Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 7
Viertes Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Morgen nahm Waltraut mit ihrem Vater allein das Frühstück ein. Dieser sagte ihr, dass Rudolf schon ins Geschäft gefahren sei, um sich noch Unterlagen für die Geschäftsreise zu holen, und dass er dann gleich zum Bahnhof fahren würde. Er lasse sie nochmals herzlich grüßen und ihr gute Reise wünschen.
Waltraut atmete auf. Sie war froh, Rudolf nicht mehr begegnen zu müssen, und bedauerte doch, dass sie froh darüber sein konnte. Aber sie vertiefte sich nun gleich wieder mit ihrem Vater in ein Gespräch über ihre Reisevorbereitungen, und dieser ging liebevoll darauf ein. Er versprach ihr auch, das Telegramm an Dora Schlüter aufzugeben, und sie plauderten noch über dies und das.
Als der Vater dann in das Geschäft gefahren war, schrieb Waltraut erst einmal einen langen Brief an ihre Freundin, der doch immerhin noch einige Wochen vor ihr eintreffen würde. Aber von ihrer Verlobung erwähnte sie kein Wort. Die sollte ja noch geheim gehalten werden.
Während sie noch bei diesem Briefe saß, brachte ihre Zofe ihr einen großen Strauß roter Rosen mit einem Billett von Rudolf. Er schrieb ihr: »Meiner lieben Schwester einen Abschiedsgruß, meiner lieben Braut ein frohes: Auf Wiedersehen! Sei ruhig, kleine Waltraut, es wird alles viel leichter werden, als du glaubst. Und vergiss das eine nicht, dass Du mir immer und in allen Lebenslagen vertrauen kannst. Sei überzeugt, dass ich den ernsten und innigen Wunsch habe, Dir das Leben so leicht zu machen, wie es in eines Menschen Kraft steht. In treuer Liebe, wie immer, grüßt Dich Dein Rudolf.«
Mit einem befangenen Lächeln streichelte Waltraut die Rosen.
»Guter, lieber Rudolf, es wird schon gehen«, dachte sie in ihrer Unerfahrenheit.
Und dann schrieb sie weiter an Dora.
Als sie damit fertig war, besprach sie, wie täglich, das Menü mit der Haushälterin und dann kleidete sie sich zum Ausgehen an. Sie wollte Dora Schlüters Eltern besuchen und ihnen melden, dass sie mit dem alten Herrn reisen werde. Und anschließend wollte sie schon mit ihren Einkäufen beginnen. Der Vater hatte ihr einen Scheck ausgestellt, der hoch genug war, dass sie nicht zu knausern brauchte.
Dora Schlüters Eltern, Justizrat Dr. Heinze und seine Frau, nahmen Waltraut wie immer herzlich auf und freuten sich sehr, als sie erfuhren, dass Waltraut mit nach Ceylon gehen würde.
»Wie wird sich mein Dorchen freuen, liebe Waltraut! Und mir machen Sie auch das Herz ein wenig leichter. Weiß ich sie doch in guter Gesellschaft, wenn Sie bei ihr sind. Mein Mann kann ja nicht lange bei ihr bleiben, aber Sie werden ihr nun Gesellschaft leisten, bis Dora mit ihrem Manne uns besuchen kommt. Ich kann Ihrem Herrn Vater gar nicht genug danken, dass er Sie so lange beurlaubt«, sagte Doras Mutter.
Waltraut küsste ihr die Hand.
»Ich freue mich so sehr auf unser Wiedersehen, umso mehr, als ich die Hoffnung schon ganz aufgegeben hatte, dass ich Urlaub bekommen würde.«
»Richtig, Sie sagten mir doch gestern, dass der Vater Ihnen absolut keinen Urlaub bewilligen wollte«, warf der Justizrat ein.
Waltraut wurde ein wenig rot, weil sie daran denken musste, welchem Umstand sie diesen Urlaub verdankte.
»Ich habe Vater gestern Abend gesagt, dass Sie mich unter Ihren Schutz nehmen wollen und dass ich dann nächstes Jahr mit Dora und ihrem Manne zurückkehren kann. Das hat ihn beruhigt.«
»Nun, jedenfalls habe ich nun eine reizende Reisebegleiterin«, schmunzelte der alte Herr.
Waltraut besprach mit ihm noch allerlei, erkundigte sich nach Einzelheiten, welche die Reise betrafen, und kündigte den baldigen Besuch ihres Vaters an, der dem Justizrat seinen Dank sagen wolle, dass er sie unter seinen Schutz nehmen wollte. Dann verabschiedete sie sich von den alten Herrschaften und begann ihre Einkäufe zu machen.
