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Kapitel 16

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Allmählich kehrte etwas Ruhe ein und ich konnte mich wieder mehr den Mädchen widmen. Doch Stefan kam deswegen nicht eher nach Hause und ließ uns weiterhin am Wochenende allein. Auf den Partys, die wir bei gemeinsamen Freunden besuchten, führte er sich wie ein selbstverliebter Gockel auf. Er hatte ja schon immer großen Wert auf sein Äußeres und seine Kleidung gelegt, aber plötzlich tauschte er seine Trachtenanzüge gegen eine hochwertige, sportliche Bekleidung aus. Er sei noch viel zu jung, um ständig wie sein Vater herumzulaufen. Vor allem bevorzugte er die Bekleidung der neuen, 1982 in Bernau gegründeten Firma für Sportartikel, Chiemsee.

Wenn da mal nicht was oberfaul war. Dieser Sache musste ich nachgehen. Aber wie? Sollte ich einen Privatdetektiv einschalten? Das kam mir doch ziemlich spießig vor. Außerdem wollte ich nicht, dass ein völlig fremder Mensch in unserem Privatleben herumschnüffelte, um mir einige Woche später Bilder von meinem Mann und seinem Gspusi vorzulegen. Nein, dieses Problem musste ich anders lösen.

Ich fragte Paul, ob er ab und zu auf die Kinder aufpassen könnte. Ich erzählte ihm, dass ich mich an der Volkshochschule in Abendkursen fortbilden wollte. Den wahren Grund sollte er vorerst nicht erfahren.

Paul war begeistert und sagte mir freudig zu, auf seine beiden Nichten aufzupassen. Die Mädchen liebten Paul, sie hörten ihm gern zu, wenn er Geschichten erzählte, spielten und bastelten mit ihm stundenlang.

Ich hatte ihm nicht verboten, seinen Freund mitzubringen, aber ich ging auch nicht davon aus, dass er das tun würde.

Ich begab mich also abends, nachdem die Maurer das Firmengelände verlassen und die Büros der Architekten und anderen Angestellten der Firma Burger sich leerten, in Warteposition in der Nähe der Ausfahrt. Adelgunde begleitete mich zu diesem Zweck. Sie meinte, in ihrem Kleinwagen würden wir nicht so schnell auffallen wie in meinem roten Combi.

Mehrere Tage vergingen und nichts passierte. Stefan verließ immer sehr spät die Firma und fuhr direkt nach Hause. Sollte ich mich so in ihm getäuscht und ihm Unrecht getan haben? Oder hatte er gemerkt, dass wir ihn beobachteten? Meistens schaffte ich es, gleichzeitig mit ihm einzutreffen und vor ihm das Haus durch den Garten zu betreten, sodass er nicht merkte, dass ich den ganzen Abend gar nicht zu Hause gewesen war. Paul schlich sich indessen durch den Keller aus dem Haus, bevor er mir kurz berichtete, dass mit den Mädels alles in Ordnung war.

Wieder standen meine Freundin und ich auf unserem Beobachtungsposten, als Stefan den Firmenhof durch das große Tor, das sich automatisch öffnete, verließ. Er blieb auf der Straße stehen und wartete, bis ein kleiner Wagen, von einer Frau gesteuert, ebenfalls vom Grundstück und in die andere Richtung davonfuhr. Dann schloss er mittels Fernbedienung das Tor und fuhr nach Hause.

Da ich nicht erkennen konnte, wer in dem Kleinwagen saß, nahmen wir die Verfolgung auf. Nicht weit entfernt, fuhr die Frau auf den Parkplatz eines Mehrfamilienhauses, das zufällig meinem Schwiegervater gehörte. Im Schein der Laterne beobachteten wir, wie eine junge, zierliche Frau mit einem üppigen Busen, aus dem Auto ausstieg und auf High Heels zum Haus trippelte.

Meine Freundin folgte ihr, gab sich aber nicht zu erkennen. Sie schaute auf die Klingelleiste, um den Namen der Frau herauszufinden. Neben zwei Ehepaaren wohnte eine Susanne Winter in dem Haus. Das konnte nur die junge Dame sein. Den Namen hatte ich noch nie gehört. Vielleicht war sie eine der Technischen Zeichnerinnen, die im Laufe des Jahres eingestellt worden waren.

Adelgunde fuhr mich nach Hause. Ich überlegte fieberhaft, wie ich meinem Mann erklären könnte, warum ich so spät nach Hause kam. Doch dazu kam ich gar nicht mehr. Schon vor der Tür hörte ich lautes Geschrei und das Geheule meiner Mädels. Zitternd schloss ich die Tür auf und fand meinen Mann, meinen Schwager und dessen Freund Thomas sowie meine beiden Kinder im Wohnzimmer vor.

