Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 9
Sechstes Kapitel
ОглавлениеDie Sonne ging schon unter, als Schlüters mit ihren Gästen in Saorda ankamen. Immer höher in die Berge hinauf war das Auto von Kandy aus gefahren durch eine bezaubernde Tropenlandschaft. Und nun fuhr der Wagen vor dem reizenden, sehr geräumigen Bungalow vor. Er stand auf dem höchsten Punkt von Harry Schlüters Besitzung, die dieser von einem Onkel geerbt hatte, der in jungen Jahren ausgewandert war. Sie war nun für ihn und seine junge Frau eine Heimat geworden. Harry Schlüter hatte nicht genug Vermögen gehabt, um bald an eine Heirat mit Dora Heinze denken zu können, da sie auch kein nennenswertes Vermögen zu erwarten hatte. So hatten die jungen Leute es als ein Glück gepriesen, dass ihnen diese Erbschaft eine schnelle Heirat gestattete, allerdings auch eine Trennung von der Heimat brachte.
Von diesem Berg hinab konnte man in ein weites Tal schauen. An einem besonders schönen Aussichtspunkt hatte der Wagen vorhin eine Weile gehalten. Ein weites fruchtbares Tal, in dem sich Reisfelder mit Teeplantagen ausbreiteten, lag vor ihnen. Im Norden wurde dies weite Tal wieder von einem Berg begrenzt. Seine Mitte durchzog ein Fluss, an dessen beiden Ufern zwei Eingeborenendörfer mit ihren seltsamen, mit Palmenblättern bedeckten Hütten lagen. »Mit einem guten Fernglas können Sie da drüben auf dem Berge den Bungalow von Mijnheer Werkmeester liegen sehen. Das ganze vor Ihnen liegende Tal gehört zur Hälfte zu Saorda, zur anderen Hälfte zu Larina. Larina ist noch bedeutend größer als Saorda. Die Grenze wird durch den Fluss gebildet, und die beiden Dörfer dort unten heißen Larina und Saorda, wie unsere Besitzungen. In den Dörfern wohnen unsere Arbeiter«, hatte Harry Schlüter zu Waltraut gesagt.
Ihre Augen waren zu jenem Berge hinübergeflogen, der von den letzten Sonnenstrahlen hell beleuchtet wurde. Sie mühte sich, den Werkmeester’schen Bungalow mit bloßen Augen zu entdecken, aber das war nicht möglich, weil er zum großen Teil durch die Vegetation verdeckt wurde.
Also da drüben wohnte Jan Werkmeester. Ihr war etwas beklommen gewesen, seit er sie verlassen hatte, nun atmete sie auf – sie konnte doch wenigstens zu seinem Hause hinübersehen. Ein gutes Fernglas würde wohl im Schlüter’schen Hause zu haben sein.
Und nun hielt das Auto vor dem Bungalow, der wie ein Märchentraum in einer bezaubernden Pracht von herrlich blühenden Blumen lag, die um diese Stunde besonders stark dufteten. Ein wundervoller Duft, der mit nichts zu vergleichen war.
Der Bungalow erhob sich auf einem etwa zwei Meter hohen Steinfundament. Eine breite Treppe führte zu der sehr geräumigen Veranda hinauf, die sich um das ganze Haus herumzog und deren Überdachung von bunt bemalten Holzsäulen getragen wurde. Hinter dieser Veranda lagen die Wohnräume. Der Bungalow hatte nur dieses eine Stockwerk, besaß aber eine große Ausdehnung und viele luftige Zimmer. Durch einen breiten Flur, zu dessen Eingang die Treppe hinführte, kam man in eine große Diele, von der aus nach allen Zimmern Türen führten. Auch von außen, von der Veranda aus, führten Türen in jedes Zimmer, die nur nachts mit Rolljalousien abgeschlossen wurden. Die Türen zu der Diele waren nur durch buntbestickte Vorhänge abgeschlossen. Nur die Schlaf- und Badezimmer waren mit festen, verschließbaren Türen versehen.
Ein Stück abseits von dem Bungalow lag noch ein Gebäude, in dem die zahlreiche Dienerschaft untergebracht war, sowie die Garage und die Stallungen.
Alle Fußböden des Bungalows waren mit Kokosmatten, mit reizenden, wenn auch naiven Mustern ausgelegt, die von den Eingeborenen selbst gewebt waren. Überall sah man auch bunte Korbgeflechte, ebenfalls Erzeugnisse der Eingeborenen, wie auch die vielen, bunten Stickereien, mit denen die Zimmer geschmückt waren.
Auf der Veranda standen mehrere Gruppen von leichten Bambusmöbeln. Die Zimmer selbst waren sehr hell und luftig gehalten, hatten nur leichte Möbel und viel eingebaute Schränke und Bänke, Letztere mit bunten Kissen belegt. Verschiedene der eingebauten Schränke waren nur mit Vorhängen abgeschlossen. Viele Kissen und buntbestickte Decken gaben den Räumen ein malerisches Aussehen. Auch die leichten Vorhänge an den Fenstern waren mit hübschen Stickereien verziert. Alles in allem stellte dieser Bungalow ein sehr behagliches und schönes Heim dar.
Waltraut stieß immer wieder Rufe des Entzückens in dieser fremdartigen, farbenfrohen Umgebung aus. Sie lachte über die vielen Diener und Dienerinnen, die ihnen entgegenkamen. Die männlichen Diener trugen weiße Leinenanzüge, und die Dienerinnen hatten sich alle nur in den landesüblichen Sarong und die leichte Kabaja gehüllt, die über den Sarong wie eine weite, offenstehende Jacke getragen wurde. Bei einigen fehlte auch die Kabaja, sie zeigten ihre schöngeformten Schultern und Arme unbedeckt. »Mein Gott, Dora, was habt ihr für eine Menge Dienstboten!«, rief Waltraut überrascht aus.
Dora lachte.
