Читать книгу Verliebt-Reihe Gesamtausgabe - Jennifer Lillian - Страница 26
Sechzehn
ОглавлениеNach der Ansage von Lynn hatte ich mich stillschweigend in mein Zimmer zurückgezogen. Mir war der Spaß eindeutig vergangen. Auch im Bett wurde es nicht besser, denn ich wälzte mich von einer Seite auf die andere und bekam kein Auge zu. Vermutlich trugen die laute Musik und das Gelächter im Wohnzimmer ihren Teil dazu bei, aber lauter als alles andere waren meine wirren Gedanken in meinem Kopf. Lynns hinterhältige Stimme, die sich wie ein Bumerang in meinen Ohren bewegte. Ich wusste, dass ich mich nicht weiter darauf einlassen sollte, aber ihre Sätze wollten mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Was, wenn sie recht hatte und ich weder Brad noch Daph ihr Liebesglück gönnte? Zugegebenermaßen hatte ich die ganze Zeit über, wenn ich die beiden beobachtete, ein komisches Gefühl im Bauch. Aber vielleicht war es auch einfach nur Angst. Angst davor, wirklich überflüssig zu werden. Gerade jetzt, wo ich doch endlich wieder ein kleines Stück zurück in mein Leben geschafft habe.
Nein! Ich brauchte keine Angst haben. Daph und mich konnte keiner so schnell trennen und auch meine Freundschaft zu Brad war inzwischen so eng, dass ich glaubte, ihn ein Leben lang an meiner Seite haben zu können. Ich empfand keinerlei Missgunst den beiden gegenüber. Und selbst wenn da ein Funken wäre, dann musste ich den einfach runterschlucken. Nach einer Zeit würde sich das schon legen. Ganz bestimmt!
***
Das nächste Mal sah ich Brad erst in der Uni wieder.
Mit einem dicken Wälzer in der Hand hatte ich es mir im Innenhof der Uni bequem gemacht und ließ mir bei strahlender Sonne meinen Kaffee schmecken, als Brad sich neben mich setzte. Ich blickte hoch und lächelte knapp.
„Alles okay bei dir?“, fragte er und musterte mich. Ich nickte kurz.
„Warum warst du am Freitagabend so plötzlich verschwunden?“
„Ich war müde?“ Es war mehr eine Frage als eine Antwort und so überflog ich mit meinen Augen weiter die Zeilen in meinem Buch, ohne diese wirklich zu lesen.
„Und Samstag? Und Sonntag? Du hast dich gar nicht gemeldet“, hakte er weiter nach. Ich rief mir seine Gute-Nacht-SMS in Erinnerung und bekam schlagartig ein schlechtes Gewissen, da ich ihm nicht geantwortet hatte.
Schließlich klappte ich mein Buch zu und legte es auf meinen Beinen ab. „Ich schreibe eine Klausur in zwei Tagen und bin daher nur am Lernen. Ich hatte einfach keine Zeit, tut mir leid“, sagte ich entschuldigend. „Du weißt ja, was für ein Streber ich bin“, fügte ich noch hinzu. Warum ich das tat, konnte ich mir selber nicht erklären.
„Das hast du jetzt gesagt“, murmelte Brad nur und sah geradeaus auf den Schwarm Studenten, der an uns vorbeizog und sich eilig in Richtung Gebäude bewegte. So eine strebsame Studentin war ich auch mal, dachte ich. Immer eilig von Vorlesung zu Vorlesung. Inzwischen war ich um einiges entspannter.
„Sorry. Ich bin einfach nur ein bisschen gestresst in letzter Zeit“, gab ich schließlich von mir, nachdem ich sein verwirrtes Gesicht wahrnahm.
„Dann sollten wir zusehen, dass wir dich wieder gelassener machen“, schlug er plötzlich vor und bekam wieder sein typisches Leuchten in den Augen. Das, was er immer hatte, wenn er irgendetwas vorhatte.
„Ich muss aber lernen.“ Demonstrativ hielt ich das Buch hoch und schwang es mit Nachdruck vor seinen Augen hin und her.
