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Praxistipp

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Auch das Anziehen der Bremsen des Rollstuhls kann eine Freiheitsberaubung sein, wenn der Nutzer die Bremse nicht lösen kann.

Wie aus vorstehenden Ausführungen hervorgeht, bedarf es eines Willens, sich fortzubewegen (so wohl auch BVerfG, Beschl. v. 15.01.2020 – 2 BvR 1763/16, NJW 2020, 675, 677, Rn. 33). In der Rechtswissenschaft ist umstritten, ob jemand der Freiheit beraubt werden kann, welcher diesen Willen nicht bilden kann (Fischer 2014 § 239 Rn. 3, Valerius 2020, § 2039 Rd. 6 ff.). Dies betrifft beispielsweise Patienten auf Intensivstationen, welche fixiert werden, damit sie sich ihre Zugänge nicht selbst entfernen. Diese sind meist nicht wach und können in ihrem Zustand keine Entscheidung treffen, sich fortbewegen zu wollen. Dieselbe Frage stellt sich bei einem Baby in einem Inkubator. Dieses kann aufgrund seines Alters ebenfalls noch keine Entscheidung treffen, ob es sich fortbewegen möchte.

Geschützt ist das Selbstbestimmungsrecht der Person über ihren Aufenthaltsort. Dies spricht dafür, dass die Freiheitsberaubung die Fähigkeit voraussetzt, einen natürlichen Willen zur Ortsveränderung zu bilden.

Bei Betroffenen, welche längere Zeit keine Fähigkeit haben einen natürlichen Fortbewegungswillen zu bilden, benötigt in der Regel für ihre rechtsgeschäftliche Vertretung einen Betreuer. Daher kann im Rahmen der Betreuerbestellung ein entsprechender Antrag zur Fixierung mitgestellt werden. Der Richter kann dann entscheiden, ob er bei dem Betroffenen trotz fehlender Fähigkeit, einen Fortbewegungswillen zu bilden, einen Beschluss für notwendig erachtet.

Der Wille der Fortbewegungsfreiheit muss physisch und nicht psychisch verhindert werden. Das heißt, dass entsprechende Schutzvorrichtungen notwendig sind. Umgekehrt ist für eine Freiheitsberaubung nicht ausreichend, wenn man dem Betroffenen Konsequenzen androht, falls er sich nicht wie gewünscht verhält.3

Zuletzt ist der temporäre Umfang zu bestimmen, ab wann eine Freiheitsberaubung vorliegt. Nicht ausreichend ist eine nur ganz kurzfristige Beschränkung, wie etwa das kurzzeitige Festhalten im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung. Dasselbe gilt für ein Festhalten, welches für den Betroffenen kein schwierig zu überwindendes Hemmnis darstellt, sodass es die Fortbewegung nur leicht verzögert. Der Bundesgerichtshof geht von einem engen Begriff der Freiheitsentziehung aus: Eine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn die Zwangsmaßnahme die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen nicht nur kurzfristig auf einen bestimmten räumlichen Lebensbereich begrenzt (BGH, Beschl. v.23.01.2008 – XII ZB 185/07, NJOZ 2008, 1890). Nach der aktuellen Rechtsprechung ist ein Antrag zu stellen, wenn wiederholt vorhersehbare kurze Freiheitsberaubungen stattfinden oder eine Freiheitsberaubung von über einer halben Stunde absehbar ist (BVerfG, Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, NJW 2018, 2619). Wie sich dies auf den Zeitpunkt der Antragsstellung auswirkt, wird später noch zu erörtern sein ( Kap. 3.6.5).

Umgang mit Zwangsmaßnahmen

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