Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 11

Achtes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Pünktlich am 15. Oktober fand sich Lore Lenz vormittags in den Geschäftsräumen der Firma Roland ein, und man sagte ihr, sie möge auf das Eintreffen des Chefs warten, der etwas später kommen würde, aber schon gestern Order gegeben habe, dass man sie im Wartezimmer warten lassen solle, falls sie früher kommen würde als er selbst.

Etwas beklommen war Lore Lenz zumute, als sie im Wartezimmer Platz nahm. Wieder und wieder hatte sie an Rudolf Werkmeister denken müssen. Sie war ihm so sehr dankbar. Aber zuweilen war doch etwas wie Angst und Beklommenheit in ihr aufgestiegen, dass er sich doch vielleicht nur einen Scherz mit ihr gemacht habe oder dass er sie vergessen haben könne. Als sie nun hörte, dass sie erwartet wurde, war ihr schon ein großer Stein vom Herzen gefallen. Nun sorgte sie sich nur noch darum, dass sie dem Chef des Hauses auch zusagen würde.

Etwa eine halbe Stunde hatte sie gewartet, ehe Georg Roland mit seinem Pflegesohn eintraf. Lore wurde nun sofort in das Privatkontor des Chefs gerufen, wo sie außer diesem zu ihrer Erleichterung auch Rudolf Werkmeister fand. Er begrüßte sie freundlich und stellte sie dem alten Herrn vor. Lore legte unaufgefordert ihre Zeugnisse vor, die Georg Roland gewissenhaft prüfte. Währenddessen sahen sich die beiden jungen Menschen mit großen, ernsten Augen ins Gesicht, aber sie ahnten beide voneinander nicht, dass sie im Innern eine durch nichts bedingte Erregung und Unruhe empfanden.

Mit einem freundlichen Neigen des Kopfes gab Georg Roland Lore ihre Zeugnisse zurück.

»Alles in Ordnung, Fräulein Lenz, wir haben nun nur noch die Gehaltsfrage zu lösen, die mein Sohn, wie er mir sagte, noch offengelassen hat, um mir nicht vorzugreifen. Was für ein Gehalt haben Sie bei der Firma Karsten bezogen?«

Lore nannte die Summe. Georg Roland nickte.

»Gut, ich zahle Ihnen monatlich hundert Mark mehr, denn das Leben in Hamburg ist sicher teurer als in Düsseldorf.«

»Soweit es mich angeht, nicht, Herr Roland, ich bin sogar noch eine Kleinigkeit billiger in der Pension untergebracht als in Düsseldorf«, sagte Lore.

Der alte Herr sah sie mit einem Lächeln an. Lores Ehrlichkeit gefiel ihm. Und Rudolf freute sich auch, dass sich Lore gleich so gut bei seinem Vater einführte.

»Was ich gesagt habe, gilt, Fräulein Lenz, Sie bekommen hundert Mark mehr.«

Lores Gesicht rötete sich vor Freude.

»Ich danke Ihnen sehr, Herr Roland.«

»Keine Ursache. Ihre Reisespesen lassen Sie sich an der Kasse auszahlen.«

»Auch dafür danke ich Ihnen.«

»Haben Sie in der Pension, die ich Ihnen bezeichnete, Aufnahme gefunden, Fräulein Lenz?«, fragte Rudolf möglichst ruhig und unbefangen.

»Ja, Herr Werkmeister, und ich danke Ihnen sehr für die Angabe dieser Pension. Es ist dort sehr sauber, und die Pensionsinhaberin ist eine freundliche alte Dame, die mich sehr liebenswürdig aufnahm, als ich ihr sagte, dass Sie mich an ihre Adresse gewiesen haben.«

»Frau Dittmar wird Sie sicher gut versorgen, unsere Angestellten, die bei ihr gewohnt haben, waren alle sehr zufrieden. Einige Herren wohnen wohl jetzt noch dort.«

»Ja, so sagte sie mir.«

»Wie ist es, Fräulein Lenz, müssen Sie erst noch einmal in die Pension zurück, um sich einzurichten, oder können Sie gleich hierbleiben?«, fragte Georg Roland.

