Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 8

Fünftes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Und es ergab sich in der Folge wie von selbst, dass die drei jungen Herren viel in der Gesellschaft des Justizrats und seiner Schutzbefohlenen waren, am meisten widmete sich ihnen Jan Werkmeester. Das war nicht auffallend, denn der Justizrat konnte nicht genug von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn hören, und Waltraut forschte ihn immer wieder über die Verhältnisse auf Ceylon aus. Bereitwillig gab er ihr über alles Auskunft. Er kannte ganz Ceylon sehr genau und erzählte sehr interessant, ob er nun von dem Isuruminijatempel berichtete, den König Tissa vor mehr als zweitausend Jahren aus dem Felsen hatte heraushauen lassen und der erst vor Jahrzehnten wiederentdeckt worden war, oder von dem Adamspik, dessen Gipfel er bestiegen hatte, wo von den Buddhisten der Fußabdruck Buddhas angebetet wurde, alles schilderte er ihr so plastisch, dass sie atemlos lauschte. Von dem seltsamen, kegelförmigen Schatten erzählte er ihr, den der Adamspik, der den Buddhisten als heiliger Berg gilt, im Sonnenschein bei aufsteigendem Morgennebel auf die Landschaft wirft, von dem grandiosen Wasserfall bei Nuwara Eliya, der Hunderte von Metern abstürzt, von den heiligen Tempelfelsen, die den Europäern nur selten zugänglich sind, und von den überaus kostbaren Opfergaben, die dabei von gläubigen Birmanen und Singhalesen gestiftet und die nur bei diesen Festen dem Volke gezeigt werden, während sie sonst hinter goldgestickten Samtvorhängen verborgen liegen. In einem dieser Tempel, so erzählte er, sei der Zahn Buddhas aufbewahrt und sieben mit den kostbarsten Steinen verzierte Glocken, und erst unter der siebenten Glocke liege eine Lotosblume mit goldenen Blättern, auf denen der Zahn Buddhas, der etwa die Daumengröße eines normalen Menschen hat und nur noch bei den ganz gläubigen Buddhisten für echt gilt, ruht.

All diese Herrlichkeiten breitete Jan Werkmeester mit seiner warmen, sonoren Stimme vor Waltraut aus. Sie staunte und lauschte ihm wie im Traume.

»Das werden Sie ja zum Teil selbst zu sehen bekommen, mein gnädiges Fräulein. Kandy, wo Sie viele solcher Herrlichkeiten neben den schönsten Naturwundern sehen können, liegt an unserem Wege, wenn wir nach Saorda fahren. Wir fahren auch zuweilen nach Kandy hinüber, halten uns dort einige Tage auf, wenn wir wieder einmal internationale Geselligkeit genießen wollen. Immerhin müssen wir freilich einen halben Tag fast mit dem Auto fahren, weil es bergauf und bergab geht, aber gottlob, dass es Autos gibt. Früher waren diese Fahrten viel beschwerlicher und langwieriger, weil man auf der Ochsentonga fahren musste. Ich habe kürzlich in Deutschland einen Artikel über Ceylon gelesen, in dem der Verfasser lebhaft bedauert, dass die Poesie des Landes durch die Autos verloren gehe. Teilweise mag er recht haben, aber wenn er öfter eine tagelange Fahrt auf einer Ochsentonga machen müsste, würde er den Sinn für Poesie verlieren. Da bleibt im Auto doch noch mehr übrig. Man behält darin wenigstens die Kraft, sich an den Naturschönheiten zu erbauen.«

Waltrauts Augen glänzten bei seinen Erzählungen, als höre sie Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

»Ich freue mich, oh, ich freue mich so sehr, dass mein Vater mir erlaubte, diese Reise zu machen«, sagte sie froh.

»Ich auch!«, erwiderte er leise, mehr zu sich selbst. Aber sie hörte es doch und sah unruhig in seine Augen, die mit einem so seltsamen Ausdruck auf ihrem Gesicht ruhten. Sie gab sich aber den Anschein, diese Worte nicht gehört zu haben.

