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»Ich komme mit jedem ins Gespräch«
ОглавлениеUnd die Wesenszüge? Sie sagen, Ihr Vater war ungeschickt …
Mein Vater hat es immer fertiggebracht, sich mit Menschen zu überwerfen, ja, zu verfeinden, ohne es zu merken. Möglicherweise habe ich mir, völlig unbewusst, von Kind auf gesagt: »So etwas passiert dir nicht!« Auf die Weise entwickelt man eine Gegeneigenschaft vielleicht stärker, als man es sonst getan hätte. Viele betrachten es als meine Stärke, dass ich mit jedem ins Gespräch komme, jeden für die Dinge, die mir wichtig sind, zu interessieren vermag, in Konfliktsituationen ausgleichend bin.
Wirkte sich die Ungeschicklichkeit Ihres Vaters auch in der Familie aus?
Ja, vor allem etwas später beim Umgang mit meinen Geschwistern. Denen wurde ich von ihm als Vorbild dargestellt, was meine Interessen in kultureller Hinsicht und anderes betraf. Weil er dabei so ungeschickt vorging, verweigerten sie sich. Sie haben sich oft nur schwer mit ihm verstanden. Meine zweite Mutter wollte das ausgleichen, was zu familiären Problemen führte.
Denen Sie ausweichen wollten? Ich denke an Ihre schulische Laufbahn …
Wohl schon, ja. Aber da gab es noch anderes. Ich muss einige Jahre zurückgehen. Meine Eltern waren nach der zweiten Eheschließung meines Vaters mit mir und noch ohne weitere Kinder nach Markgröningen gezogen. Mein Vater wurde hier Musiklehrer an einer sogenannten Aufbauschule, die der Ausbildung künftiger Lehrer diente. In dieser Zeit musizierte meine zweite Mutter, die eine sehr schöne Stimme hatte, abends, wenn ich schlafen sollte, mit meinem Vater das Liedrepertoire des 19. Jahrhunderts – vor allem Schubert, auch Brahms und Hugo Wolf –, das ich durch Mithören bald sehr gut kannte. Wir blieben in Markgröningen bis 1948, wo wir von Krieg und Nachkriegszeit nicht so viel gespürt haben, wie das in Stuttgart der Fall gewesen wäre. Inzwischen waren wir eine große Familie mit fünf Kindern, in der die Betriebsamkeit nie abriss. Vielleicht entstanden da in mir Absetzungsneigungen …
Wie war Ihr Verhältnis zu den Halbgeschwistern?
Natürlich und gut, bestimmt freilich durch den Altersabstand. Die mir nachfolgende Schwester war sechs, der jüngste Bruder elf Jahre jünger als ich.
Haben die Geschwister Interesse an Ihrer Arbeit gezeigt?
Unterschiedlich. Die Wege der Geschwister führten in andere Richtungen, ausgenommen der meiner Schwester Gunhilt, die Geige studiert und später viele Jahre im Bach-Collegium mitgewirkt hat. Mein jüngster Bruder Raimund spielt viele Instrumente, wurde aber Unternehmer, Herbert Lehrer, Wolfgang Buchhändler.