»Sie können gleich über mich verfügen, ich kam schon vorgestern Abend hier an und bin schon völlig eingerichtet.«

»Um so besser. Ich hoffe, dass wir uns schnell miteinander einarbeiten werden. Im Vorzimmer zu diesem Raum werden Sie Ihren Platz und eine Schreibmaschine finden, ich muss Sie in meiner nächsten Nähe haben, und Sie sollen nur für mich zur Verfügung stehen. Bitte, sehen Sie nach, ob Sie alles, was Sie brauchen, an Ihrem Platze finden, sonst wird Ihnen der Kontordiener alles Fehlende herbeischaffen. Sobald ich Sie brauche, werde ich nach Ihnen klingeln.«

Rudolf blieb, bis sich Lore entfernt hatte. Dann fragte er seinen Vater:

»Ist dir die junge Dame sympathisch, Vater?«

»Sehr! Sie gefällt mir. Und sie scheint ehrlich zu sein. Sie hätte lieber die hundert Mark Zulage aufs Spiel gesetzt, als mir zu verschweigen, dass sie hier nicht teurer lebt als in Düsseldorf.«

Rudolf nickte lächelnd.

»Diplomatisch war das gerade nicht, Vater.«

Auch der alte Herr lächelte.

»Wir brauchen ja hier auch keine Diplomatin, Rudolf, sondern einen ehrlichen, zuverlässigen Menschen. Und wenn mich meine Menschenkenntnis nicht trügt, haben wir den gefunden.«

Eine halbe Stunde später saß Lore Lenz ihrem neuen Chef gegenüber und mühte sich eifrig, ihn zufriedenzustellen. Dankbaren Herzens merkte sie sofort mit dem feinen Instinkt der Frau, dass hier in der Firma Roland ein ganz anderer Ton herrschte als in der Firma Karsten und dass die beiden Chefs dieser Firmen sehr verschieden voneinander waren. Das Ehrfurchtgebietende ihres neuen Chefs erfüllte sie mit großem Vertrauen.

Lore Lenz war in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater hatte sich vom einfachen Buchdrucker zum Druckereifaktor emporgearbeitet und konnte seinem einzigen Kind eine gute Erziehung angedeihen lassen. Lore war ein sehr wertvoller Charakter und hatte es ihren Eltern innig gedankt, dass sie ihr so manches Opfer brachten, um ihr eine gute Erziehung zuteilwerden lassen zu können. Als sie dann auf eigenen Füßen stehen konnte und ihre erste Stellung in Elberfeld angenommen hatte, starb nach einer schweren Grippeerkrankung zuerst ihre Mutter und dann, wenige Monate später, der Vater, der schon länger krank gewesen war. Lore stand nun ganz allein im Leben, sie hatte keinen Menschen, dem sie angehörte, und war sich sehr wohl bewusst, dass sie tapfer sein musste, um sich im Lebenskampf behaupten zu können.

Als sie nach dem Konkurs der Firma, in der sie angestellt war, die Stelle bei Karsten erhielt und von Elberfeld nach Düsseldorf übersiedeln musste, hatte sie den Nachlass ihrer Eltern an Möbeln verkauft und nur die Wäsche und bescheidene Schmucksachen der Mutter für sich zurückbehalten. Den Erlös dafür legte sie auf der Sparkasse an, um einen Notpfennig zu haben, aber die letzten Inflationswochen zehrten diesen Sparpfennig, wie so manchen anderen, auf, und Lore war nun ganz auf das angewiesen, was sie selber verdiente. Sie vermochte aber bei ihrer bescheidenen Lebensführung immer noch kleine Ersparnisse von ihrem Gehalt zu machen. Und da ihr Karsten schließlich doch ein volles Monatsgehalt ausgezahlt hatte, wohl weil er fürchtete, dass sie vor Gericht klagen könne, so war sie nicht ganz mittellos nach Hamburg gekommen. Dass sie nun hundert Mark im Monat mehr erhalten sollte, war für sie ein großes Glück. Sie wusste, dass sie diese hundert Mark mehr sparen konnte, denn in Frau Dittmar hatte sie eine Wirtin gefunden, die nicht darauf aus war, sich auf Kosten anderer zu bereichern. Sie hatte ein nettes, sauberes, wenn auch kleines Zimmerchen und ausreichende Kost für hundertzwanzig Mark im Monat gefunden. Da blieb ihr noch ein erheblicher Überschuss für Garderobe und sonstige Ausgaben, auch wenn sie die hundert Mark sparen würde.