Auf einmal packte er es und zog es mir mit einem Ruck aus der Hand. „Aber auch du brauchst mal eine Pause.“
Da ich ihn kannte und wusste, dass er nicht nachgeben würde, seufzte ich kurz. „Okay, und was hast du vor?“
„Hm“, machte er nur und rieb sich nachdenklich sein Kinn. „Wir könnten Enten im Park füttern“, lachte er, als hätte er einen Witz gemacht, den ich aber irgendwie nicht verstand, wenn es wirklich einer sein sollte. Als er mein ausdrucksloses Gesicht sah, dachte er kurz weiter nach. „Kino?“
Ich schüttelte den Kopf. „Keine Lust.“
„Hm“, machte er abermals. „Und was hältst du davon, wenn wir schwimmen gehen? Das haben wir noch nie gemacht“, schlug er plötzlich vor und schien davon schwer begeistert zu sein. Ich schluckte schwer. „Ach nein, lieber nicht. Ich habe nicht so die Badefigur.“
„So ein Quatsch! Du bist rank und schlank, was willst du denn mehr?“
„Noch ranker und noch schlanker sein?“, warf ich kurz ein, doch Brad ignorierte das.
„Das akzeptiere ich nicht! Also geh bitte nach Hause, pack deine Sachen und ich hole dich dann in einer Stunde ab.“
***
Ich weiß nicht, wie lange ich schon nicht mehr in einem Schwimmbad war. Jedenfalls muss das einige Zeit her gewesen sein. Das laute Lachen und Schreien der Kinder hallte durch die ganze Anstalt und der Duft von Chlor und Desinfektionsmittel stieg mir in die Nase. Da wurden Kindheitserinnerungen wach.
Als Kind, erinnerte ich mich, war ich sehr oft mit meinen Freundinnen schwimmen gegangen. Damals trug man noch mit Badenudeln wilde Kämpfe aus und veranstaltete lebenswichtige Wettrutschpartien. Danach stopfte man sich den Bauch mit Süßigkeiten vom Kiosk voll. Heute stand man da, hielt sich die Arme umständlich vor die Brust und den Bauch, um möglichst nicht dick oder unförmig auszusehen. Das Wichtigste waren jetzt keine Arschbomben mehr, sondern das Einziehen des Bauches und das ästhetische Bewegen am Beckenrand, ohne auszurutschen und hinzufallen. Eigentlich ganz schön traurig, wie sich der Ort des Spaßes in einen Ort der pingeligen und übertriebenen Selbstdarstellung verwandelt hatte.
Selbstverständlich hatte ich nur einen uralten Bikini, der natürlich nicht sehr vorteilhaft saß, sondern schon gut eine Nummer zu klein war. Aber er überdeckte alles, was überdeckt werden musste. Falsche Bewegungen blieben dennoch zu vermeiden. Ich trat gerade voller Selbstzweifel aus der Frauenkabine hinaus in die gut besuchte Schwimmhalle, als Brad plötzlich neben mir auftauchte. „Hey, Schönheit!“
Ich zuckte zusammen, und beinahe blieb mir die Luft weg. Erschrocken sah ich ihn an und stellte fest, wie gut er in Badehosen aussah. Ich schlang die Arme noch enger um meinen Bauch, versuchte aber zeitgleich, nicht unsicher auszusehen.
„Mann! Hast du mich erschreckt!“, lachte ich etwas zu laut.
„Naja, immerhin habe ich eine ganze Weile hier gewartet. Du hast dir ganz schön Zeit gelassen. Derweilen habe ich mich hier einmal genauer umgesehen. Hier gibt es ein paar nette Jungs für dich. Vielleicht sollten wir dir einen suchen. Immerhin möchte ich, dass mein Mädchen ja auch mal unter die Haube kommt. Oder wenigstens ein bisschen Spaß hat“, lachte er und strich seine feuchten Haare zur Seite. Während er sprach, wanderte mein Blick etwas weiter runter. Sein Bauch bot einfach alles, was sich eine Frau wünschen konnte. Seine Muskeln zeichneten sich unter den Wassertropfen, die noch an ihm perlten, so präzise ab, dass man ein Lineal an seinen Bauch halten könnte (seine Bauchmuskeln wären gerader als das Lineal!).