»Es sind trotzdem nicht zu viele, denn du musst bedenken, dass hier die Leute nicht so leistungsfähig sind wie bei uns zu Hause. Dafür sind sie aber auch bedeutend anspruchsloser. Aber verwechsle nur ja nicht ihre Obliegenheiten. Du darfst von der Badebedienung nicht verlangen, dass sie deine Stiefel putzt oder von Khitmatgars, die nur bei Tisch bedienen, dass sie ein Zimmer in Ordnung halten sollen. Auch darfst du von den Ankleiderinnen nicht verlangen, dass sie bei Tisch servieren sollen, sie würden solche Zumutungen mit Entrüstung zurückweisen. Hier hat jeder sein bestimmtes Amt, damit für keinen zu viel Arbeit herauskommt. Aber sie sind alle sehr gutartig und freundlich, mürrische Gesichter wirst du nie sehen. Sie sind zutraulich wie die Kinder, und wenn man sie mit Berechtigung bestraft, nehmen sie es geduldig hin. Nur Unrecht darf man ihnen nicht tun, das vergessen sie nie. Sieh nur, wie sie dich anstaunen, nun, da du deinen Hut abgenommen hast. Sie sehen dein goldenes Haar und staunen darüber, weil es hier selten ist.«
So plauderte Dora, nachdem sich ihr Gatte mit dem Justizrat entfernt hatte, um ihm sein Zimmer anzuweisen.
Dora führte nun auch Waltraut zu ihrem Zimmer. Es war ein heller, luftiger Raum mit weißen Möbeln und einem Bett aus blank geputztem Messing, mit bunten Behängen und Decken. Spitzenbesetzte Kissen erinnerten an europäischen Komfort.
»Das sieht ja ganz europäisch aus, Dora«, sagte Waltraut erstaunt.
»Nun ja, so ganz aus der Welt liegen wir ja nicht, ich hoffe, dass du dich behaglich fühlen wirst. Und nun will ich dir erst einmal deine Dienerinnen vorstellen. Dies ist Naomi, deine Ankleiderin, dies ist Mirja, die dein Zimmer in Ordnung halten, und dies ist Carida, die dich beim Baden bedienen wird.«
Waltraut nickte den zierlichen Singhalesinnen lächelnd zu. Sie sahen sie mit ihren sanften dunklen Augen freundlich an.
»Verständigen werde ich mich wohl vorläufig nicht mit ihnen können«, sagte Waltraut lächelnd.
»Oh, was denkst du, Waltraut! Du sprichst doch sehr gut englisch.«
»Allerdings!«
»Nun also, deine Dienerinnen sprechen ebenfalls ein geläufiges Englisch, ich habe sie dir deshalb ausgesucht.«
Waltraut küsste die Freundin.
»Das ist ja wahrhaft fürstlich, Dora, drei Dienerinnen ganz für mich allein, und auch noch solche, mit denen ich mich verständigen kann.«
»Nun, mit etwas müssen wir dir doch imponieren. Aber jetzt übergebe ich dich Carida, die dich zum Baden geleiten wird. Gib Naomi und Mirja deine Kofferschlüssel, sie werden inzwischen auspacken. Naomi hilft dir dann beim Ankleiden. In einer Stunde speisen wir zu Abend. Bis dahin auf Wiedersehen, mich verlangt nach der langen Fahrt auch nach einem Bade. Ach, Waltraut, wie glücklich bin ich, dass ich dich und Vater hier habe.«
Und Dora küsste und umarmte die Freundin noch einmal herzlich.
Dann war Waltraut mit ihren Dienerinnen allein. Zu ihrer Freude konnte sie sich wirklich tadellos mit ihnen verständigen. Carida führte sie in ein dicht neben ihrem Schlafzimmer gelegenes Badezimmer. Es war ein kleiner Raum mit zementiertem Fußboden, der sich etwas nach innen senkte und in der Mitte einen Abfluss hatte. Man stellte sich auf diesen Fußboden und schöpfte mit einem kleinen Eimer Wasser aus einem großen Behälter, und dies Wasser goss man sich, so oft man wollte, über den Körper, eine in den Tropen übliche Art zu baden, die sehr einfach und erfrischend ist und die man ohne Umstände beliebig oft am Tage wiederholen kann.
So war das Bad schnell genommen. In ihren Bademantel gehüllt, ging Waltraut wieder in ihr Zimmer zurück. Hier waren Mirja und Naomi noch mit Auspacken beschäftigt. Sie betrachteten mit hellem Staunen und munteren Ausrufen Waltrauts elegante Garderobe.
Naomi half Waltraut beim Ankleiden, sie war sehr gewandt und anstellig und ordnete auch Waltrauts Haar sehr geschickt, die anderen Dienerinnen immer wieder auf die goldene Farbe dieses Haars aufmerksam machend.
Als Waltraut dann, in ein duftiges weißes Kleid gehüllt, fertig vor dem großen Spiegel stand, wurde sie mit kindlichem Entzücken von den drei Singhalesinnen angestaunt. Die schlanke Europäerin mit dem goldenen Haar und den tiefblauen Bergseeaugen gefiel ihnen anscheinend sehr gut. Und Waltraut bot auch wirklich ein reizendes Bild.
Mirja und Naomi blieben dann zurück, um Waltrauts Koffer fertig auszupacken und alles in die Schränke zu räumen. Carida begleitete Waltraut in ein Zimmer, wo sie bereits Dora und die beiden Herren ihrer wartend fand. Die Herren trugen weiße Tropenanzüge, und auch Dora hatte ein weißes Kleid angelegt.
Gleich darauf erschien ein Diener und meldete: Khana mez pur! (Es ist angerichtet.)
Der Hausherr reichte Waltraut den Arm, Dora wurde von ihrem Vater geführt.
So gingen sie lachend und plaudernd in das Speisezimmer, den größten Raum des Hauses, mit Ausnahme der Diele. Auch hier war alles in hellen Farben gehalten.
