Читать книгу Verliebt-Reihe Gesamtausgabe - Jennifer Lillian - Страница 30
Zwanzig
ОглавлениеZuhause angekommen schmiss ich entmutigt meine Tasche in die Ecke meines Zimmers und ließ mich auf mein Bett fallen. Mit starrem Blick an die Decke verharrte ich dort eine ganze Weile. Plötzlich flog meine Tür auf und Daph kam wie wild hineingestürmt. Ich zuckte kurz zusammen und spürte eine Erschütterung auf meinem Bett. Daph hingegen kreischte freudig.
„Oh mein Gott! Sally, ich muss dir unbedingt was erzählen.“ Beiläufig sah ich zu ihr rüber, lenkte aber wieder meinen Kopf in Richtung Decke.
„Lass mich raten, Brad?“
„Ja“, quietschte sie wieder wie ein kleines Ferkel. „Wir wollen es miteinander versuchen. Ist das nicht der Hammer?“ Sie hüpfte immer noch auf meinem Bett umher, als wäre sie von einer Tarantel gestochen worden.
„Herzlichen Glückwunsch“, presste ich bloß hervor.
Mit gerunzelter Stirn hielt Daph schließlich inne und sah mich fragend an. „Was ist los? Kannst du dich nicht wenigstens ein bisschen freuen?“
„Doch. Wie ich schon sagte: Meinen Glückwunsch“, wiederholte ich und atmete demonstrativ laut ein und aus.
„Na, vielen Dank auch. Ich weiß zwar, dass du gestern nicht darüber sprechen wolltest, weil du Stress wegen deiner Klausur hattest, aber jetzt …“ Sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund und wurde schlagartig still.
„Sall, entschuldige bitte. Deine Klausur. Ich muss das vergessen haben. Sorry, was ist los? Wie ist die Klausur gelaufen? Wieso guckst du so mitgenommen?“
Sie beugte sich halb über mich und erwartete sehnsüchtig eine Antwort.
„Sie ist beschissen gelaufen“, erklärte ich nur knapp und erhob mich. Mir fielen meine Haare ins Gesicht, die ich mit einem zu heftigen Ruck nach hinten warf. „Es war scheiße. Ich wusste nichts mehr. Ich habe vielleicht mit ganz viel Glück die Hälfte der Fragen richtig“, erklärte ich und vergrub meinen Kopf in den Händen. Daph legte ihre Hand auf meinen Rücken. „Aber du hast doch noch niemals eine Klausur verhauen. Du weißt doch immer alles“, brabbelte sie ratlos vor sich hin.
„Ja“, murrte ich. „Weil ich ja immer nur der verdammte Nerd bin!“
„Das hast du jetzt gesagt“, gab sie kleinlaut von sich.
„Weil ihr das ja scheinbar alle denkt. Sally, der verdammte kleine Nerd. Mehr bin ich in euren Augen nicht“, herrschte ich sie plötzlich an und meine Stimme wirkte mit einem Mal so unglaublich schrill.
„Nun mach mal halblang“, verteidigte sie sich und nahm schlagartig ihre Hand von meinem Rücken. „Es ist nur eine Klausur. Nun mach dir mal nicht ins Hemd, Sally. Eine einzige Klausur. Die gleichst du mit der nächsten wieder aus. Du musst ja nicht direkt so aus der Haut fahren“, fauchte Daph nun zurück.
Genervt sprang ich vom Bett auf und griff nach meiner Jacke und nach meiner Tasche. „Es ist meine Eintrittskarte in eine bessere Zukunft und nicht bloß irgendeine Klausur. Aber das verstehst du ja nicht. Du hast ja eh nur noch eines im Kopf!“ Mit jeder Silbe wurde ich lauter und eilte wutentbrannt aus meinem Zimmer. Daph ließ ich alleine zurück. Irgendwas rief sie mir noch hinterher, was ich allerdings im Rausch nicht mehr hören konnte und verschwand aus der Wohnung.
