Читать книгу Umgang mit Zwangsmaßnahmen - Judith Scherr - Страница 39
3.3 Rechtliche Regelungen in der UN-Behindertenrechtskonvention
ОглавлениеFür Menschen, die an einer chronischen psychischen Krankheit leiden oder seelisch behindert sind, gilt das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention UN-BRK).2
Laut Artikel 12 UN-BRK sind Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen gleichberechtigt, sodass alle Menschen dieselbe Rechts- und Handelsfähigkeit haben. Menschen mit Behinderungen haben einen Rechtsanspruch auf die erforderliche Unterstützung, damit ihnen die gleichberechtigte Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit möglich ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist somit verpflichtet, hierzu »geeignete Maßnahmen« zu ergreifen.
Damit stellt sich die Frage, ob dieser Anspruch dem oben skizzierten Konzept von Zwangsmaßnahmen bei Selbstbestimmungs(un)fähigkeit widerspricht. Die UN-BRK verbietet Zwangsmaßnahmen nicht grundsätzlich. Sie verbietet, die Freiheit willkürlich, rechtswidrig oder nur aufgrund einer Behinderung zu entziehen (Art. 14 UN-BRK). Zwangsmaßnahmen – insbesondere eine Unterbringung aufgrund von Fremd- und Eigengefährdung – sind somit nicht grundsätzlich untersagt und bleiben – unter Wahrung der Gesetze – zulässig (DGPPN 2014, S. 6).
Im Bereich der Gesundheitsversorgung sind Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung in gleicher Qualität und gleichem Leistungsumfang zu behandeln (Art. 25 UN-BRK). Die praxisrelevante Frage, wie vorzugehen ist, wenn der Betroffenen – aus welchen Gründen auch immer – nicht bzw. nicht mehr in der Lage ist, seinen freien Willen zu äußern und in die Behandlung einzuwilligen, lässt die UN-Behindertenrechtskonvention leider offen.
Welche Wirkung die UN-BRK hat, zeigt auch die derzeit anstehende Reform im Vormundschafts- und Betreuungsrecht. Die gesamte Reform ist darauf ausgelegt, den Betreuten zu eigenem Handeln zu ermuntern und ihn dabei zu unterstützen. Er soll Mittelpunkt und so weit als möglich Entscheider und nicht Gegenstand der Entscheidung sein.
Ein konkretes Beispiel sind die Neuregelungen zu Sterilisation. Bei diesen setzt sich der Gesetzgeber explizit mit der UN-BRK auseinander. Es gilt zu klären, ob die nationalen Regelungen rechtskonform sind. Der Gesetzgeber geht hiervon aus, schärft den Gesetzeswortlaut aber unter anderem wegen der UN-BRK nach und möchte den rechtlichen Zustand zur Sicherheit auch evaluieren (BT Drs. 19/27287 S. 24).