Die Khitmatgars (Tischdiener) walteten eifrig ihres Amtes in ihrer geräuschlosen, freundlichen Art. Ein vorzüglich bereitetes Mahl wurde serviert, dazu ein leichter Wein, den man mit Wasser vermischte. Zum Schluss gab es herrliche große Ananas, in Scheiben geschnitten, und allerlei andere köstliche Früchte.
Nach Tisch saß man im behaglichen Wohnzimmer, und es wurde viel erzählt und gefragt, bis man erst einmal das Wichtigste wusste. Um zehn Uhr ging man zu Bett. Dora brachte Waltraut selbst zu ihrem Schlafzimmer und ließ es sich nicht nehmen, sie mit Naomi zu Bett zu bringen. Dabei wurde natürlich allerlei Scherz getrieben und geplaudert. Dora versicherte wieder und wieder, wie glücklich sie sei, die Freundin bei sich zu sehen.
Waltraut war ganz gerührt von Doras Freude, aber sie wurde ein heimlich quälendes Gefühl nicht los, weil sie der Freundin verschweigen musste, dass sie mit Rudolf verlobt sei und dass es nur diesem Umstand zu danken war, dass Waltraut von ihrem Vater den langen Urlaub bewilligt bekommen hatte. Aber, wenn es auch nicht der Wunsch ihres Vaters gewesen wäre, sie hätte es doch vielleicht nicht über die Lippen gebracht, denn sie hatte das Gefühl, als müsse sie sich schämen, in diese Verlobung eingewilligt zu haben.
Als sie dann allein war und mit offenen Augen in das Dunkel starrte, überkam sie ein nie zuvor gekanntes Gefühl, ein intensives Sehnen nach einem Menschen, der ihr doch vor Wochen noch ganz fremd gewesen war und der in diesen kurzen Wochen einen so gewichtigen Platz in ihrem Leben eingenommen hatte – nach Jan Werkmeester.
Sie konnte lange nicht einschlafen, nicht nur, weil sie an Jan Werkmeester denken musste, sondern auch, weil so viel Neues auf sie eingestürmt war. All die neuen Eindrücke wirbelten durch ihre Gedanken, aber immer wieder drehte sich alles um eine Person wie ein fester Pol – Jan Werkmeester. Endlich schlief sie ein.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, sah sie sich erst ein wenig fassungslos in der fremden Umgebung um und wusste nicht gleich, wo sie sich befand. Sie hörte auf der Diele huschende Schritte über die Matten gleiten, hörte, dass auf der Veranda leise mit Geschirr geklappert wurde. Da draußen wurde der Frühstückstisch gedeckt. Immer konnte man auf der Veranda irgendwo im Schatten sitzen, da sie sich um das ganze Haus zog.
Mit einem Satz war Waltraut jetzt aus dem Bett und klingelte. Gleich darauf erschien Naomi, zog die Rolljalousien empor und wünschte Waltraut, gut geruht zu haben. Schon erschien nun auch an der Verandatür Doras lachendes Gesicht.
»Guten Morgen, Waltraut, gut geschlafen?«
»Guten Morgen, Dora, ganz vorzüglich. Ich bin sehr erschrocken, dass ich mich verspätet habe. Ich konnte aber gestern Abend nicht gleich einschlafen, weil ich so viel Neues und Schönes gesehen habe. Darüber musste ich lange nachdenken.«
Die Freundinnen umarmten sich.
»Nun schnell ins Bad, Waltraut, da ist Carida schon. Harry will unbedingt heute mit uns frühstücken und hat seine Fahrt in die Plantagen verschoben, zumal ihn Vater begleiten soll. Wir warten also mit dem Frühstück auf dich.«
»Ich beeile mich, Dora!«
In einer halben Stunde trat sie auf die Veranda hinaus, wo das Chota Hazree (erstes Frühstück) schon bereitstand. Naomi kam hinter Waltraut hergelaufen und reichte ihr die kleine Handtasche, in der sie Taschentuch und allerlei Kleinigkeiten mit sich herumtrug.
»Du hast das sicher vergessen, Sahiba!«, sagte sie freundlich.
Waltraut nickte ihr dankend zu. Tief atmete sie die wunderbar würzige Morgenluft ein, die mit dem Duft von Millionen Blumen getränkt war.
»Mein Gott, wie ist es hier wunderbar schön!«, rief sie ganz andächtig, ihre Gastgeber und den Justizrat begrüßend.
»Nicht wahr, Fräulein Waltraut, da braucht man keinen Tempel, um seine Morgenandacht zu verrichten. Ich habe das auch schon getan inmitten dieses herrlichen Blütenmeeres. So etwas gibt es freilich bei uns zu Hause nicht. Zu schade, dass das meine Frau nicht auch sehen kann.«
»Weshalb haben Sie auch Doras Mutter nicht mit auf die Reise genommen, Herr Justizrat?«
Doras Augen wurden gleich wieder feucht.
»Mutterle kann doch nicht, die weite Reise wäre zu anstrengend für sie, und sie muss auch immer einen Arzt in der Nähe haben wegen ihres alten Leidens. Sonst wäre sie sicher mitgekommen«, antwortete Dora statt des Vaters.
Der Justizrat nickte.
»Ja, ja, so ist es! Schweren Herzens musste sie daheimbleiben, aber nach meiner Rückkehr werde ich ihr nun wenigstens alles ausführlich berichten können. Ich habe mir deshalb schon ein Reisetagebuch angelegt, und die Illustrationen dazu müssen Sie mir liefern, Fräulein Waltraut. Ihre sehr hübschen Aufnahmen vom Dampfer und von Colombo und Kandy habe ich mir schon eingeklebt. Nun hoffe ich, dass Sie auch hier noch verschiedene Aufnahmen machen, von denen ich profitieren kann.«
»Daran soll es nicht fehlen, Herr Justizrat. Wie lange werden Sie in Saorda bleiben?«
»Vier Wochen.«
»Oh, nicht länger?«
»Ich wollte mich nur einmal hier umsehen, wie unser Kind aufgehoben ist. Die Reise frisst leider so viel Zeit, und es ist schon viel, dass ich mich ein Vierteljahr zu Hause von meinen Geschäften losreißen konnte. Es wäre nicht möglich gewesen, wenn mich nicht ein befreundeter Rechtsanwalt vertreten würde.«
Harry Schlüter legte seinem Schwiegervater vor, und Dora verwöhnte Waltraut. Die Diener hatte man entlassen.
