Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 6

Drittes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Es war am Abend desselben Tages. Villa Roland lag in vornehmer Abgeschlossenheit inmitten eines großen Gartens am Alsterufer. Waltraut stand am Fenster des Wohnzimmers und sah über die Alster hinweg, in Gedanken versunken. Rudolf hatte ihr nach dem Mittagessen gesagt, dass auch seine Bitte von dem Vater abgelehnt worden sei, weil er andere Pläne habe.

»Was mögen das nur für Pläne sein, Rudolf?«, hatte sie gefragt.

»Ich weiß es nicht, aber Vater sagte mir, dass wir das heute Abend erfahren würden, jedenfalls will er mit mir darüber sprechen.«

Waltraut hatte geseufzt.

»Dann zieht ihr euch natürlich wieder gleich nach Tisch in Vaters Arbeitszimmer zurück, und ich bin wieder allein. Und denke dir nur, wie herrlich es gepasst hätte, wenn ich jetzt nach Ceylon gegangen wäre. Ich traf auf dem Heimweg Doras Vater. Er hat sich entschlossen, seiner Tochter einen Besuch zu machen, und reist in circa vier Wochen ab. Er sagte mir, dies sei doch eine gute Gelegenheit für mich, ich könne da unter seinem Schutz und in seiner Begleitung reisen. Und ich könne dann bei Dora bleiben, bis diese im nächsten Spätsommer mit ihrem Gatten nach Deutschland reise, um den notwendigen Klimawechsel vorzunehmen. Also hätte ich auch auf der Rückreise Begleitung.«

Betreten hatte er sie angesehen.

»Gleich so lange möchtest du fort, Waltraut?«

»Nun ja, es wäre fast ein Jahr, Doras Vater reist Anfang Oktober, und sie und ihr Mann kommen nächstes Jahr im September herüber. Aber Vater wäre dann doch die Sorge los, dass ich allein reise.«

»Also ein ganzes Jahr? Weißt du, Waltraut, dass ich fast froh bin, dass der Vater dir diese Erlaubnis nicht gibt? Was sollen wir ein ganzes Jahr ohne dich anfangen?«

Sie zog die Stirn kraus.

»Das haben wir doch schon zur Genüge besprochen. Ihr würdet mich wenig vermissen. Aber Vater will nun einmal nicht. Meinst du vielleicht, dass ihm die Reise zu kostspielig erscheint und er sie mir deshalb verweigert?«

»Das halte ich für ausgeschlossen, da er doch mir ohne Weiteres eine viel kostspieligere Reise gestattet hat.«

»Sonst würde ich sie einfach selbst bezahlen.«

»Ei, bist du Kapitalistin?«, scherzte er.

»Du weißt doch, Rudolf, dass ich von Mutter eigenes Vermögen geerbt habe, über das ich seit meiner Mündigkeit selbst verfügen darf. Ich habe ja bisher noch keinen Gebrauch davon gemacht, würde es aber gern tun, wenn Vater um die Kosten der Reise besorgt wäre.«

»Das ist er nicht, dein Vater ist doch ein reicher Mann.«

Sie zuckte die Achseln.

»Ich suche eben nach einem stichhaltigen Grund für seine Weigerung.«

»Und übersiehst den stichhaltigsten, dass er dich nicht gern so lange entbehren möchte.«

Ehe sie hatte antworten können, war der Vater eingetreten, und sie hatten nicht weitersprechen können.

Und nun stand Waltraut wartend am Fenster. Der Vater und der Bruder mussten jeden Moment nach Hause kommen.

Da sah sie auch schon das Auto vorfahren, das beide brachte.

Wenige Minuten später ging man zu Tisch. Waltraut vertrat die fehlende Hausfrau und dirigierte die Diener, ihre einzige Beschäftigung, wie sie sagte. Und gleich nach dem Abendessen sagte der Vater zu Rudolf:

»Komm mit in mein Arbeitszimmer, ich habe mit dir zu sprechen.«

Waltraut sah Rudolf mit einem Blick an, als wollte sie sagen: Ich habe es doch gewusst. Sie sagte aber nur:

»Dann darf ich mich wohl gleich von euch verabschieden, ich ziehe mich lieber mit meiner Lektüre gleich auf mein Zimmer zurück.«

Der Vater fasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor.

»Ich bitte dich, unten zu warten. Du kannst ja auch im Wohnzimmer lesen. Ich möchte dich später auch noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«

Mit einem fragenden Blick sah sie zu ihm empor, sagte aber gehorsam: »Wie du willst, Vater, ich kann ja unten bleiben. Wenn du mich haben willst, lässt du es mich wohl wissen.«

Er sah sie seltsam an und freute sich an ihrer lieblichen Erscheinung. Sie hatte eine jugendfrische, schlanke Gestalt, schöne dunkelblaue Augen, so klar wie ein Bergsee, feine, reizvolle Züge und wunderschönes Haar von einer Farbe, die sehr selten ist. Es war ein richtiges Goldbraun mit helleren Lichtern, wenn die Sonne oder Kerzenlicht darauf fiel. Sie trug ein mattblaues Abendkleid, das ihren zarten, aber gesunden Teint sehr hob. Unstreitig war Waltraut Roland eine sehr anziehende und anmutige junge Dame.