Ich kümmerte mich zunächst um Lisa Marie und Ann Katrin, die bitterlich weinten. Ich versuchte sie zu beruhigen und sie zurück ins Bett zu bringen. Sie waren durch die lauten, zornigen Stimmen der Männer aufgewacht und wollten jetzt nicht schlafen.

„Paul soll nicht verschwinden“, heulte die Kleine.

„Ich will, dass Paul bleibt und Thomas mag ich auch“, brachte Lisa Marie unter Tränen hervor.

So ging das eine ganze Weile und erst als ich ihnen versprach, dass alles wieder gut werden würde, legten sie sich zusammen in Lisa Maries Bett und ließen sich zudecken. Sie kuschelten sich aneinander und schluchzten, sahen mich aus verweinten Augen an. „Papa ist doof“, sagte Lisa Marie schließlich.

„Papa ist nicht doof“, antwortete ich, „er ist nur etwas verärgert. Und jetzt wird geschlafen. Ich muss mal nach unten gehen und nach den Männern sehen.“

Hoffentlich gehen sie sich nicht an die Gurgel, dachte ich. Das Geschrei hatte aufgehört. Ich hörte die Haustür zuschlagen. Das Wohnzimmer war leer. Stefan stand auf der Terrasse.

„Was hast du dir nur dabei gedacht, diesen schwulen Typen hierher einzuladen und mit unseren Kindern allein zu lassen? Bist du nicht bei Sinnen?“, griff er mich an.

„Ich weiß nicht, was du für ein Problem hast. Bei diesen Typen handelt es sich um deinen eigenen Bruder und seinen Freund“, sagte ich ganz ruhig.

„Die sind doch schwul. Ich habe sie beim Küssen erwischt“, wütete er.

„Na und, dann sind sie halt schwul. Das ist doch nix Schlimmes“, nahm ich die beiden in Schutz.

„Nicht schlimm. Weißt du, was das für unsere Firma bedeutet, wenn das rauskommt?“, fauchte er.

„In welchem Jahrhundert lebst du denn? Gott sei Dank ist es nicht mehr verboten. Stefan und sein Freund sind mir immer herzlich willkommen“, klärte ich ihn auf und verließ das Zimmer.

Ich ging in das ehemalige Zimmer des Kindermädchens, das ich mittlerweile als Büro nutzte und legte mich dort auf die Couch. Von unten hörte ich Stimmen, Stefan telefonierte. Mit wem, konnte ich nur vermuten.

Paul und Thomas taten mir leid. Das hatte sicher Konsequenzen für die beiden. Mein Schwiegervater würde diese Verbindung bestimmt nicht dulden. Als guter Katholik und angesehener Bürger der Stadt würde er dieses in seinen Augen schändliche Verhältnis nicht gutheißen.

Kurz darauf hörte ich, wie die Haustür ins Schloss fiel und gleich darauf der Motor von Stefans Auto gestartet wurde. Wo fuhr er denn jetzt noch hin? Er würde es doch nicht wagen, zu seiner Geliebten zu fahren? Ich hatte ja nicht einmal mehr mit ihm deswegen reden können. Doch ich würde das auf keinen Fall auf sich beruhen lassen.

Nach einer unruhigen Nacht ging ich nach unten, um das Frühstück vorzubereiten. Stefan war in der Nacht nicht wieder nach Hause gekommen. Sein Wagen stand nicht in der Auffahrt.

Ich kam gerade vom Kindergarten zurück, als meine Schwiegermutter erschien. Sie war völlig aufgelöst und weinte schrecklich. Sie berichtete mir, was in der Nacht vorgefallen war.

Stefan war im Haus seiner Eltern erschienen und hatte sie trotz der späten Stunde noch über das Verhältnis von Paul und Thomas aufgeklärt. Mein Schwiegervater musste sich fürchterlich aufgeregt und damit gedroht haben, Paul und Thomas aus der Firma zu schmeißen und seinen ältesten Sohn zu enterben. Er gehörte noch zu der Generation, die ein Verhältnis zwischen Männern weder verstehen, noch dulden konnte.

Ich fühlte mich für den ganzen Schlamassel verantwortlich. Wären wir nicht dieser jungen Frau gefolgt, wäre ich rechtzeitig zurückgewesen und Stefan hätte gar nichts von Paul und Thomas erfahren. Auf der anderen Seite war es gut, dass es endlich raus war. Irgendwann musste die Familie ja mal in Kenntnis gesetzt werden.

Die blaue Stunde

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