Alles, was ihr nun in ihrer neuen Stellung Gutes geschah, nahm sie in ihrem Herzen zugunsten Rudolf Werkmeisters auf. Sie hegte eine große Dankbarkeit für ihn und zugleich eine stille Bewunderung. In ihrem jungen Leben hatte sie schon genug trübe Erfahrungen gesammelt, um erkennen zu können, dass Rudolf ein Ausnahmemensch war. Wenn sie ihn sah, was ja täglich mehrere Male geschah, sooft er zu seinem Pflegevater ins Kontor kam und durch das Vorzimmer gehen musste, empfand sie ein starkes, frohes Glücksgefühl, und ihr war zumute, als habe sie jetzt wieder einen Beschützer. Dieses Gefühl hatte sie seit dem Tode ihres Vaters nicht mehr gehabt, und willig öffnete sie diesem Empfinden ihr Herz, ahnungslos, dass neben der Dankbarkeit verstohlen noch ein anderes, viel stärkeres Gefühl in ihr Herz mit hineinschlüpfte. Sie betete jeden Tag darum, dass Herr Roland mit ihr zufrieden sein und diese Stellung ihr recht lange erhalten bleiben möge.

Rudolf begrüßte sie bei ihrem jeweiligen Zusammentreffen stets mit ruhiger Freundlichkeit. Dass ihm diese Ruhe innerlich mehr und mehr verloren ging, wenn er in ihre gläubigen, vertrauenden Augen sah, ahnte sie nicht. Hatte sie doch selbst genug zu tun, ihre heimliche Erregung zu verbergen.

Und Rudolf wollte sich ebenso wenig eingestehen, dass sich sein Interesse für Lore Lenz immer mehr verstärkte, aber instinktiv fühlte er wohl die Gefahr, die seine Herzensruhe bedrohte, und suchte deshalb Lore so viel wie möglich auszuweichen. Hatte er aber dann eine Weile diesem Zwange gehorcht, überfiel ihn zuweilen plötzlich ein so heißes, intensives Verlangen nach ihrem Anblick, dass er aufspringen musste und sich irgendeinen Vorwand ersann, um zu seinem Pflegevater gehen zu können – um Lore wiederzusehen. Wenn sie nicht direkt in Georg Rolands Zimmer saß, fand er sie im Vorzimmer. Und wenn er durch dies Zimmer ging, sah sie mit ihren schönen Augen zu ihm auf – und da war wieder für eine Weile dies uneingestandene Sehnen gestillt.

Lange wehrte er sich gegen den Einfluss, den Lore Lenz, ohne es zu ahnen, auf ihn ausübte, und als er schon alles Wehren dagegen aufgegeben hatte, gestand er sich noch lange nicht ein, dass sie ihm mehr, viel mehr geworden war als je zuvor ein weibliches Wesen, viel mehr noch als Waltraut – seine Braut.

Und wenn er sich, lange vor seiner Bekanntschaft mit Lore, mit dem Gedanken an eine Heirat mit Waltraut hatte vertraut machen wollen, so wurde es ihm jetzt von Tag zu Tag klarer, dass es unmöglich sei, in Waltraut jemals etwas anderes zu sehen als seine Schwester, seine liebe kleine Schwester, aber nicht mehr und nicht weniger. Je öfter er in Lores Augen sah, desto unmöglicher wurde es ihm, an Waltraut als an seine künftige Gattin zu denken.