Das fand auch ihr Pflegebruder, der sich herabbeugte und sie auf die Wange küsste.

»Bis nachher, Waltraut!«

Sie nickte ihm lächelnd zu, und als sie so zusammenstanden, dachte Georg Roland mit einem Gefühl der Befriedigung, wie gut diese beiden jungen Menschen zusammenpassen würden. Rudolfs Gestalt überragte die Waltrauts um ein ganzes Stück, er war eine imponierende, interessante Erscheinung mit seinem festgeprägten Charakterkopf. Und in seinen grauen, guten Augen schien für Georg Roland die Gewähr zu liegen, dass er seiner Tochter Schicksal in gute, treue Hände zu legen bemüht war.

Während sich Waltraut in einen Sessel schmiegte, verließen die beiden Herren das Zimmer. Im Arbeitszimmer des Hausherrn angekommen, ließ sich Georg Roland in einen Sessel gleiten und forderte Rudolf auf, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Erwartungsvoll sah er seinen Pflegevater an, und dieser sagte sich im Stillen, dass er wohl das Seine dazu getan habe, dass Rudolf Werkmeister ein so tüchtiger Mann geworden war, und dass er dazu geschaffen sei, eine Frau glücklich zu machen, wie auch seine Tochter alle Vorzüge hatte, die einen Mann beglücken konnten. Gewissermaßen hatte er ja diese beiden Menschen füreinander erzogen. Es musste doch eine gute Ehe zwischen ihnen geben. Von Jahr zu Jahr hatte sich Georg Roland mehr in diesen Gedanken verbissen. Er erwartete von der Erfüllung seines Gelübdes endlich die völlige Befreiung von seiner eingebildeten Schuld.

Rudolf wartete ein wenig nervös auf das, was ihm der Vater zu sagen haben würde. Aber er fragte nicht, wusste er doch, dass der Vater voreilige Fragen nicht leiden mochte. Endlich begann Georg Roland, seinen Blick voll in den seines Pflegesohnes richtend:

»Ich bin mir bewusst, Rudolf, dass ich dir etwas sehr Außergewöhnliches zu sagen habe – du sollst mir helfen, ein Gelübde zu erfüllen.«

Erstaunt, fast betroffen von dem tiefen Ernst dieser Worte, sah ihn Rudolf an.

»Willst du mir sagen, Vater, was das für ein Gelübde ist?«

»Du sollst es gleich hören. Lass mich nur noch einiges vorausschicken. Du weißt, dass ich deinem Vater versprach, für dich zu sorgen.«

»Ja, du hast es mir oft gesagt, und du hast das in so vollem Umfange getan, dass ich dir nur immer wieder danken kann.«

»Nun wohl, ich sah in dir meinen Sohn und Erben, da ich gar nicht daran dachte, dass ich auch eigene Kinder haben könne. Du weißt, dass mir Waltraut erst nach zehnjähriger Ehe geboren wurde. Und ich muss sagen, dass ich dadurch in all meinen Plänen gestört wurde. Dass ich meiner Tochter das väterliche Erbe nicht entziehen konnte, war selbstverständlich, aber unmöglich erschien es mir, dich darunter leiden zu lassen.«

»Aber, lieber Vater, es ist doch selbstverständlich, dass Waltraut deine uneingeschränkte Erbin wird. Du hast mir eine so gute Erziehung zuteilwerden lassen, dass ich gottlob allezeit imstande sein werde, für mich selbst zu sorgen.«

Der alte Herr nickte ihm liebevoll zu.

»Ich weiß, dass es dir am wenigsten einfallen würde, Waltraut ihr Erbe zu missgönnen. Ich weiß, was für ein uneigennütziger Charakter du bist, und ich weiß auch, dass deine Kenntnisse und Fähigkeiten, deine Tüchtigkeit dir immer durchs Leben helfen könnten, wenn nicht schlimme Umstände eintreten würden.«

Dabei dachte Georg Roland, wie wenig Rudolfs Vater seine Tüchtigkeit und seine Fähigkeiten vor Not und Sorge und vor Schlimmerem bewahrt hatten. Aber das sprach er natürlich nicht aus.

