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Kapitel 1 Kindheit und Jugendzeit

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Lebensbeginn, Wachstum

Ihre Kindheit, Herr Rilling, ist durch eine katastrophale Ausgangssituation gekennzeichnet: Zehn Tage nach Ihrer Geburt starb Ihre Mutter.

Ja, meine Geburt war wohl der Grund für ihren Tod. Meine Mutter hat als Geburtsfolge eine Sepsis erlitten. Die heutige Medizin hätte diese Komplikation mühelos abgewendet. Damals war meine Mutter nicht zu retten.

Haben Sie wegen des Todes Ihrer Mutter in Ihrem Leben Schuldgefühle empfunden, die sich, wie wir wissen, oft erst im Erwachsenenalter einstellen?

Eigentlich nicht. Natürlich denke ich immer wieder darüber nach – aber das liegt so weit weg in der Vergangenheit, ist nicht mehr erreichbar. In meinem Arbeitszimmer steht ein Bild von ihr, einer jungen, schönen Frau mit ihrer Geige unter dem Arm.


Hildegard und Eugen Rilling, die Eltern des Dirigenten. © AR

Der Tod Ihrer Mutter hat sich auf Ihr Leben ausgewirkt.

Natürlich, vor allem in meinen ersten Jahren. Ein Kind wächst in die Verhältnisse hinein, wie sie gegeben sind. In meinem Fall hat sich, weil es keine Mutter für mich gab, vor allem die Familie meiner Mutter besonders um mich gekümmert. Es gab eine Schwester meiner Mutter, Tante Maria. Sie war eine hingebungsvolle Krankenschwester, in führender Position an der Stuttgarter Kinderklinik und in der Schwesternausbildung tätig, also beruflich sehr ausgelastet. Sie hat sich meiner in meinen ersten Lebensjahren sehr angenommen, fühlte sich, als meine Patentante, immer in besonderer Weise für mich verantwortlich.

Sie blieb Ihnen bis an ihr Lebensende nahe.

Ja, auch in späteren Jahren ist der persönliche Kontakt geblieben. Ich war in meiner Stuttgarter Studienzeit oft bei ihr. Ich bin von ihr nachhaltig und mit großer Herzlichkeit und Wärme unterstützt worden. Sie hatte zum Beispiel ein Klavier, auf dem ich üben konnte, Klavierüben war für Musikstudenten wegen des festen Standorts des Instrumentes und wegen der sogenannten Lärmbelästigung immer schon ein Problem.

Es trat bald eine neue Mutter in Ihr Leben.

Als ich drei Jahre alt war, hat mein Vater wieder geheiratet. Seine zweite Frau, Helga Eymael, ist eine wunderbare Mutter für mich geworden und auch geblieben, als meine vier Geschwister ab meinem sechsten Jahr nach und nach hinzukamen. Sie hat ihre eigenen Kinder und mich gleich behandelt, ihr ganzes Leben hindurch, hat mich nie spüren lassen, dass ich nicht ihr eigener Sohn war.


Helmuth Rilling und sein Vater. © AR

Glauben Sie, dass Ihnen Ihre leibliche Mutter von ihrem Wesen her Wichtiges vererbt und mitgegeben hat?

Ich denke schon. Die Familie meiner Mutter Hildegard Plieninger ist seit vielen Generationen eine Theologenfamilie. Wenn wir in der Johanneskirche am Stuttgarter Feuersee Konzerte geben, stelle ich mir auf der Kanzel immer meinen Großvater vor, der dort Stadtpfarrer war. Diese Herkunft hat mich sehr beeinflusst, besonders in Kinder- und Jugendzeiten, denn ich war bei den verschiedenen Teilen dieser Familien immer wieder zu Gast. In Kriegszeiten, als meine zweite Mutter mit den jüngeren Geschwistern überlastet war – mein Vater war Soldat –, habe ich lange Zeit bei Martin Plieninger, einem Bruder meiner leiblichen Mutter, in Ludwigsburg gewohnt, weil ich dort zur Schule ging. Martin Plieninger war ebenfalls Pfarrer, und dieser Pfarrhaushalt hat mich stark beeinflusst. Das begann morgens mit der Lesung der Tageslosung der Herrnhuter Brüdergemeine. Und dass sonntags in die Kirche gegangen wurde, verstand sich von selbst. Die Familie meiner Mutter war zudem betont musikalisch orientiert. Alle sangen, spielten Instrumente. Ich erinnere mich an Tanten, Onkel, an Vettern und Cousinen, die ausgezeichnet musizierten, ohne professionelle Musiker zu sein. Bachsche Orgelwerke habe ich zum ersten Mal von meinem Vetter Eberhard Plieninger gehört. Der spielte mir, dem heranwachsenden Jungen, diese anspruchsvolle Musik vor, was mich begeisterte, wie ich genau erinnere.

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