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Der Vater, zwei Mütter

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Sein Vater war Schmied, der die Pferde des Dorfes beschlug. Dass mein Vater aus diesem Umfeld, aus diesem dörflichen Umkreis, herauskommen konnte, war nicht selbstverständlich. Ich denke, seine Familie hat etwas für die damalige Zeit Außerordentliches geleistet, indem sie den Sohn auf ein Lehrerseminar schickte. Dort hat er seine Liebe zur Musik entdeckt. Im schon fortgeschrittenen Alter begann er, Klavier zu spielen, wechselte auf die Stuttgarter Musikhochschule, wurde Schulmusiker. Er war kein glänzender, aber ein sehr ordentlicher Pianist und konnte auch Orgel spielen. Wichtiger war wohl, dass er die Musik ausgesprochen geliebt hat. Wahrscheinlich hat meine Mutter ihn auf der Musikhochschule kennengelernt.


Helga Rilling, geb. Eymael, Helmuth Rillings »zweite Mutter«. © AR

Sie sagen »wahrscheinlich« …

Die Generation unserer Eltern hat, wie damals wohl oft, mit ihren Kindern nicht über persönliche Dinge gesprochen. Ich habe nie von meinem Vater erfahren, wie es zu seiner Beziehung mit meiner Mutter gekommen ist. Ich stelle mir vor, dass das damals eine unerhörte Sache gewesen sein muss. Ein junger Mann aus Handwerkerkreisen kommt in eine aristokratisch gesinnte Theologenfamilie mit Mitgliedern, die Reeder in Bremen waren. Das waren starke und wohl auch schwierige Gegensätze. Trotzdem: Die Ehe meiner Eltern – es gibt sehr schöne Fotos von ihnen – muss sehr glücklich gewesen sein, bis sie so plötzlich und unvermutet abbrach.

Beide passten trotz unterschiedlicher Herkunft gut zusammen.

Soweit ich das weiß, ja. Dabei war mein Vater kein einfacher Mann. Er ging, wie man so sagt, ungeschickt mit Menschen um. Immer eckte er an, sodass gerade berufliche Dinge bei ihm nicht weitergingen. Dann brach der unselige Krieg im Herbst 1939 aus – er wurde eingezogen, war aber relativ früh, ich glaube ein halbes Jahr nach Kriegsende, schon wieder zu Hause. Aber die Kriegszeit hat ihn im Hinblick auf seinen eigenen Beruf gebremst. Er war auch kein glücklicher Schulmusiker. Er hat mich später immer wieder in seine Stuttgarter Schule – damals hieß sie Evangelisches Töchterinstitut, heute Mörike-Gymnasium – zur Unterstützung geholt. Da musste ich mit ihm irgendwas vierhändig vorspielen oder die Andacht begleiten. Er akzeptierte mich, wollte aber im Grunde nicht, dass ich wie er Musiker würde.

Sie wurden es trotzdem, und er hat Ihre Karriere noch miterlebt.

Ja, später fand er, was ich machte, wunderbar, aber am Anfang … Der professionelle Umgang mit Musik stellte sich aus seiner Sicht, aus der Sicht des Schulmusikers, als ein Beruf dar, der wenig Freude machte und von dem man nur so gerade leben konnte.

Hatte er schlechte Erfahrungen gemacht? Er war als Schulmusiker berufsständisch immerhin abgesichert.

Er hat mir – das widerspricht dem, was ich gerade sage, in gewisser Weise – im Endeffekt zugestanden, wenn ich unbedingt Musik studieren wolle, dann nur Schulmusik. Da hätte man wenigstens sein Auskommen. Er hat dann aber lange gebraucht, bis er bereit war, anzuerkennen, dass das, was ich künstlerisch machte, nicht gerade etwas ganz Normales war, um es mal so auszudrücken. In diesen Zusammenhang passt folgende Episode, sie betrifft meine Anfänge mit der Gächinger Kantorei. Nach einer in der Öffentlichkeit sehr anerkannten, erfolgreichen Aufführung von Hugo Distlers Choral-Passion im Chorraum der ansonsten zerstörten Stuttgarter Stiftskirche erklärte mein Vater, das wäre ja ganz ordentlich gelaufen und er wäre jetzt durchaus bereit, das zu übernehmen.

Was wollte Ihr Vater übernehmen?

Die Gächinger Kantorei! Ich sagte schon: Mein Vater war oft ungeschickt. Er hatte selbst früher einen Chor mit sehr viel Engagement geleitet. So hätte ich gerade aus dieser Konstellation heraus ein Lob von ihm erwartet. Das aber kam nicht. Stattdessen sagte er: »Besser du übst zu Hause, und ich mache den Chor weiter.« Ich habe meinen Vater sehr lieb gehabt und bewahre ihm ein positives Gedenken. Aber … so konnte er sein.

Sie haben es ihm nachgesehen.

Zunächst habe ich ihm das sicher übel genommen. Aber ich habe sogar mit den Chormitgliedern gesprochen, die seine Überlegung erwartungsgemäß ablehnten. Entschuldigend für meinen Vater möchte ich sagen: Er war viel krank. Er hat wohl immer gedacht, er müsste etwas besonders Bedeutsames leisten. Aber die Chance dazu hat sich für ihn nie ergeben.

Wirkte sich der Nationalsozialismus auf Ihre Familie aus?

Ich bin oft selbst überrascht, wenn ich bedenke, wie wenig ich davon weiß. Ich war ja in der Zeit kein kleines Kind mehr. Bei Kriegsende war ich zwölf. Aber ich erinnere mich an keine Gespräche zwischen den Eltern zu diesem Thema.

Eine Affinität zu den Nazis war also nicht vorhanden.

Bei niemandem in der Familie. Mein Vater war von seinem Typus her ein völlig unpolitischer Mensch. Unvorstellbar für mich, dass er irgendwo das Wort in einer politischen Diskussion ergriffen und seine Meinung geäußert hätte. Als Soldat gehörte er zu den untersten Diensträngen – er war Gefreiter.

Pädagogen waren oft gezwungen, sich über gleichgeschaltete Berufsverbände mit den Nazis zu solidarisieren.

Das könnte auch bei ihm so gewesen sein. Aber von einer Parteimitgliedschaft war er sicher weit entfernt. Später haben wir Fragen gestellt: Wie konnte diese Generation zulassen, was damals passierte? Antworten gab es darauf nicht. Wie gesagt, über solche Dinge wurde nicht gesprochen.

Es hat, gerade auch in Theologenkreisen, Bedrängungen durch die Partei gegeben.

Ich erinnere mich, dass in der Familie meiner Mutter solche Themen hochkamen. Da ging es um die Rolle der Kirche, und der Bruder meiner Mutter, Martin Plieninger, hatte als Dekan im Pressedienst eine Öffentlichkeitsfunktion für die Kirche. Details habe ich als Kind nicht verstanden.

Haben sich Wesenszüge, Charakterzüge Ihrer Eltern in Ihnen fortgesetzt? Die musikalische Begabung zweifellos.

Die kommt von beiden Seiten. Mein Vater war sehr musikalisch, verstand viel von Musik im Allgemeinen und konnte das auch vermitteln. Das habe ich von ihm erlebt. Das musikalische Talent meiner Mutter kann ich nur nacherzählen.

Ein Leben mit Bach

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