Sie wurde in der nächsten Zeit so ganz von ihren Reisevorbereitungen in Anspruch genommen, dass sie leichter, als sie geglaubt hatte, über ihre Verlobung hinwegkam. In ihrer Unerfahrenheit konnte sie nicht ermessen, wie viel sich seit gestern in ihrem Leben geändert hatte. Als sie von dem Besuch bei Justizrats nach Hause gekommen war, sah sie Rudolfs Rosenstrauß auf ihrem Zimmer stehen. Nachdenklich trat sie heran und sog den süßen Duft ein. Rote Rosen? Rosen der Liebe? Und von Rudolf? Das erschien ihr nun doch wieder ganz ungeheuerlich, ganz unfassbar. Aber sie wehrte diese Gedanken schnell wieder von sich ab. Wozu sich damit quälen? Das hatte ja alles so lange, lange Zeit – ein volles Jahr. Und dieses Jahr sollte voll köstlicher Tage werden. Eine herrliche Reise lag vor ihr und ein langer Aufenthalt auf Ceylon, der Wunderinsel, von deren Reizen und Seltsamkeiten Dora nie genug hatte berichten können.
Wenn ihr in den folgenden Wochen ihre Reisevorbereitungen Zeit ließen, dann ging sie oft langsam durch das ganze Haus, wie abschiednehmend, und es wurde ihr dabei so recht bewusst, wie schön doch ihr Vaterhaus war und wie viele frohe und glückliche Stunden sie darin verlebt hatte, trotz der Einsamkeit der letzten Jahre. Alle Räume waren mit so viel Geschmack und Kunstverständnis ausgestattet und überall spürte man noch das einst sorgliche Walten der verstorbenen Mutter. Eine heiße Sehnsucht nach der Mutter überkam sie dann immer wieder, und es kam ihr zum Bewusstsein, wie nötig sie die Mutter gerade jetzt gebraucht hätte. Und eines Tages sagte sie sich in so einer Stunde:
Wenn Mutter noch gelebt hätte – sie hätte es nicht zugelassen, dass ich vor eine so schwere Entscheidung gestellt worden wäre von Vater – nein, ganz gewiss nicht.
In jener Stunde fragte sie sich auch zum ersten Male, ob die Ehe ihrer Eltern ganz glücklich gewesen war. Harmonisch war sie gewesen und friedlich, die Mutter hatte sich immer dem starken Willen des Vaters angepasst, hatte sich beschützt und behütet gefühlt. Und ihr Kind und Rudolf, den sie auch wie ein eigenes Kind liebte, hatten ihr Leben ausgefüllt, hatten es reich und schön gemacht. Aber etwas hatte doch wohl der Ehe ihrer Eltern gefehlt – das unbedingte Ineinanderaufgehen, die jubelnde Glücksfreude aneinander, das Himmelhochjauchzende. Es war alles ein wenig ernst und still gewesen, ein wenig zu ruhig und zu gehalten. Ja, und so würde ihre Ehe mit Rudolf wohl auch einst werden, das fühlte sie mehr instinktiv, als es ihr bewusst wurde. Irgendein Etwas würde auch ihrer Ehe einst fehlen, wie es der Ehe der Eltern gefehlt hatte.
Aber gab es überhaupt Ehen, die dieses Himmelhochjauchzende hatten? Bestand das nicht nur in der Einbildung der Dichter, die davon sangen? Sie fand keine Antwort auf diese Frage. Das Herz wurde ihr dabei ein wenig schwer, eine Unruhe ergriff sie, als müsse sie irgendetwas tun, um sich Erleichterung zu schaffen, sie wusste nur nicht, was. Und dann floh sie gleichsam vor ihren beunruhigenden Gedanken und befasste sich wieder intensiv mit ihren Reisevorbereitungen. Sie war froh, wenn sie gar nicht mehr so recht zur Besinnung kam.
Von Rudolf hatte sie nichts mehr gehört. Der Vater bestellte zwischen ihnen beiden immer nur herzliche Grüße, da er dauernd mit Rudolf in brieflicher Verbindung stand.
Ein wenig tat das Waltraut weh. Sie ertappte sich oft bei dem Wunsch, schnell mit irgendetwas, das sie beschäftigte, zu Rudolf zu flüchten, wie sie es sonst wohl getan hatte. Und sie dachte dann an seine Worte, die er ihr an jenem Abend gesagt hatte: Wir müssen uns fremd werden, damit wir uns näherkommen können. Diese Worte, die sie selber empfunden hatte, waren von ihm ausgesprochen worden. Es war ja oft so, dass sie beide dieselben Gedanken hatten, und das hatte ihnen sonst immer so viel Freude gemacht.
Oh, es tat doch zuweilen recht weh, dass sie ihren lieben Bruder Rudolf verlieren sollte. Würde ihr das Schicksal vollwertigen Ersatz dafür geben in dem Gatten, dem sie angehören sollte, wenn sie wiederkam?
Dem Gatten?
Das war ein Begriff für sie, der ihr noch nichts sagen konnte, weil er ihr fremd war. Dora Schlüters Gatten hatte sie als einen ganz rücksichtslosen Eroberer, als Eindringling in den Frieden einer Familie angesehen, der die Freundin erbarmungslos fortschleppte von allem, was ihr bisher lieb und teuer gewesen war. Konnte einen denn ein Gatte für so viel Liebes und Schönes entschädigen? Würde Rudolf ihr als Gatte ersetzen können, dass er ihr den Bruder genommen hatte?
