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2.Gesetzliche Bestimmungen
Оглавление129a) Verfassung. Die im Grundgesetz enthaltene objektive Wertordnung wirkt auf alle Bereiche des Rechts und damit auch auf das Arbeitsrecht ein. Die arbeitsrechtlichen Normen müssen verfassungskonform ausgelegt werden; dabei ist das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) zu beachten, das neben der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers (Art. 12 Abs. 1 GG) verfassungsrechtliche Grundlage des Arbeitnehmerschutzrechts ist. Nach der klassischen Theorie der Grundrechte und der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes sollen die Grundrechte den Bürger nur vor der staatlichen Macht schützen, nicht aber Wirkung im Verhältnis der Bürger untereinander entfalten. Die früher vertretene Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, nach der die Grundrechte unmittelbar auch auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse einwirken sollen (vgl. etwa BAG AP Nr. 2 zu § 13 KSchG), ist heute durch die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung verdrängt worden (ständige Rspr. seit BAG (GS) AP Nr. 14 zu § 611 BGB). Sie will den Grundrechten als Elementen einer objektiven Wertordnung im Arbeitsrecht nur mittelbar über die Generalklauseln (z. B. §§ 138, 157, 242, 275 Abs. 3, 826 BGB, § 106 GewO) Geltung verschaffen (BVerfGE 7, 198, 206 – „Lüth“). Eine unmittelbare Einwirkung eines Grundrechts auf Rechtsgeschäfte ist aber dann zu bejahen, wenn die Verfassung dies – wie in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG – ausdrücklich anordnet. Während man früher verbreitet davon ausging, dass die Tarifpartner nur vom Staat abgeleitete Regelungsbefugnisse haben und daher ebenso wie der staatliche Gesetzgeber bei der Verabschiedung der tarifvertraglichen Rechtsnormen unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind (sog. Delegationstheorie), wird heute eine unmittelbare Bindung der Tarifpartner an die Grundrechte zumeist abgelehnt. Ausschlaggebend ist, dass die Tarifparteien keine staatliche Gewalt i. S. v. Art. 1 Abs. 3 GG ausüben (vgl. Rdnr. 778).
130Folgende Grundrechtsartikel sind für das Arbeitsrecht besonders bedeutsam:
Die Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG gewährleisten als oberste Rechtsgrundsätze der Verfassung den Schutz der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Beide Grundrechte können in der fremdbestimmten Arbeitsorganisation für Arbeitnehmer praktische Bedeutung erlangen (vgl. Rdnr. 377 f.). So ist die arbeitsvertragliche Verpflichtung einer Arbeitnehmerin, sich in einer Peep-Show zur Schau zu stellen, wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde nichtig (Art. 1 Abs. 1 GG; § 138 Abs. 1 BGB; vgl. BVerwGE 64, 274). Diese Verfassungsnormen sind für die betriebliche Mitbestimmung durch § 75 Abs. 2 BetrVG konkretisiert. Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Eingriffe in diesen Bereich durch betriebliche Kollektivregelungen müssen durch überwiegende Interessen des Betriebes oder der Gesamtbelegschaft gerechtfertigt sein.
Art. 3 Abs. 2 GG (Gleichberechtigung von Mann und Frau) verbürgt für jede Arbeitnehmerin gleichen Lohn bei gleicher Arbeit (BAG AP Nr. 117 zu Art. 3 GG) und verbietet allgemein eine Benachteiligung wegen des Geschlechts (vgl. auch §§ 1, 7 AGG). Mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz wäre eine gesetzliche Regelung unvereinbar, die alleinstehenden Frauen mit eigenem Hausstand, nicht aber Männern in gleicher Lage einen Anspruch auf einen Hausarbeitstag gewährt (BVerfGE 52, 369).