»Was beunruhigt dich also, lieber Vater – ich fühle, dass du unruhig bist.«

»Ich will es dir sagen. Mir ist, als begehe ich ein Unrecht an dir, wenn ich meine Tochter zu meiner alleinigen Erbin einsetze. Das empfand ich schon bei ihrer Geburt – und deshalb legte ich damals ein Gelübde ab. Ich gelobte, dass eines Tages meine Tochter die Gattin des Sohnes meines Freundes Heinrich Werkmeister werden müsse. Das ist es, was ich dir zu sagen habe, mein lieber Rudolf. Ich habe damit gewartet, bis Waltraut das nötige Alter hatte. Sie ist nun einundzwanzig Jahre, das rechte Alter für eine Frau zum Heiraten. Ich habe euch beide in dem Sinne füreinander erzogen und glaube, dass eure Charaktere gut übereinstimmen werden. Ich wende mich zuerst an dich und frage dich, ehe ich mit Waltraut spreche, ob du mir helfen willst, mein Gelübde zu halten. Es ist mein sehnlichster Wunsch, dass du ihr Gatte und zugleich mit ihr mein Erbe wirst und die Firma Roland nach meinem Tode in meinem Sinne weiterführen wirst.«

Rudolf war leise zusammengezuckt und sehr blass geworden. Nur mühsam konnte er seine Ruhe bewahren, was ihm der Vater sagte, kam zu überraschend für ihn. Endlich sagte er mit verhaltener Stimme:

»Lieber Vater, wie sehr mich dein Anerbieten rührt, kann ich dir gar nicht sagen. Ich sehe darin einen erneuten Ausdruck deiner väterlichen Liebe und Güte. Aber du wirst trotzdem verstehen, dass ich momentan fast betroffen bin durch deine Worte. Sie machen mich fassungslos.«

Es zuckte erregt in den Augen des alten Herrn.

»Ich hoffe, dass das nicht etwa heißen soll, dass du dein Herz schon anderweitig vergeben hast«, sagte er beunruhigt.

»Nein, Vater, ich habe offengestanden noch gar nicht an eine Heirat gedacht. Immer habe ich mir gesagt, dass ich von deiner Güte abhängig bin, und wenn du mich auch seit einigen Jahren als deinen Prokuristen auf eine feste Einnahme gestellt hast, so habe ich mir doch immer gesagt, dass ich in deiner Schuld bleibe nach allem, was du für mich getan hast. Du hast mich diese Schuld nie fühlen lassen, hast es mir immer leicht gemacht, die unzähligen Wohltaten von dir zu empfangen, und ich habe mich immer so sehr zu euch gehörig betrachtet, dass ich nie ernstlich daran gedacht habe, mich zu verheiraten und mich so gewissermaßen von euch zu trennen. Denn wenn ich heiraten wollte, könnte ich euch nicht auch noch meine Frau aufbürden. Ich beziehe ein Gehalt von dir, das mich in die Lage versetzt, alle meine Bedürfnisse glänzend zu befriedigen, zumal ich in deinem Hause wohne und verpflegt werde. Aber als wirklichen Besitz kann ich nur mein Gehalt buchen, das ich beziehe. Und wenn ich heiraten würde, müsste dies Gehalt zunächst für zwei und später vielleicht für mehrere reichen. So habe ich mir vernünftig gesagt, wenn ich nicht aus der Sphäre heraus will, in die mich deine Güte gestellt hat, darf ich keine Heiratspläne machen, wenn ich nicht ein Mädchen finde, das so viel Vermögen besitzt, dass sie sich selbst alle Annehmlichkeiten schaffen kann. Wiederum aber war mir der Gedanke, dann nicht für alles, was meine Frau brauchen würde, einstehen zu können, so unbehaglich, ja widerwärtig, dass ich den Gedanken an eine Heirat gar nicht ernstlich erwog. Ich bin deshalb kein Mönch gewesen, Vater, hier und da eine kleine Liaison, wie sie das Leben mit sich bringt, habe ich nicht ausgeschlagen. Aber mein Herz habe ich dabei nie verloren, das waren kleine Emotionen, an denen nur die Sinne beteiligt waren. So – nun habe ich dir auf diese Frage erschöpfend Antwort gegeben.«

Mit einem tiefen Atemzug nickte der alte Herr.

»Also, wenn dein Herz noch frei ist – wie stellst du dich zu meinem Wunsch?«

Rudolf fuhr sich über die Stirn.

