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I.Anwendungsbereich und Grundsätze
Оглавление162Die Regeln des Arbeitskollisionsrechts sind einschlägig, wenn arbeitsrechtliche Fragen mit Auslandsberührung beurteilt werden müssen. Das betrifft vor allem die Fälle, in denen ein ausländischer Arbeitnehmer im Inland oder ein deutscher Arbeitnehmer im Ausland beschäftigt wird. Das deutsche Kollisionsrecht wurde zum 17.12.2009 durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) und die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) neu gefasst. Danach können die Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich frei bestimmen, welches nationale Arbeitsrecht auf ihr Vertragsverhältnis anwendbar sein soll (Art. 3 Rom I-VO). Eine Grenze für die Wahlfreiheit ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO. Die Rechtswahl ist unwirksam, soweit dem Arbeitnehmer der Schutz, der ihm durch die zwingenden Vorschriften des Rechts des Staates, das ohne Rechtswahl maßgebend wäre, entzogen würde.
163Fehlt eine solche ausdrücklich oder stillschweigend geschlossene Rechtswahlvereinbarung, kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO). Wird er ständig in verschiedenen Ländern tätig, ohne dass sich ein gewöhnlicher Arbeitsort feststellen lässt, richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO). Ausnahmsweise kann auch das Recht eines anderen Staates einschlägig sein, wenn das Arbeitsverhältnis nach den Gesamtumständen zu diesem Staat engere Verbindungen aufweist (Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO; vgl. BAG NZA 2008, 761).
164Das nach Art. 3 und 8 Rom I-VO anzuwendende Recht gilt grundsätzlich für alle Fragen im Zusammenhang mit der Begründung, Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 10 ff. Rom I-VO). Problematisch ist die kollisionsrechtliche Behandlung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsrechtsnormen und der Kollektivvereinbarungen: Geht es um die Anwendbarkeit öffentlich-rechtlicher Arbeitsschutzvorschriften (z. B. MuSchG, SGB IX, ArbSchG etc.), sind diese unabhängig vom auf den Arbeitsvertrag anwendbaren Recht auf alle Arbeiten in Deutschland anwendbar. Dies ergibt sich aus § 2 AEntG, der die international-zwingende Wirkung bestimmter Arbeitnehmerschutzrechte anordnet. Als sog. Eingriffsnormen i. S. d. Art. 9 Rom I-VO müssen diese Vorschriften in Betrieben auf deutschem Boden auch dann beachtet werden, wenn dort nur Ausländer beschäftigt sind. Wird umgekehrt ein Deutscher dauerhaft im Ausland beschäftigt, ist nach dem jeweiligen Normzweck zu differenzieren. So kann z. B. das MuSchG bei der Kündigung (vgl. § 17 MuSchG) Anwendung finden, nicht aber die öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Arbeitsschutz, die nur für in Deutschland belegene Betriebe gelten können.
165Für das BetrVG gilt nicht Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO, sondern das Territorialitätsprinzip mit einer rein örtlichen Anknüpfung. Daraus folgt, dass alle im Inland tätigen Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Nationalität deutschem Betriebsverfassungsrecht unterfallen und zugleich alle in Deutschland tätigen Unternehmen zu seiner Einhaltung verpflichtet sind, selbst wenn sie eine ausländische Rechtsform (z. B. eine britische Ltd.) haben. Für die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer gilt das deutsche BetrVG dagegen grundsätzlich nicht (s. Fall). So ist z. B. gemäß § 102 BetrVG der Betriebsrat vor einer Kündigung anzuhören, auch wenn es um ein ausländisches Arbeitsverhältnis (aber eben in einem inländischen Betrieb) geht. Wird allerdings ein bislang im Inland tätiger Arbeitnehmer nur vorübergehend im Ausland eingesetzt, ohne seine Bindung an den inländischen Betrieb zu verlieren, findet auf sein Arbeitsverhältnis auch während der Zeit des Auslandsaufenthalts das deutsche BetrVG Anwendung (BAG NZA 1990, 658: Die Auslandstätigkeit stellt eine sog. „Ausstrahlung“ des Inlandsbetriebs dar).
166Nicht abschließend geklärt ist die Frage der Anwendbarkeit von Tarifverträgen auf Arbeitsverhältnisse mit Auslandberührung. Gilt ein deutscher Tarifvertrag auch für Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag ausländischem Recht unterstellt ist (dazu Junker, IPRax 1994, 21)? Das BAG hat dies grundsätzlich abgelehnt (BAG AP Nr. 261 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Einzelheiten sind zwischen verschiedenen Senaten des BAG umstritten (s. dazu Thüsing/Müller, BB 2004, 1333). Allerdings sind allgemein verbindliche Tarifverträge im Anwendungsbereich des AEntG (vgl. Rdnr. 147) gem. § 3 Satz 1 AEntG zwingend und gelten damit als Eingriffsnorm i. S. d. Art. 9 Rom I-VO auch für Arbeitsverträge nach ausländischem Recht.