Als ich merkte, dass meine Augen immer weiter abdrifteten und größer wurden, schreckte ich plötzlich hoch. „Bitte, was hast du gesagt?“ Ich hatte ihm gar nicht zuhören können. Gott, wieso war ich nur so abgelenkt? Wieso hatte er nur so einen Körper?
„Ich sagte, wir sollten dir einen schnieken Typen hier suchen“, wiederholte er. „Ähm, und was soll das bringen?“, fragte ich schüchtern und versuchte meine Haltung nicht zu verlieren.
Brad rollte bloß mit den Augen. „Hinterfrag nicht immer alles, und komm einfach mit.“
***
Eigentlich ist es kaum zu glauben, aber Brad schaffte es tatsächlich, mich aus der Welt der äußerlichen Selbstdarstellung heraus zu manövrieren. Und natürlich tat er das mit seiner unauffällig charmanten Art.
„Siehst du, was ich sehe?“, fragte er ganz geheimnisvoll und wackelte mit seinen Brauen. Ich folgte seinem Blick und blieb schließlich an der übergroßen, sich mehrmals in sich drehenden roten Rutsche haften. Kinder beförderten sich kreischend hinab, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen, und tauchten unten jubelnd und gleichzeitig taumelnd wieder auf. Mir ging das Herz auf.
„Ich sehe eine Rutsche. Ich sehe dich und gleichzeitig eine ganz blöde Idee in deinen Augen aufblitzen“, knurrte ich, ohne den Blick von der Rutsche zu nehmen.
„Und genau da gehen wir jetzt rein“, raunte er mir entgegen. Mein Rücken versteifte sich, als er mir so nahe kam. Noch ehe ich abwehrend den Kopf schütteln konnte, spürte ich, wie er mein Handgelenk packte und mich hinter sich herzog. Ich versuchte mich noch zu wehren, aber um nicht allzu lächerlich dabei auszusehen, waren meine Versuche für die Katz.
„Brad, lass mich sofort los!“, befahl ich im strengen Ton und versuchte nicht zu laut zu sein. Immerhin waren hier Kinder, denen ich Angst einjagen könnte. Doch Brad ließ selbstverständlich nicht los und schaffte es, mich vor die ewiglange Treppe vor der Rutsche zu zerren, die sich weit über uns hinaus erstreckte.
„Das kann nicht dein Ernst sein“, fluchte ich und reckte meinen Hals empor, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Brad hingegen lachte nur wieder. „Du hinterfragst das wirklich? Du kennst mich, ich mache, was sowas angeht, keine Scherze.“ Er klang in der Tat ziemlich ernst.
„Brad, ich bin keine fünf mehr“, erklärte ich.
In diesem Moment drängelte sich ein kleiner Junge an mir vorbei und presste mich leicht beiseite. „Platz da, alte Frau!“, fauchte er, als er an mir vorbei schnellte und die Treppe hinauf stürmte.
„Bitte was?“, keifte ich entsetzt und blickte ihm wütend nach. Brad legte seinen Kopf in den Nacken und lachte laut. „Der Junge ist mir sympathisch.“
Mir stand der Mund offen. „Was fällt dem denn ein? Alte Frau? Hör mal! Du bist älter als ich.“ Pikiert über die Dreistigkeit des kleinen Jungen verzog ich das Gesicht.
„Nun, scheinbar bist du mir vom Verhalten her ein paar Jahre voraus“, stellte er provokant fest. Ich bemerkte das Funkeln in seinen Augen. Er war ganz klar auf eine Herausforderung aus.