131Einschränkungen des vorbehaltlos gewährleisteten Schutzes der Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ergeben sich für öffentliche und private Arbeitgeber ausschließlich im Wege der praktischen Konkordanz aus kollidierendem Verfassungsrecht. Fragen zur Religionszugehörigkeit im Bewerbungsgespräch sind daher unzulässig; anderes gilt etwa, wenn der Arbeitgeber eine Religionsgemeinschaft oder ein religiöser Tendenzbetrieb ist, der selbst dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG und des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV unterfällt. Praktisch bedeutsam sind auch Fragen der Religions- und Bekenntnisfreiheit in Bezug auf Bekleidungspflichten und -verbote. Das Tragen eines muslimischen Kopftuchs durch eine Verkäuferin ist kein Kündigungsgrund und eine entsprechende Weisung ist nicht vom „billigen Ermessen“ des Arbeitgebers im Sinne des § 106 Satz 1 GewO gedeckt, weil die Glaubensfreiheit das Interesse des Arbeitgebers an einer einheitlichen Kleiderordnung überwiegt (BAG NZA 2003, 483; BVerfG NZA 2003, 959). In Einzelfällen kann sich aber anderes ergeben:
132Nach der Rechtsprechung des EuGH kann die Wahrung der Neutralität des Arbeitgebers im Verhältnis zu seinen Kunden durch das Verbot des „sichtbaren Tragens jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens“ ein rechtmäßiges Ziel darstellen (EuGH NZA 2017, 373). Kürzlich hat der 10. Senat des BAG dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen die Frage vorgelegt, ob ein allgemeines Verbot eines Unternehmens der Privatwirtschaft, auffällige großflächige Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, unter Berücksichtigung der Religionsfreiheit nach Art. 10 GR-Charta und der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GR-Charta gerechtfertigt ist (BAG Vorlagebeschluss v. 30.1.2019 – 10 AZR 299/18 (A)). Aus § 275 Abs. 3 BGB i. V. m. Art. 4 Abs. 1 GG (Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses) ergibt sich ein Recht zur Arbeitsverweigerung, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine im Rahmen der Arbeitspflicht liegende Tätigkeit zuweist, die der Arbeitnehmer nicht mit seinem Gewissen oder seiner religiösen Überzeugung vereinbaren kann (Beispiele: Ein Drucker weigert sich aus Gewissensgründen, kriegsverherrlichende Schriften zu drucken, vgl. BAG AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht m. Anm. Brox; ein Chemiker lehnt die Entwicklung eines Medikaments ab, das im Falle eines Nuklearkrieges zu militärischen Zwecken verwendet werden kann, vgl. BAG NZA 1990, 144; s. auch Henssler, RdA 2002, 129, 131). Als Folge verliert der Arbeitnehmer allerdings wegen § 326 Abs. 1 BGB grundsätzlich – sofern keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht – seinen Lohnanspruch. Darüber hinaus kommt ggf. eine personenbedingte Kündigung in Betracht (gläubiger Muslim weigert sich, im Getränkemarkt am Verkauf alkoholhaltiger Getränke mitzuwirken, BAG AP Nr. 9 zu Art. 4 GG; zur personenbedingten Kündigung Rdnr. 559).
133Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) verbietet etwa nachteilige Maßnahmen des Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer, der auf Parteikundgebungen eine politische Meinung äußert, die dem Arbeitgeber missfällt. Auch sachliche Kritik am Arbeitgeber ist verfassungsrechtlich geschützt. Allerdings findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken im Recht der persönlichen Ehre (des Arbeitgebers) und in den Grundregeln über das Arbeitsverhältnis (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). Danach kann der Arbeitgeber bei beharrlicher Störung des Betriebsfriedens – dessen Wahrung eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB ist – durch politische Provokation dem Arbeitnehmer fristlos kündigen (vgl. für Betriebsratsmitglieder § 74 Abs. 2 Satz 3 BGB). Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist hingegen bei sog. „Schmähkritik“, die ausschließlich auf Herabwürdigung zielt und keinen Sachbezug mehr aufweist, gar nicht erst eröffnet (ErfK/Schmidt, GG, Art. 5 Rdnr. 5).
134Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) verbietet, Ehe und Familie zu beeinträchtigen. Deshalb ist eine Klausel im Arbeitsvertrag, nach der das Arbeitsverhältnis mit der Eheschließung endet (Zölibatsklausel), nach § 138 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG nichtig (Fall b) (zur unzulässigen Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederheirat vgl. jetzt BAG NZA 2019, 901). Sog. Späteheklauseln, durch die eine betriebliche Altersversorgung in Form der Witwerversorgung ausgeschlossen wird, wenn der Arbeitnehmer die Ehe in einem zu hohen Alter abschließt, sind ebenfalls als unzulässige Altersdiskriminierung nichtig (BAG NZA 2015, 1447). Die Grundrechte sind aber – mangels unmittelbarer Drittwirkung – keine Verbotsgesetze i. S. v. § 134 Abs. 1 BGB. Für die Begründung der Nichtigkeit ist deshalb auf die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB zurückzugreifen, die Raum für die mittelbare Drittwirkung bietet (zur sog. Ausstrahlungswirkung der Grundrechte s. Sachs/Sachs, GG, 8. Aufl., 2018, Vor Art. 1 Rdnr. 32 f.). Besondere Bedeutung hat auch der Schutzauftrag des Mutterschutzes in Art. 6 Abs. 4 GG, der in den geltenden Kündigungsverboten und besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzrechts seine Anwendung findet.
135Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit) schützt u. a. die Koalitionsfreiheit des Einzelnen (Rdnr. 750 ff.). Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG enthält die Anordnung einer unmittelbaren Drittwirkung, d. h. das Grundrecht wirkt ausnahmsweise unmittelbar zwischen Privaten. Deshalb ist eine Vertragsbestimmung, nach der das Arbeitsverhältnis bei Eintritt des Arbeitnehmers in eine Gewerkschaft endet, unmittelbar gem. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig (Fall b).
