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Kapitel 3
ОглавлениеStefan machte es mir leicht. Er behandelte mich wie eine gute Freundin. Das Schlimme war nur, dass ich mir ein Studium nach dem Abitur abschminken konnte. Meine Mutter weigerte sich, mein Kind zu beaufsichtigen, während ich an der Uni wäre. Aus und vorbei war es mit Partys oder unbeschwerten Stunden mit meinen Freundinnen und erst recht mit einem Auslandsaufenthalt. Das Reiten musste ich ganz an den Nagel hängen. Ich war verheiratet und gebunden an einen Mann, den ich nicht liebte.
Das konnte ich nur meiner besten Freundin Adelgunde anvertrauen. Denn alle anderen beneideten mich um den schwarz gelockten Stefan, der nicht nur umwerfend gut aussah, sondern mittlerweile auch einen tollen Job in der Firma seines Vaters hatte, dazu das nötige Kleingeld, um mir in Zukunft ein schönes Leben zu ermöglichen.
Wir bezogen eine Dreizimmerwohnung, die sich in einem der vielen Mietshäuser meiner Schwiegereltern befand. Unsere Eltern hatten das so entschieden. Meine Schwiegermutter hatte mir eine Zugehfrau besorgt, die sich um den Haushalt kümmerte, damit ich mich in Ruhe auf mein Abitur vorbereiten konnte.
Ich bestand es trotz der Umstände recht gut. Die Direktorin der katholischen Mädchenschule überreichte mir im Juli mein Zeugnis mit spitzen Fingern und meinte konsterniert, dass es schade um so ein begabtes Mädchen wie mich sei. Sie sah mich immer noch als Mädchen an und ihre Aussage machte mir nicht gerade Mut. Es klang fast wie ein Urteil: Lebenslang an einen Mann gekettet.
Ich konnte nicht einmal mit meinen Mitschülerinnen feiern. Obwohl es noch vier Monate bis zur Geburt meines Kindes waren, trug ich bereits jetzt meinen Bauch wie einen Ballon vor mir her. Alkohol durfte ich nicht trinken, geschweige denn auf einem Anhänger sitzend von einem Traktor durchs Feld gezogen zu werden, wie das damals üblich war.
Traurig ging ich nach Hause und war ratlos, was ich mit meiner Zukunft anfangen sollte, außer mich um mein Kind zu kümmern und Windeln zu wechseln. Zu Hause wartete eine Überraschung auf mich. Meine Schwiegereltern hatten eine kleine Feier im Kreis der Familie für mich vorbereitet. Meine Familie war dabei, auch Stefans Bruder Paul, den ich sehr mochte.
Die Großeltern meines Mannes überreichten uns den Schlüssel ihres Häuschens. Sie selbst wollten auf den Hof ihres zweiten Sohnes Gustav ziehen, dem Bruder meines Schwiegervaters Leopold.
Der Aufenthalt in der Dreizimmerwohnung war also nur vorübergehend und bevor ich es mich versah, war ich damit beschäftigt, unser neues Heim zu renovieren und einzurichten. Ich sah eine große Chance in dieser Beschäftigung. Schon immer hatte es mir Freude gemacht, Räume zu gestalten, ich suchte also in den nächsten Monaten sämtliche Möbelhäuser in der Umgebung auf, wälzte Magazine für Einrichtungen, machte Pläne für ein perfektes, gemütliches und kindgerechtes Heim.
Zunächst begleitete mich Adelgunde. Ende September verabschiedete sie sich nach Bamberg, wo sie sich für ihr Psychologie-Studium immatrikuliert hatte.
Daraufhin bot meine Schwiegermutter Auguste mir ihre Hilfe an. Sie begleitete mich und unterstützte mich finanziell und zwar überaus großzügig. Sie schlug mir keinen Wunsch ab. Sie war mir eine große Hilfe. Vor allem besaß sie ein Auto, mit dem sie mich überall hinfuhr und wenn wir die Geschäfte verließen, füllte sich ganz schnell der Kofferraum und die hintere Sitzbank ihres Golfs.
Den Standesunterschied ließ sie mich nie spüren. Sie behandelte mich wie eine Tochter, obwohl ich sie nicht mit Mutter ansprechen sollte, sondern mit Gustl, wie alle anderen das auch taten. Einmal sagte sie zu mir: „Ich habe nicht einen Sohn verloren, sondern eine Tochter dazu bekommen.“ Ich war total gerührt.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie selbst zwar aus einem reichen Elternhaus stammte, mein Schwiegervater Leopold aber eher aus kleinen Verhältnissen kam. Sein Vater war Maurermeister gewesen und hatte sich 1946 nach dem Krieg getraut, ein eigenes Bauunternehmen aufzubauen, was den Grundstock für den heutigen Reichtum der Familie Burger legte. Er hatte es gewagt, sich zu einer Zeit selbständig zu machen, als Deutschland nach der vernichtenden Weltkriegsniederlage in Schutt und Asche lag. Anfangs ging es nur langsam voran. Es fehlten gesunde, junge Männer, denen die Maurerarbeit nicht zu schwerfiel, und vor allem mangelte es an Material. Aber Leopolds Vater gab nicht auf. Er hatte früh begriffen, dass er mit der Stadt Prien zusammenarbeiten musste, um bezahlbaren Wohnraum für die vielen Flüchtlinge zu schaffen.
Auguste, die von ihrem Mann liebevoll Gustl genannt wurde, hatte 1947 gegen den Willen ihrer Eltern ihren Leopold geheiratet. Er stand damals kurz vor der Beendigung seines Studiums als Bauingenieur. 1948 wurde Paul geboren und 1950 erblickte Stefan das Licht der Welt.
Leopold und sein Vater waren mit ihrem Baugeschäft aktiv am Wiederaufbau der Bundesrepublik beteiligt. Beide Söhne stiegen nach einem erfolgreichen Architekturstudium in das Baugeschäft Burger ein, das mittlerweile zu einem beachtlichen Unternehmen herangewachsen war und schließlich als Burger und Söhne firmierte.