Immer wieder verlor sie sich in solche Gedanken. Nicht für lange Zeit, sie wurde zum Glück zu viel davon abgelenkt, aber sie kamen doch wieder.
Der Vater war jetzt immer sehr zärtlich und liebevoll zu ihr, er war heiterer als sonst und suchte ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Ganz gewiss litt er auch ein wenig unter dem Gedanken an die bevorstehende Trennung, und das genügte schon, um Waltrauts liebevolles Herz zu bedrücken. Sie hatte Stunden, in denen sie klaglos die ganze schöne Reise aufgegeben hätte, um bei dem Vater bleiben zu können. Das sagte sie ihm auch, und es rührte ihn sehr. Aber er beruhigte sie dann immer, weil er eingesehen hatte, dass diese Reise wirklich nötig war, um dem Verlöbnis alles Peinliche zu nehmen, und sagte ihr, sie möge sich nur seinetwegen die Reisefreude nicht nehmen lassen, er bleibe doch nicht allein zurück, Rudolf werde ja sofort zurückkehren, wenn sie abgereist sei.
Aber der Abschied vom Vater war dann doch sehr schwer. Er hatte sie nach Bremerhaven hinüberbegleitet, von wo ihr Dampfer abging, und brachte sie an Bord. Justizrat Heinze musste ihm immer wieder versprechen, seine Tochter in gute Obhut zu nehmen. Und als der Vater dann den Dampfer verlassen hatte und dieser langsam abfuhr, während die Schiffskapelle: »Muss i denn zum Städtele hinaus« spielte, da stürzten Waltraut die Tränen aus den Augen, und sie wäre am liebsten wieder umgekehrt. Auch ihrem zurückbleibenden Vater wurden die Augen feucht. Er dachte daran, dass er ein alter Mann sei. Würde er sein Kind wiedersehen? Er sah dem Dampfer mit trüben Blicken nach.
Der Dampfer, auf dem Waltraut Roland unter dem Schutze des Justizrats Heinze ihre Reise angetreten hatte, war nun schon in voller Fahrt. Waltraut hatte sich in ihrer Kabine so wohnlich wie möglich eingerichtet und wurde durch das lebhafte gesellige Treiben an Bord von ihren Gedanken abgelenkt. Auch der Justizrat hatte sich so gut wie möglich eingerichtet und war so guter Laune, dass Waltraut nicht anders konnte, als auch vergnügt zu sein. Am zweiten Tag nach der Abfahrt von Bremerhaven hatte sich der Justizrat nach Tisch zu seinem üblichen Mittagsschläfchen in seine Kabine zurückgezogen. Auf Deck behauptete er nicht schlafen zu können, weil ihn da immer wieder neugierige Mitpassagiere ansahen. Das konnte er nicht vertragen, wenn er schlief.
Waltraut war jedoch hinauf auf Deck gegangen und hatte sich in einem abseitsstehenden Liegestuhl niedergelassen, um zu lesen. Das Buch fesselte sie aber nicht genügend, und sie ließ es sinken und schloss die Augen, nicht um zu schlafen, sondern nur, um vor sich hin zu träumen. So saß sie einige Zeit, in eine wohlige Müdigkeit eingesponnen, als sie plötzlich das Empfinden hatte, dass irgendetwas sie beunruhigte. Ein unbestimmtes Gefühl zwang sie, die Augen aufzuschlagen – und sie begegnete dem Blick eines hochgewachsenen jungen Mannes, der ihr gegenüber an der Reling lehnte und mit einem eigentümlich forschenden, suchenden Blick zu ihr herübersah. Die beiden Augenpaare hingen eine Weile ineinander, als könnten sie nicht voneinander los, und Waltraut überkam ein seltsames, nie gekanntes Gefühl unter dem Blick dieser grauen Männeraugen, die so eigenartig hell aus dem tiefgebräunten Gesicht leuchteten. Irgendetwas Vertrautes und doch ganz Neues leuchtete ihr aus diesen Augen entgegen. Sie fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, und schloss schnell wieder die Augen. Aber ein ganz klein wenig musste sie doch hinüberblinzeln, und sie sah, dass die grauen Männeraugen noch immer mit dem eigenartig forschenden Blick auf ihr ruhten. Sie grübelte, an wen diese Augen sie erinnerten, und plötzlich kam es ihr zu Bewusstsein. Rudolfs Augen glichen denen dieses fremden jungen Mannes, aber nur in der Form und in der Farbe, nicht im Ausdruck. Ja, es lag ein ganz anderer Ausdruck darin, und doch erinnerten sie diese Augen an die Rudolfs.
Sie wurde immer unruhiger unter dem Blick des jungen Herrn, den sie wie einen heimlichen Zwang empfand. Um diesem Zwange zu entgehen, richtete sie sich aus ihrer halb liegenden Stellung empor und wollte nach ihrem Buche greifen, um weiterzulesen, aber das Buch war ihr entfallen.
