Читать книгу Umgang mit Zwangsmaßnahmen - Judith Scherr - Страница 36
3.1.12 Zwangsmaßnahmen als »letztes Mittel« – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
ОглавлениеDie Anordnung einer Unterbringung, einer ärztlichen Zwangsmaßnahme oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme basiert auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Prinzip »im Zweifel für die Freiheit«.
Was bedeutet das für die Praxis? Die Freiheit einer Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie ausschließlich aus besonders wichtigen Gründen eingeschränkt werden darf. Es ist immer das mildeste Mittel anzuwenden (LG Lübeck, Beschl. v. 22.01.2021 – 7 T 28/21, BeckRS 2021, 495).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass jede Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, einen legitimen öffentlichen Zweck verfolgt und überdies geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn (»angemessen«) sein muss. Eine Maßnahme, die diesen Anforderungen nicht entspricht, ist rechtswidrig. Sie wird daher im Falle einer richterlichen Überprüfung aufgehoben werden.
Der Zweck des Eingriffs in die Freiheit einer Person kann sowohl der Schutz der Allgemeinheit als auch der des Betroffenen selbst sein.
Die Zwangsmaßnahme muss geeignet sein, den avisierten Zweck zumindest zu fördern. Eine Zwangsmaßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung steht, genauer: wenn kein anderes Mittel verfügbar ist, das in gleicher oder sogar besserer Weise geeignet ist, den Zweck zu erreichen, den Betroffenen und die Allgemeinheit aber weniger belastet. Alle Möglichkeiten der Deeskalation müssen ausgeschöpft sein. Aus diesem Grund muss vor jeder Zwangsmaßnahme auch versucht werden den Betroffenen davon zu überzeugen, ob er sich freiwillig in die Maßnahme begibt, sofern dieser einwilligungsfähig ist. Zudem sind die jeweils am wenigsten einschneidenden Maßnahmen zu wählen (BGH Beschl. v. 18.05.2011 – XII ZB 47/11, FGPrax 2011, 202).
Grundrechtseingriffe sind nur zulässig, wenn sie geeignet und erforderlich sind, einen höherrangigen Zweck zu erfüllen. Sobald Zweifel an Geeignetheit und Erforderlichkeit bestehen, ist auch die Zweckerreichung unsicher und zweifelhaft. Die Maßnahme entspricht nicht mehr den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und ist somit rechtswidrig.
Angemessenheit ist eine Zwangsmaßnahme nur dann, wenn die Nachteile, die mit der Maßnahme verbunden sind, nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt. An dieser Stelle ist eine Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile der Maßnahme vorzunehmen. Dabei sind vor allem verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere die Grundrechte, zu berücksichtigen. Eine Freiheitsentziehung und eine Freiheitsbeschränkung darf nur angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten.
Das Spannungsfeld zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit dem staatlichen Schutzauftrag auch gegenüber dem Betroffenen verlangt nach einem gerechten und vertretbaren Ausgleich. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen an die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung (Marschner u. a. 2010, Teil A, Rn. 27).
Grundrechtseingriffe sind nur zulässig, wenn sie geeignet und erforderlich sind, einen höherrangigen Zweck zu erfüllen. Sobald Zweifel an Geeignetheit und Erforderlichkeit bestehen, ist auch die Zweckerreichung unsicher und zweifelhaft. Die Maßnahme entspricht nicht mehr den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und ist somit rechtswidrig.