»Ich habe von dir schon so viel angenommen, dass ich mich auch gegen diese deine Fürsorge nicht auflehnen würde. Aber ich habe Waltraut nie mit anderen als brüderlichen Augen angesehen. Ich habe sie von ganzem Herzen lieb und kenne all ihre guten Eigenschaften so genau, dass ich weiß, eine bessere, wertvollere Frau könnte ich mir nicht wünschen. Aber wie gesagt, sie ist meine Schwester, nur als solche sah ich sie bisher an. Deine Worte rücken sie mir zum ersten Mal in ein ganz anderes Licht, und das kommt so überraschend, dass ich jetzt nicht weiß, was ich dir antworten soll. Vielleicht, da du dieses Gelübde ablegtest und diesen Wunsch hegtest, hättest du besser getan, wenn du uns nicht so ganz als Bruder und Schwester hättest aufwachsen lassen. Sollte ich deinen Wunsch erfüllen, müsste ich mich erst anders zu ihr einzustellen versuchen, müsste sie erst einmal mit anderen Augen ansehen. Sie ist so lieb und reizend, dass mir das vielleicht nicht einmal schwerfallen dürfte – ich weiß es noch nicht. Und man sagt, dass die Ehen, die nicht aus einer aufflammenden Leidenschaft, sondern in gegenseitiger ruhiger Wertschätzung geschlossen werden, oft am glücklichsten auszufallen pflegen. Ich meine, mir sollte es nicht schwerfallen, Waltraut mit der Zeit auch auf eine andere Art lieb zu gewinnen. Außerdem würde ich gern alles tun, um dir zu helfen, dein Gelübde zu erfüllen. Aber du darfst nicht vergessen, dass ich nicht allein in dieser Frage zu bestimmen habe. Waltraut müsste da unbedingt zuerst gefragt werden. Ein Mann kann sich vielleicht in einer solchen Situation eher umstellen als ein sensitives Mädchen. Und sie ist besonders feinfühlig.«

»Aber sie hat dich doch sehr lieb, schätzt dich sehr hoch ein.«

»Das weiß ich, aber zum Heiraten gehört mehr – oder weniger. So ein junges Mädchenherz ist zarter besaitet, als wir Männer nachfühlen können, und ich möchte nicht um alle Schätze der Welt, dass wir sie beunruhigen und ängstigen. Das könnte ich nicht ertragen, sie darf das Vertrauen zu mir nie verlieren.«

»Wenn aber Waltraut einwilligt – wäre mir dann deine Einwilligung auch sicher?«

Rudolf antwortete nicht gleich. Gewiss, es gab keine Frau auf der Welt, die er lieber hatte und höher einschätzte als Waltraut. Aber diese Liebe war eben von einer ganz anderen Art, als sie in einer Ehe verlangt und gegeben wird. Auch er hatte sich zuweilen ausgemalt, wie es sein würde, wenn er einmal heiraten würde. Und er hatte das in einer ganz leidenschaftslosen, vernünftigen Art erwogen, weil er im Herzen unbeteiligt war. Und weil auch jetzt sein Herz noch nicht vergeben war, erschien es ihm nicht ganz unmöglich, sich Waltraut als seine künftige Frau zu denken. Nur meinte er, es müsse da erst eine peinliche Situation überwunden werden. Aber Waltraut? Er musste jetzt daran denken, dass sie früher, als Kind, manchmal ganz naiv gesagt hatte: »Wenn ich mal groß bin, Rudolf, dann werde ich deine Frau.«

Darüber hatte er gelacht. Jetzt kam es ihm wieder in den Sinn. Er wusste auch, dass Waltrauts Herz noch für keinen Mann gesprochen hatte, sie war mit ihren einundzwanzig Jahren noch ein unbeschriebenes Blatt. Sollte es wirklich möglich sein, dass sie beide eines Tages eine Ehe eingehen würden, dann mussten sie sich freilich erst ganz umstellen. Er kannte Waltraut ganz genau, und sie kannte ihn ebenso. Viel zu gut kannten sie sich, als dass er sich jetzt ausmalen konnte, dass sie je anders als geschwisterlich aneinander denken konnten. Aber vielleicht ging alles besser, als er glaubte, vielleicht fanden sie sich beide in die veränderte Lage. Schließlich wusste er, dass er eine Frau in ihr bekommen würde, um die ihn viele Männer beneiden würden, und er, er würde natürlich alles tun, um Waltraut glücklich und zufrieden zu machen.

Und so sagte er schließlich:

»Wenn Waltraut einwilligen würde, meine Frau zu werden, dann würde mich nichts hindern, deinen Wunsch zu erfüllen, lieber Vater.«

Und seine Dankbarkeit gegen Georg Roland war ein so starkes Gefühl, dass er tatsächlich ohne Murren noch Schwereres auf sich genommen hätte.

Der alte Herr reichte ihm die Hand.

»Ich danke dir, mein Sohn, und nun bitte ich dich, mich allein zu lassen. Ich will Waltraut rufen lassen und auch mit ihr erst einmal allein sprechen. Wenn ich deine Zustimmung nicht erhalten hätte, dann hätte ich mit Waltraut über diese Sache gar nicht gesprochen. Sobald ich mit ihr im Klaren bin, lasse ich dich rufen.«

Rudolf erhob sich und sah den Vater bittend an.

»Eins musst du mir aber versprechen, Vater.«

»Was soll ich versprechen?«

»Dass du keinerlei Zwang auf Waltraut ausüben wirst, ich muss gewiss sein, dass sie ganz freien Herzens darauf eingeht, anders wäre es mir unerträglich.«

»Darauf gebe ich dir mein Wort!«

Rudolf nahm die Hand des alten Herrn. Groß und ernst sah er ihm in die Augen.