Dabei sprach er immer nur wenige Worte mit Lore, aber diese wenigen Worte wurden ihm zu schwerwiegenden Erlebnissen. Ihre weiche, dunkle Stimme, die sich mühte, ruhig zu bleiben, wenn sie mit ihm sprach, und durch die er doch die Zuneigung ihres jungen Herzens herausklingen hörte, schmeichelte sich immer mehr in sein Herz. Er hörte diese Stimme auch, wenn er fern von ihr war, sah ihre Augen vor sich, wenn er allein war. Nachts vor dem Einschlafen hörte er ihre Stimme, sah ihre gläubig vertrauenden Augen und rief dann in jäh aufflammender Sehnsucht nach ihr.

»Lore! Lore! Kleine Lore, süße kleine Lore!«

Und ihr Name schloss schon tausend Zärtlichkeiten für ihn ein, dieser schlichte Name, der doch so gut zu ihr passte wie kein anderer. Ja, so weit war es nun schon mit ihm gekommen, nachdem Lore einige Monate Sekretärin seines Pflegevaters war. Er nannte sie bei sich immer nur mit diesem Namen, dem er allerlei kosende Zusätze gab.

Georg Roland war mit seiner jungen Sekretärin sehr zufrieden und machte Rudolf gegenüber durchaus kein Hehl aus dieser Zufriedenheit. Eines Tages sagte er:

»Ich bin dir sehr zu Dank verpflichtet, Rudolf, dass du Fräulein Lenz für mich engagiert hast. Es ist ganz erstaunlich, was für eine eminente Arbeitskraft in diesem jungen Mädchen steckt. Du ahnst nicht, mit welch feinem Instinkt – ich kann es nur Instinkt nennen – sie sich meinem Ideenkreis angepasst hat. Ich brauche schon längst keine Diktate mehr aufzugeben, brauche keine langatmigen Auseinandersetzungen, um mich verständlich zu machen. Einige Stichworte von mir genügen, ihr klarzumachen, was ich will, und eine Viertelstunde später habe ich das fertige Schriftstück hier, das mit einem Schwung, mit einer stilistischen Feinheit ausgearbeitet ist, dass man nur staunen kann. Und eine wahrhaft verblüffende Sachkenntnis legt sie an den Tag, dass ich mich oft frage, wo sie das alles hernimmt. Ich kann dir sagen, wenn ich bei einem Manne so ein subtiles Empfinden für das, was ich will, suchen wollte, dann könnte ich lange suchen. In dieser Beziehung sind uns doch wirklich die Frauen überlegen. Sogar für meine Börsengeschäfte hat sie sozusagen etwas Hellhöriges, sie scheint zu spüren, wenn eine Sache nicht floriert. Dabei ist sie immer frisch und munter, immer arbeitswillig und unverdrossen, und immer freundlich und bescheiden – also –, wie gesagt, sie ist eine Perle von einer Sekretärin. Ich werde am Ersten ihr Gehalt erhöhen, sie ist nicht ihren Leistungen entsprechend bezahlt.«

Das hörte Rudolf sehr gern.

»Es ist mir sehr lieb, Vater, dass du mit ihr zufrieden bist, und es wird sie sicherlich freuen, wenn du ihr Gehalt erhöhst, wird sie doch daraus sehen, wie sehr du mit ihr zufrieden bist«, sagte er scheinbar ruhig und sachlich.

