragen der aktuellen Richtlinienfassung Rechnung (zur alten Richtlinienfassung s. EuGH NJW 2003, 2371).

• Die Richtlinie 91/533/EWG über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen vom 14.10.1991 (Nachweisrichtlinie) verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer spätestens zwei Monate nach Aufnahme der Arbeit über die wesentlichen Punkte des Arbeitsverhältnisses schriftlich zu informieren; umgesetzt durch das NachwG vom 20.7.1995.

• Vorgaben für die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, Ruhepausen sowie wöchentliche Höchstarbeitszeiten enthält die Richtlinie 2003/88/EG. Sie löst die Richtlinie 93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ab. Diese hatte aktuelle Auswirkungen für die Beurteilung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit (dazu EuGH: NZA 2000, 1227 – Simap; dazu Litschen, NZA 2001, 1355; vgl. auch Rdnr. 242 ff.).

• Die Richtlinie über den Arbeitsschutz bei befristeter Beschäftigung und bei Leiharbeit vom 25.6.1991 (Richtlinie 91/383/EWG) will die befristet Beschäftigten und Leiharbeitnehmer beim Sozialschutz den anderen Arbeitnehmern gleichstellen (dazu Däubler, NZA 1992, 579 f.). Die Richtlinie 2008/104/EG (ABl. vom 19.11.2008 Nr. L 327/9) gibt darüber hinaus europaweit einheitliche Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern vor. Im Bereich der befristeten Arbeitsverhältnisse und der Teilzeitarbeit sind ferner die Richtlinien 97/81/EG und 1999/70/EG zu beachten. Ihrer Umsetzung dient das TzBfG.

• Die Mutterschutzrichtlinie vom 19.10.1992 (Richtlinie 92/85/EWG) schafft einheitliche Mindestbedingungen für die Zeit der Schwangerschaft und während des Mutterschaftsurlaubs. Dazu gehören ein 14-wöchiger, bezahlter Mutterschaftsurlaub, ein Kündigungsverbot während dieses Zeitraums (Rdnr. 466 ff.) und die Freistellung Schwangerer von der Nachtarbeit.

• Die sog. Entsenderichtlinie vom 16.12.1996 (Richtlinie 96/71/EG), ergänzt durch die Richtlinie zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG vom 15.5.2014 und die Richtlinie 18/957/EU vom 28.6.2018, verfolgt das Ziel, ein Mindestniveau von Arbeitsbedingungen für die aus anderen Ländern entsandten Arbeitskräfte zu gewährleisten. Die Thematik ist durch den Einsatz wesentlich niedriger entlohnter ausländischer Bauarbeiter in anderen Mitgliedstaaten aktuell geworden. Die Richtlinie dient primär dem Schutz der entsandten Arbeitnehmer. Faktisch gibt sie durch die Garantie von Mindestarbeitsbedingungen für Ausländer dem Schutz der inländischen Arbeitnehmer und Unternehmen vor einem „Sozialdumping“ am Arbeitsmarkt den Vorrang vor dem Prinzip der Freizügigkeit und des freien Wettbewerbs (Cornelissen, RdA 1996, 329; Deinert, RdA 1996, 139). Im Ergebnis werden damit in Hochlohnländern Marktzutrittsschranken für Unternehmen aus ärmeren Mitgliedsländern mit billigeren Arbeitskräften errichtet. Das Arbeitnehmerentsendegesetz vom 26.4.2009 setzt die Richtlinie um. Es sieht vor, dass allgemein verbindliche Tarifregelungen in bestimmten Branchen auch für ausländische Arbeitgeber und ihre im Inland beschäftigten Arbeitnehmer gelten. Die Richtlinie 18/957/EU vom 28.6.2018 muss bis zum 30.7.2020 umgesetzt werden. Wichtigste Änderungen ergeben sich bei der Ermittlung der Entlohnung sowie durch die Anwendbarkeit sämtlicher Arbeitsbedingungen des Ziellandes nach zwölfmonatiger Entsendung.

• Umfassend harmonisiert wurde auch der gesamte Bereich des Arbeitsschutzes. Hierzu dienen die Rahmenrichtlinie 89/391/EWG vom 12.6.1989 und zahlreiche spezielle Richtlinien.

119Den Bereich des kollektiven Arbeitsrechts betreffen insbesondere:

• Die Richtlinie über die Einsetzung Europäischer Betriebsräte wurde am 22.9.1994 (Richtlinie 94/45/EG) vom Ministerrat verabschiedet und zum 6.6.2011 durch die Richtlinie 2009/38/EG ersetzt. Sie dient der grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Konzernen (zur Umsetzung der Richtlinie durch das EBRG Rdnr. 1179 ff).

• Die Richtlinie 2001/86/EG über die Arbeitnehmermitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) wurde durch das SEBG umgesetzt. Sie verhindert eine Flucht aus einer weitreichenden nationalen Form der Unternehmensmitbestimmung – etwa der deutschen paritätischen Mitbestimmung (Rdnr. 1217) – durch Gründung einer SE (dazu Henssler, in: Festschrift Ulmer, 2002, S. 193; ders., in: Gedenkschrift Heinze, 2005, S. 333).

• Die Richtlinie 2002/14/EG gibt den Mitgliedstaaten auf, Regelungen für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu treffen (dazu Reichold, NZA 2003, 289).

Alle Richtlinien sind im Internet unter „eur-lex.europa.eu/de/index.htm“ kostenfrei abrufbar.

120Eine Besonderheit europäischer Gesetzgebung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts ist der soziale Dialog (Art. 154 f. AEUV). Die Kommission muss vor der Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik die europäischen Sozialpartner (eigene Organisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände auf der europäischen Ebene) anhören. Gelingt es den Sozialpartnern, innerhalb von 9 Monaten (Art. 154 Abs. 4 AEUV) eine Vereinbarung über den Gegenstand der geplanten Rechtsetzung zu schließen, so ist diese Vereinbarung die Grundlage für die weitere Rechtsetzungstätigkeit. Auf dieser Grundlage sind zum Beispiel die Richtlinien 97/81/EG über Teilzeitarbeit und 1999/70/EG über befristete Arbeitsverträge ergangen. Erreichen die Sozialpartner keine Einigung, fällt die Gesetzgebungskompetenz wieder an die EU-Organe zurück.

Arbeitsrecht

Подняться наверх