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4.Rechtsquellen

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110Wie dargestellt (Rdnr. 106) wird das Recht der EU in primäres und sekundäres Unionsrecht unterteilt. Wichtiger für das Arbeitsrecht ist aber die Unterscheidung unionsrechtlicher Normen nach ihrer Geltungsweise: Es gibt unmittelbar und mittelbar geltendes Unionsrecht.

111a) Unmittelbar geltendes Unionsrecht. Das unmittelbar geltende Unionsrecht findet ohne einen mitgliedstaatlichen Umsetzungsakt direkt auf die Rechtsbeziehungen der Unionsbürger Anwendung, so dass sie sich vor den Gerichten auf diese Vorschriften berufen können. Eine solche Wirkung hatte der EU-Vertrag zunächst nur für Verordnungen vorgesehen. Der Europäische Gerichtshof hat aber auch bestimmten Vorschriften des primären Unionsrechts unmittelbare Geltung zugesprochen (grundlegend EuGH NJW 1963, 974 „van Gend & Loos“), wenn sie hinreichend klar und bestimmt sowie unbedingt sind. Arbeitsrechtlich bedeutsame Normen des AEUV mit unmittelbarer Wirkung sind: Art. 157, 45, 49, 56 AEUV. Sie regeln den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, die Freizügigkeit, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Daneben hat der EuGH im Rahmen der Rechtsfortbildung allgemeine Grundsätze des Unionsrechts entwickelt, die auf der Ebene des Primärrechts anzusiedeln sind und ebenfalls unmittelbare Geltung beanspruchen. Als ein solcher Grundsatz gilt das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (EuGH NJW 2005, 3695 „Mangold“; NJW 2010, 427 „Kücükdeveci“). Diese Rechtsfortbildung und ihre Herleitung sind zumindest zweifelhaft. Der EuGH hat hier seine im AEUV geregelten Kompetenzen überschritten. Seine pauschale Annahme einer gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten, die am Unionsrecht vorbei die Verwerfung nationaler gesetzlicher Vorschriften rechtfertigen soll, ist nicht begründet. Das Ergebnis des EuGH ist zudem sach- und zweckwidrig. Es bewirkt genau jene Altersdiskriminierung, die es verhindern soll (näher Rdnr. 357 f.). Schließlich ist mit der Normierung der GR-Charta die Reichweite des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes abschließend bestimmt, sodass kein Bedarf für weitere richterliche Rechtsfortbildungen besteht (näher ErfK/Wißmann, Vorbemerkung zum AEUV, Rdnr. 10).

112Verordnungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts finden sich bislang selten. Von gewisser Bedeutung sind die VO (EU) Nr. 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Union, insbesondere Art. 7 Abs. 4, und die VO (EU) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Union. Die zum 25.5.2018 in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) enthält zwar keine spezifischen Arbeitnehmerdatenschutzregelungen, erlaubt jedoch den Mitgliedsstaaten durch die Öffnungsklausel des Art 88 DSGVO nur in engen Grenzen, eigenständige Vorschriften im Beschäftigungskontext zu erlassen. Die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung im Arbeitsverhältnis bestimmt sich seither nach dem neu gefassten § 26 BDSG und der DSGVO (Düwell/Brink NZA 17, 1081).

113Im Fall a (Rdnr. 99) ist die Befristung des Arbeitsvertrags unwirksam. Die nationale Vorschrift im Befristungsrecht (entspricht § 14 Abs. 3 TzBfG a. F.) verstößt nach Rspr. des EuGH gegen das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und ist damit nicht anwendbar. Der Arbeitsvertrag gilt unbefristet fort (vgl. § 16 Satz 1 TzBfG).

Im Fall b musste nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG die Y-AG aufgrund der Bezugnahmeklausel auch die Tariflohnerhöhung gewähren (vgl. etwa BAG NZA 2007, 956). Der EuGH vertritt dagegen die Auffassung, dass Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, mit Art. 3 RL 2001/23/EG und Art. 16 GR-Charta nur vereinbar und gegenüber dem Erwerber durchsetzbar seien, wenn dieser sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten hat (EuGH NZA 2013, 835 – „Alemo Herron“; EuZW 2017, 512 – „Asklepios“). Das BAG hat die Rechtsprechung des EuGH übernommen (BAG NZA 2018, 255), dabei allerdings mit fragwürdiger Begründung eine einseitige Anpassungsmöglichkeit nach deutschem Recht bejaht, obwohl eine Änderungskündigung des Arbeitgebers in solchen Fällen nach den strengen Rechtsprechungsgrundsätzen praktisch ausgeschlossen ist.