»Das weiß sie ohnedies. Gerade das ist das Schönste an ihr, dass sie ein Lob verträgt, ohne arrogant zu werden. Aber freuen kann sie sich über jedes anerkennende Wort, dass ihr immer gleich die Tränen in die Augen treten. Schade, dass Waltraut jetzt nicht hier ist, sie müsste dieses Fräulein Lenz zuweilen einladen, ich möchte sie gern in solcher Weise auszeichnen, denn immerhin muss ich ihr in geschäftlichen Dingen viel anvertrauen. Und dadurch steht sie mir persönlich näher als meine anderen Angestellten. Waltraut würde auch sicher Gefallen an ihr finden, denn obwohl sie nur aus kleinen Verhältnissen stammt, hat sie unbedingt etwas Damenhaftes, Vornehmes.«

»Das finde ich auch, Vater«, erwiderte Rudolf, immer noch sehr ruhig, wenn ihm das Herz rebellisch klopfte.

»Und sie weiß auch klug über andere Dinge zu plaudern. Zuweilen mache ich mir das Vergnügen, mich eine Weile mit ihr zu unterhalten. Das darf ich mir jetzt leisten, denn sie nimmt mir so viel Arbeit ab, dass ich mir Ruhe gönnen kann. Sie kann über alles mitsprechen, und sie hat Geist und einen warmblütigen Humor.«

Georg Roland ahnte nicht, dass er mit solchen Worten Öl ins Feuer goss. Rudolf fiel es sehr schwer, bei diesen Lobsprüchen auf Lore Lenz Ruhe und Gleichmut zu markieren. Es wäre wahrlich nicht nötig gewesen, dass der alte Herr auch noch das Seine dazutat, um Rudolfs Herzensruhe zu untergraben.

Als er sich eine Weile später entfernte, musste er wie immer durch das Zimmer gehen, in dem Lore an ihrer Schreibmaschine saß. Wieder blickte sie auf, als er herauskam, gerade in seine Augen hinein. Und obwohl er sich sagte, dass es gefährlich für ihn sei, blieb er doch neben ihr stehen – er vermochte jetzt nicht mit einem kurzen Gruß vorüberzugehen.

»Sie sind immer so fleißig, Fräulein Lenz«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel und weil er ihr nicht sagen konnte, was er ihr so gern gesagt hätte.

Er merkte, wie sie bei seinen Worten erbleichte. Das trug natürlich nicht dazu bei, ihn ruhiger zu machen.

»Es ist doch meine Pflicht, hier fleißig zu sein, Herr Werkmeister.«

Das sagte sie mit leise bebender Stimme, die jeden Nerv in ihm erzittern ließ.

»Sie tun mehr als Ihre Pflicht, sind meinem Vater eine unschätzbare Mitarbeiterin geworden. Ich habe soeben sein Lob in allen Tönen anhören müssen. Er hat mir gedankt, dass ich Sie für ihn engagiert habe.« Ein flammendes Rot jagte über ihr Gesicht.

»Oh, wie mich das freut. Es wäre doch zu schlimm, wenn Sie noch Vorwürfe für Ihre gute Tat ernten würden.«

»Aber, Fräulein Lenz, ich bitte Sie – was habe ich groß getan? Es war doch nichts als reiner Egoismus, dass ich Sie engagierte und uns eine so tüchtige Kraft sicherte.«

Sie sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blick an.

»Ich weiß dennoch, dass es eine edle Tat war«, sagte sie leise. Und lauter fuhr sie dann fort. »Noch nie habe ich mich so sehr darüber gefreut, dass ich etwas leisten kann, wie jetzt. Fühle ich doch die Verpflichtung in mir, zu beweisen, dass Sie keinen Fehlgriff getan haben, als Sie mich verpflichteten. Schon aus diesem Grunde tue ich alles, was in meiner Kraft steht, Herrn Roland zufriedenzustellen.«

Er wollte etwas antworten, konnte aber im Moment nicht reden. Denn das, was er so gern gesagt hätte, durfte nicht über seine Lippen, und alles andere erschien ihm so banal. Seine Augen aber sahen mit brennendem Ausdruck auf sie herab und verrieten etwas von dem, was er nicht sagen durfte. Da senkte sie wie erschrocken ihre Augen und saß ganz still da. Er zwang sich zu einem Scherz.