Und an diesem Tage fragte sie sich zum ersten Male bedrückt, ob es nicht besser sei, wenn sie ihm sagte, dass sie verlobt sei. Es kam ihr aber doch nicht über die Lippen. Immer wieder hielt sie diese Worte zurück und beruhigte sich damit, dass es doch beschlossene Sache war, dass diese Verlobung bis zu ihrer Rückkehr geheim bleiben sollte. Je länger sie aber in Jan Werkmeesters Gesellschaft weilte, je öfter sie mit ihm sprach und dabei in seine seltsam zärtlich leuchtenden Augen sah, desto quälender empfand sie, dass sie mit Rudolf verlobt war. Es kam ihr immer mehr zum Bewusstsein, dass es ein Unrecht gewesen war, dass sie in diese Verlobung eingewilligt hatte. Wie hatte sie das nur tun können? Seit sie Jan Werkmeester kannte, seit seine zärtlichen Augen etwas in ihr aufgeweckt hatten, von dem sie früher keine Ahnung gehabt hatte, fühlte sie erst, was sie damit auf sich genommen hatte.

Ganz klar waren diese Empfindungen freilich noch immer nicht, sie huschten durch ihre Seele, wie ein schnell vorübergleitendes Licht, aber dieses Licht schmerzte sie, sodass sie immer wieder die Augen davor schloss.

So verging eine Woche nach der andern. Jeden Tag, fast jede Stunde war sie mit Jan Werkmeester zusammen. Das Leben auf dem Dampfer gestattete kein Ausweichen, wenn man nicht direkt ungezogen sein wollte. Und sie wollte ihm ja auch gar nicht ausweichen, sie freute sich, wenn sie ihn sah und wenn sie merkte, dass er ihre Gesellschaft jeder anderen vorzog. Immer wusste er es so einzurichten, dass sie zusammen waren, und wenn auch der Kreis um den Justizrat und seine Schutzbefohlene immer größer wurde, wenn man auch nach und nach fast mit allen anderen Passagieren bekannt wurde und wenn auch Herr Döring und Mijnheer Boon mit Jan Werkmeester wetteiferten, um Waltraut Aufmerksamkeiten zu erweisen, so fühlte sie sich doch nur wohl und glücklich, wenn Jan Werkmeester in ihrer Gesellschaft war.

Sie suchte dafür hundert Gründe – um den einzig wahren vor sich selbst zu verbergen. Um keinen Preis hätte sie sich zugestanden, dass sie für ihn ganz anders empfand als je zuvor für einen Mann. Sie redete sich ein, dass sie seine Gesellschaft bevorzugte, weil er ihr so genaue Informationen über Ceylon geben konnte, weil er der Freund von Schlüters war, weil sie für die Zeit ihres Besuchs bei der Freundin doch viel in seiner Gesellschaft sein würde und was es sonst noch für Gründe geben konnte.

»Sie werden meine Gesellschaft in Saorda fast täglich ertragen müssen«, hatte er lächelnd gesagt.

»Ich habe Ihre Gesellschaft doch hier auf dem Dampfer auch täglich genossen und habe sie ganz leidlich ertragen«, neckte sie.

Sein Blick verdunkelte sich.

»Leidlich ertragen? Es ist ganz schlimm für mich, dass Sie meine Gesellschaft nur leidlich ertragen haben.«

Ein wenig unruhig unter seinem Blick fragte sie lächelnd:

»Genügt Ihnen das nicht?«

»Nein!«, erwiderte er.

Nichts als dieses Nein. Aber seine Augen redeten eine leidenschaftliche Sprache. Es lag ein heißes Flehen, ein stummes Werben darin. Und ihr Herz klopfte bis zum Halse hinauf. Sie lehnten beide an der Reling und hatten auf den leise gekräuselten Wasserspiegel gesehen. Nun blickten sie sich an. Und unter dem bittenden Zwang seiner Augen sagte sie leise:

»So war es doch gar nicht gemeint, ich scherzte ja nur. Sie wissen sehr wohl, dass mir Ihre Gesellschaft lieb und angenehm ist.«

Da strahlten seine Augen in die ihren, dass sie bis ins Herz hinein erschrak.

»Ist das wahr?«, stieß er erregt hervor.

Sie musste die Augen abwenden und sah wieder auf das Wasser hinaus. »Ja doch! Ich habe doch außer Ihnen und dem Herrn Justizrat keinen Menschen hier an Bord, mit dem ich von meiner Freundin sprechen kann.«

Die Erregung in seinen Zügen ebbte ab, und seine Augen blickten düster. »Ah, also nur deshalb?«

Ganz scheu sah sie ihn von der Seite an.