»Ich weiß, du willst mir jetzt den größten Beweis deiner Liebe und deines Vertrauens geben, lieber Vater. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen. Mag der Himmel alles zum Besten kehren, damit du nie zu bereuen brauchst, was du für mich getan hast.«

»Nie, niemals werde ich das bereuen«, sagte der alte Herr feierlich.

Rudolf Werkmeister ging mit einem unbeschreiblichen Gefühl hinaus. Es war ihm alles so schnell und überraschend gekommen, und sein einziger Trost in dieser entschieden etwas peinlichen Situation war, dass Waltraut die Entscheidung selbst in den Händen hatte. Er würde sich in alles fügen, um seine Dankbarkeit zu beweisen.

Rudolf Werkmeister war hinausgegangen, und wenige Minuten später stand Waltraut vor ihrem Vater.

»Du hast mich rufen lassen, lieber Vater.«

»Ja, Kind, bitte nimm Platz, ich habe etwas besonders Wichtiges mit dir zu besprechen.«

Etwas beklommen durch seinen feierlichen Ernst ließ sich Waltraut in demselben Sessel nieder, in dem zuvor Rudolf gesessen hatte.

»Was hast du mir zu sagen, lieber Vater?«

Er nahm ihre Hand.

»Hast du schon einmal darüber nachgedacht, Waltraut, dass du nun im heiratsfähigen Alter bist?«

Sie lächelte ein wenig.

»Aber, Vater, daran denkt doch jedes junge Mädchen. Seit Dora verheiratet ist, habe ich natürlich zuweilen darüber nachgedacht.«

»Und hast du dabei an einen bestimmten Mann gedacht?«

Sie lachte unbefangen.

»Nein, Vater, von all den jungen Herren, die mir mehr oder weniger den Hof machten, hat mir keiner so sehr gefallen können, dass ich ihn hätte zum Manne haben mögen. Weißt du, ich glaube, das liegt daran, dass ich sie alle mit Rudolf habe vergleichen müssen – und da schneiden sie selbstverständlich sehr schlecht ab.«

Er atmete auf.

»Also Rudolf gefällt dir von allen jungen Herren, die du kennst, am besten?«

»Aber selbstverständlich, lieber Vater, mit ihm hält doch keiner einem Vergleich stand«, sagte sie ganz harmlos und unbefangen.

Gerade diese Harmlosigkeit hätte dem alten Herrn sagen müssen, dass Waltraut Rudolf mit ganz schwesterlich ruhigem Herzen gegenüberstand, aber er wollte etwas anderes heraushören und streichelte bewegt über ihre Wangen.

»Weißt du, dass mich das sehr froh macht?«

Erstaunt schüttelte sie den Kopf.

»Aber, Vater, es kann dir doch nichts Neues sein, dass Rudolf mir nach dir der liebste Mensch ist?«

»Nein, das ist mir natürlich nichts Neues, aber ich freue mich doch, dass du es mir bestätigst, freue mich um so mehr, da es meinen Wünschen entgegenkommt. Und nun will ich dir auch sagen, was ich für Pläne habe. Du und Rudolf, ihr sollt gemeinsam meine Erben werden, und deshalb ist mein brennender Wunsch, dass ihr beide heiratet.«

Waltraut sah ihn erstaunt an, mehr erstaunt als betroffen.

»Aber, Vater! Heiraten? Rudolf und ich? Das kann doch nicht dein Ernst sein.«

Es zuckte erregt in seinem Gesicht.

»Doch, Kind, es ist mein Ernst, ist es um so mehr, als ich ein Gelübde abgelegt habe, dass meine Tochter die Gattin des Sohnes meines Freundes Heinrich Werkmeister werden soll.«

Und er berichtete ihr, wie er dazu gekommen sei, dies Gelübde abzulegen. Waltraut hörte etwas beklommen zu. Und als sie sich vorstellen wollte, dass Rudolf ihr Mann werden könne, musste sie in ihrer Unerfahrenheit über das Wesen der Ehe ein wenig lachen.

»Das ist doch eine ganz seltsame Idee von dir, Vater.«

»Warum?«, fragte er nervös.

Wieder musste sie ein wenig lachen.

»Weil ich in Rudolf doch immer nur meinen Bruder gesehen habe. Nie wäre mir der Gedanke gekommen, dass er eines Tages mein Gatte sein könne. Als Kind habe ich wohl zuweilen in meinen Spielen Rudolf zu meinem späteren Gatten bestimmt, aber doch nur, solange ich ein dummes Kind war. Im Ernst hätte ich nie daran gedacht.«

»Aber nun, da ich dich auf diese Idee gebracht habe, nun musst du doch zugeben, dass ich einen besseren Gatten als Rudolf nie für dich finden würde, solange ich auch suchte.«

Sie war nun doch ein wenig blass geworden und schlang die Hände ineinander.