»Also Sie leisten so Großes, nur um mir Vorwürfe zu sparen?«

Sie nahm ihr Herz tapfer in die Hände und blickte wieder zu ihm auf.

»Irgendwie muss ich Ihnen doch meine Dankbarkeit beweisen, und auf andere Art kann ich das nicht.«

Mit heimlicher Rührung sah er in ihre tapferen Augen.

»Sind Sie denn zufrieden mit Ihrer Stellung?«

»Oh, wie sehr. Es ist hier ein ganz anderes Arbeiten als bei der Firma Karsten. Man fühlt sich hier als Mensch bewertet. Worte der Anerkennung, wie ich sie hier von Herrn Roland so oft höre, gab es bei Herrn Karsten nie. Und je mehr man sich anstrengte, desto mehr wurde einem aufgebürdet. Ich war dort oft bis zum Umsinken müde, wenn der Feierabend kam.«

»Und hier nicht?«

»Nein, hier bin ich am Abend so frisch wie am Morgen.«

»Und doch müssen Sie hier so viel arbeiten.«

»Nicht mehr, als ich leisten kann. Es ist ein großer Unterschied, ob man mit Freuden arbeitet oder nur aus Pflichtgefühl.«

»Hier arbeiten Sie also mit Freuden?«

»Ganz gewiss!«

»Nun also, Sie sind zufrieden und mein Vater ist zufrieden, so ist alles in bester Ordnung«, suchte er wieder zu scherzen.

»Ja, ich wünsche mir nur, dass es nie anders werden möge.«

Mit einem seltsam forschenden Blick sah er sie an.

»Nie anders? So haben Sie keine anderen Wünsche für Ihr Leben, als immerfort in abhängiger Stellung zu bleiben?«, fragte er heiser.

Sie erblasste ein wenig, aber dann leuchteten ihre Augen auf.

»Was kann einem armen Mädchen Besseres beschieden sein? Ist es nicht beneidenswert, wenn man einen Pflichtenkreis hat, der einem Freude macht, der einem lieb und angenehm ist? Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich wieder an meine Arbeit gehen kann, und die Sonntage sind mir fast leid, weil ich da fernbleiben muss.«

Wieder schlich ein Gefühl der Rührung in sein Herz. Aber er fragte scheinbar ruhig und gleichmütig:

»Was fangen Sie denn mit Ihren Sonntagen an?«

»Ich gehe meistens zum Hafen, weil mich das Leben und Treiben dort interessiert. Häufig fahre ich ein Stück mit einem Hafendampfer und sehe mir die Schiffe an.«

»Und immer allein?«, frage er unsicher.

»Ja, mit wem sollte ich gehen? Ich schließe mich sehr schwer an fremde Menschen an, und ehe ich mich einer Gesellschaft anschließe, die mir in geistiger und seelischer Beziehung nichts zu geben hat, begnüge ich mich lieber mit meiner eigenen. Ich habe auch nie Langeweile; ich denke mir herrliche Geschichten aus, wenn ich die großen Dampfer liegen sehe. Was für Menschenschicksale die wohl mit sich hinaustragen in die Welt. Und wie weit sie hinausfahren in diese weite Welt. Dann komme ich mit größerem Gewinn nach Hause, als wenn ich mich irgendeinem gleichgültigen Menschen angeschlossen hätte, der mich nur von meinen lieben Gedanken ferngehalten hätte.«

Sie verriet ihm natürlich nicht, dass er der Held all ihrer ausgedachten Geschichten war.