***
Eingehüllt in meine Jacke saß ich auf meinem Steg und beobachtete meine mir so vertrauten Enten, die im Wasser fröhlich ihre Kreise zogen. Der frische Wind wehte mir um die Nase, und ich atmete endlich einmal tief durch. Nirgends konnte ich so viel Ruhe genießen wie hier. Und ich brauchte jetzt Ruhe. Ich musste meine Gedanken sortieren. Einen klaren Kopf kriegen. Klären, was mit mir los war. Herausfinden, warum ich so übertrieben schlechte Laune hatte und es mir beinahe wehtat, wenn ich daran dachte, dass Daph und Brad nun ein Paar waren. Ich musste einmal von vorne anfangen und alles durchgehen. In Ruhe.
Alleine.
Was war los?
Brad und Daph waren nun ein Paar, wie es schien. Daph war meine beste Freundin, Brad mein bester Freund. Beide glücklich zu sehen, war mir wichtiger als alles andere. Warum fühlte es sich dann so merkwürdig an – ja, fast schon schmerzlich, wenn ich die beiden miteinander sah? Wovor hatte ich Angst? Davor, dass sie mich beide vergessen würden? Dass ich wieder alleine sein würde? Es wäre eine plausible Antwort auf meine Frage. Doch warum fühlte ich mich noch merkwürdiger, wenn Brad mich berührte, alleine schon, wenn er mich nur ansah? Was war bloß los?
Mein zickiges Verhalten ihm gegenüber musste ja einen Grund haben. Erwartete ich etwa, dass er mir seine Zeit schenken sollte, anstatt mit Daph zusammen zu sein? Immerhin kannte ich ihn länger und besser, und ich fühlte mich wohl in seiner Gegenwart. Ich fühlte mich einfach lebendiger. Er hatte aus mir das gemacht, was ich jetzt war. Dass er nun seine kostbare Zeit einem anderen Mädchen widmen würde, störte mich daher umso mehr. Warum nur? Warum kribbelte mein Körper, wenn er mich in den Arm nahm? Warum brannte meine Haut, wenn er mich berührte? Warum zuckte ich unter seinen Berührungen zusammen? Und vor allem, warum fühlte ich mich, seitdem ich ihn heute Morgen halbnackt im Bad traf, so schlecht, dass ich sogar eine Klausur verhaute?
Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Nein! Nein! Nein! Brad war doch nur mein bester Freund. Nicht mehr! Oder etwa doch? War da doch mehr, als ich mir eingestehen wollte? Musste ich tatsächlich an meinem Glauben, dass Männer und Frauen beste Freunde sein können, zweifeln? Fühlte sich so vielleicht eine beste Freundschaft an? Eher nicht. Hatte ich mich etwa in meinen besten Freund verliebt? Unmöglich. Aber wenn ich an sein schönes Lächeln, an seine tiefe Stimme und an seine wundervollen Augen dachte, dann schlug mein Herz eindeutig schneller. Mein Bauch kribbelte, wenn ich bloß an seine Augen und den Kuss zwischen uns dachte. Da hatte es angefangen, dass ich Brad mit anderen Augen sah. Dass ich anders fühlte, wenn er in meiner Nähe war.
Mist! Ich hatte mich tatsächlich in Brad verliebt …
***
Gedankenversunken taumelte ich irgendwann, nachdem es mir zu frisch wurde und es langsam zu dämmern begann, nach Hause. Vorsichtig steckte ich den Schlüssel in die Haustür und schlich langsam hinein. Daph saß auf der Couch und sprang sofort hektisch auf. Das Schlimmste daran war, dass Brad direkt neben ihr saß. Daph wirkte blass und etwas aufgelöst. Ihre Augen dick und gerötet. Auch Brad hatte ein besorgtes Gesicht aufgelegt. Schweigend blieb ich stehen, musterte die beiden und presste dabei fest die Lippen aufeinander.
