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Kapitel 19

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Stefan verschwieg ich den Anruf und überraschte ihn mit meinem Auszug aus unserem gemeinsamen Heim. Die Haushälterin versprach mir, sich weiter um den Haushalt zu kümmern und für Stefan zu sorgen.

Ich hoffte, dass nun endlich etwas Ruhe einkehren würde. Doch meine Mutter machte mir die Hölle heiß. Ich solle sofort zu meinem Mann zurückkehren, verlangte sie. Die ganze Stadt würde schon darüber sprechen. Was ich mir eigentlich dabei denken würde? Und wie sie nun vor ihren Freunden dastehen würde? Um mich machte sie sich keine Gedanken. Es ging ausschließlich um ihr eigenes Ansehen.

Auch meine Schwiegermutter bekniete mich, wieder mit den Kindern zu Stefan zurückzukehren. Stefan sei kein schlechter Mensch. Alle litten schrecklich unter Pauls Verschwinden und unserer Trennung. Die ganze Familie falle auseinander. Das könne ich doch nicht wollen. Ich solle auch an die Kinder denken. Sie brauchten einen Vater. Solche und ähnliche Sätze musste ich mir anhören.

Wie es mir dabei ging, interessierte niemanden. Mir gefiel die Sache auch nicht, aber so lange Stefan zu dieser Susanne ging und sich aufführte wie ein Macho, war ich nicht bereit, einzulenken.

Adelgunde, die nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder mal nach Hause kam, machte mir den Vorschlag, vorausgesetzt mir läge noch etwas an meinem Mann, einmal diese Susanne aufzusuchen und mit ihr zu sprechen, sie zu bitten, meinen Mann in Ruhe zu lassen. Sie bot an, in der Zwischenzeit auf meine Mädchen aufzupassen.

Ich konnte der Idee, als betrogene Ehefrau bei der Geliebten meines Mannes auf Verständnis zu hoffen, zwar nichts abgewinnen, aber einen Versuch war es wert. Wahrscheinlich würde ich mich nur der Lächerlichkeit preisgeben.

Am nächsten Samstag schritt ich mutig zur Tat. Da würde die Frau ja hoffentlich zu Hause sein. Ich klingelte energisch, um gleich klar zu machen, dass mit mir nicht zu spaßen war. Susanne öffnete die Tür. Sie schien nicht überrascht zu sein und sagte: „Sie kommen sicher wegen Stefan. Treten Sie bitte ein.“ Damit hatte ich nicht gerechnet.

Sie war ganz schwarz angezogen. Ihre Kleidung sah deutlich nach Trauerkleidung aus. Blöd, dachte ich, jetzt habe ich mir wohl den falschen Moment ausgesucht. Womöglich war ein Elternteil oder eine andere nahestehende Person verstorben.

Überall standen Kisten herum und das Wohnzimmer, in dem wir Platz nahmen, sah irgendwie unbewohnt aus. Es gab keine Gardinen und an den Wänden deuteten helle Stelle daraufhin, dass dort einmal Bilder gehangen hatten. Es machte den Eindruck, als ob Susanne auf gepackten Koffern säße.

Bevor ich sie darauf ansprechen konnte, fing sie an zu reden. Sie erzählte mir, dass ihr Vater ganz plötzlich gestorben sei und sie nun nach München zu ihrer Mutter und ihrem Sohn ziehen wollte.

„Sie sind verheiratet und haben einen Sohn?“, fragte ich verwundert. Sie lief knallrot an und begann zu stottern: „Das wollte ich gar nicht verraten.“

„Warum nicht?“, fragte ich sie ganz ahnungslos. Was sie mir nun erzählte, verschlug mir sprichwörtlich die Sprache.

Sie sei nie verheiratet gewesen. Als sie in der Firma meines Schwiegervaters eine Lehre als Bauzeichnerin gemacht habe, hätte sie Stefan, der damals schon studierte, aber in den Semesterferien bereits erste Kenntnisse in der Firma seines Vaters sammelte, kennengelernt. Er umwarb sie und schließlich gingen sie miteinander aus und bald darauf auch miteinander ins Bett.

