Читать книгу Arbeitsrecht - Hans Brox - Страница 50
3.Die starke Rolle des EuGH
Оглавление108Art. 267 AEUV sieht, um eine europarechtskonforme Rechtsanwendung zu sichern, ein Vorabentscheidungsverfahren vor. Danach können und gegebenenfalls müssen nationale Gerichte dem EuGH Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorlegen, bevor sie selbst entscheiden. Das vorlegende Gericht ist dann an die Entscheidung des EuGH gebunden. Die Vorlagepflicht ist in Deutschland zusätzlich durch das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) abgesichert. Nichtvorlagen können daher mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG gerügt werden (BVerfG NZA 2015, 375; NZA 2010, 439).
Als letzte Instanz beansprucht der EuGH eine ausgedehnte Normsetzungskompetenz für das Unionsrecht, speziell auch für das europäische Arbeitsrecht. Seine Entscheidungen können – wie die bereits angesprochenen Entscheidungen in Sachen „Mangold“, „Kücükdeveci“ und „Junk“ gezeigt haben – tief in gewachsenes nationales Arbeitsrecht eingreifen und dieses verdrängen (Bauer/Arnold, NJW 2006, 6; Henssler/Strick, ZAP 2006, 189). Seine nicht selten „ausufernde, seine Kompetenzen überschreitende Rspr.“ hat bisweilen das Vertrauen in die Weisheit des EuGH nicht gestärkt (Gamillscheg, Arbeitsrecht I, 8. Aufl., 2000, S. 19, 355), sondern stieß auf lebhafte Kritik, etwa die Entscheidungen „Paletta“ (EuGH NJW 1992, 2687; 1996, 1881), „Christel Schmidt“ (EuGH NJW 1994, 2343) und „Mangold“ (EuGH NJW 2005, 3695, vgl. dazu Bauer, NZA 2005, 800; Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, 2009). So muss die Gesamtwürdigung des europarechtlichen Einflusses auf das deutsche Arbeitsrecht eher zurückhaltend ausfallen, obwohl nicht geleugnet werden kann, dass insbesondere im Bereich der Gleichberechtigung von Mann und Frau wichtige Anstöße „aus Europa“ gekommen sind.
Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts erfasst auch das Richterrecht.
109Beispiele: Nach der früheren Rspr. des BAG berechtigte eine wahrheitswidrig verneinte Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft den Arbeitgeber dann zur Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung, wenn sich nur Frauen beworben hatten (vgl. Rdnr. 195 f.). Das verstieß gegen die Richtlinie 76/207/EWG (EuGH NJW 1991, 628). Daraufhin hat das BAG seine Rspr. aufgegeben (BAG NZA 1993, 257; vgl. Rdnr. 195 f.).
Obwohl deutsche Rote-Kreuz-Schwestern nach deutschem Recht Vereinsmitglieder und damit keine Arbeitnehmerinnen sind, müssen sie nach Auffassung des EuGH im Falle ihrer Überlassung an eine private Klinik als Zeitarbeitnehmerinnen im Sinne des AÜG eingestuft werden (EuGH NZA 2017, 41 „Ruhrlandklinik gGmbH“). Grund hierfür ist die Auslegungskompetenz des EuGH für den Arbeitnehmerbegriff in Art. 3 Abs. 1 lit. a) RL 2008/104/EG (Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie), die durch das deutsche AÜG umgesetzt wird.
Die Auslegung von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG durch das BAG, wonach bei permanentem Vertretungsbedarf (wie er bspw. in Großbetrieben durchweg vorkommt) ein die Befristung erlaubender Sachgrund vorliegen kann, ist dagegen europarechtskonform (EuGH NZA 2012, 135 „Kücük“). Missbräuchen ist durch Einzelfallprüfungen anhand von § 242 BGB vorzubeugen (BAG NZA 2012, 1359).