»Und dann kehren Sie wieder in Ihre Pension zurück?«

»Ja, Frau Dittmar hält mir dann eine Tasse Tee bereit, und ich plaudere ein Stündchen mit ihr. Sie ist eine liebe, gebildete Frau, die Witwe eines Kapitäns, und weiß viel aus dem Hamburger Leben zu erzählen. Viel Zeit hat sie ja nicht, aber für mich müßigt sie sich sonntags gern ein Stündchen ab. Ich bin überaus froh, dass ich bei ihr Unterkunft gefunden habe, und auch das danke ich Ihnen.«

Er hätte ihr gern, sehr gern gesagt, dass es ihn glücklich machen würde, wenn er zuweilen einen Sonntag in ihrer Gesellschaft verbringen dürfe, aber das durfte nicht sein, ihretwegen nicht und auch seinetwegen nicht. So sagte er nur:

»Wenn meine Schwester hier wäre, dann müssten sie mit ihr bekannt werden.«

Fast erschrocken sah sie ihn an.

»Oh, das würde doch Herr Roland nicht gestatten, selbst wenn es seine Tochter wünschen würde.«

Ein Lächeln flog über seine Züge.

»Sie irren sehr, mein Vater hat vorhin zu mir gesagt, wie leid es ihm tue, dass seine Tochter jetzt nicht hier ist, weil er Sie zuweilen in seine Familie einladen möchte.«

Lores Gesicht überflog eine jähe Röte.

»Wie ehrenvoll ist es für mich schon, dass er diese Absicht hat. Aber Fräulein Roland würde sicher nichts mit einem so einfachen Mädchen, wie ich es bin, anzufangen wissen.«

»Das würde sie gewiss. Sie ist selbst ein wertvoller, guter Mensch und schätzt andere Menschen nicht nach ihrer Stellung ein, sondern nach ihrem Wert. Und da können Sie, meine ich, den Vergleich mit jedem andern ruhig aushalten. In dieser Beziehung ist es wirklich schade, dass meine Schwester nicht hier ist. Sie würden sich sicher gut mit ihr verstehen.«

Sie wagte nicht zu ihm aufzusehen, weil sie spürte, dass ihr die Augen feucht wurden. Und sie musste erst tapfer die aufsteigenden Freudentränen hinunterschlucken, ehe sie mit leidlich fester Stimme fragen konnte: »Fräulein Roland hat sich sicherlich sehr gefreut, dass sie ein so herrliches Stück Erde zu sehen bekommt. Ich habe kürzlich ein Buch über Ceylon gelesen; es wurde darin als eine Märcheninsel geschildert.«

»Ja, Ceylon ist wundervoll. Ich war auch vor Jahren dort und gönne es meiner Schwester, dass sie es kennenlernt. Sie hat sich auch sehr auf die Reise gefreut, umso mehr, da sie ihre liebste Freundin dort hat. Aber nun will ich Sie nicht länger stören. Auf Wiedersehen, Fräulein Lenz!«

»Auf Wiedersehen, Herr Werkmeister!«

Rudolf schritt schnell hinaus. Der Gedanke an Waltraut – an seine Braut – hatte ihn in die Flucht geschlagen, hatte ihm klargemacht, dass er schon viel zu lange mit Fräulein Lenz geplaudert, viel zu tief in ihre Augen gesehen hatte, in diese lieben, schönen Augen.

Lore aber saß eine Weile noch mit festgeschlossenen Augen, um das Erlebnis dieser Stunde in sich ausklingen zu lassen. Ja, es war ein Erlebnis für sie, dass Rudolf Werkmeister sich so lange und so freundlich mit ihr unterhalten hatte. Er galt im ganzen Betriebe als der künftige Herr und Erbe der Firma, das hatte Lore gehört, und natürlich sah sie in ihm nun in erhöhtem Maße eine bedeutende, imponierende Persönlichkeit. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er so schlicht und einfach in seinem Wesen war und sich nicht hochmütig über die Angestellten der Firma erhob. Dass er mit allen Leuten im Geschäft freundlich war, hatte sie selbst oft beurteilen können. Und ihr gegenüber? Oh, wie gut war er zu ihr.