Stefans Vater durfte von dieser Verbindung nichts wissen. Er bestand darauf, dass Angestellte untereinander keine Liebesbeziehungen eingingen, erst recht nicht Mitglieder seiner Familie zu Mitarbeitern.

Die Freundschaft zu Stefan hatte schon über zwei Jahre gedauert, als sie kurz vor der Abschlussprüfung schwanger wurde. Eine Abtreibung kam für sie, die streng katholisch erzogen worden war, nicht in Betracht. Zumal man zum damaligen Zeitpunkt nicht so ohne Weiteres einen Arzt fand, der eine Abtreibung vornahm. Viele Frauen reisten damals nach Holland, wo die Unterbrechung ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt war.

Susanne versteckte ihren Bauch geschickt unter weiten Kleidern, machte die Gesellenprüfung und kündigte. Doch mein Schwiegervater wollte sie nicht gehen lassen. Sie sei eine gute Kraft und er habe Verständnis, wenn sie sich mal eine Auszeit nehmen wollte, um ins Ausland zu reisen, aber länger als ein Jahr würde er nicht auf sie warten. Entweder wusste er von der Schwangerschaft wirklich nichts oder es war ihm einfach nur peinlich, sie darauf anzusprechen.

Stefan bot ihr an, sie zu heiraten. Aber Susanne lehnte ab, denn von Liebe hatte er nie gesprochen und sie wollte nicht, dass er sich verpflichtet fühlte, sie wegen eines Kindes zu heiraten. Sie wollte sich nicht an einen Mann binden, wollte selbständig sein, erklärte sie ihm.

Susannes Mutter war bereit, dass Kind zu nehmen und es aufzuziehen. Sie musste nicht arbeiten, war durch ihren Mann gut versorgt und freute sich, dass sie wieder eine Aufgabe hatte.

Susanne verbrachte also ein Jahr bei ihren Eltern und kehrte schließlich in die Firma von Stefans Vater zurück.

Stefan zahlte für den Sohn und erkundigte sich auch regelmäßig nach ihm. In der Firma selbst ließen sie sich nichts anmerken. Susanne lehnte es ab, weiter mit Stefan zu verkehren.

„Er war mittlerweile mit Ihnen verlobt und wollte Sie demnächst heiraten“, sagte sie zu mir.

Doch als mein Babybauch immer größer wurde, hatte Stefan die Lust am Sex mit mir verloren und er hatte den Kontakt zu Susanne wieder aufgenommen. Sie war allein in der Stadt, ihr Kind sah sie nur am Wochenende, wenn sie zu ihren Eltern nach München fuhr und so ließ sie sich wieder auf ein Verhältnis mit ihm ein. Sie bestand aber darauf, dass niemals mehr aus der Verbindung werden würde. Sie wollte nicht, dass Stefans Ehe zerbrach und Stefan versicherte ihr, dass er das auch nicht wollte.

Meine Schwiegermutter war es schließlich, die dem Ganzen ein Ende bereitete. Sie erfuhr zufällig von Stefans Verhältnis zu Susanne und setzte sie unter Druck, die Verbindung sofort zu lösen, sonst würde umgehend die Kündigung erfolgen.

Susanne hatte ein Einsehen und ging Stefan aus dem Weg. In der Firma hatte niemand etwas mitbekommen. Während der Arbeit verhielten sie sich höflich zueinander, mehr aber auch nicht. Stefan machte seinem Sohn, er hieß Andreas, zu jedem Geburtstag und zu Weihnachten nach wie vor großzügige Geschenke.