»Was soll ich Ihnen sonst noch sagen, Mijnheer Werkmeester? Sie wissen doch selbst, dass wir beide sehr gute Freunde geworden sind während der Seereise.«

Er strich sich das Haar aus der Stirn.

»Ja, gute Freunde – nur gute Freunde. Aber schon damit muss ich zufrieden sein, schon das ist viel, und ich danke Ihnen, dass Sie mir das gesagt haben. Wenn ein so stolzes und zurückhaltendes Mädchen, wie Sie es sind, das sagt, so ist es schon sehr viel, und wenn ich mehr verlangen würde, jetzt schon, nachdem wir uns nur einige Wochen kennen, so wäre es vermessen. Freilich, mir ist nicht so, als kennten wir uns nur kurze Zeit, und schließlich haben wir uns in der engen Gemeinsamkeit dieser Seereise besser kennengelernt, als es sonst in jahrelangem, oberflächlichem Gesellschaftsverkehr möglich wäre. Ich wenigstens glaube, Sie bis in Ihr innerstes Wesen zu kennen, und ich möchte gern wissen, ob Ihnen das mit mir auch so geht.«

Sie schwieg eine Weile und sah versonnen auf das Spiel der Wellen. Und sie fühlte seine Nähe wie eine unbeschreibliche Wohltat und zugleich wie einen brennenden Schmerz. Ihre Augen wurden feucht. Sie dachte an Rudolf – daran, dass er ihr Verlobter war. Ach, dass sie noch seine Schwester sein könnte, nichts als seine Schwester.

»Sie antworten nicht? Das ist hart«, sagte er leise.

Da wandte sie ihm ihre Augen zu. »Sie wissen es doch! Fragen Sie mich doch nicht«, bat sie mit versagender Stimme.

Er fühlte, dass er sie quälte, und schalt sich, dass er nicht geduldig seine Zeit abwarten könne. Was wollte er denn schon jetzt von ihr hören, welche Zugeständnisse sollte sie ihm denn schon machen nach so kurzer Bekanntschaft. Und schuldbewusst zog er ihre Hand an seine Lippen. »Verzeihen Sie mir, ich bin ein Hinterwäldler. Man verlernt ein wenig, mit Damen umzugehen in unserer Weltabgeschiedenheit. Bitte, seien Sie mir nicht böse, ich sehe, dass ich Sie quäle mit meiner Ungeduld und mit meiner Sehnsucht, etwas Liebes und Gutes von Ihnen zu hören. Schimpfen Sie mich aus – bitte, tun Sie es.«

Da flog ein erlöstes Lächeln über ihr Gesicht.

»Nein, zanken werde ich nicht, und zu verzeihen habe ich Ihnen auch nichts, sonst müssten Sie mir auch etwas zu verzeihen haben. Wir haben uns doch beide gewiss nicht weh tun wollen, das weiß ich von mir und weiß es von Ihnen. So gut kenne ich Sie nun schon.«

Er wollte ihr über eine Verlegenheit forthelfen, die er selbst verursacht hatte, und zeigte sich nun wieder ganz heiter.

»Diese gute Meinung muss ich mir zu verdienen suchen, und ich werde damit anfangen, indem ich mir Mühe gebe, Sie wieder froh und vergnügt zu machen. Das tue ich schon aus Egoismus, weil ich Sie so gern lachen höre. Bin ich nicht ein gräulicher Egoist?«

»Ja, mich schaudert es!«, rief sie lachend, froh, dass die gefährliche Situation vorüber war.

Und dann gingen sie hinüber zu den anderen, die in großer Gesellschaft zusammensaßen und den Tanzenden zuschauten. Es wurde auch an Bord des Dampfers, wie jetzt überall, zu jeder Tageszeit getanzt, und auch hier betrachtete man den Tanz nur noch als Sport, als Ausgleich, nicht als einen Ausdruck festlicher Freude.

»Wünschen Sie zu tanzen, mein gnädiges Fräulein?«, fragte Jan Werkmeester.

Waltraut schüttelte den Kopf.