Es war kein Wunder, dass sie bewundernd zu ihm aufsah. Keine Ahnung kam ihr, dass seine Empfindungen für sie weit über die Schranke hinausgingen, die die Gefühle eines Vorgesetzten einem Untergebenen gegenüber begrenzte. Sie machte sich nicht einmal klar, dass ihre große Bewunderung für ihn noch mit einem ganz anderen Gefühl gemischt war, mit einem Gefühl, das sie in Angst und Schrecken versetzt hätte, wäre sie sich darüber klar geworden.

Aber jedenfalls war sie sehr stolz und glücklich, dass er sich so freundlich mit ihr unterhalten hatte. Und mit verdoppeltem Eifer machte sie sich nun wieder an die Arbeit, um das Versäumte nachzuholen.

Als sie eine Stunde später wieder zu ihrem Chef gerufen wurde, um mit ihm zu arbeiten, lag noch ein Abglanz dieses Glücks auf ihrem Antlitz, sodass Georg Roland ganz erstaunt erkannte:

Dieses Fräulein Lenz ist nicht nur klug und tüchtig, sie ist auch bildhübsch, beinahe eine Schönheit. Wäre sie eine große Dame, würde alle Welt von ihrer Schönheit entzückt sein.

Aber er ahnte nicht, dass Lore Lenz seinen Wünschen und Plänen sehr gefährlich war und dass sie vielleicht zu einem ernsten Hindernis werden könne, sein Gelübde zu erfüllen.

Ehe er heute mit ihr zu arbeiten begann, sagte er freundlich: »Ich wollte Ihnen sagen, Fräulein Lenz, dass Ihr Gehalt vom Ersten ab um hundert Mark erhöht wird. Sie haben mir schon große Dienste erwiesen und werden mir hoffentlich noch recht viele erweisen, deshalb mag ich nicht, dass Sie nicht Ihren Verdiensten entsprechend entlohnt werden.«

Lore sah ihn fast erschrocken an. Ihre Augen wurden gleich wieder feucht. Sie war durchaus kein sehr weichmütiger Mensch, war immer hart vom Leben angefasst worden und wusste sich mit seinen Härten tapfer abzufinden, aber Güte, wirkliche Güte hatte sie nicht oft erfahren, seit dem Tode ihrer Eltern überhaupt nicht mehr, und solcher Güte gegenüber war sie immer schwach. Sie suchte sich schnell zu fassen, aber ihre Stimme schwankte doch bedenklich, als sie sagte:

»Sie sind sehr gütig zu mir, Herr Roland. Ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe.«

Er lächelte.

»Das gerade ist das Nette an Ihnen, dass Sie es nicht wissen.«

»Ich tat doch nur meine Pflicht.«

Er lächelte gütig.

»Vielleicht doch etwas mehr als Ihre Pflicht. Und vor allen Dingen – wie Sie Ihre Pflicht tun, das ist so erstaunlich. Ich muss Ihnen immer wieder sagen, dass ich sehr zufrieden mit Ihnen bin. Ich möchte Ihnen das gern auf eine besondere Art zeigen, aber solange meine Tochter fern ist, geht das nicht an. Jedoch ist mir eingefallen, dass unser Theaterabonnement jetzt wenig ausgenützt wird, und wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie zuweilen auf unser Abonnement ins Theater gehen. Wollen Sie?«

Lores Augen leuchteten auf.

»Ob ich will? Es war für mich immer wie ein Fest, wenn ich einmal das Theater besuchen durfte.«

»Gut, dieses Vergnügen sollen Sie jetzt öfter haben, ich werde es Sie immer wissen lassen, wenn ein Platz frei ist.«

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen für Ihre große Güte danken soll.«

Gerührt sah er in ihre schönen Augen hinein, in denen es schon wieder feucht glänzte.

»Sie scheinen nicht sehr verwöhnt zu sein, dass Ihnen das so großen Eindruck macht. Aber reden wir nicht mehr davon. Wenn Sie mir danken wollen, dann bleiben Sie weiter meine tüchtige Helferin und meine verständnisvolle Mitarbeiterin. Und nun lassen Sie uns an die Arbeit gehen.«

Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III)

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