Erst als ich mit Ann Katrin schwanger wurde und Stefan wieder die Lust an mir verlor, ließ sich Susanne doch noch einmal auf ihn ein. Sie konnte seinem Charme einfach nicht widerstehen. Aber sie versicherte mir, dass es nie mehr als Sex gewesen sei, was sie verbunden hatte. Von Liebe oder gar Trennung von mir hätte Stefan nie gesprochen. Er sagte nie auch nur ein schlechtes Wort über mich oder unsere Kinder, versicherte sie mir. Aber er war nun mal ein junger Mann, der Verlangen nach körperlichem Kontakt hatte. Mit seiner schwangeren Frau wollte er nicht schlafen, einfach aus Rücksicht auf sie und das Kind. Bei der Geburt hatte er nie dabei sein wollen. Er konnte kein Blut sehen und hatte regelrecht Angst davor, seine Frau so hilflos und den Schmerzen ausgeliefert im Kreißsaal zu erleben.

„Aber warum hat er mir das nicht gesagt? Warum hat er mich mit dieser Situation allein gelassen? Und warum kümmert er sich nicht um seine Töchter?“, fragte ich sie voller Zorn.

„Ganz einfach“, antwortete Susanne, „er kann mit so kleinen Wesen nichts anfangen. Er hat Angst, ihnen weh zu tun. Das wird sich bestimmt ändern, wenn Ihre Kinder größer sind.“

Ich war perplex. Susanne offenbarte mir ein ganz anders Bild von meinem Mann. „Aber warum haben Sie jetzt wieder eine Affäre mit ihm angefangen?“

Susanne lachte. „Aber das habe ich doch gar nicht. Wie kommen Sie denn auf so eine absurde Idee?“

„Stefan kommt seit Wochen spät nach Hause. Am Wochenende ist er meistens verschwunden. Er ist immer schlecht gelaunt. Er schläft nicht mehr mit mir. Neuerdings zieht er sich anders an und auf Partys benimmt er sich wie ein eingebildeter Gockel. Vor ein paar Wochen habe ich gesehen, wie Sie beide spät abends die Firma verlassen haben. Und jetzt wollen Sie mir weismachen, dass Sie nichts mehr miteinander haben?“ Ich hatte mich richtig in Rage geredet. „Außerdem hat er das Verhältnis doch zugegeben“, setzte ich noch hinterher.

„Bitte hören Sie mir zu. Dann wird sich alles aufklären“, stoppte sie mich mit erhobener Hand.

„Mein Vater war schon länger krank. Uns war klar, dass er nicht mehr lange leben würde. Auf dem Sterbebett bat er mich, nach München zurückzukehren und mich um meine Mutter und meinen Sohn zu kümmern. Das versprach ich ihm und Stefan half mir, eine Stelle in einem angesehenen Architekturbüro in München zu finden.“

Traurig strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

„Zum nächsten Ersten fange ich dort an. Ich habe seit einem Jahr einen festen Freund, der ebenfalls in München wohnt. Er versteht sich sehr gut mit Andreas und ich könnte mir vorstellen, dass er ihm ein guter Vater wird.“

Sie hielt einen Moment inne, so als ob sie nach den richtigen Worten suchen würde.

„Stefan arbeitet momentan an einem großen Bauprojekt für die Stadt. Vielleicht hat er Ihnen davon erzählt. Ich habe die Zeichnungen nach seinen Vorstellungen entworfen. Gemeinsam haben wir diese Pläne in abendlichen Sitzungen den ehrenamtlichen Stadtvätern vorgestellt. Immer wieder wollten sie etwas geändert haben. Die Pläne muss ich bis zum Monatsende fertigstellen, weil ich dann nach München gehe. Deswegen haben wir oft bis in die späten Abendstunden daran gearbeitet. Aber es waren auch noch andere Mitarbeiter daran beteiligt, die Sie gern fragen können. Ein Verhältnis hatten wir auf jeden Fall nicht mehr.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte ich nun etwas kleinlaut. „Stefan hat doch zugegeben, dass er ein Verhältnis mit Ihnen hatte“, wiederholte ich ratlos.