Schnell kam jetzt der junge Herr von der Reling herüber, bückte sich und hob das Buch auf, es ihr mit einer artigen Verbeugung überreichend. Unsicher und befangen sah sie in sein gebräuntes, sympathisches Gesicht und dankte mit einem stummen Neigen des Kopfes.
Der Fremde ging nun langsam davon, die Deckpromenade entlang. Waltraut war zumute, als habe sie soeben ein schwerwiegendes Erlebnis gehabt, und ihr Herz klopfte sehr unruhig. Sie versuchte vergeblich, sich in ihre Lektüre zu vertiefen, aber sie war zerstreut, musste jeden Satz einige Male lesen, ehe sie den Sinn erfasste, und sah immer wieder in die Richtung, in welcher der fremde Herr verschwunden war.
Er kam ihr nicht wieder zu Gesicht, und schließlich vertiefte sie sich doch, ruhiger werdend, in ihre Lektüre.
So saß sie, bis der Justizrat wieder an Deck erschien und lächelnd zu ihr trat.
»Wie ist es, Fräulein Waltraut, wollen wir jetzt eine Deckpromenade machen?«
Sie sah lächelnd zu ihm auf.
»Anscheinend haben Sie ein ruhiges Mittagsschläfchen gemacht, Herr Justizrat, Sie sehen so zufrieden aus.«
»Bin ich auch! Famos habe ich geschlafen. Die Seeluft scheint mir ausgezeichnet zu bekommen. Und Hunger habe ich wahrhaftig auch schon wieder.«
»Seeluft zehrt, Herr Justizrat. Aber wir bekommen ja bald Tee serviert.«
»Da wir zum Tee allerlei sehr nette und sättigende Sachen bekommen, sehe ich ihm hoffnungsvoll entgegen.«
Waltraut hatte sich erhoben und ging nun an der Seite des alten Herrn die Promenade entlang. Sie plauderten sehr angeregt und vergnügt zusammen. Der Justizrat war ein kluger, vielbelesener Mann mit einem noch sehr regsamen, frischen Geist und viel Humor. Es machte ihm Vergnügen, Waltraut immer wieder zum Lachen zu bringen, und er war sehr stolz auf seine reizende Schutzbefohlene, auf die die jungen Herren sehr interessierte, mehr oder minder verstohlene Blicke warfen. Nachdem sie ein halbes Stündchen promeniert waren, sagte der alte Herr: »Ich glaube, Fräulein Waltraut, die anwesenden Leute sehen sich für gewöhnlich gleich in den ersten Tagen die Passagierliste an. Wir wollen uns doch nicht als absolute Neulinge, die wir zwar sind, zu erkennen geben und das auch mal tun. Man sieht eine Menge ganz interessanter Gesichter an Bord, und da die Welt klein ist, wäre es immerhin möglich, dass wir irgendeinen Bekannten unter den Passagieren entdecken.«
»Habe ich schon entdeckt, Herr Justizrat, wenn auch nur Menschen, die ich kenne. Es ist nämlich eine ganze Filmgesellschaft hier an Bord, eine ganz bekannte Filmdiva, die ich schon in verschiedenen Filmen bewundert habe, und unter anderen auch der Berliner Schauspieler Hans Brausewetter, der immer so herzerfrischend echt und natürlich spielt. Auch die russische Tänzerin, die kürzlich in Hamburg gastierte, ist an Bord.«
»Nun also, da können wir ja Studien machen und uns die Filmleute auch einmal in natura ansehen. Aber kommen Sie, wir sehen jetzt einmal die Passagierliste ein.«
Das geschah. Aber es fiel ihnen kein Name besonders auf, nur ganz am Schluss wurde Waltraut aufmerksam und deutete lächelnd auf einen Namen.
Mijnheer Jan Werkmeester.
»Sehen Sie doch, Herr Justizrat, wie drollig, ein Holländer mit dem Namen Werkmeester. Das ist doch ganz sicher identisch mit dem deutschen Werkmeister. Also ein Namensvetter meines Pflegebruders.«
»Richtig, wenn auch nur ein holländischer. Den müssen wir uns einmal anschauen, wenn er nur annähernd so ein Prachtmensch ist wie Ihr Pflegebruder, dann werden wir versuchen, uns mit ihm anzufreunden.«
Waltraut lachte.
»Ich stelle mir unter einem Mijnheer immer einen alten, behäbigen Herrn vor mit einer Glatze, einer etwas angeröteten Nase und einem vollen, runden Genießergesicht.«
»Es gibt doch auch junge Mijnheers. Aber selbst, wenn es ein Alter ist und wenn er ein Genießergesicht rund wie ein Vollmond hat, kann er doch ein angenehmer Gesellschafter sein. Ich habe Leute mit vollen runden Gesichtern immer gern, vielleicht weil ich selbst immer zu den Hageren gehört habe. Ich halte es mit Julius Cäsar: Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein.«
Schelmisch sah ihn Waltraut an.