»Wenn wir dich und Mutter nur für immer hierhaben könnten, lieber Vater«, sagte Dora.
Der Justizrat seufzte ein wenig.
»Daran ist nicht zu denken, Dora. So alte Leute, wie Mutter und mich, soll man nicht mehr aus angestammtem Boden verpflanzen. So gerne wir bei unserem einzigen Kind wären, es kann nicht sein. Wir müssen uns damit begnügen, dass ihr uns alle vier Jahre auf längere Zeit besucht.«
Dora stand auf und fiel dem Vater um den Hals.
»Siehst du, Vaterle, so gern wir Kinder haben möchten, Harry und ich, der Wunsch vergeht mir immer wieder, wenn ich an euch denke, wenn ich mir ausmale, dass meine Kinder mich auch eines Tages so hartherzig verlassen könnten, wie ich euch verlassen habe«, sagte sie reumütig.
Er streichelte sie liebevoll.
»Von Hartherzigkeit kann doch keine Rede sein, Kind. Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen. Was aber kleine Enkelchen anbelangt, wir, Mutter und ich, hätten nichts dagegen einzuwenden. Kleine Kinder könntet ihr doch hier nicht gebrauchen, die müssen doch wohl in einem gemäßigten Klima aufwachsen. Ich glaube, Mutter würde noch einmal jung, wenn sie ein paar Enkelchen aufzuziehen hätte. Das wäre doch ein Ersatz für dich.«
Dora lehnte ihre Wange an die seine.
»Nein, nein, Vaterle, es ist schon besser, wenn wir vorläufig keine Kinder bekommen, ich – ich brächte es nicht übers Herz, mich von ihnen zu trennen. Und von Harry mag ich mich auch nicht trennen.«
Harry zog seine Frau in die Arme.
»Tapfer sein, Kleines! Kommt Zeit, kommt Rat. Für ewig wollen wir ja nicht hierbleiben. Jetzt setze dich wieder und frühstücke ordentlich, damit du bei Kräften bleibst. Fräulein Waltraut scheint auch schon vor Schreck der Appetit vergangen zu sein.«
Die beiden Herren gaben nun acht, dass die Damen ordentlich zulangten. Dann verabschiedeten sie sich, um hinunter zu den Plantagen zu fahren.
Dora und Waltraut setzten ihre Schutzhüte auf und gingen durch den Garten zu dem hübschen, luftigen Pavillon hinüber, von dem aus sie das ganze Tal überblicken konnten. Dora nahm ein Fernglas mit. Beim Durchschreiten des Gartens fragte Waltraut ein wenig zaghaft:
»Sag mir doch, Dora, ob es hier Schlangen gibt?«
Dora schüttelte lächelnd das Haupt.
»Hier oben haben wir noch keine zu Gesicht bekommen, Waltraut, unten im Tal haben wir mal eine mit dem Auto totgefahren. Sonst sah ich noch keine. Du brauchst keine Angst zu haben, die Schlangen weichen den Menschen aus, wo sie nur können.«
»Darüber bin ich sehr froh, Dora, Schlangen sind das Einzige, wovor ich mich fürchte, ich glaube, ich hätte eher Mut, einem Löwen oder einem Tiger gegenüberzutreten als einer Schlange.«
Hell lachte Dora auf.
»Nun, es ist jedenfalls besser, wenn du nicht vor die Wahl gestellt wirst, und zu deiner Beruhigung kann ich dir sagen, dass es hier in unserer Gegend weder Schlangen noch Löwen und Tiger gibt. Harry hat voriges Jahr einen prachtvollen schwarzen Panther erlegt, der sich in der Nähe des Dorfes unten bemerkbar gemacht und Vieh gestohlen hatte. Das ist, außer einigen Elefanten, das einzige wilde Tier gewesen, das sich hier bei uns gezeigt hat. Die Elefanten waren übrigens schon gezähmt. Wir haben unten in den Plantagen auch eine Anzahl und darunter einen, der sehr drollig ist und schon immer auf mein Kommen wartet, weil er dann irgendeine Leckerei erhält. Bist du nun zufrieden?«
»Sehr!«
Sie waren inzwischen bei dem Pavillon angelangt.
»Siehst du, Waltraut, hier sitze ich den größten Teil des Tages, ganz allein, und habe immer dies Fernglas bei mir. Mittels seiner Hilfe kann ich Harry auf all seinen Fahrten begleiten. Er hat mir den Pavillon an dieser Stelle errichten lassen, weil ich von hier aus die beste Aussicht ins Tal habe«, sagte Dora, während sie sich in die bequemen Bambussessel niederließen. »Hier ist es auch sehr schattig und luftig.«
Waltraut sah die Freundin lächelnd an.
»Dein Mann scheint alles zu tun, was er dir nur von den Augen absehen kann – er hat dich sehr lieb.«
Verträumt blickte Dora vor sich hin.
»Das beruht auf Gegenseitigkeit. Und meines Mannes Liebe entschädigt mich für vieles, er lebt in ständiger Sorge, dass mich das Heimweh übermannen und dass ich ihn eines Tages alleinlassen könne.«
»Daran ist doch gar nicht zu denken, Dora.«
»Nein, nein! Du wirst es auch eines Tages empfinden, wie stark das Gefühl ist, das uns Frauen an den Mann bindet, den wir lieben. Oder hast du vielleicht inzwischen dein Herz schon verschenkt? Aber nein, nein, dann wärst du keinesfalls auf so lange Zeit zu mir gekommen.«
Waltraut war froh, dass Dora sich selber Antwort auf ihre Frage gab. Es hatte in ihrem Herzen schreckhaft aufgezuckt, als Dora diese Frage an sich richtete.
