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»Unglaublich, aber typisch für mich«

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Wenn eine Kommission anreist, um dem ehemaligen Stuttgarter Studenten Helmuth Rilling diesen Antrag zu machen – das konnte nicht von ungefähr gekommen sein.

Ich hatte schon als Student in Stuttgart Orgelkonzerte gespielt und mit der Gächinger Kantorei konzertiert, war in meiner Heimatstadt also nicht völlig unbekannt. So hat man mir offenbar zugetraut, eine solche Position ausfüllen zu können. Die Kommission zeigte mir gleich einen Plan von der künftigen Orgel, die mir zur Verfügung stehen würde. Also war die Anfrage, die mir natürlich unglaublich schmeichelte, ernst gemeint. Es sollte übrigens, so unglaublich das klingen mag, typisch für mich werden, dass ich mich nie um eine Stelle bewerben musste, in meinem ganzen Leben nicht. In der Württembergischen Landeskirche hat es immer wieder Pfarrer gegeben, die selbst Musik gemacht haben, zumindest aber Musik über die Maßen liebten. Dr. Werner Jetter, zu der Zeit der Pfarrer an der im Krieg zerstörten und deshalb noch im Aufbau befindlichen Gedächtniskirche, war so jemand. Seine Frau war die von mir erwähnte Geigenschülerin meiner Mutter gewesen. Vielleicht hat sie mich ins Gespräch gebracht.

Sie waren noch kein examinierter Kirchenmusiker …

Ja, ich musste nun meine Kirchenmusikprüfung nachholen. Hans Arnold Metzger, Kirchenmusiker an der Stadtkirche in Esslingen, leitete damals die kirchenmusikalische Abteilung an der Stuttgarter Hochschule. Er hatte im Krieg ein Bein verloren, war dennoch ein guter Organist und ein vorzüglicher Lehrer. Ihm verdankt die Landeskirche auch einen Stellenplan für die Pflege der Kirchenmusik im ganzen Land. Mir selbst war er in den Folgejahren ein wichtiger Rat gebender Freund. Er ermöglichte es mir damals, das Examen nebenbei und schnell, quasi pro forma, nachzuholen. Das war nicht schwierig für mich, Orgel spielen konnte ich sowieso. So habe ich parallel zur musikalischen Aufbauarbeit an der Gedächtniskirche ab Herbst 1957 Kirchenmusik studiert. Es ging also von Italien direkt in den festen Beruf. Die Kirche wurde jedenfalls am Ersten Advent 1957 eingeweiht – mit mir als ihrem Kantor und Organisten.

Genügten Ihnen dafür die gegebenen Bedingungen der Gedächtniskirche? Die Orgel, Ihre persönliche Nummer eins, wie man sagen darf, war vorhanden. Und sonst?

Ich hatte die Gächinger Kantorei, einen Spitzenchor, aber der war nur selten verfügbar. In der Kirchengemeinde fand ich einen Kirchenchor vor, von dessen Mitgliedern drei Viertel keine Noten lesen konnten. Ich habe das eine kurze Zeit so hingenommen, fand den Zustand in einer der reichen Gemeinden Stuttgarts dann aber nicht länger akzeptabel. Da saßen so viele gebildete und musikinteressierte Leute in der Kirche, die konnten doch mit einem so jammervollen Kirchenchor unmöglich zufrieden sein. Das führte zur Entscheidung, einen neuen Chor zu gründen, den wir Figuralchor nannten, im Gegensatz zu dem alten, dem Choralchor; der war künftig für die Choräle, der Figuralchor für die großen Kompositionen zuständig. Und als Spitzenensemble konnte ich im Bedarfsfall die Gächinger Kantorei heranziehen. Nach drei Monaten hatte ich einen Figuralchor von beachtlicher Qualität zusammen. Dabei stellte ich Ansprüche. Wer in den Figuralchor eintreten wollte, musste eine Aufnahmeprüfung ablegen: Die Bewerber mussten eine schöne Stimme haben und vom Blatt singen können. So konnte ich meine Arbeit von vorneherein auf ein höheres Niveau einstellen. Am besagten Ersten Advent 1957 hat der Figuralchor mit dem Choralchor mehrchörige Motetten von Schütz von allen Emporen der Kirche gesungen. Die Begeisterung über diese musikalische Belebung in der Gemeinde war groß. Von da an habe ich jeden Monat eine geistliche Abendmusik gemacht. Orgelabende kamen hinzu, von Gästen und von mir selbst bestritten. Mein Lehrer Fernando Germani war dabei.

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