»Diese Vorliebe kann ich nicht mit Julius Cäsar teilen.« Er lachte.
»Sie wollen mir doch nicht versteckte Komplimente machen, Kindchen?«
»Doch, es gefällt mir sehr, wenn gerade ältere Herren noch schlank sind.«
Mit einer humoristischen Verbeugung quittierte er.
»Es geht auf Ihre Rechnung, wenn ich auf meine alten Tage noch eitel werde. Aber nun wollen wir doch sehen, dass wir Tee bekommen, mein Hunger nimmt beängstigende Formen an.«
»Dann schnell, Herr Justizrat!«
Vergnügt begaben sie sich auf Deck, wo die Schiffskapelle bereits spielte, und einige Paare sich schon im Tanze drehten. Auch die Filmdiva tanzte mit Hans Brausewetter, was Waltraut interessiert konstatierte.
Während sie in der Nähe dieser tanzenden Paare mit dem Justizrat an einem kleinen Tisch Platz nahm, servierte der Steward bereits den Tee, und der alte Herr kostete vergnügt von all den guten Dingen, die mit dem Tee serviert wurden. Ein Tisch neben dem ihren war noch unbesetzt, aber gleich darauf erschien derselbe junge Herr, der Waltraut vorhin das Buch aufgehoben hatte, und nahm an diesem Tische Platz. Zu ihrem Leidwesen merkte Waltraut, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss.
Der Fremde setzte sich so, dass er Waltraut ins Gesicht sehen konnte. Artig grüßend verneigte er sich vor ihr. Sie dankte etwas verwirrt mit einem leisen Neigen des Kopfes. Der Justizrat bemerkte diesen stummen Gruß.
»Kennen Sie den Herrn, Fräulein Waltraut?«
»Nein, er hob mir nur vorhin ein Buch auf, das mir entfallen war, und glaubt wohl, mich nun begrüßen zu müssen.«
Der Justizrat sah nun scharf nach dem Nebentisch hinüber, und der junge Herr erhob sich und machte auch gegen den Justizrat eine stumme Verbeugung, die dieser höflich erwiderte.
»Anscheinend ein sehr artiger junger Mann«, sagte er anerkennend, »und eine sehr sympathische Erscheinung.«
Inzwischen waren noch zwei junge Herren dazugekommen und hatten ebenfalls am Nebentisch Platz genommen. Sie unterhielten sich lebhaft, wie gute Bekannte, mit dem ersten jungen Herrn. Es war Waltraut nicht immer möglich, dessen Blick zu vermeiden. Auch der Justizrat sah immer wieder, durch den munteren Ton am Nebentische angezogen, hinüber und bemerkte, dass der junge Herr, der zuerst Platz genommen hatte, entschieden der sympathischste und interessanteste von den dreien war. Er war elegant, aber nicht stutzerhaft gekleidet, die Eleganz war nicht auffallend, sondern durchaus vornehm. Von seinem braunen Gesicht hob sich nur die Stirn etwas heller ab, soweit sie wohl meist vom Hut beschattet wurde. Es war eine sehr schön gebaute Stirn, unter der die grauen Augen gebettet waren, die von dunklen Brauen und Wimpern umgeben waren. Das dichte dunkelbraune Haar war aus der Stirn glatt zurückgestrichen und im Nacken ganz kurz verschnitten. Ein schmallippiger, sehr ausdrucksvoller Mund, und um diesen Mund ein fester, fast harter Zug, wie ihn Menschen haben, die an Kämpfe und Beschwerden gewöhnt sind, gaben diesem großzügigen Gesicht ein sehr markantes Aussehen. Es war ein bedeutendes und interessantes Gesicht. Die Bewegungen des jungen Mannes verrieten einen sportgestählten Körper, und seine Manieren schienen tadellos zu sein.
Auch Waltraut hatte sich nicht versagen können, diese Einzelheiten im Äußeren des jungen Mannes zu beachten, dessen Erscheinung sie ungewollt fesselte. Und immer wieder musste sie erkennen, dass seine Augen sie an Rudolf erinnerten, wenn er auch sonst keine Ähnlichkeit mit ihm hatte. Diese Augen übten aber eine seltsame Wirkung auf sie aus. Jedes Mal, wenn ihre Augen mit den seinen zusammentrafen – und das geschah einige Male –, war Waltraut zumute, als wenn ihr Herzschlag einen Moment stockte.
Nachdem sie ihren Tee eingenommen hatte, erhob sie sich, um sich einen Mantel aus ihrer Kabine zu holen, da es kühl wurde. Sie ließ sich absichtlich viel Zeit dazu, weil sie sich nicht eingestehen wollte, dass es sie wieder in die Nähe des Fremden zog.
Als sie aber dann endlich wieder hinaufkam, sah sie erstaunt, dass der Justizrat mit den drei Herren vom Nebentisch zusammensaß. Er erhob sich sogleich, als Waltraut herbeikam, und zugleich mit ihm erhoben sich die drei jungen Herren.