»Nein, nein, einen besseren gewiss nicht! Das weiß ich selbst. Nur kann ich nicht fassen, dass Rudolf jemals mein Gatte werden sollte. Wir sind doch wie Geschwister aufgewachsen und haben uns immer nur als solche betrachtet.«

»Ich sehe, dass ich damit einen Fehler beging. Rudolf hat mir das auch schon klargemacht.«

Eine jähe Röte schoss in ihr Gesicht.

»Du hast mit Rudolf schon darüber gesprochen?«

»Ja, ich habe ihm soeben meinen Wunsch unterbreitet.«

»Oh! Und er war sicher ebenso überrascht wie ich. Was hat er denn dazu gesagt?«

Und bei dieser Frage war wieder ein harmloses Lachen in ihrer Stimme.

»Er legt die Entscheidung in deine Hände.«

Überrascht sah sie auf.

»Wie? Er hält das für möglich? Er hätte nichts dagegen einzuwenden?«

»Er will mich nicht hindern, mein Gelübde zu halten, zumal er weiß, dass er in dir eine sehr liebenswerte Frau bekommen wird. Natürlich gibt er auch zu, dass ihm das alles überraschend kommt und dass er sich erst an den Gedanken gewöhnen muss, dich mit anderen Augen zu betrachten. Aber einzuwenden hat er nichts.«

Waltraut strich ein wenig unruhig das Haar aus dem Gesicht.

»Das ist doch so seltsam, Vater! Ich sollte mich plötzlich ganz anders einstellen zu Rudolf, sollte in ihm nicht mehr meinen Bruder sehen, sondern meinen Gatten. Das – das ist so merkwürdig –, ich kann das gar nicht fassen.«

»Du willst mich also zwingen, mein Gelübde zu brechen?«, fragte er traurig.

Schnell fasste sie seine Hand und sah ihn betreten an.

»Wie konntest du nur so ein Gelübde ablegen, Vater?«, entfuhr es ihren Lippen.

Wie ein Stöhnen kam es über seine Lippen.

»Wie ich es konnte? Ich sah doch in Rudolf meinen Sohn, schon lange, ehe du geboren wurdest. Sollte ich ihn enterben, weil ich nun eine Tochter besaß?«

Sie erschrak.

»Nein, nein, das will ich gewiss nicht, dazu habe ich Rudolf viel zu lieb.«

»Siehst du, Kind, du hast ihn lieb, weißt vielleicht selbst nicht, wie lieb du ihn hast. Du sagtest doch vorhin selbst, kein anderer Mann kann in deinen Augen den Vergleich mit ihm aushalten. Also was hindert dich, ihm dein Jawort zu geben?«

Sie zuckte hilflos die Achseln.

»Ja, was hindert mich? Ich weiß es selbst nicht, wohl nur der Umstand, dass ich immer nur meinen Bruder in ihm sah.«

»Sonst nichts?«

»Nein, nein, was sollte mich sonst hindern?«

»Du wirst dich an den Gedanken gewöhnen, in ihm deinen künftigen Gatten zu sehen.«

Waltraut sah sinnend vor sich hin. Sie war noch sehr unerfahren, unerfahrener als andere Mädchen ihres Alters. Sie gehörte nicht zu denen, die ihre Gefühle schon vor der Ehe in kleiner Münze verzetteln. Von der Ehe hatte sie nur unklare Begriffe, und so war es möglich, dass sie sich ganz harmlos fragte, ob es nicht doch ganz gut und richtig sei, wenn sie Rudolf heiratete. Er war doch wirklich ihr liebster Mensch, und sie hatte zu ihm ein so unbedingtes Vertrauen. Immer hatte sie sich ein wenig davor gefürchtet, dass eines Tages ein ganz fremder Mensch in ihr Leben treten könne mit allerlei Forderungen, die ihr unbequem und verdrießlich sein könnten. So wie Harry Schlüter in das Leben ihrer Freundin Dora eingedrungen war und sie aus den freundlichen und friedlichen Verhältnissen ihres Vaterhauses hinaus in eine fremde Welt gerissen hatte.

Wie viel besser würde sie es da haben als Rudolfs Frau, da würde nicht gewaltsam in die freundlichen Gewohnheiten ihres Lebens eingegriffen werden. Es war doch eigentlich töricht von ihr, dass sie vor diesem Gedanken erschrocken war.

Aber freilich, es war doch ein wenig peinlich, wenn sie sich plötzlich so anders zueinander einstellen sollten. Wenn sie wenigstens Zeit gehabt hätten, sich erst an diesen Gedanken zu gewöhnen. Sie seufzte auf.