»Nein, nein, diese gewohnheitsmäßigen Tänze sind mir unangenehm. Ich tanze nur, wenn ich in besonderer Stimmung dazu bin.«

»Ganz mein Fall, ich habe mit Staunen auf meiner Reise bemerkt, wie viel jetzt an allen Orten getanzt wird und wie wenig Festliches dem Tanz noch anhaftet. Auch er ist nüchtern geworden wie alles andere. Wir tanzen zuweilen auf Saorda, nur zu einem Grammophon, und Frau Schlüter muss abwechselnd für ihren Gatten und für mich Tänzerin sein, aber stimmungsvoller ist das immer als dieses stupide Tanztraining zur Erhaltung der schlanken Linie. Aber über Geschmack lässt sich nicht streiten. Jedenfalls hoffe ich, dass wir in Saorda zuweilen stimmungsvolle kleine Tanzabende arrangieren, da wir ja nun eine Tänzerin mehr haben werden.«

Seine Augen glitten dabei über ihr Gesicht wie in einer heimlichen, verstohlenen Liebkosung, und sie wandte sich rasch ab und setzte sich zu dem Justizrat, der mit Herrn Döring und Mijnheer Boon zusammensaß und anscheinend mit ihnen spaßige Bemerkungen über einige wenig graziöse Tänzer und Tänzerinnen machte.

»Hier spielt man anscheinend Lästerallee, da wollen wir auch mithalten, Mijnheer Werkmeester und ich«, sagte Waltraut, und sie beteiligte sich nun mit Jan Werkmeester an dieser Unterhaltung.

So war man, nachdem man den Suezkanal passiert hatte, fünf Tage durch das Rote Meer, wo es sehr heiß und drückend war, gefahren. Dann war man sieben Tage durch den Indischen Ozean gefahren, hatte fast immer nur Wasser oder kahles Felsgestein an den Ufern zu sehen bekommen, und die Passagiere lechzten nun nach ein wenig Vegetation und nach dem bunten, beweglichen Treiben der Hafenplätze. Endlich tauchten die von leichten Wolken umgebenen Bergriesen Ceylons auf. Waltraut stand mit dem Justizrat und Jan Werkmeester an der Reling, und der Letztere erklärte ihnen, was sie zu sehen bekamen. Die »Smaragdinsel« lag vor ihnen. So wird Ceylon genannt, und man sagt, es sei das wundervollste Tropenland der Erde. Das liegt wohl unter anderem daran, dass man hier die fremdartige Tropenvegetation in einer Mannigfaltigkeit und Üppigkeit ohnegleichen emporsprießen sieht.

Langsam näherte sich der Dampfer dem Hafen von Colombo. Nachdem man an Land gehen konnte, verabschiedeten sich der Justizrat, Jan Werkmeester und Waltraut von ihren Mitpassagieren. Mijnheer Boon reiste weiter, und Herr Döring wurde von Geschäftsfreunden in Colombo erwartet.

Jan Werkmeester riet dem Justizrat und Waltraut, den Aufenthalt in Colombo tunlichst zu beschränken, weil es zu heiß und zu staubig und Colombo nicht interessanter sei als alle internationalen Hafenplätze. Außerdem würden Schlüters, die ihre Gäste in Kandy erwarten wollten, sehr ungeduldig sein, diese in Empfang zu nehmen.

»Wir fügen uns ganz Ihren Anordnungen, Mijnheer Werkmeester, und es ist sehr angenehm für uns, dass Sie uns mit ins Schlepptau nehmen wollen«, sagte der Justizrat, der ein wenig benommen war von dem Lärm, der ihn hier umgab.

Für Waltraut war das zwar alles sehr interessant, aber sie sagte sich auch, dass es besser sei, der großen Hitze und dem Staub rasch zu entfliehen.

Also blieb man nur eine Nacht in Colombo, in einem englischen Hotel, das zwar vorzüglich geleitet war, aber, wie alle großen Hotels an belebten Hafenplätzen, einem Rummelplatz glich.

Am nächsten Morgen fuhren die drei mit der herrlich bequemen Eisenbahn in die Berge hinauf. Jan Werkmeester hatte in zuvorkommender Weise für jeden erdenklichen Komfort gesorgt. Er kannte ja Land und Leute und wusste, wie man es anfangen musste, die besten Aussichtsplätze zu belegen, Kühlung und Erfrischungen zu erhalten und die aufdringlichen Kulis zurückzuscheuchen.