»Denken Sie sich, Fräulein Waltraut, ich habe soeben in Erfahrung gebracht, dass dieser Herr« – er zeigte auf den Fremden, der Waltraut interessierte – »ein Nachbar und sehr guter Freund meines Schwiegersohns ist. Darf ich vorstellen: Mijnheer Werkmeester, Mijnheer Boon, Herr Döring von der bekannten Handelsfirma Döring & Sohn, die Ihnen sicher bekannt ist – Fräulein Roland, eine Freundin meiner Tochter, die unter meinem Schutze diese Reise macht, um meiner Tochter einen längeren Besuch zu machen.«
Die Herren verneigten sich vor Waltraut. Diese erwiderte den Gruß und sprach einige liebenswürdige Worte mit den Herren. Zuerst wandte sie sich an Herrn Döring, einen munteren blonden Herrn im Beginn der Dreißig.
»Ihre Firma ist mir nicht unbekannt, Herr Döring, ich habe zuweilen meinen Vater und meinen Bruder davon sprechen hören. Döring & Sohn ist eine weltbekannte Firma.«
»Wie die Firma Roland auch, mein gnädiges Fräulein. Ich freue mich, in Ihnen die Tochter des Herrn Georg Roland kennenzulernen, mit dem wir geschäftlich oft zu tun haben.«
»Dann kennen Sie sicher auch meinen Pflegebruder, der Prokurist der Firma ist?«
Herr Döring verneigte sich lächelnd.
»Gewiss, wir sind erst im März dieses Jahres auf der Leipziger Messe zusammengetroffen, und wir haben einige sehr fidele Abende zusammen verlebt. Die Welt ist doch klein, nun treffe ich auch Sie, und zwar auf den Wellen des Ozeans.«
»Sie reisen sicher geschäftlich?«
»Teils, teils, mein alter Herr fand es nötig, dass ich mit unseren Geschäftsfreunden auf Ceylon, Sumatra und Java persönlich Fühlung nehme, und ich habe mich natürlich nicht geweigert. Ein junger Mann muss etwas von der Welt sehen.«
»Mein Bruder machte auch dieselbe Reise vor Jahren.«
»Weiß ich, von ihm habe ich mir die nötigen Anweisungen geben lassen, wie man sich in den Tropen benehmen muss«, erwiderte Herr Döring lachend. »Aber bitte, gnädiges Fräulein, wollen Sie nicht Platz nehmen?«
Er stellte ihr dienstbeflissen einen Sessel zurecht. Waltraut nahm Platz zwischen dem Justizrat und Mijnheer Werkmeester, dem jungen Herrn, der ihr das Buch aufgehoben hatte. Das war freilich kein Mijnheer mit einem runden Genießergesicht und einer geröteten Weinnase. Er wandte sich jetzt an Waltraut.
»Ich habe von Herrn Justizrat Heinze gehört, dass Sie nach Saorda gehen, um Herrn und Frau Schlüter einen Besuch zu machen, mein gnädiges Fräulein.«
Sie wunderte sich über seine tadellose Aussprache des Deutschen.
»So ist es«, erwiderte sie schüchtern, ärgerlich auf sich selbst, dass sie so befangen war.
»Mijnheer Werkmeester war auf einer längeren Erholungsreise in Europa, Fräulein Waltraut, und deshalb können wir ihn gar nicht ausforschen, wie es Dora geht«, sagte der Justizrat.
Waltraut sah Mijnheer Werkmeester fragend an, ihre Beklommenheit bekämpfend.
»Sie gehen auch nach Ceylon?«
»Ja, mein gnädiges Fräulein.«
»Sie leben dauernd dort?«
»Ja, wir besitzen große Plantagen dort, mein Vater und ich. Unsere größte Plantage, Larina, grenzt direkt an die Besitzung Harry Schlüters, Saorda und Larina sind nur durch einen Fluss getrennt. Harry Schlüter ist mein bester Freund. Und auch Frau Dora würdigt mich ihrer Freundschaft. Wir sind sehr viel zusammen. Ich freue mich, in Ihnen Frau Doras vielgeliebte Freundin kennenzulernen, von der sie mir sehr viel erzählt hat. Ich habe auch bei ihr Ihr Bild gesehen, und deshalb ist mir Ihr Gesicht so bekannt vorgekommen, dass ich Sie vielleicht schon mit meinem Interesse belästigt habe.«
Wieder stieg das Blut in Waltrauts Gesicht.
»Ich habe nichts davon bemerkt«, sagte sie nicht ganz der Wahrheit entsprechend.
»Und doch war dies Interesse so groß, dass ich mir erlaubte, mich dem Herrn Justizrat vorhin vorzustellen, und durch ihn erfuhr ich, dass Sie Frau Doras Freundin sind, und wusste nun gleich, wo ich Ihr Gesicht schon gesehen habe.«
Waltraut zwang sich zu einem unbefangenen Lächeln.
