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Kapitel 1

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Ich werde Großmutter. Nicht zu fassen. Mit 48 Jahren macht mich meine Tochter zur Oma. Wie herrlich! Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte man mir nicht machen können.

Lisa Marie, meine älteste Tochter, hatte mich beim gemeinsamen Frühstück auf der Seeterrasse mit dieser fantastischen Neuigkeit überrascht. Eigentlich hatte sie das freudige Ereignis erst am Abend auf meiner Geburtstagsparty verkünden wollen. Doch ich hatte sofort bemerkt, dass da was im Busch war, da sie den sonst üblichen Sekt ablehnte. Ich sagte ihr auf den Kopf zu, dass sie schwanger ist. Einer Mutter kann man eben nichts vormachen.

Hier wiederholte sich gerade mein Schicksal, denn meine Mutter hatte auch mir meine Schwangerschaft schon angesehen, bevor ich sie selbst so richtig realisiert hatte.

Ein Kind zu bekommen, war für mich damals mit gerade 18 Jahren genauso weit weg wie eine Reise zum Mond. Ich stand kurz vor dem Abitur, wollte danach eigentlich studieren, vielleicht auch als Au-Pair-Mädchen ein Jahr ins Ausland gehen, bevor ich mal an die Familienplanung denken würde.

Doch meine Mutter bestand darauf, dass ich Stefan heiraten müsse. Es ginge ja wohl nicht an, dass ich das Kind alleine großziehe. Außerdem war es gesellschaftlich in Oberbayern immer noch nicht en vogue, wie sie sich auszudrücken pflegte, dass man ein uneheliches Kind in die Welt setzte.

Sie selbst hatte es als Kind 1944 mit meiner Großmutter in den Chiemgau geschafft. Als Flüchtlinge aus Böhmen waren sie damals bei einer entfernten Verwandten in Prien untergekommen.

Eine Hochzeit mit Stefan kam meiner Mutter, dem Sohn aus einem reichen, urbayrischen Elternhaus, gerade recht. Auf der einen Seite kämen meine Eltern um die Finanzierung eines langjährigen Studiums herum, auf der anderen Seite würde das ihre eigene gesellschaftliche Stellung enorm aufwerten, wenn ich, Tochter eines Finanzbeamten und einer Hausfrau, die sich nebenbei mit Näharbeiten etwas hinzuverdiente, in eine Familie einheiratete, die bei den oberen Zehntausend in der Stadt mitmischte.

Meine Mutter hatte schon immer ein enormes Geltungsbedürfnis und einen mächtigen Standesdünkel. Als Flüchtlingskind, ohne Vater aufgewachsen, er blieb auf einem der Schlachtfelder im 2. Weltkrieg verschollen, hatte sie es anfangs in der neuen Heimat schwer gehabt. Durch die Heirat mit Ludwig Seidl aus einer Beamtenfamilie, die schon seit Generationen hier im Chiemgau beheimatet war, hatte sie den erhofften Respekt ebenso wenig erreicht, wie das Gefühl der Zugehörigkeit in der Kleinstadt am Chiemsee. Auch nach über 30 Jahren, die sie hier jetzt lebte, hörte man immer noch den böhmischen Dialekt heraus.

Meine Mutter nahm sofort Kontakt zu Auguste Burger, Stefans Mutter, auf und machte ihr klar, dass ihr Sohn, der mich geschwängert hatte, nun auch Verantwortung übernehmen und mich heiraten müsste.

Frau Burger, eine strenge Katholikin, gab meiner Mutter recht, wenn auch ungern. Sie hätte sicherlich eine Schwiegertochter rein bayrischen Ursprungs aus ihren eigenen Kreisen lieber gesehen, aber sie war sich der Verantwortung bewusst und stimmte einer Hochzeit zu.

Stefan und ich wurden gar nicht gefragt, ob wir überhaupt heiraten wollten. Die Mütter legten einfach einen Hochzeitstermin fest und begannen mit der Planung. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Denn wenn ich im Juni 76, da wäre mein Babybauch ja schon deutlich zu sehen, an einer katholischen Mädchenschule das Abitur ablegen wollte, könnte ich dies in meinem Zustand nur als verheiratete Frau tun. Die Nonnen erklärten sich auch nur deshalb damit einverstanden, weil Stefans Vater, ein Bauunternehmer, der Schule eine großzügige finanzielle Spende versprach.

Stefan wurde ebenso vor vollendete Tatsachen gestellt wie ich. Ihn lernte ich im Reitstall kennen. Adelgunde, meine Freundin aus Kindertagen, hatte dort ihr Pferd stehen. Ich half ihr beim Füttern und ausmisten und durfte auch auf Jupiter, einem braunen Wallach, reiten.

Die Mädels aus dem Reitstall waren alle in Stefan verknallt. Er machte eine tolle Figur auf seinem schwarzen Hengst und jede von ihnen hätte sich sofort mit ihm eingelassen. Er war unglaublich gutaussehend und erinnerte mich immer an ein Bildnis, das König Ludwig II, den imposanten Bayernkönig zeigte. Seine Wahl fiel ausgerechnet auf mich, als ich ihn 1975 in Rosenheim beim Herbstfest traf. Ich hielt mich für ein unscheinbares, schüchternes Wesen. Doch die Blicke der Jungs verrieten mir, dass ich mit meinen dunklen Locken, den großen braunen Augen und dem leicht getönten Teint nicht so hässlich sein konnte.

Vor dem Zelt stieß ich mit Stefan zusammen. Er nahm mich einfach bei der Hand und führte mich zur Tanzfläche. Vor lauter Aufregung trat ich auf den langen Rock meines Dirndls, was einen Riss im Stoff zur Folge hatte. Meine Mutter hatte es mir eigens für diesen Anlass genäht. Das Tanzen konnten wir vergessen.

Stefan lachte und bot mir an, mich nach Hause zu fahren. Unterwegs hielt er in einem Waldweg an. Mir war etwas mulmig zumute, als er mich an sich drückte und mir feuchte Küsse auf den Hals und mein Dekolleté drückte. Natürlich hatte ich schon mal einen Jungen geküsst, war also nicht ganz unerfahren, aber mir war nicht klar, was der acht Jahre ältere Stefan ausgerechnet von mir wollte.

Naja, das stellte sich schnell heraus. Er wollte Sex. Und ich wollte es auch. Der Sex mit ihm war gut, leidenschaftlich, wild, ekstatisch. Von Liebe war keine Rede und ehrlich gesagt, ich war auch nicht wirklich verliebt in ihn, fühlte keine Schmetterlinge im Bauch.

Die blaue Stunde

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