Waltraut war glücklich und froh, dass er in ihrer Gesellschaft war. In seinem Schutz fühlte sie sich geborgen. Denn der alte Herr Justizrat war nun doch etwas benommen und unbeholfen auf diesem ihm ganz fremden Boden.

Und Jan Werkmeester war glücklich und froh, dass er Waltraut dienen konnte, das sah man ihm auch an. Eifrig erklärte er ihnen die ganze Umgebung. Sie fuhren an dem berühmt schönen Botanischen Garten von Paradeniya vorüber. Mit staunenden Augen nahm Waltraut die leuchtende Farbenpracht der Smaragdinsel in sich auf. Die Bahnwagen waren so bequem und schön, dass man die Ausblicke mit allem Behagen genießen konnte. Das Wunderbarste, was die südliche Pflanzenwelt zu bieten hatte, breitete sich zu beiden Seiten der Bahnlinie aus. Und die malerische Fremdartigkeit dieser Tropenwelt wirkte wie ein Märchen auf Waltraut. Sie kam dadurch selbst in eine Märchenstimmung, fühlte sich wie losgelöst von aller Erdenschwere und empfand, unbewusst zwar, aber doch mit aller Intensität, dass dies alles noch viel schöner und wunderbarer sei, weil Jan Werkmeester bei ihr war.

Als sie endlich Kandy erreichten, schien der Höhepunkt der Schönheit erreicht zu sein. Kandy war ein wundervoller, märchenhaft schöner Gebirgsort, eine befestigte Stadt und jetzt Sitz eines englischen Gouverneurs. Die buddhistischen Tempel inmitten der üppigen Vegetation wirkten wie Wunderbauten. In der Mitte von Kandy lag ein kleiner See mit kristallhellem Wasser, und inmitten dieses Sees sah man eine kleine Insel, die mit hohen Palmen und einem märchenhaften Blütenreichtum bewachsen war. Unter diesen Palmen sah man die Ruinen eines Pavillons, und Jan Werkmeester erklärte Waltraut und dem alten Herrn, dass dieser Pavillon einst von den Gemahlinnen der Könige von Kandy benutzt worden sei.

Am Bahnhof wurden die Reisenden von Harry Schlüter und seiner jungen Frau empfangen. Das gab eine große Aufregung. Dora Schlüter, eine reizende schlanke Frau mit gebräuntem Teint und kastanienbraunem Haar, sah mit ihren braunen Augen glückstrahlend auf die Ankommenden und wusste in ihrer Freude nicht, ob sie zuerst den Vater oder die Freundin umarmen sollte. Weil sie sich darüber nicht schlüssig wurde, umfasste sie beide zu gleicher Zeit und lachte und weinte gleichzeitig. Jan Werkmeester begrüßte inzwischen Harry Schlüter. Dieser schüttelte ihm erfreut die Hände.

»Jan, alter Kerl, das ist ja famos, dass du zugleich mit unseren Gästen ankommst. Ihr seid doch auf demselben Dampfer gefahren und habt wohl schon Bekanntschaft gemacht?«

»Jawohl, Harry, gleich die ersten Tage an Bord haben wir uns aneinandergeschlossen. Ich habe viel von euch erzählen müssen und von Ceylon überhaupt und habe mich damit natürlich sehr beliebt gemacht. Frag deinen Schwiegervater und Fräulein Roland, ob es stimmt. Aber, weißt du, wie es meinem Vater geht, Harry?«

»Gut, Jan, alles in Ordnung. Und da drüben steht euer Auto, das dein Vater geschickt hat, um dich abzuholen.«

»Ah, richtig!«

Schon kam ein singhalesischer Diener auf Jan zu und begrüßte ihn nach Landessitte. Jan nickte ihm lachend zu, gab ihm den Gepäckschein und erteilte ihm ruhig und freundlich, wenn auch sehr bestimmt, seine Befehle. Der Diener eilte davon, um sie auszuführen.

Inzwischen hatte Dora Schlüter ihre erste Wiedersehensfreude gestillt. Sie reichte nun auch Jan Werkmeester die Hand.

»Lieber Jan, auch Sie haben wir wieder. Das wird ein Labsal sein für meinen Harry!«

»Oh, und für Sie zähle ich nun gar nicht mehr, Frau Dora, ich bin jetzt überflüssig«, neckte Jan.