Am liebsten hätte sie der Freundin alles gebeichtet, was ihr Herz bedrückte, wie sie dazu gekommen war, sich mit Rudolf zu verloben, und wie ihr nun schon klar geworden war, dass dieser Verlobung nie eine Ehe folgen dürfe. Ja, das war Waltraut klar geworden in diesem wochenlangen Zusammensein mit Jan Werkmeester, dass sie Rudolf um keinen Preis würde heiraten können. Sie hätte es vielleicht eines Tages gekonnt, wenn sie Jan Werkmeester nicht kennengelernt hätte, aber nun war es ganz unmöglich. Warum? Darauf gab sie sich keine Antwort, sie wagte nicht einmal, sich diese Frage zu stellen.
Während sie mit der Freundin plauderte, nahm sie wie spielend das Fernglas in die Hand, das Dora vor sich hingelegt hatte, und hielt es vor die Augen. Sie suchte damit den gegenüberliegenden Berg, und als sie es richtig eingestellt hatte, sah sie ganz deutlich da drüben unter hochstämmigen Palmen und Teakbäumen den Werkmeester’schen Bungalow stehen, der dem Schlüterschen sehr ähnlich war.
»Da drüben also liegt Larina, Dora?«
Die sah sie ein wenig forschend an.
»Ja, Waltraut, du wirst den Bungalow durch das Glas ganz deutlich erkennen.«
»Ich sehe ihn schon, er scheint dem euren sehr zu gleichen.«
»Man baut hier alle Bungalows so ähnlich. Der Werkmeester’sche ist fast zur selben Zeit gebaut wie der unsere. Als Mijnheer Werkmeester noch nicht fest auf Ceylon lebte und nur zuweilen von Sumatra herüberkam, da genügte ihm zu kurzem Aufenthalt ein kleinerer Bungalow, der schon lange da drüben auf dem Berge stand. Jetzt, seit er mit seinem Sohne hier lebt, hat er sich einen größeren Bungalow bauen lassen. Der Alte wird aber auch instand gehalten. In ihm will Jans Vater einmal wieder wohnen, wenn sein Sohn sich verheiraten sollte.«
Waltraut war ein wenig blass geworden.
»Ihr haltet gute Freundschaft mit Vater und Sohn«, sagte sie ablenkend.
»Hauptsächlich mit dem Sohne. Der Vater ist ein wenig Sonderling, ein schwerblütiger, fast melancholischer Mensch. Seit dem Tode seiner Frau ist das, wie Jan uns sagte, bedeutend schlimmer geworden. Weißt du, Waltraut, er macht mir den Eindruck, als trüge er eine schwere Last im Herzen mit sich herum, von der er keinem Menschen etwas sagen will, auch seinem Sohne nicht.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß es nicht. Man hat dergleichen manchmal im Gefühl. Du wirst ihn ja auch kennenlernen, wenn er auch nicht häufig bei uns zu Gast ist. Dann wirst du verstehen, wie ich auf einen solchen Gedanken kommen konnte. Er ist zu düster und zu ernst. Trotzdem ist er ein interessanter alter Herr, und ich mag ihn gern und gäbe etwas darum, könnte ich ihn von seiner Schwermut heilen.«
»Sein Sohn hat aber nichts von dieser Schwermut geerbt.«
Dora lachte hell auf.
»Jan? Nein, gottlob nicht. Er ist ein lebensfrischer, fröhlicher Mensch und immer zu allerlei Späßen aufgelegt.«
»Kann er seinen Vater nicht damit beeinflussen?«
»Oh, das tut er schon, sonst wäre es sicher noch schlimmer mit ihm. Liebte er seinen Sohn nicht so sehr, wäre er zweifelsohne ein ganz menschenscheuer Einsiedler geworden.«
»Der junge Mijnheer Werkmeester ist sicher sehr froh, dass er euch in der Nähe hat.«
»Gewiss, ebenso wie wir froh sind, ihn zu haben. Wir sind sehr viel zusammen, und er hat uns sehr gefehlt, während er in Europa war. Neben Harry verdanke ich es am meisten ihm, wenn ich nicht vor Heimweh krank geworden bin.«
Und Dora erzählte von verschiedenen übermütigen Späßen, die Jan mit ihrem Gatten getrieben hatte, um sie aufzuheitern. Waltraut musste darüber lachen.
»Wie ich schon sagte, ich kann mir gar nicht denken, dass er so übermütig sein kann.«
»Von der Seite wirst du ihn schon noch kennenlernen.«
»Weshalb ist er eigentlich noch nicht verheiratet?«, fragte Waltraut ein wenig zaghaft.
Dora zuckte lächelnd die Achseln.
»Er hat eben die Rechte noch nicht gefunden. Ich habe ihm schon weidlich damit zugesetzt, aber er behauptet, ohne eine große, ganz große Liebe werde er nicht heiraten. Diesmal war er mit dem festen Vorsatz nach Europa gereist, sich gründlich zu verlieben und sich eine Frau mitzubringen, aber du hörtest ja, als ich danach fragte, dass er wieder nicht die Rechte gefunden hat. Weißt du, Waltraut, ich glaube, du wärst die passende Frau für ihn.«
Dunkle Röte schoss in Waltrauts Gesicht und verriet der klugen Dora eine ganze Menge.
»Ich?!«, rief Waltraut erschrocken.
In Dora regte sich der in allen glücklichen Frauen schlummernde Trieb, auch andere glücklich zu machen. Es fiel ihr eine kleine Episode ein, die sie nun schnell Waltraut erzählen musste.
