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2.3.4 Mehr zu Genderindices in der Jugendkommunikation

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In der Jugendkommunikation wird die Relevanz von Gender über grammatische oder phonologische Variablen hinaus vielfältig indiziert. Auch bestimmte Gesprächspraktiken indizieren altersspezifische Männlichkeiten, Weiblichkeiten oder Zwischentypen. Lust und Frust auf dem heterosexuellen Paarbildungssektor gehören unter Mädchen nicht nur zu einem offen bekundeten, sondern geradezu forcierten psychischen Zustand, der in besonderer Weise an der Ko-Konstruktion der soziokulturellen in-group der gleichaltrigen Freundinnen und der Ausbildung von alters-, kultur- und genderdistinkten Gefühlsnormen teilhat (Stenström 2003; Spreckels 2006; Kotthoff 2012a). Die Mädchen verhandeln untereinander strategische Weitergaben der Telefonnummern von Jungen und die entsprechenden Normen für das Organisieren des Miteinander-Bekanntmachens von Mädchen und Jungen untereinander; sie beziehen ihre Freundinnen in ihre romantischen Interessen ein, z.B. über Grußrituale und lang und breit ausgemalte, gemeinschaftliche Annäherungsinitiativen an einen Jungen. Sowohl eigene Korpora als auch Aufnahmen anderer Forscher aus Jungengruppen ähnlicher oder höherer Altersstufen (Schmidt 2004) liefern keine Belege für eine ähnliche Frequenz und Intensität der interaktionalen Verhandlung des Paarbildungsgeschehens und den Einbezug des Freundes. In den untersuchten Cliquen gab es keine Transgender-Jugendlichen.

In Kotthoffs Daten (2012a) von privaten Telefongesprächen unter 14- bis 16-jährigen Freundinnen entsprechen die Mädchen dem, was in der Literatur schon vor drei Jahrzehnten als weibliche Beziehungsorientierung diskutiert wurde (Giligan et al. 1990). Auch die Tatsache, dass es in den langen Telefongesprächen thematisch sehr häufig um Paarbildung und heteroromantische Geselligkeit geht, passt wunderbar in ein bekanntes Bild über Mädchenaktivitäten. Man kann in diesen hochgradig kooperativen Verhandlungen des „wer mit wem“ somit einen Index auf ein traditionelles Mädchen-Sein ausmachen, denn in der Tat stricken sie am Telefon fortlaufend Geflechte von Beziehungen, verhandeln Allianzen, marginalisieren einige Mädchen und Jungen und erhöhen die anderen. Sie bewerten die Aktivitäten ihres sozialen Umfelds, einschließlich Schule und Elternhaus, Jungen, die moralischen Standards romantisch-erotischer Hetero-Beziehungen, Mädchen und deren (un)mögliche Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe. Essentialisierung der demonstrativ hohen Kooperativität unter weiblichen Wesen (eine Lesart, die man Gilligan et al. durchaus zuschreiben kann) sollte man nicht betreiben, wenn man verfolgt, wie die Mädchen Allianzen und NetzwerkeNetzwerk bilden. Die feministische Idealisierung dieser Beziehungsorientierung als prinzipiell unterstützend (wie wir sie z.B. bei Coates 1986 finden) greift zu kurz, hat aber doch für die Phänomenologie einiger Aktivitätstypen schon Beschreibungen geliefert. Wie stark wer mit wem kooperiert, ist eine Frage der Wahl; sie ist nicht schlichtes Produkt einer psychologischen Prägung, sondern Gegenstand sozialer Netzwerkherstellung, wie in den Transkripten der Gesprächsausschnitte deutlich wird.

Der romantische Diskurs ist weitgehend an Heterosexualität ausgerichtet; das heterosexuelle Paar ist nach wie vor der Prototyp der in den Mädchengesprächen komplementär inszenierten Geschlechterdifferenz. Insofern können wir in Bezug auf die in Kotthoff (2012a) präsentierten Gesprächsausschnitte global durchaus von doing gender und doing heteronormativity sprechen; das ist den Themenbereichen inhärent. Allerdings bleibt diese Zuordnung unspezifisch, wenn man nicht weiß, welche Vorstellungen über die Begegnung von Mädchen und Jungen in diesem Diskurs lebendig werden. Es sind nicht etwa Vorstellungen von einer einzigen großen Liebe, die vielleicht auch in dieser Altersgruppe bis in die sechziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts galten, sondern kurzlebige Verbindungen, die gleichwohl von großen Worten begleitet sein können. Im Vordergrund steht die Institutionalisierung von Heterogeselligkeit mit ihrem hohen Unterhaltungswert. Diesen bedienen zu können gehört zur Selbstinszenierung eines heutigen, spezifischen Mädchen-Seins.

Schon allein das zeitlich ausgedehnte Telefonieren als solches wurde zu einem sekundären Genderindex (heute wird die Freundinnenkommunikation anders praktiziert, Kap. 15). Die von Winterhalter (2006) befragten Eltern sahen das ausgedehnte Telefonieren der Töchter als eine Praxis von Mädchen, kaum von Jungen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen vor dreizehn Jahren bedienten sie sich aus Kostengründen der Festnetzanschlüsse. Auch andere Studien (Rakow 1992) kommen zu dem Ergebnis, dass die Tele-Privatgespräche von Frauen im Durchschnitt länger dauern als die von Männern (s. auch www.dsltarife.net/news/2095.html, 2006) und im Alltag der Frauen eine zentralere Rolle spielen. Telefonate dienen nicht nur instrumentellen Zwecken, wie etwa der Terminfindung, sondern der Beziehungskommunikation. Vor diesem Hintergrund indiziert ein Telefonat, in dem sich lang und breit über Beziehungen ausgetauscht wird, eine genderisierte Tradition. Am Telefon betreiben die Mädchen zwar „social engineering“, aber auch in einer historisch eher neuen Ausrichtung. Wir können dem zustimmen, was Eckert (2003, 384) über US-Mädchen schreibt:

The entire heterosexual enterprise at this point is about alignments within the cohort rather than about individual boy-girl relationships. The pairs are brokered by members of the crowd, […] And it is girls who do the brokering. Girls control the heterosexual market – they decide who will go with whom, they arrange meetings and alliances, and they negotiate desirability.

Die nüchterne Abschätzung äußerer und statusbezogener Qualitäten für die Paarbildung in Frage kommender Jungen kann durchaus als Anleihe am traditionell Männern attribuierten Verhalten gesehen werden. Die Mädchen geben sich als strategische Spielerinnen auf dem Paarbildungsmarkt. Die hohe Relevanz dessen bleibt als traditioneller Genderindex bestehen, die konstruierten Spielregeln ordnen den Mädchen aber aktive und initiative Rollen zu. Der alten Differenzlinie zwischen dem wählenden Mann und der ausgewählten Frau begegnen wir nicht mehr. Über IndexikalisierungenIndexikalisierung von historisch männlich verorteten Verhaltenskomplexen wird die kommunizierte Identität des altersspezifischen Mädchen-Seins zu einer besonderen Bricolage (Stilbastelei). Um solche Bricolagen verstehen zu können, muss man die Geschichte eines Verhaltensbereichs kennen (mehr zum Bricolage-Konzept bei Galliker 2014). In der Genderetikette galt über Jahrhunderte hinweg der Mann als der aktiv wählende Part und die Frau hatte seine Wahl geschickt und verdeckt auf sich zu lenken (Burmann 2000). Sie hatte seine Annäherungsversuche abzuwehren, aber so, dass der Mann aus der Art der Abwehr seine Chancen herauslesen konnte.

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