114b) Mittelbar geltendes Unionsrecht. Das europäische Arbeitsrecht basiert im Wesentlichen auf Richtlinien. Rechtsgrundlage vieler arbeitsrechtlicher Regelungen ist Art. 153 AEUV. Er enthält die wichtigsten arbeitsrechtlichen Kompetenzen der Union:

Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (sog. Mitentscheidungsverfahren, Art. 289 Abs. 1, 294 AEUV) können das Europäische Parlament und der Rat auf Vorschlag der Kommission Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsumwelt, der Arbeitsbedingungen, der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, der beruflichen Wiedereingliederung und der Chancengleichheit von Männern und Frauen beschließen. Einstimmigkeit ist im Rat für Richtlinien über die soziale Sicherheit, den Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die Vertretung und kollektive Interessenwahrnehmung und die Beschäftigungsbedingungen von Drittstaatlern erforderlich (Art. 153 Abs. 2 UA 3 AEUV). Ausschließlich dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten bleiben Regelungen zum Arbeitsentgelt, dem Koalitionsrecht und dem Arbeitskampfrecht (Art. 153 Abs. 5 AEUV; vgl. aber EuGH NZA 2008, 124 „Viking“; NZA 2008, 159 „Laval“).

115Richtlinien wirken anders als Verordnungen nicht unmittelbar. Sie verpflichten allein die Mitgliedstaaten zur Umsetzung in nationales Recht (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Dabei sind die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Form und Mittel der Umsetzung frei. Viele Richtlinien sind allerdings so detailliert, dass nur eine nahezu wörtliche Umsetzung in Betracht kommt. Das hat nicht nur für den Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers Folgen, sondern auch für die Rechte, die der Einzelne aus der Richtlinie herleiten kann. Ist eine Richtlinie derart präzise, dass sich aus ihr unmittelbar Rechte ableiten lassen, und ist der Mitgliedstaat mit der Umsetzung in Verzug, kann sich der Einzelne ausnahmsweise direkt auf sie berufen (EuGH NJW 1970, 2182 „Grad/FA Traunstein“; zuletzt EuGH NZA 2014, 193 „AMS“, Rdnr. 31). Diese nachträgliche unmittelbare Wirkung gilt nach der Rspr. des EuGH allerdings nicht im Verhältnis zwischen zwei EU-Bürgern (horizontale Drittwirkung), sondern nur (vertikal) im Verhältnis des Bürgers zum Mitgliedstaat (EuGH NZA 2014, 193 „AMS“, Rdnr. 36; EuGH NJW 1986, 2178 „Marshall“; NJW 1994, 2473 „Faccini Dori“). Nach Ablauf der Umsetzungsfrist können Richtlinien daher im Verhältnis zu öffentlichen Arbeitgebern unmittelbar Rechte und Pflichten erzeugen (EuGH NZA 2014, 193 – „AMS“; dies gilt auch für privatrechtlich betriebene öffentliche Stellen, vgl. EuGH v. 10.10.2017 – C 413/15 „Farell“). Bei verspäteter Umsetzung ist der Mitgliedstaat zum Ersatz entstandener Schäden verpflichtet (EuGH NJW 1992, 165 „Francovich“). Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit sich zwischen Privaten Reflexwirkungen der Unanwendbarkeit staatlicher Verbote wegen Richtlinienwidrigkeit dadurch ergeben, dass sich ein Bürger auf die nicht ordnungsgemäße Umsetzung einer Richtlinie auch gegenüber staatlichen Stellen berufen kann, zu denen keine arbeitsrechtliche, sondern eine hoheitliche Beziehung besteht (vgl. EuGH NJW 2001, 1847 „Unilever Italia“; dazu Gundel EuZW 2001, 153, 154 ff.; EuGH 14.10.2010 – C 428/09). Beispiele bieten nationale Beschäftigungsverbote. Verstoßen sie gegen eine Richtlinie, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber sich auf das nationale Verbot berufen darf, um einen Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen, oder ob sich der Arbeitnehmer auf das nationale Recht berufen darf, um zu dieser Zeit nicht arbeiten zu müssen (vgl. EuGH NZA 1992, 393). Beim Verstoß gegen einen unmittelbar anwendbaren Rechtsgrundsatz hat der EuGH solche Reflexwirkungen auf das Verhältnis Privater (in diesem Fall: Unwirksamkeit der Befristung) gebilligt (NJW 2005, 369 „Mangold“; NJW 2010, 427 „Kücükdeveci“; vgl. Rdnr. 357 f.), dies zuletzt aber eingeschränkt (EuGH NZA 2014, 193 „AMS“).

116In jedem Fall wirken sich Richtlinien über das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung auf das nationale Recht aus. Die Arbeitsgerichte sind gehalten, das nationale Recht und vor allem die Umsetzungsvorschriften im Lichte der Richtlinie auszulegen (st. Rspr. des EuGH, vgl. EuGH NZA, 193 „AMS“; EuGH NZA 2004, 1145 „Pfeiffer“). Das gilt, unabhängig davon, ob das auszulegende deutsche Recht schon vor oder erst nach Inkrafttreten der Richtlinie erlassen wurde (Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 25 ff.), ab Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes, bzw. bei nicht rechtzeitiger Umsetzung mit Ablauf der Umsetzungsfrist (vgl. BGH ZIP 1998, 1084; EuGH NZA 2001, 1377 „Finalarte“; ausnahmsweise gebietet aber das Frustrationsverbot schon vorher eine richtlinienkonforme Auslegung, vgl. EuGH NZA 2006, 909).

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