»Ja, Vater – wenn man sich erst daran gewöhnen könnte! Schließlich kann ich mir wirklich keinen besseren Mann wünschen als Rudolf, aber die Umstellung ist doch gewiss etwas peinlich. Ich weiß nicht, wie sich das fügen soll. Es braucht jedenfalls Zeit.«

»Du sollst Zeit haben, so viel du willst, Waltraut. Wenn du mir nur deine Einwilligung gibst, will ich dir alles so leicht machen, wie es möglich ist.«

Sie sah sinnend vor sich hin.

»Ich möchte dir natürlich helfen, dein Gelübde zu erfüllen, nun, da du es einmal abgelegt hast. Rudolf ist ja so lieb und gut, bei ihm wäre ich wohl geborgen, das sehe ich ein. Aber Zeit müsste ich haben und –«

Er sah sie fragend an.

»Und was?«

»Lass mich nachdenken.«

Sie saß eine Weile in tiefes Sinnen verloren, dann hob sie den Kopf. »Ja, Vater, so könnte es vielleicht gehen. Ich will dir versprechen, Rudolfs Frau zu werden, wenn du mir ein Jahr Zeit lässt. Und dieses Jahr will ich fern von Rudolf verbringen, ohne in dieser Zeit mit ihm zusammenzutreffen oder mit ihm zu korrespondieren. Auch für Rudolf wird das das Beste sein. Wir können in dieser Zeit der Trennung zu vergessen suchen, wie wir bisher zueinander gestanden haben. Er und ich, wir können uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir von jetzt an anders zueinander stehen sollen. Darauf müsste ich bestehen, Vater. So von heute auf morgen mein Verhalten zu Rudolf ändern, das kann ich nicht. Lass mich so lange zu Dora Schlüter nach Ceylon gehen. Wenn ich dann von der Reise zurückkomme, dann werde ich Rudolf mit anderen Empfindungen gegenüberstehen können und er auch mir. Wir können so allem Peinlichen dieser Umstellung aus dem Wege gehen. Nicht wahr, Vater, du siehst ein, dass das sein muss?«

Georg Roland konnte sich den Ausführungen seiner Tochter nicht verschließen. Er musste ihr recht geben.

Waltraut berichtete ihm noch, dass Doras Vater in vier Wochen nach Ceylon reise und sie gern unter seinen Schutz nehmen würde und dass sie dann im September nächsten Jahres mit Schlüters wieder zurückkommen könne.

Ihr Vater war viel zu froh, dass sie in die Verbindung mit Rudolf einwilligte, als dass er ihrem Wunsche, den er unter den gegebenen Umständen berechtigt fand, nicht gern nachgekommen wäre. Er besprach die Angelegenheiten noch von allen Seiten mit ihr, und Waltraut schien sich nun ziemlich leicht in den Gedanken an eine Verlobung mit Rudolf zu finden. Georg Roland ließ also schließlich Rudolf rufen.

Dieser hatte inzwischen Zeit gehabt, sich ein wenig mit dem Gedanken an eine Heirat mit Waltraut vertraut zu machen. Er suchte sich wenigstens einzureden, dass es ihm nicht schwerfallen würde, den Wunsch seines Pflegevaters zu erfüllen. Georg Roland sagte ihm nun, wie Waltraut seinen Vorschlag aufgenommen hatte und was für eine Bedingung sie gestellt hatte.

Rudolf trat zu Waltraut heran und fasste ihre Hände.

»Wir sind beide durch Vaters Wunsch überrascht worden. Waltraut, aber in meinem Herzen besteht kein ernstes Hindernis dagegen. Und ich freue mich, dass auch in deinem Herzen ein solches Hindernis nicht vorhanden ist. So wollen wir Vaters Wunsch erfüllen, damit er sein Gelübde einlösen kann. Aber ich begrüße es trotzdem mit meinem vollen Einverständnis, dass du auf ein Jahr nach Ceylon gehen willst, und denke, dass du damit den richtigen Weg gefunden hast, auf dem wir uns später als Verlobte zusammenfinden können. Auch ich halte jetzt eine Trennung für wichtig und für notwendig. Jedenfalls danke ich dir, dass du dein Schicksal vertrauensvoll in meine Hände legen willst.«

Sie sah mit einem Lächeln zu ihm auf, das ihm verriet, dass sie sich der ganzen Tragweite ihres Entschlusses durchaus nicht bewusst war, und das rührte ihn.