„Er hat mir von Ihrem Streit erzählt und auch, dass er sie im Glauben gelassen hat, dass wir wieder etwas miteinander hätten. Aber er ist einfach fix und fertig im Moment, auch wegen Paul und Thomas und außerdem wollte er nicht, dass sie von unserem gemeinsamen Kind erfahren.“

„Sie wissen also von Paul und Thomas?“, fragte ich sie überrascht.

„Ich wusste es immer. Aber ich habe nie darüber gesprochen. Auch nicht gegenüber Stefan. Das geht mich nichts an.“

„Aber warum wollte mir Stefan denn nichts von Ihrem Sohn sagen? Das ist doch schließlich vor unserer Ehe passiert. Ich hätte doch nichts dagegen gehabt, wenn er den Jungen sieht.“

„Das freut mich zu hören. Aber Ihre Eltern und Schwiegereltern sollten auf keinen Fall etwas davon erfahren. Deshalb hat er nichts gesagt“, erklärte sie mir ganz überzeugend.

„Oh je, da habe ich mich ja ganz schön blamiert. Das tut mir alles so leid“, versicherte ich ihr. „Aber ich habe noch zwei Dinge, die mich bewegen“, sagte ich. Susanne zog die Augenbrauen hoch.

„Warum zieht er sich auf einmal so auffallend sportlich an und benimmt sich wie ein Gockel?“

„Ich habe ihm empfohlen, sich so anzuziehen. Wenn er auf Baustellen herumturnt, sind Anzüge nicht gerade bequem. Außerdem sagte ich ihm, dass er sich endlich mal anders kleiden sollte, als sein Vater. Er sah ja in seinen Trachtenanzügen und Lodenmänteln immer aus wie die Kopie seines alten Herrn. Und was das selbstverliebte Gehabe bedeutet, kann ich Ihnen auch beantworten.“

Na da war ich jetzt aber mal gespannt.

„Stefan ist ein hervorragender Architekt. Sein Vater übergibt ihm immer die größten Aufträge. Ihr Mann erledigt immer alles zur Zufriedenheit der Kunden, aber über die Lippen seines Vaters kommt nicht einmal ein Lob. Wenn etwas gut gelaufen ist, war es immer die Firma Burger. Wenn etwas schief gegangen ist, war es Stefan. Verstehen Sie, er braucht diese Selbstdarstellung.“

Sie sah mich eindringlich an. „Und da ist noch etwas.“

Jetzt bekam ich mein Fett weg. Ich wusste schon, bevor sie es sagte, was jetzt kommen würde.

„Auch Sie loben Ihren Mann nie. Sie sind immer nur mit sich und den Kindern, Ihrem Haus und Ihren Berufsplänen beschäftigt. Hören Sie ihm eigentlich auch einmal zu?“

Auweia, der Stachel saß tief. Aber ich musste ihr leider recht geben. In der letzten Zeit bedauerte ich mich viel zu oft selbst und hatte darüber Stefan ganz vergessen. Jetzt flossen auch bei mir die Tränen.

„Hören Sie, Hella, fahren Sie nach Hause zu Ihrem Mann und reden Sie mit ihm. Er braucht Sie. Und er liebt Sie auch. Da bin ich mir ganz sicher, auch wenn er es nicht sagen oder zeigen kann.“

Ich stand auf, bedankte mich bei ihr für die klaren Worte und wünschte ihr alles Gute für die Zukunft in ihrer neuen Heimat. Unterwegs heulte ich wie ein Schlosshund. Was war ich doch so blöd gewesen. Sie hatte recht, ich hätte mich mehr um Stefan kümmern sollen, ihm mehr zuhören und mich für seine Projekte interessieren sollen. Eigentlich hatte ich mich noch nicht einmal in der Zeit, wo ich ihn auf Geschäftsreisen begleitet hatte, für seine Belange interessiert. Da war ich die ganze Zeit nur damit beschäftigt, neue Ideen für Stoffe, Tapeten und ausgefallene Designermöbel zu sammeln und schicke Kleider zu kaufen.

Die blaue Stunde

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