»Ja, du! Das wäre doch wunderschön, wenn du hierbleiben würdest.«
»Aber, Dora, wie kommst du nur darauf?«
»Das will ich dir sagen. Jan hat doch dein Bild bei mir gesehen und hat es immer wieder lange angeschaut. Kreuz und quer hat er mich nach dir ausgefragt, und immer wieder erkundigte er sich, wenn ich Post von dir erhielt, ob du nicht kommen würdest. Und einmal, als ich ihn scherzhaft bedrängte, er möge doch heiraten, damit ich auch einen weiblichen Umgang hätte, sagte er mir, mich mit seinen lachenden Augen anblitzend: ›Auf der Stelle würde ich Ihre Freundin heiraten, dann hätte ich eine Frau und Sie den gewünschten Umgang. Also verschaffen Sie mir Ihre Freundin zur Frau!‹«
Waltrauts Gesicht wurde zu Doras heimlichem Vergnügen noch viel röter. Aber sie sagte so ruhig sie konnte:
»Er scheint wirklich sehr übermütig zu sein.«
Dora stellte sich ganz unbefangen.
»Natürlich war es nur ein Scherz, Waltraut. Und Gott sei Dank, dass er übermütig ist, das braucht er so nötig als Ausgleich zu seines Vaters Schwermut, damit er sich von dem ja nicht anstecken lässt. Aber bei allem Übermut, in dem so viel überschüssige Kraft steckt, ist er doch ein sehr tiefgründiger und wertvoller Mensch von vornehmer Gesinnung, und die Frau, die er mal heimführen wird, kann sich glücklich preisen.«
»Das glaube ich dir ohne Weiteres, Dora, denn ein wenig habe ich ihn doch auch schon kennengelernt. Wir waren doch an Bord täglich, ja stündlich zusammen.«
»Es war wirklich ein hübscher Zufall, dass ihr zusammengetroffen seid, nicht wahr?«
»Ganz gewiss, ich war diesem Zufall sehr dankbar, denn ich konnte von ihm schon auf der Fahrt so viel von Saorda und von Ceylon im Allgemeinen erfahren. Und außerdem, seit wir den Dampfer verlassen haben, war er uns ein unschätzbarer Helfer. Er hat sich unser so fürsorglich angenommen, dass wir ihm viele Annehmlichkeiten zu verdanken haben.«
»Ja, er ist ein lieber, prachtvoller Mensch, und ihr müsst unbedingt sehr gute Freunde werden.«
»Das sind wir schon, Dora.«
»Oh, noch lange nicht genug. Aber bitte, gib mir doch einmal das Fernglas, ich will mal sehen, wo Vater und Harry sich befinden.«
Waltraut reichte ihr das Glas.
»Glaubst du wirklich, sie damit zu finden?«
»Ganz bestimmt! Was meinst du, was ich für Übung darin habe. Und ich weiß doch genau, welchen Weg Harry fährt. Wie oft habe ich ihn auf diese Weise begleitet. An einer bestimmten Stelle winkt Harry dann immer mit einem großen Taschentuch, das heißt: Ich denke an dich.«
Waltraut sah die Freundin fast neidisch an. Wie schön musste es sein, so zu lieben – und so geliebt zu werden.
Dora suchte nun im Tal mit dem Fernglas das Auto zu entdecken. Das dauerte gar nicht lange.
»Da sieh, zwischen diese beiden Palmenstämmen hindurch musst du das Glas halten – so –, ein wenig mehr nach rechts. Du siehst eine helle, durch das Grün schimmernde Straße, siehst du den kleinen Palmenhain?«
»Ja, ja, den habe ich jetzt im Glas!«
»Nun gib acht, jetzt ein wenig weiter nach links, da siehst du, wie die Straße wieder aus dem Palmenhain herausführt, hast du die Stelle?«
»Ja, ich sehe genau, wie die Straße weiterführt.«
»Nun verfolge die Straße ein Stück, bis eine andere Straße sie kreuzt.«
»Richtig, ich habe den Kreuzungspunkt.«
»Gut, nun halte das Glas auf diesen Kreuzungspunkt gerichtet. Gleich wird das Auto dort entlangfahren, und dann wirst du Harrys weißes Tuch flattern sehen.«
Waltraut sah angestrengt nach der bezeichneten Stelle und gleich darauf rief sie lebhaft:
»Ja, jetzt kommt das Auto! Ah, wahrhaftig, jetzt flattert ein weißes Tuch! Aber nun sind sie schon vorüber.«
Sie ließ das Glas sinken und sah Dora lachend in die leuchtenden Augen.
»Du, Dora, jetzt weiß ich doch, wozu solch ein Fernglas gut ist.«
Dora lachte.
»Was meinst du, wie oft es mich in meiner Einsamkeit getröstet hat.«
Waltraut seufzte ein wenig.
»Trotz allem bist du doch beneidenswert, Dora.«
»Ich weiß es, Waltraut, und wünsche dir, dass du auch einmal in deiner künftigen Ehe so glücklich wirst.«
Waltraut wurde ein wenig blass und sah mit großen Augen vor sich hin, aber dann begann sie schnell von anderen Dingen zu plaudern.
Der Gesprächsstoff ging ihnen nicht aus, sie hatten sich so viel zu erzählen. Aber dabei dachte Waltraut immer wieder, wie in einem Zwange: Nein – nein, ich kann Rudolf nicht heiraten, ich kann nicht.
Jan Werkmeester war nach Larina weitergefahren, und als er sein Ziel erreicht hatte, wurde er von seinem Vater herzlich empfangen. Nachdem sich Jan erfrischt hatte, saßen sich die beiden Herren beim Abendessen gegenüber.
Mijnheer Hendrik Werkmeester war ein großer, stattlicher Mann. Jan hatte seine Figur geerbt, wenn der Vater auch etwas stärker war als er. Das ebenfalls tiefgebräunte Gesicht war von dichtem weißen Haar umgeben. Er mochte in der zweiten Hälfte der Sechzig stehen, war aber noch sehr rüstig und kräftig. Er hatte seinen Körper noch in der Gewalt wie ein junger Mann. Aber das Leben hatte tiefe Falten in sein Gesicht gegraben, und dadurch war es sehr charakteristisch geworden.
Hendrik Werkmeester hatte dieselben grauen, von dunklen Brauen und Wimpern umrahmten Augen wie sein Sohn, sie leuchteten auch so überraschend hell aus dem braunen Gesicht. Aber sie blickten nicht so froh und lebensbejahend wie die des Sohnes, sondern in düsterem Ernst wie nach innen gerichtet.