Sie lachte.

»Das glauben Sie ja selber nicht, so gute alte Freunde sind nie überflüssig. Jetzt soll es lustig werden in unserem Bungalow. Sie müssen wieder sehr oft von Larina herüberkommen, Jan, denn wir haben nun eine junge Dame zu Gast, für die wir einen Kavalier brauchen.«

Jan sah lächelnd zu Waltraut hinüber.

»Ich stelle mich mit Freuden zur Verfügung.«

»Und Ihren Vater müssen Sie nun auch zuweilen bewegen, nach Saorda zu kommen. Solange Sie fort waren, haben wir ihn nur an einigen Sonntagen bei uns gehabt, und immer mussten wir ihn erst lange bitten. Wir haben ja nun in meinem Vater einen würdigen Gesellschafter für ihn, er braucht sich dann nicht über den Übermut unserer Jugend zu entrüsten.«

»Tut er nie, Frau Dora, es schmerzt ihn nur, wenn er nicht mithalten kann.«

»Ja, ja, ich weiß, ich scherze nur. Aber mein Vater wird sich ihm gern widmen, wenn wir Unfug treiben.«

Und sich an Waltraut wendend, fuhr Frau Dora lachend fort: »Du musst wissen, Waltraut, Mijnheer Werkmeester und Harry haben oft die tollsten Sachen angestellt, um mir das Heimweh zu vertreiben. Nicht geruht haben sie alle beide, bis ich wieder lachte.«

Waltraut sah erstaunt zu Jan hinüber.

»So übermütig können Sie sein, Mijnheer Werkmeester? Das habe ich gar nicht gewusst.«

Er lachte frisch und herzlich.

»Ja, auf dem Dampfer, da hat sich mein Übermut nicht herausgetraut, ich war immer ein wenig bange, dass Sie mich dann strafend ansehen würden.«

Dora lachte hell auf.

»Ach, Waltraut, wenn Jan Werkmeester wüsste, was wir zuweilen für tollen Unfug angestellt haben daheim.«

Jan sah Waltraut nun mit drollig würdevollem Erstaunen an.

»So übermütig können Sie sein, Fräulein Roland? Das habe ich gar nicht gewusst«, sagte er wie sie.

Mit einem Lachen quittierte Waltraut seinen Scherz.

»Mir scheint, wir haben uns alle beide ein wenig verstellt.«

»Also ihr habt euch benommen, wie es sich für wohlerzogene Leute gehört, habt nett und artig miteinander Konversation gemacht und nur von ernsten Dingen gesprochen? Das muss anders werden. Ihr müsst beide gute Freunde, sehr gute Freunde werden«, erklärte Dora energisch.

»Nicht so viel Energieverschwendung, wo es nicht nötig ist, Frau Dora. Fräulein Roland und ich, wir sind schon ganz gute Freunde geworden, wenn ich auch in heillosem Respekt vor ihr immer sehr formell sein musste.«

Bei diesen Worten sah Jan Waltraut mit einem verstohlenen Blick an. »Ich erlaube mir nun die ergebene Anfrage, ob ich jetzt auch einmal Fräulein Roland begrüßen darf?«, fragte Harry, der inzwischen seinen Schwiegervater herzlich begrüßt hatte.

Jan sah Dora wichtig an.

»Wollen wir es ihm erlauben, Frau Dora?«

»Dich werde ich gerade fragen, mein Sohn. Geh aus dem Wege, wenn du nicht niedergeboxt werden willst«, sagte Harry und begrüßte Waltraut herzlich.

Jan schüttelte den Kopf wie ein besorgter Vater über einen ungeratenen Sohn.

»Du bist schrecklich verwildert, seit ich dich nicht veredelnd beeinflusst habe, mein lieber Harry, und was das Boxen anbelangt, so habe ich Dempsey einige recht nette Griffe abgesehen. Ich warne Neugierige.«

Harry lachte.