„Sally, da bist du ja.“ Daph kam ein paar Schritte näher, doch ich blieb emotionslos stehen. Mist! Wieso war ich nur so sauer? Wieso konnte ich ihr nicht in die Augen sehen? Und Brad? Ich versuchte ihn einfach wegzudenken. So schwer es auch war. An diesen Anblick würde ich mich dennoch gewöhnen müssen. Daph und Brad als Paar.
„Ich habe mir Sorgen gemacht. Du warst plötzlich weg. Dein Handy ist aus. Ich wusste nicht, wo du bist“, schluchzte sie. Ich hingegen zuckte nur mit den Achseln. „Ich brauchte frische Luft.“
„Es tut mir leid wegen vorhin. Ich weiß ja, dass du viel Ärger hast im Moment“, seufzte sie und ließ den Kopf etwas hängen.
Wenn es nur das wäre …, dachte ich und nickte kurz. Dann rang ich mir ein Lächeln ab. „Schon gut. Ich hätte Bescheid sagen sollen.“
Daph bekam nach und nach wieder mehr Farbe im Gesicht und lächelte leicht. Ich blickte noch einmal zwischen Daph und Brad hin und her. „Ich hau mich aufs Ohr.“
„Gute Nacht.“ Daph strich mir noch einmal über meinen Arm, ehe ich mich zum Gehen wandte.
Hinter meiner Zimmertür lehnte ich mich kurz dagegen und ließ mich auf den Boden sinken. Wie sollte das jetzt nur weitergehen? Ich konnte keinem von beiden in die Augen sehen. Fühlte mich wie ein mieser Verräter, und wenn ich sie ansah, dann stach es mir ins Herz. Um mich herum begann sich alles zu drehen. Ich zog meine Beine fest an mich und legte meine Arme um sie. Ich liebte den Freund meiner besten Freundin. Und ich liebte meinen besten Freund. Zudem hörte ich deren Gemurmel und fröhliches Gelächter im Wohnzimmer. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, um es wieder einzuschalten. Nur auf was wartete ich? Auf die typische Gute-Nacht-Nachricht, die mir Brad abends immer schrieb? Wohl kaum. Dennoch warf ich einen Blick auf das Display. Ein Briefsymbol verriet mir, dass ich ein paar Nachrichten hatte. Die ersten waren von Daph:
Sall, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anfahren. Meld dich!
Auch die nächste war von ihr:
Jetzt bist du schon zwei Stunden weg. Wo bist du? Geh bitte ran, ich mache mir Sorgen. Hab dich lieb!
Es folgten noch zwei Nachrichten und Anrufe in Abwesenheit. Der letzten Nachricht schenkte ich etwas mehr Aufmerksamkeit:
Hey, Nerdy! Wie lief die Klausur? Hast du sie alle umgehauen? Bestimmt. Meld dich bei mir!
Diese war von Brad. Ich seufzte und legte mein Handy neben mich, um noch einmal meinen Kopf in meinen Armen zu vergraben. Plötzlich surrte mein Handy neben mir. Ich blinzelte eine kleine Träne weg, ehe ich es aufhob und gedankenverloren abnahm. Das hätte ich besser nicht getan.
„Hallo?“
„Sally, oh mein Gott. Endlich gehst du ran. Ich erreiche dich schon seit Wochen nicht.“ Erschöpft ließ ich meinen Kopf an die Tür hinter mir sinken. Es war meine Mom.
„Hey Mom. Ich war viel unterwegs“, würgte ich sie ab. Was wollte sie denn jetzt bloß? Das hatte mir noch gefehlt.
„Du meldest dich nie! Ich will doch wissen, wie es meiner Tochter geht.“ Mit weinerlicher Stimme versuchte sie noch immer, stark zu wirken. Aber ich konnte ihren Anruf jetzt nicht gebrauchen. Genau wie schon in den vergangenen Wochen. Ich hatte ihre Anrufe immer wieder gekonnt ignoriert und schnell wieder vergessen. Ich wollte einfach nicht in die Vergangenheit gezogen werden.
