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Die christliche Familie

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Sie hatten Zeit, über diesen entmutigenden Satz nachzudenken, denn es gab nach dem Abitur ein Intermezzo.

Die Abiturienten, die ins Tübinger Stift übertreten wollten, waren verpflichtet, vor dem Studium ein Jahr in der Industrie oder in einem Sozialen Dienst zu arbeiten. Die jungen Leute sollten was anderes gesehen haben, bevor sie sich dem Studium zuwandten. Dieses von der Kirche vorgeschriebene »Abstandsjahr« fand auch ich sinnvoll. Meine Mutter kam auf die sehr gute Idee, ich solle mich bei der Orgelbaufirma Walcker in Ludwigsburg bewerben. Das klappte. Ich machte bei Walcker Hilfsarbeiterdienste und lernte dabei vor allem eine dem Seminarbetrieb völlig entgegengesetzte Welt, die einfache Arbeitswelt und wie sie im Alltag funktioniert, kennen. Arbeiter in meiner Nähe drohten mir zum Beispiel Konsequenzen handgreiflicher Art an, wenn ich zu schnell arbeitete. In diesem Jahr des Abstands von Seminar und Schule klärten sich meine Vorstellungen, sodass ich am Ende wusste: »Ich muss Musik machen.«

Beruflich ging es bei Ihnen, familiär bedingt, aber auch durch die theologischen Seminare in Richtung einer theologischen oder theologieverbundenen Betätigung. Der Weg in die Kirchenmusik war im Grunde vorgezeichnet.

Was ich damals nie gedacht habe.

Vorgegeben als Grundlage war Ihre christlich orientierte Familie.

Die mir familiär vorgegebene christlich ausgerichtete Lebens- und Verhaltensweise habe ich gern aufgenommen und auch mit Überzeugung durch mein ganzes Leben weitergetragen.

Religiosität hat in der Gegend um Stuttgart, wo Sie aufgewachsen sind und leben, einen herausgehobenen Stellenwert: In diese Tradition wächst man wohl hinein – oder man wehrt sie ab.

Zur pietistischen Richtung, die Sie wohl meinen, habe ich mich nie gerechnet, nicht in meinen Schüler- und Studentenzeiten und auch später ganz bewusst nicht.

Auf meine eingangs gestellte Frage, ob sich Wesenszüge Ihrer Eltern in Ihnen fortgesetzt haben könnten, haben Sie nicht klar geantwortet.

Ich erwähnte die Ungeschicklichkeit meines Vaters, die ich für mich vermeiden wollte. Wenn Menschen von meiner Mutter reden und sie als besonders herzlich, aktiv und temperamentvoll beschreiben, dann sind das Attribute, die wohl auch für mich zutreffen.

Temperamentvoll … Ihr Erscheinungsbild gleicht eher dem eines immer ausgeglichenen Menschen.

Ist das ein Gegensatz?

Temperament kann, wenn es bedrängend wird, schon mal in Heftigkeit übergehen. Das schließt man bei Ihnen aus.

Wenn Sie temperamentvoll so beschreiben … Aber ich meine es wohl doch anders. Ohne Temperament kommt man in meinem Beruf nicht aus. Ich muss aus mir herauskommen und schon mal sagen können: »Das muss so gehen, wie ich es will!«

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