Читать книгу Die blaue Stunde - Jule Heck - Страница 15
Kapitel 10
ОглавлениеMein Schwager Paul kam nach wie vor zu Besuch und half mir, so viel er konnte. Er verhielt sich aufmerksam und ausgesprochen zuvorkommend mir gegenüber und war als guter Onkel sehr lieb mit Lisa Marie und Ann Katrin. Aber er kam mir nie zu nah und vermittelte auch nicht den Eindruck, als ob er etwas von mir wollte. Er brachte aber auch nie eine Frau mit. Dabei war er ein gutaussehender, junger Mann, erfolgreich im Beruf. Er war immer schick angezogen und hatte ausgesprochen gute Manieren.
Adelgunde schwärmte für ihn. Sie baggerte ihn auf jeder Party an, doch leider immer ohne Erfolg. Dabei hätte sie mir als Frau meines Schwagers gut gefallen. Sie war es dann auch, die mir die Augen öffnete.
„Hast du es immer noch nicht kapiert“, sagte sie eines Tages zu mir, „Paul ist schwul. Er steht auf Männer.“
Selbst Anfang der 80-iger Jahre war es immer noch nicht selbstverständlich, dass sich Menschen mit homosexuellen Neigungen outeten. Der Paragraph 175, der Homosexualität bis 1977 unter Strafe stellte, war gerade mal vor ein paar Jahren gestrichen worden. Aber viele Schwule und Lesben trauten sich immer noch nicht, ihren Familien, Freunden oder Arbeitgebern die Wahrheit zu sagen, einfach aus Angst, sie könnten entlassen oder abgewiesen werden. Erst recht war das im katholischen Bayern undenkbar.
Ich war echt baff. Aber was soll es, dachte ich mir. Paul war ein netter Typ. Wen ging es etwas an, ob er sich zu Männern hingezogen fühlte? Doch ich konnte mir denken, dass weder seine Eltern noch sein Bruder Stefan es begrüßen würden, wenn er auf einmal mit einem Mann an seiner Seite auftauchen würde.
Die blöden Bemerkungen und vor allem diese dämlichen Witze, die oft über Homosexuelle gemacht wurden, fand ich schon immer doof und ausgesprochen unfair. Ich konnte noch nie darüber lachen, aber ich traute mich auch nicht, Paul darauf anzusprechen. Jetzt erst recht, dachte ich und lud Paul so oft wie möglich ein. Ich unterhielt mich gern mit ihm und mit der Zeit wurde er mir ein richtig guter Freund.