»Treff ich dich aber draußen im Freien, mein Sohn, dann wollen wir mal sehen, wie weit dich die netten Griffe bringen. Im Übrigen finde ich, dass wir uns das alles viel gemütlicher drüben auf der schattigen Hotelveranda sagen können, sobald ihr euch erfrischt habt. Wir bleiben heute in Kandy und fahren erst morgen Nachmittag nach Saorda. Unsere Gäste sollen erst mal noch ein wenig Kultur genießen, ehe sie in unserer Wildnis untertauchen, und sollen die Sehenswürdigkeiten von Kandy wenigstens im Fluge ansehen. Nach Kandy fahren wir nämlich nur, Fräulein Roland, wenn wir es mal in unserer Wildnis vor Menschenhunger nicht mehr aushalten können.«

»Aber Harry, mache Fräulein Roland nicht bange, das klingt ja, als käme sie in Saorda zu den Menschenfressern und als seien wir darauf aus, jeden Tag ein paar Menschen zum Frühstück zu verspeisen.«

Waltraut lachte.

»Ich bin auf alles gefasst«, neckte sie.

Harry schob fast kameradschaftlich die Hand unter ihren Arm.

»Es ist besser, Sie sind auf das Schlimmste vorbereitet und sind dann angenehm enttäuscht. Nun vorwärts! Jan, deinem Vater habe ich gesagt, dass wir dich vor morgen auch nicht von hier fortlassen.«

Jan sah neidisch zu, wie Harry Waltraut führte.

»Ich wäre auch ohnedies nicht eher heimgefahren, mein Lieber. Denkst du vielleicht, ich werde es dir allein überlassen, die Honneurs von Kandy zu machen? Ich habe Fräulein Roland versprochen, sie zu den Tempeln und zu den heiligen Schildkröten zu führen.«

Damit schob Jan seine Hand unter Doras Arm und führte sie auch davon. »Was man verspricht, muss man halten!«, rief Harry über die Schulter zurück.

Der Justizrat hatte vergnügt diesen launigen Disput angehört und schritt an Doras anderer Seite. Plaudernd erreichte man das Hotel.

Und nachdem sich die Reisenden erfrischt hatten, saß man in fröhlichster Stimmung beisammen. Waltraut und Dora hielten sich bei den Händen und hatten sich viel zu sagen und zu fragen. Heute kam aber nur das Nötigste und Wichtigste zu Wort.

»Wir haben jetzt so lange Zeit zum Plaudern, Waltraut. Wie glücklich bin ich, dass du mit Vater gekommen bist. Nun habe ich euch beide hier, endlich einmal«, sagte Dora.

»Mir scheint, ich bin jetzt ganz überflüssig, meine Frau braucht mich nicht mehr«, sagte Harry in scherzhafter Eifersucht.

Dora reichte ihm die Hand schnell über den Tisch hinüber.

»Du wirst schon auch noch zu deinem Recht kommen.«

Sie sahen sich liebevoll in die Augen, und in demselben Moment trafen Jans und Waltrauts Blicke ineinander. Es flammte sehnsüchtig in Jans Augen auf. Aber schon wurde er wieder abgelenkt. Dora fragte plötzlich:

»Und eine Frau haben Sie nicht drüben gefunden, Jan, Sie wollten sich doch eine Frau mitbringen von Ihrer Reise?«

Ein schneller Blick in Waltrauts Augen überzeugte Jan, dass sie leicht erblasste. Das machte ihn so froh, dass er hätte aufjauchzen mögen.

»Nein, ich fand keine, die ich hätte mitnehmen mögen.«

»Aber erzähle doch, wie war es drüben, hast du dich gut unterhalten?«, fragte Harry.

Jan berichtete nun kurz von seinen Erlebnissen während seiner Urlaubs- und Erholungsreise.

Und dann musste der Justizrat von zu Hause berichten.

»Mutter wird jetzt sehnsüchtig zu Hause sitzen und an uns denken«, sagte er.

Da wurden Doras Augen nass, und um die frohe Stimmung war es geschehen. Aber Jan fasste sein Glas.

»Wir wollen unsere Gläser leeren im Gedenken an Frau Doras gütige liebevolle Mutter!«

Sie taten alle, wie er geheißen. Dann sagte Jan, die weiche Stimmung vertreibend:

»Und nun wollen wir wieder sehr fröhlich sein, so will es die liebevolle Mutter daheim, die es nicht leiden mag, wenn ihre Kinder traurig sind. Frau Dora, Kopf hoch!«

Dora trocknete hastig ihre Tränen und sah schon wieder lächelnd in die besorgten Augen ihres Mannes, der ihr die Hand über den Tisch reichte.