Heute war er etwas lebhafter als sonst, die Freude, seinen Sohn nach langer Trennung wiederzuhaben, war ihm doch anzumerken. Jan erzählte von seinen Reiseeindrücken, und der Vater hörte interessiert zu. Im Laufe des Gesprächs sagte er dann:
»Schlüters erwarteten ja Gäste, die mit demselben Dampfer angekommen sind. Hast du sie gesehen?«
»Ja, Vater, ich bin sogar auf dem Dampfer in enge Berührung mit ihnen gekommen. Der alte Justizrat, Frau Doras Vater, ist ein sehr liebenswerter alter Herr, den du unbedingt kennenlernen musst. Und Frau Doras Freundin ist eine ebenso reizende wie liebenswürdige junge Dame. Um ihnen noch einen Tag Gesellschaft in Kandy zu leisten, habe ich dich einen Tag länger auf meine Heimkehr warten lassen.«
»Schlüter hatte mir das vorausgesagt, ich traf ihn vorgestern am Fluss. So erwartete ich dich also nicht früher. Es freut mich sehr, Jan, dass du so wohl und frisch aussiehst, der Klimawechsel hat dir gutgetan.«
»Ja, Vater, das fühle ich. Und wie immer habe ich gefunden, dass ich mich in Deutschland am wohlsten fühle, es gefällt mir dort besser als in Holland. In Holland fehlen mir die Berge. Ich war mit Justus Boon im bayrischen Hochgebirge. Auch nach Tirol sind wir hinüber auf ein paar Wochen und haben den Großglockner bestiegen. An Schnee und Eis hat es uns nicht gemangelt. Wir haben uns prächtig erholt, fern von aller Tropenhitze. Schade, dass du nicht dabei sein konntest, Vater, so eine Bergtour ist etwas Herrliches.«
Es zuckte seltsam im Gesicht des alten Herrn.
»Du weißt, ich habe nie etwas für Bergtouren übrig gehabt. Ich sehe mir die Berge lieber von unten an«, sagte er rau.
»Dadurch hast du aber das Schönste im Leben versäumt! Das Hochgefühl, wenn man wieder einen Gipfel genommen hat, wenn man alles Erdenleid, alle Erdenschwere tief unter sich lassen kann und dem lieben Gott am nächsten ist – siehst du, Vater, das lässt sich mit nichts anderem vergleichen.«
»Also, Frau Schlüters Vater ist ein angenehmer alter Herr?«, fragte Hendrik Werkmeester schnell ablenkend.
»Ja, Vater, du wirst dich an ihm freuen können. Er ist ja wohl mindestens zehn Jahre jünger als du und vergnügt und betriebsam wie ein ganz Junger. Er wird dich aufheitern. Willst du nicht gleich morgen mit hinüberkommen nach Saorda, um ihn kennenzulernen?«
Der alte Herr zögerte.
»Morgen schon? Du musst mir Zeit lassen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, mit fremden Menschen zusammenzutreffen.«
»Du solltest dich nicht erst lange besinnen. Sonst wird es dir immer schwerer. Wir freuen uns so sehr, dass du in dem Herrn Justizrat eine passende Gesellschaft finden wirst, denn wir Jungen sind dir doch immer zu geräuschvoll. Und der Justizrat wird nicht lange bleiben, kaum einen Monat.«
»Nun ja, vielleicht übermorgen, Jan, übermorgen ist Sonntag, da habe ich mehr Zeit.«
»Gut, Vater, den Sonntag halten wir also fest. Ich melde uns bei Frau Dora zu Tisch an für diesen Tag.«
Hendrik Werkmeester ließ noch eine Flasche Wein bringen. Die Gläser wurden frisch gefüllt.
»Auf deine Heimkehr, Jan!«
»Und auf deine Gesundheit, Vater!«
Sie tranken sich zu, und der alte Herr trank bedächtig den Wein.
»Was ist denn Frau Schlüters Freundin für eine Persönlichkeit, Jan? Ist sie auch so hübsch und so liebenswert wie Frau Dora selbst?«
»Beides noch viel mehr, Vater! Und blond ist sie, weißt du, so ein ganz sattes Goldblond. Augen hat sie wie der Enzian in den Tiroler Bergen. Aber was noch viel mehr ist, sie ist ein gütiges, vornehm denkendes Geschöpf.«
Mit einem forschenden Blick sah der Vater zum Sohne hinüber.
»Das klingt sehr engagiert.«
»Sieh sie nur erst selbst, Vater.«
»Ich dachte, du würdest dir eine Frau mitbringen von drüben.«
»Leider habe ich keine gefunden, die mir so gefallen hätte, dass ich sie hätte heiraten mögen. Wenn ich eine Frau heimführe, muss es schon eine sein, auf die ich mich ganz einstellen kann, denn hier in unserer Abgeschiedenheit muss man schon mindestens so gut übereinstimmen wie Schlüters, sonst wird es unerträglich.«
»Schade! Du bist in dem Alter, wo ein Mann heiraten müsste.«
»Will ich ja auch, Vater. Und wenn ich auch drüben keine fand, auf dem Dampfer fand ich eine, die möchte ich gern zur Frau.«
Überrascht richtete sich der alte Herr auf.
»Auf dem Dampfer?«
»Ja, Vater, Frau Schlüters Freundin – die möchte ich zur Frau.«
Mit einer hastigen Bewegung strich sich der alte Herr das Haar aus der Stirn.
»Die möchtest du zur Frau?«
»Ja, sie ist eine Frau nach meinem Herzen, und ich muss sie mir erringen, wenn ich glücklich werden soll.«
Ein Lächeln, wie es selten auf Hendrik Werkmeesters Gesicht trat, spielte um seinen sonst so fest geschlossenen Mund.
»Mein lieber Jan, dann muss ich freilich spätestens am Sonntag nach Saorda hinüber, um sie mir anzusehen. Aber, wird sie dich auch haben mögen? Wird sie hierbleiben wollen für immer?«
Jan atmete tief auf, und seine Augen blitzten.