136Das für das Arbeitsrecht neben Art. 9 Abs. 3 GG wichtigste Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und die Freiheit der Berufsausübung. Aus ihm kann sich die Nichtigkeit einer Vereinbarung ergeben, die den Arbeitnehmer zur Rückzahlung einer Weihnachtsgratifikation an den Arbeitgeber verpflichtet, wenn er im Folgejahr aus dem Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung ausscheidet (vgl. BAG AP Nr. 75 zu § 611 BGB Gratifikation). Gleichfalls können Klauseln über die Rückzahlung von Ausbildungs- und Fortbildungskosten durch den Arbeitnehmer unzulässig sein (BAG NZA 2003, 559; NZA 2012, 738; NZA 2013, 1419). Auch die Vertragsfreiheit i. R. der Berufsausübung wird nach h. M. von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt (sog. Arbeitsvertragsfreiheit), der insofern Art. 2 Abs. 1 GG verdrängt (s. BAG NZA 1994, 937).
Besondere Bedeutung für die Arbeitsrechtsordnung haben ferner die Art. 14, 15 GG, also die Garantie privaten und zugleich sozialgebundenen Eigentums an den Produktionsmitteln (vgl. Rdnr. 11 f.). Die Sozialbindung des Eigentums und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) bilden die verfassungsrechtliche Grundlage der weitreichenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertreter in der Unternehmens- und Betriebsverfassung (Rdnr. 984 ff.).
137b) Sonstige Gesetze. Auf das Arbeitsverhältnis können Gesetze und Rechtsverordnungen (= Gesetze im materiellen Sinn; vgl. Art. 80 GG) einwirken. Es gibt zwingende und nachgiebige Gesetze.
(1) Zwingende arbeitsrechtliche Gesetzesbestimmungen sind sehr zahlreich; durch sie wird insbesondere der Schutz des Arbeitnehmers erreicht. Der zwingende Charakter einer Norm ist entweder ausdrücklich gesetzlich angeordnet oder ergibt sich aus der Auslegung der Norm. Zwar ist im Zivilrecht nach dem Grundsatz der Privatautonomie grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Norm nachgiebig (Rdnr. 127) ist, im Arbeitsrecht ergibt sich der zwingende Charakter jedoch zumeist aus dem Zweck des Arbeitnehmerschutzes.
Beispiele: §§ 617, 618 BGB setzen zwingend Arbeitsbedingungen fest (§ 619 BGB). Die gesetzlichen Verbote bestimmter Arbeiten für Frauen oder Jugendliche schränken die vertragliche Gestaltungsfreiheit ein (z. B. §§ 3 bis 6 MuSchG, §§ 5, 22 ff. JArbSchG).
Wird eine elfstündige tägliche Arbeitszeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart (Fall c), so verstößt diese Regelung gegen ein gesetzliches Verbot (§ 3 ArbZG, beachte aber die Ausnahmen in §§ 7, 14 und 15 ArbZG) und ist deshalb nichtig (§ 134 BGB). Problematisch ist, dass die Nichtigkeit dieser Arbeitszeitvereinbarung regelmäßig gem. § 139 BGB zur Nichtigkeit des gesamten Arbeitsvertrags führen würde. Da das Arbeitszeitgesetz aber gerade den Schutz des Arbeitnehmers bezweckt, wird in solchen Fällen die Auslegungsregel des § 139 BGB (teleologisch) nicht angewandt. Der Arbeitsvertrag bleibt wirksam; an die Stelle der nichtigen Vereinbarung tritt die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit von täglich acht Stunden (§ 3 ArbZG).
Soweit zwingende Gesetzesbestimmungen dem Schutz des Arbeitnehmers dienen, ist zu prüfen, ob nur eine Abweichung zu Lasten des Arbeitnehmers verboten, eine Besserstellung des Arbeitnehmers dagegen zulässig sein soll. Man spricht dann von einseitig zwingendem Gesetzesrecht.
So bestimmt das Bundesurlaubsgesetz einen Mindesturlaub für Arbeitnehmer (§ 3 Abs. 1 BUrlG); eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung (also mehr Urlaub) kann im Arbeitsvertrag ohne weiteres vereinbart werden.
138Es gibt schließlich Gesetzesvorschriften, die in dem Sinne zwingend sind, dass sie zwar durch Arbeitsvertrag oder durch Betriebsvereinbarung nicht abbedungen werden können, bei denen aber eine Änderung durch Tarifvertrag auch zuungunsten der Arbeitnehmer zulässig ist. Man spricht von tarifdispositivem Gesetzesrecht. Der Gesetzgeber hält in diesen Fällen die Tarifvertragsparteien (also auf der Arbeitnehmerseite die Gewerkschaften) für fähig, solche Abweichungen aus vernünftigen Gründen zu vereinbaren und dabei die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren (eingehend Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010).
Beispiele: § 13 Abs. 1 BUrlG; § 4 Abs. 4 EFZG; § 622 Abs. 4 BGB; § 7 ArbZG.
139(2) Nachgiebige Gesetzesbestimmungen sind nur insoweit zu berücksichtigen, als nichts Gegenteiliges vereinbart ist. Eine solche Vereinbarung kann in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag getroffen sein (z. B. § 612 Abs. 2 BGB).