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Wie sind Sie gerade auf ihn verfallen?

Bernstein war einer der Großen. Das war Karajan natürlich auch, aber der gefiel mir als Musiker weniger. So empfand ich es zumindest damals. Zu Bernstein ließ sich zudem eine Verbindung herstellen. Dem Komponisten und Pianisten Robert Kahn, dem Großvater meiner Frau, hatte dessen Schüler Wilhelm Kempff noch kurz vor dem Krieg, also sehr spät, von Berlin aus zur Flucht nach London verholfen. Zwischen Kempff und der Familie blieb ein herzlicher Kontakt bestehen, und Kempff hat Bernstein irgendwann auf mich angesprochen.

Meine Begegnung mit Bernstein ist nahezu grotesk vonstattengegangen. Er dirigierte in Wien, wo ich mich ihm kurz vorstellen sollte, bevor ich im Herbst des Jahres – so der Plan – nach New York gehen würde. Ich traf ihn in Wien in seinem Hotel. Er war sehr freundlich, aber verständlicherweise nicht besonders interessiert. Ich äußerte den Wunsch, das für den Abend mit ihm anstehende Konzert zu besuchen, für das ich keine Karte hatte. Er wollte das regeln, und ich sollte ihn abends am Künstlereingang des Musikvereins erwarten. Er erschien zehn Minuten vor Konzertbeginn. Viele Leute stürzten auf sein Auto zu, was ich auch versuchte. Aber dann war er schon nach drinnen verschwunden. Jetzt musste ich selbst handeln. Ich mogelte mich am Künstlereingang beim Pförtner vorbei und landete in den Stimmzimmern bei den Musikern. Als eingeklingelt wurde, schloss ich mich dem Musikerstrom in Richtung Bühne an, komme hinein und setze mich auf die Stufen zwischen die ersten und zweiten Geigen. Die fanden das lustig – im Gegensatz zu dem Türsteher, der mir wild zugestikulierte. Das Erscheinen Bernsteins löste die Situation. Er ging aufs Podium, verbeugte sich, drehte sich um, sah mich, grinste mir breit zu und gab den ersten Einsatz. Gespielt wurde Mahlers I. Sinfonie. Ich saß da von Anfang bis Schluss und hatte den besten Blick auf Bernstein. Danach gab es Ärger mit irgendwelchem Aufsichtspersonal, aber ich hatte es geschafft, ein Konzert unter Bernstein aus bestem Blickwinkel mitzuerleben. Später in New York erinnerte sich Bernstein genau daran. Und als ich das erste Mal – viel später – mit den Wiener Philharmonikern die Matthäus-Passion aufgeführt habe, wurde ich von einigen angesprochen: »Sind Sie nicht der, der da damals saß?«

Ein Leben mit Bach

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