„Dem werde ich’s zeigen! Und dir auch!“, herrschte ich ihn plötzlich an und presste meinen drohenden Finger auf seine Brust. Ehe ich mich versah, huschte ich ebenfalls die Treppe hinauf. Brad folgte mir mit einem hämischen Lachen. Natürlich – er hatte gewonnen. Oben angekommen sah ich noch, wie mir der kleine freche Junge mit den größten Segelohren, die ich jemals gesehen habe, die Zunge rausstreckte und wie eine flinke Maus in der dunklen Röhre verschwand. Entsetzt verzog ich erneut das Gesicht. Was stimmte denn mit dem nicht?
„Na warte!“, drohte ich ihm und war über mein Verhalten selbst sehr überrascht.
„Na los, zeig’s ihm“, hörte ich Brad hinter mir. Ich legte meine Hand auf die rutschige Stange vor der Rutsche, um ordentlich Schwung zu holen. Wenn ich mir schon die Blöße gab und mich auf ein Duell mit einem Kind einließ, dann wenigstens mit Würde. Brad funkelte mir noch einmal motivierend zu. Dann drückte ich meinen Körper leicht nach hinten, krallte mich an der Stange fest und schwang mich so heftig in die Röhre, dass es mir sogar etwas wehtat, als ich mit meinem Gesäß auf die Rutschbahn knallte. Alles um mich herum wurde dunkel und ich presste schreiend die Augen zusammen. Ich raste die Rutsche hinunter, wurde von einer Seite zur anderen gestoßen und nahm ein derartiges Tempo auf, was ich als Kind niemals geschafft hätte. Mein Körper wurde von einer Kurve in die andere geschleudert. Durch die Dunkelheit verlor ich zudem die komplette Orientierung. Aus meinem Schreien wurde inzwischen ein Lachen, wenn auch ein bisschen hysterisch. Es kam mir vor, als wäre ich um Jahre zurückversetzt. Ich glaubte jeden Meter, den ich rutschte, meiner Kindheit ein Stückchen näher zu sein. Ich fühlte mich frei und unendlich jung. Es war einfach unbeschreiblich.
Lachend planschte ich unten in ein kleines Auffangbecken und war durchaus traurig, dass die wilde Fahrt schon vorbei war. Noch immer lachend lag ich im Wasser und öffnete langsam die Augen. Vor mir tauchte der kleine Junge auf, ein großes Fragezeichen über dem Kopf.
Mein Lachen erlosch und ich richtete mich auf. Er war einen Kopf kleiner als ich. „Na? Wer ist hier jetzt alt, du kleine Kröte? Merk dir eines: Man wird nicht älter, man wird nur besser!“, zischte ich mit einem triumphierenden Grinsen und ließ ihn mit seinem entsetzten Gesicht zurück. Der Punkt ging definitiv an mich.
Ich hatte es kaum für möglich gehalten, dass ich noch einmal so viel Spaß in einem Schwimmbad haben würde. Meinen Körper, meine Figur und vor allem meine Hemmungen Brad und den anderen Menschen in der Badeanstalt gegenüber hatte ich komplett vergessen. Es zählte einzig und alleine das Vergnügen. Wir rutschten noch mehrere Male. Stoppten die Zeiten und lieferten uns harte Kämpfe mit Schwimmnudeln. Zugegebenermaßen verlor ich einige Schlachten, aber als ich Brad unverhofft mit der Schwimmnudel ins Gesicht schlug, blieb mir erst vor Schreck die Luft weg, anschließend vor Lachen. Wir liefen durch die Schwimmoase wie zwei verrückte Teenies und überlegten, welchen Mist wir als nächstes anstellen sollten. Oft schubste er mich einfach ohne Vorwarnung ins Wasser, sodass ich eher unelegant in die Becken platschte und fluchend wieder an der Oberfläche auftauchte. Zwischendurch fanden wir uns vor dem Kiosk wieder, drängelten kleine aufmüpfige Kinder beiseite und erhaschten uns Naschtüten mit Gummibären und Lakritzschnecken. Ich lachte Tränen, wenn Brad sich vor mir zum Affen machte. Aber all die Blicke der anderen waren mir schlichtweg egal. Der Tag war wunderbar. Er hätte eigentlich durch nichts mehr zerstört werden können. Wenn da nicht …