»In keines Mannes Hände vertrauensvoller als in die deinen, Rudolf, das ist doch sicher. Und ich bin froh, dass auch du in diese Trennung willigst, die ich für unbedingt nötig halte, weil wir uns sonst vielleicht in einer gewissen Befangenheit auseinanderleben würden, statt uns auf der veränderten Basis näherzukommen. Wenn ich nach Jahresfrist zurückkomme, wollen wir uns gleichsam als neue Menschen gegenübertreten. Ich bitte dich auch, dass wir uns bis zu meiner Abreise möglichst aus dem Wege gehen.«

»Dazu kann ich am besten helfen«, warf Georg Roland ein. »Rudolf kann morgen schon eine Geschäftsreise antreten, die ihn vom Hause fernhält, bis du abgereist bist.«

Das war den beiden jungen Menschen sehr angenehm. Sie dankten dem Vater für seine Bereitwilligkeit. Dieser war sich selbst darüber klar geworden, dass auf diese Weise sich alles am besten einrenken würde. Man besprach nun ganz ruhig noch allerlei Notwendiges. Die Verlobung des jungen Paares sollte noch geheim gehalten werden bis nach Waltrauts Rückkehr, aber sie war trotzdem in aller Form geschlossen. Die Hochzeit sollte dann vorbereitet werden. Von dieser Hochzeit sprach freilich nur der Vater, Waltraut und Rudolf sahen scheu aneinander vorbei, als das geschah. Und Waltraut verabschiedete sich dann schnell von den beiden Herren. Heute gab ihr Rudolf nicht wie sonst einen brüderlichen Kuss zur guten Nacht, sie vermieden das beide in einer peinlichen Befangenheit. Rudolf beugte sich nur auf Waltrauts Hand und führte sie an seine Lippen.

»So will ich dir schon jetzt glückliche Reise wünschen, Waltraut. Da wir nicht miteinander korrespondieren wollen, werden wir ja durch Vater voneinander hören. Ich hoffe und wünsche, dass du nach Jahresfrist leichten und frohen Herzens zu mir zurückkehren wirst«, sagte er warm und herzlich, mit einer leisen Sorge um sie.

Aber sie sah ihn ganz tapfer an.

»Ich danke dir, Rudolf, und ich wünsche dir auch, dass du nie zu bereuen brauchst, dass du Vaters Wunsch erfüllt hast.«

»Das werde ich sicher niemals tun, ich kann keine bessere und liebere Frau finden als dich.«

»Und ich keinen besseren und zuverlässigeren Mann. Leb wohl, Rudolf, auch dir wünsche ich eine glückliche Reise, wir werden uns am besten morgen gar nicht mehr wiedersehen.«

Er merkte ihr sehr wohl an, dass sie dies Wiedersehen fürchtete, und es tat ihm doch weh, dass das alte, vertraute Verhältnis zwischen ihnen gestört wurde. Aber es war gewiss notwendig, dass sie sich erst fremder werden mussten, um sich näherkommen zu können. Noch einmal zog er ihre Hand an seine Lippen. Ihm war, als müsse er sie schützend in seine Arme nehmen und ihr beruhigend über das Köpfchen streicheln, aber er versagte sich das, um sie nicht zu beunruhigen.

Rudolf blieb bei seinem Pflegevater, um mit ihm über die bevorstehende Geschäftsreise zu reden, und Waltraut suchte ihr Zimmer auf. Dort saß sie noch lange am offenen Fenster und dachte nach über die seltsame Wandlung, die ihr Geschick genommen hatte. Sie wusste nicht, ob sie froh oder traurig sein sollte, wusste nur, dass man ihr etwas Liebes und Gutes genommen hatte und dass sie dafür etwas eintauschen sollte, was sie nicht kannte. Ihr Verhältnis zu Rudolf hatte so etwas Unwirkliches, Fremdes bekommen, das bedrückte sie ein wenig. Sie wollte sich immer wieder einreden, dass es doch sehr schön sein würde, wenn sie nicht mit einem fremden Manne fortgehen müsse aus dem Vaterhaus und wenn alles hier beim Alten bleiben würde. Aber irgendetwas ließ darüber doch keine Freude aufkommen. Sie konnte trotzdem nicht fassen, dass sie sich heute für alle Zeiten an einen Mann gebunden hatte, den sie nicht liebte, dem sie nur ihre Hand, aber nicht ihr Herz geschenkt hatte, trotzdem er ihr lieb und teuer war, aber doch nur wie ein Bruder.

Wenn sie nicht so unerfahren gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht noch mehr über diese überstürzte Verlobung beunruhigt. Aber so fand sie sich mit dem Gedanken ab, dass schon alles gut werden würde. Was ihr Vater und ihr Bruder wollten, das konnte nichts Schlimmes sein. Sie wehrte die unruhigen Empfindungen von sich, und nun gewann die Freude, dass sie reisen durfte, dass sie die Freundin wiedersehen sollte, Macht über sie. Sie vertiefte sich in ihre Reisepläne, überlegte, was sie sich als Ausrüstung für diese Reise anschaffen musste, und suchte einen Brief von Dora Schlüter hervor, in dem diese ihr angegeben hatte, was sie zu einer solchen Ausrüstung alles brauchen würde.

Das lenkte sie von dem Erlebnis der letzten Stunde ab. Sie überlegte, was sie Dora morgen telegrafieren wollte, und setzte folgendes Telegramm auf:

Komme mit deinem Vater. Waltraut.

Sie lachte ein wenig in sich hinein. Wie sich Dora freuen würde, wenn sie dieses Telegramm erhielt.

Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III)

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