„Mir geht’s gut.“
„Wann kommst du mal wieder vorbei? Wir vermissen dich hier. Deine Schwester meint, dass du dich nie meldest und auch nicht auf ihre Nachrichten reagierst.“ Mir fiel ihr vorwurfsvoller Unterton selbstverständlich auf.
„Mom, ich sagte doch, dass ich erstmal nicht zurückkomme. Und Maria kannst du sagen, dass ich mich demnächst bei ihr melden werde.“ Beim Gedanken an Maria spürte ich, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Maria war meine kleine Schwester. Ich hatte sie seit ihrem 16. Lebensjahr nicht mehr gesehen. Sie war mittlerweile achtzehn. Zwei Jahre hatte ich meiner Vergangenheit und meiner Familie den Rücken gekehrt, und vor allem Maria zurückgelassen. Sie war mir immer das Wichtigste im Leben. Mein Ein und Alles. Dennoch musste ich damals gehen. Dazu gehörte auch, sie zurückzulassen.
„Du kannst doch aber nicht ewig wegbleiben“, schluchzte sie und holte mich aus meinen Gedanken an meine kleine Schwester wieder zurück.
„Das werde ich auch nicht, aber ich sagte damals, dass ich wegmüsse. Ich wollte studieren und sehen, was danach passiert. Aber Mom, ich habe es euch erklärt“, rechtfertigte ich mich.
„Du hast gar nichts erklärt. Nachdem das alles passiert ist, hast du einfach deine Sachen genommen und bist gegangen. Ich hatte kaum Zeit, mich darauf einzustellen. Wir haben nie darüber geredet, was damals mit …“
„Hör auf, Mom!“, keifte ich in den Hörer und spürte heiße Tränen auf meinen Wangen. Meine Stimme brach. „Ich will es nicht hören. Du hättest außerdem niemals darüber mit mir gesprochen. Du warst doch zu beschäftigt mit deinem neuen Freund. Wie hieß er? Bill? Du hattest kein offenes Ohr. Weder damals noch jetzt.“
Meine Lippe zitterte. Mein Körper bebte. Mom verstummte am anderen Ende. Keiner sprach mehr etwas. Ich stand auf und bewegte mich langsam durchs Zimmer. Vor meinem Spiegel, der über der Kommode neben meinem Bett hing, blieb ich stehen und blickte in mein weinerliches und falsches Gesicht.
„Es tut mir leid, mein Schatz. Mir tut alles so unendlich leid. Aber es war nicht deine Schuld. Ich möchte, dass wir darüber reden. Vielleicht nicht heute und auch nicht morgen. Aber irgendwann sollten wir es tun.“ Ihre Stimme war nun einfühlsamer. Ich presste die Lippen fest aufeinander und schüttelte den Kopf. „Ich bin noch nicht so weit. Ich kann nicht, und ich will auch nicht.“
„Kannst du dich dann wenigstens bei deiner Schwester melden?“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, hauchte ich in den Hörer, ohne den Blick von meinem Spiegelbild zu nehmen.
„Sie würde sich sicher sehr freuen. Sie vermisst dich, genauso wie ich. Also bitte, Sally, bestrafe mich gerne, aber nicht Maria und auch nicht dich selbst.“
Ich fasste mir schluchzend an die Wange. Wie sehr ich mir wünschte, dass es Moms Hand wäre ... Wie sehr ich mir wünschte, jetzt bei ihnen zu sein ...
Bei meiner Familie, die ich versucht habe, zu verdrängen. In mein altes Leben, was an nur einem Abend zerstört wurde. Was ich zerstört habe.
„Ich muss auflegen“, flüsterte ich.
„Ich liebe dich, mein Schatz“, sprach sie noch in den Hörer, und ich konnte ihre Verzweiflung geradezu spüren. Ich legte auf.
„Ich lieb euch auch“, hauchte ich in Richtung Display.