»Das muss ich zwingen, Vater – und ich glaube, ich werde es schaffen. Ihre Augen sind holde Verräter, wenn sie auch sehr stolz und zurückhaltend ist.«
»Das sind die Besten, die Stolzen und Zurückhaltenden, sie sind zuverlässig und treu.«
»So denke ich auch! Und wenn ich glücklich werden soll, muss Waltraut Roland meine Frau werden.«
Der alte Herr saß eine Weile ganz still und ließ sich nicht anmerken, dass soeben etwas stark und drohend an seinem Lebensnerv gerissen hatte. Er war es aber gewohnt, sich zu beherrschen, und sein Sohn ahnte nicht, dass der Vater über etwas tief erschrocken war. Nur seine Gesichtsfarbe war etwas fahler geworden, und aus den Lippen war das Blut gewichen.
»Wie sagst du, heißt die junge Dame?«, fragte er mit etwas unsicherer Stimme.
»Waltraut Roland«, erwiderte Jan unbefangen.
»Und – aus welchem Teil von Deutschland ist sie gebürtig?«
»Sie ist, wie Frau Dora, Hamburgerin.«
Wieder blieb es eine Weile ganz still. Das fiel Jan aber nicht auf, der Vater pflegte oft mitten im Gespräch zu verstummen.
Wie geistesabwesend sog Hendrik Werkmeester an seiner Zigarre, seine Hand, die auf seinem Knie lag, zitterte ein wenig, aber nicht so stark, dass es Jan gemerkt hätte.
»Soso, also aus Hamburg?«, fragte er dann scheinbar harmlos.
»Ja, Vater, sie ist die einzige Tochter des Großkaufmanns Georg Roland, die Firma Roland hat einen guten Klang in der ganzen Welt.«
Hendrik Werkmeester erhob sich etwas unsicher.
»Ich möchte nun zur Ruhe gehen, Jan, gute Nacht!«
Jan war gewohnt, dass der Vater oft so schnell aufbrach, heute berührte es ihn aber mehr als sonst, er hätte gern noch mit dem Vater über Waltraut gesprochen. Aber etwas Auffallendes fand er nicht an seinem schnellen Aufbruch.
»Gute Nacht, lieber Vater. Also Sonntag kommst du mit nach Saorda.«
»Wir werden sehen«, sagte der alte Herr zögernd und verließ das Zimmer. Jan sah ihm betrübt nach. Das seltsame Wesen seines Vaters fiel ihm jetzt wieder sehr beklemmend auf die Seele. In seiner Abwesenheit hatte er das nicht so schwer empfunden.
Seufzend suchte auch er sein Lager auf. Aber ehe er sich niederlegte, suchten seine Augen da drüben auf dem Berge den Schlüter’schen Bungalow, und ein heimlicher Gutenachtgruß flog hinüber zu Waltraut Roland.
Am nächsten Morgen ging Jan, als sei er gar nicht fort gewesen, seinen Geschäften nach, fuhr hinunter in die Plantagen, kontrollierte die Arbeiter und machte einen Besuch im Eingeborenendorf, um einen kranken Arbeiter zu besuchen. Das alles besprach er nach seiner Heimkehr mit dem Vater. Die beiden Herren sprachen dann noch über geschäftliche Fragen, und zuletzt sagte Jan:
»Ich fahre jetzt nach Saorda hinüber, Vater, und melde uns beide für morgen zu Tisch an. Wir fahren morgen dann schon am Vormittag hinüber.«
Sein Vater zog die Stirn zusammen.
»Ich möchte es lieber bis nächsten Sonntag verschieben, Jan.«
Dieser sah ihn betrübt an.
»Ich habe mich so sehr darauf gefreut, dass du mit hinüberkommen wolltest, möchte ich doch gerne von dir hören, wie dir Waltraut Roland gefällt.«
Es zuckte wie schmerzhaft in dem Gesicht des alten Herrn. Dann richtete er sich auf, strich sich über die Stirn und sagte wie zu sich selbst:
»Es ist ja schließlich einerlei, ob früher oder später. Der Himmel hat sie hergesandt. Also ja, ich komme morgen mit. Bestelle Schlüters einen Gruß!«
Mit frohem Gesicht schüttelte Jan ihm die Hand.
»Ich danke dir, Vater, denn ich weiß, dass es ein Opfer für dich ist, mit neuen Menschen zusammenzutreffen. Du wirst es aber sicherlich nicht bereuen.«
Vater und Sohn verabschiedeten sich. Dann blieb Hendrik Werkmeester auf der Veranda stehen, die auch, wie am Schlüterschen Bungalow, das ganze Haus umgab. Er sah seinem Sohne nach, als er im Auto davonfuhr. Jan winkte lachend zurück, und der Vater winkte ihm nach. Dabei sagte der alte Herr gedankenschwer vor sich hin:
»Du weißt es doch nicht, mein Junge, was für ein Opfer ich dir bringe. Aber ich muss es bringen, der Himmel hat’s gefügt – und es gilt dein Glück.«
Lange stand er so und sah zu dem anderen Berge hinüber. Ein grübelnder Ausdruck lag in seinen Augen. Endlich ging er in das Haus zurück und suchte sein Arbeitszimmer auf. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und entnahm einem verschlossenen Fach ein kleines Buch, das er stets sorgsam unter Verschluss hatte. Es war ein Tagebuch, das er seit langen Jahren führte. Auch heute schrieb er in das Buch, länger, als er es seit Jahren getan. Irgendetwas musste ihn stark beschäftigen, das er sich von der Seele schreiben wollte. Als er fertig war, schloss er das Buch sorgsam wieder ein und saß noch eine Weile da, mit grübelndem Blick vor sich hin sehend. Endlich raffte er sich auf und beschäftigte sich nun wieder mit geschäftlichen Dingen. Aber immer wieder sah er dazwischen gedankenschwer vor sich hin.