»Ist schon wieder gut, Harry, ich bin schon wieder ganz tapfer.«

Und die frohe Stimmung kam wieder auf.

Man trennte sich ziemlich spät, um zur Ruhe zu gehen.

Am anderen Morgen wurde Kandy besichtigt. Jan Werkmeester arrangierte es aber gleich so geschickt, dass er Waltraut führen konnte, während Frau Dora zwischen ihrem Gatten und ihrem Vater ging. Man begab sich an die andere Seite des Sees. Der sonnigen Esplanade gegenüber erhoben sich in malerischen Gruppen Tempel und Paläste mit weiten Hallen und Säulengängen. Sie wurden von mächtigen Bäumen beschattet. Der größte der Tempel, den eine eigenartige Kuppel krönte, war von mehreren Ringmauern und einem tiefen Wassergraben umgeben. Auf dem nassen Pflaster des Ufers sonnte sich träge eine Unzahl von Riesenschildkröten. Auch aus dem Wasser streckten viele dieser Tiere ihre Köpfe. Sie wurden gerade von den Priestern gefüttert, und diese Priester erhielten von allen Besuchern reiche Gaben, die ihnen ein sehr behagliches Leben gestatteten. Europäische Gäste waren bei den Priestern sehr beliebt, weil sie reichlich zahlten. Denn obwohl diese Priester weder Geld noch Gut besitzen dürfen, nehmen sie doch gemütsruhig die Gaben der Fremden.

Dafür spenden sie ihnen Segenssprüche.

Auf Waltraut machte das alles großen Eindruck. Jan Werkmeester führte sie dann auch zu dem Tempel, in dem der Zahn Buddhas aufbewahrt wurde. Die anderen drei folgten ihnen. In diesem Tempel wurde zur Erhöhung der Festlichkeit ein Riesenlärm gemacht mit Pauken und Schalmeien durch die Priester, sodass man es in diesen Tempelhallen nicht lange aushalten konnte. Waltraut und der Justizrat sahen sich nur schnell den Zahn Buddhas an, betrachteten die aufgestapelten Kostbarkeiten und Kleinodien, die allerdings sehr sehenswert waren, aber dann suchten sie alle ihr Heil in der Flucht, weil der Lärm zu ohrenbetäubend war. Lachend verschnaufte man in einem der wundervollen Palmenhaine, und dann ging es zu dem Hotel zurück, wo man vor der Abfahrt einen kräftigen Imbiss einnahm.

Jan Werkmeester erklärte energisch, dass er als fünfter im Schlüterschen Auto mitgenommen werden wolle, bis sich die Wege nach Saorda und Larina trennten. Es falle ihm gar nicht ein, so weit allein in seinem Wagen zu fahren. Er wolle auch von der Unterhaltung profitieren.

»Gut, Jan, nimm meinen Platz im Wagen ein, ich will großmütig sein und mich zum Chauffeur setzen«, sagte Harry.

»Ausgeschlossen, ich werde mir doch nicht Frau Doras Feindschaft zuziehen. Ich setze mich zum Chauffeur.«

»Gut! Also los!«

Man brach auf. Jan Werkmeester nahm neben dem Chauffeur Platz, die beiden Damen im Fond und die beiden anderen Herren auf dem Rücksitz. Die Koffer waren hinten aufgeschnallt worden. Jans Wagen wurde mit seinem Gepäck und dem Diener von dem Chauffeur hinterhergefahren.

Als Jan dann beim Scheideweg aussteigen musste, verabschiedete er sich herzlich von allen.

»Morgen komme ich nach Saorda hinüber. Auf Wiedersehen, Herrschaften. Fräulein Roland, keine Angst vor Menschenfressern!«

Waltraut lachte, schüttelte den Kopf und winkte ihm, wie die anderen, noch einmal zu.

»Grüß deinen Vater, Jan!«

»Von mir auch!«, rief Dora.

Jan nickte dankend. Seine Augen ließen nicht von Waltraut, während er stehen blieb und den Wagen vorüberließ. Sein Herz zuckte doch schmerzhaft, es war seit Wochen die erste räumliche Trennung von Waltraut Roland. Und wenn er auch nicht weichmütig war, diese Trennung schmerzte ihn doch.

Endlich stieg er in sein Auto, das neben ihm hielt, und fuhr ebenfalls davon.

Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil III)

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