»Die Welt ist klein, muss ich wie Herr Döring sagen.«
»Wir haben übrigens auch schon einiges Interesse an Ihrer Person genommen, Mijnheer Werkmeester, meine Schutzbefohlene und ich«, warf hier der Justizrat ins Gespräch.
»Wirklich? Darf ich fragen, in welcher Weise?«, fragte der junge Mann, während seine Augen unverwandt an Waltrauts Gesicht hingen.
»Wir sahen heute die Passagierliste durch und fanden Ihren Namen, der uns aus besonderem Grunde interessierte.«
»Und darf ich fragen, was Sie an meinem durchaus nicht ungewöhnlichen Namen interessierte?«
»Fräulein Rolands Pflegebruder heißt Werkmeister, was mit Ihrem holländischen Werkmeester doch wohl identisch ist.«
»Allerdings! So bin ich jedenfalls sehr froh, diesen Namen zu führen, da er mir Ihre Beachtung eingetragen hat«, sagte der junge Mann mit einem hübschen Lächeln.
»Aber sonst haben Sie uns sehr enttäuscht, Mijnheer Werkmeester«, sagte der alte Herr mit humoristischem Schmunzeln. »Wir hatten Sie uns ganz anders vorgestellt.«
Waltraut wurde glühend rot und fasste nach dem Arm des alten Herrn. »Nicht doch, lieber Herr Justizrat.«
Mijnheer Werkmeester wurde aber nun erst recht begierig zu erfahren, wie er in Waltrauts Vorstellung ausgesehen hatte.
»Doch, Herr Justizrat, Sie müssen mir sagen, wie ich in der Vorstellung des gnädigen Fräuleins lebte.«
»Sie behauptete, unter einem Mijnheer stelle sie sich immer einen alten Herrn mit einer Glatze, einer roten Weinnase und einem runden Genießergesicht vor.«
Mijnheer Werkmeester lachte, es war ein frisches, frohes Lachen. Schalkhaft blickte er in Waltrauts Gesicht, das nun auch ein Lachen erhellte.
»Ich bedaure wirklich nicht, dass ich Sie so enttäuschen musste, mein gnädiges Fräulein.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Waltraut, befreit in sein Lachen mit einstimmend. Und dann sagte sie, auf ein anderes Thema übergehend: »Es ist auffallend, was für ein gutes, reines Deutsch Sie sprechen, Mijnheer Werkmeester.«
»Ja? Ist es ein gutes Deutsch? Das ist aber kein Wunder. In meinem Elternhause wurde ebenso viel Deutsch wie Holländisch gesprochen. Mein Vater liebte alles, was deutsch ist, sehr, und auch meine Mutter hat schon von Kind auf die deutsche Sprache gelernt und beherrschte sie vollständig. Außerdem spreche ich mit Schlüters nur deutsch und bleibe so immer in Übung. Auch habe ich jetzt einen großen Teil meines Erholungsurlaubs in Deutschland verbracht, weil auch ich dies Land sehr liebe. Einige Monate habe ich mich im bayrischen Hochgebirge aufgehalten, um ordentlich Schnee und Eis zu genießen, wonach wir, die wir in den Tropen leben müssen, immer schmachten.«
»Haben Sie immer auf Ceylon gelebt?«, fragte Waltraut interessiert.
»Nein, nicht immer, ständig erst seit circa vier Jahren, früher immer nur vorübergehend. Der Vater meiner Mutter hatte auf Sumatra seine Besitzungen und besaß erst auf Ceylon nur eine kleine Plantage, die er geerbt hatte. Auch meine Eltern lebten auf Sumatra. Ich musste als Kind, aus Gesundheitsgründen und der besseren Schule wegen, in Holland leben, bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr. Abwechselnd war immer einer meiner Angehörigen bei mir, am meisten meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, die das Tropenklima nie sehr lange vertragen konnte. Mit sechzehn Jahren ging ich dann auch nach Sumatra, um meinem Vater, nach dem Tode meines Großvaters, bei der Bewirtschaftung unserer Plantagen zu helfen. Es hatte sich nun herausgestellt, dass unsere Besitzung Larina auf Ceylon, die mein Großvater durch große Länderkäufe mit den Jahren sehr vergrößert hatte, sich noch ertragreicher gestaltete als unsere Besitzungen auf Sumatra, und so hatten wir eigentlich schon lange vor, nach Ceylon überzusiedeln. Wir hätten aber zuvor gern die Besitzung auf Sumatra verkauft, weil es auf die Dauer zu beschwerlich war, zwei so ausgedehnte Besitzungen zu bewirtschaften, wodurch wir, Vater und ich, uns zu oft trennen mussten, zumal wir ja auch nach wie vor zuweilen einen Klimawechsel vornehmen und nach Europa reisen mussten. Wir besuchten dabei abwechselnd meine Großmutter, aber als ich vor vier Jahren wieder nach Holland kam, lebte sie nicht mehr. Meine Mutter war zum Glück bei ihr, als sie starb. Aber als meine Mutter von jener Europareise zurückkam, begann sie zu kränkeln – und starb bald darauf. Inzwischen hatte mein Vater einen Käufer für unsere Besitzungen in Sumatra gefunden, und nun hielt ihn dort nichts mehr. So siedelten wir zwei nach Ceylon über, wo wir beide reichlich genug zu tun haben mit der Bewirtschaftung unserer Besitzung, die immer größer wurde.«
So berichtete Mijnheer Werkmeester in ruhiger, sachlicher Art. Zu seinem eigenen Erstaunen war er so ausführlich geworden, er, der sonst so zurückhaltend war. Aber unter Waltrauts teilnehmenden Augen kam ihm das alles leicht über die Lippen.
»Und in Ihrer Abwesenheit ist nun Ihr Herr Vater ganz allein?«
»Leider! Ich lasse ihn nicht gern allein, denn er hat eine große Neigung zur Schwermut, die mir Sorge macht.«
»Sicher seit dem Tode Ihrer Mutter?«
»Etwas sehr ernst und schwermütig ist mein Vater eigentlich immer gewesen, aber seit dem Tode meiner Mutter ist das noch schlimmer geworden. Ich ließ ihn, wie gesagt, nicht gern allein, aber er drang darauf, dass ich den nötigen Klimawechsel vornahm. Zu gleicher Zeit können wir nicht gut fort. So musste ich allein reisen. In zwei Jahren ist mein Vater dann wieder an der Reihe. Wenn wir ja auch in Ceylon, da unsere Besitzung, genau wie Saorda, in den Bergen liegt, ein außerordentlich günstiges Klima haben, so muss man doch von Zeit zu Zeit etwas für seine Gesundheit tun, um leistungsfähig und frisch zu bleiben.«
»Also Saorda liegt wirklich sehr günstig?«, fragte der Justizrat.
»Unbedingt.«
»Das freut mich, ich habe geglaubt, dass meine Tochter uns das nur geschrieben hat, um uns zu beruhigen«, sagte der Justizrat aufatmend.
»Nein, nein, Sie können ganz unbesorgt sein. Im Übrigen werden Schlüters nächstes Jahr wieder zur Erholung nach Deutschland gehen.«
»So ist es ausgemacht.«
»Und Sie, mein Fräulein, werden auf Ceylon bleiben, bis Sie in Schlüters Begleitung zurückreisen können?«
»Ja, so haben wir es geplant.«
»Ich freue mich sehr, dass unser kleiner Kreis einen so interessanten Zuwachs bekommt«, sagte Jan Werkmeester mit seinem angenehmen Lächeln. Waltraut sah ihn mit einem schelmischen Blick an.
»Wenn Sie mich mit dem interessanten Zuwachs meinen, dann werde ich Sie wohl enttäuschen müssen.«
»Oh, das können Sie selbst wohl am wenigsten beurteilen. Wenn man in so großer Abgeschiedenheit lebt wie wir, dann ist jeder Gast ein großer Gewinn – Sie aber werden ein Haupttreffer sein.«
Waltraut wandte sich jetzt an Mijnheer Boon.
»Leben Sie auch auf Ceylon, Mijnheer Boon?«
»Nein, ich lebe auf Sumatra«, erwiderte dieser in etwas unbeholfenem Deutsch.
»Mijnheer Boon war auf Sumatra unser Nachbar, und so sind wir gute Freunde geworden. Zufällig trafen wir auf der Europareise zusammen, haben zusammen im bayrischen Hochgebirge Hochtouren gemacht und haben nun auch gemeinsam die Rückreise angetreten. Leider beherrscht Mijnheer Boon die deutsche Sprache nur sehr mangelhaft, und wenn Sie sich mit ihm unterhalten wollen, biete ich meine Dienste als Dolmetscher an«, sagte Jan Werkmeester.
Er wurde nun gleich in scherzhafter Weise als Dolmetscher verpflichtet, und so kam eine sehr heitere Stimmung auf. Herr Döring unterstützte diese mit seinen lustigen Einfällen, und der Justizrat blieb nicht hinter ihm zurück. Der alte Herr war noch sehr gern fröhlich in Gesellschaft junger Menschen.
Man blieb zusammen, bis es Zeit war, sich zur Abendtafel umzukleiden, und trennte sich mit Bedauern. Als Jan Werkmeester sich von Waltraut verabschiedete, sagte er bittend:
»Ich hoffe, dass Sie uns öfter die Ehre Ihrer Gesellschaft schenken, denn wir haben noch eine lange gemeinsame Reise und wollen doch schon als recht gute Freunde bei unsern gemeinsamen Freunden eintreffen.«
Sie sah ihn unsicher an und verschanzte sich dann wieder hinter einem Scherz.
»Wir werden uns kaum weit aus dem Wege gehen können, Mijnheer Werkmeester, auch wenn wir es wollten.«
»Aber wir wollen es doch nicht? Sagen Sie mir, dass Sie es nicht wollen«, bat er dringend.
»Nein, wir wollen es nicht«, erwiderte sie scherzend.