Читать книгу Obscuritas - Jutta Pietryga - Страница 24
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Während sie die Küche in Ordnung brachte, die benutzten Küchenutensilien abwusch, warf April immer wieder einen prüfenden Blick durch das Küchenfenster. Sie wollte auf keinen Fall verpassen, wenn ihre Nachbarin, mit der sie von klein auf befreundet war, das Haus verließ. Soeben trat sie aus der Haustür.
Carol Hunter, Ende zwanzig, wie April, zog einen roten Hartschalenkoffer, in der anderen Hand trug sie eine Reisetasche. Die quirlige April winkte der Freundin lebhaft zu. Carol setzte das Gepäck ab und wedelte verhalten zurück. Anschließend rückte sie ihre herunter gerutschte Umhängetasche wieder in die richtige Position. Im Gegensatz zu April gehörte Carol zu den ruhigen Typen, überlegte dreimal, bevor sie etwas sagte oder tat.
April öffnete die Kuchentür, die in den Garten führte, und lief zum Gartenzaun:
"Hallo meine Liebe, geht's jetzt los?"
"Ja, gleich werde ich starten. Freue mich riesig. So lange war ich noch nie verreist, herrlich. Kalifornien ich komme!"
April lachte, so ausgelassen kannte sie die ruhige Carol nicht:
"Ich freue mich für dich, genieße die Zeit. Ich wünsche dir jedenfalls ganz viel Spaß und komm gesund wieder."
Die pummelige Carol streckte sich, um April, die selbst nur mittelgroß war, zu umarmen.
"Danke! Wir sehen uns dann in einem halben Jahr. Mach's gut!"
April schickte sich an, zurück ins Haus gehen, da beschlich sie erneut dieses unbehagliche Gefühl des beobachtet werden.
Suchend blickte sie umher, entdeckte auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen seltsam gekleideten Fremden. Verstohlen musterte sie den Mann. Wusste, sie hatte ihn schon mal gesehen. Genau, während der Pause war er ihr aufgefallen. Da stand er am Zaun und beobachtete die Kinder, genau so wie er jetzt Carol fixierte. Eindringlich taxierte er ihre Freundin.
Irgendwie wirkte der Mann bedrohlich, fand sie. April erschauderte, sie musste Rick von ihm erzählen, wer weiß, was das für ein Typ ist. Unschlüssig, mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend betrat sie das Haus, wo sie erneut ins Grübeln fiel:
Ich verstehe nicht, warum alle so empfindlich sind und abhauen. Wenn das so weitergeht, ist wieder der halbe Ort ausgeflogen. Bestimmt trudeln bald die ersten Entschuldigungen, Anfragen nach Sonderurlaub, Befreiung vom Unterricht usw. ein. Fadenscheinige Ausreden von wegen Todesfall, Familienfeier etc. würden sie vorbringen. Und April würde dem stattgeben. Wie immer! Obwohl sie ahnte, diese Reisen hatten andere Gründe. Sie tat, als glaubte sie, was man ihr erzählte, so wie es die Lehrer vor ihr taten. Warum? Sie wusste es nicht. Es war schon immer so. Obgleich die wochenlange Düsternis ist schon bedrückend, schlägt vielen auf das Gemüt, versuchte sie, die Reisenden zu entschuldigen. Rick drängelte ebenfalls, sie sollte mit den Kindern und der Granny verreisen. Die Großmutter weigerte sich, sie müsse bleiben sagte sie.
Aprils melancholische Gedanken wollten kein Ende nehmen:
Vielleicht waren Normans Alpträume erste Vorboten mit einer tieferen Bedeutung? Sie durfte nicht länger damit warten, Mary um deren Einschätzung zu bitten. Indianer hatten ein anderes Verhältnis zu Träumen. Was sie träumten, war für sie Wirklichkeit. Sie brachten den Träumen Ehrfurcht und Respekt entgegen, bezogen das Geträumte in ihr Leben mit ein.
Beim Decken des Esstisches sah sie wiederholt aus dem Fenster. Gerade schlug Carol den Deckel des Kofferraumes zu.
Carol wird mir fehlen, dachte sie. Die Freundin stieg in das Auto, langte nach hinten zum Sicherheitsgurt. Die andere Hand winkte April mit strahlendem Gesicht ein letztes Mal zu.
Jäh hüpfte der Wagen und vollführte einen Satz vorwärts. Carol, noch mit Anschnallen beschäftigt, guckte verblüfft, genau wie April. Deren Blick glitt irritiert zu den Autorädern. Was war das? Sie glaubte, einen roten Schimmer an den Autoreifen zu erkennen, schaute gründlicher hin. Das Flimmern verstärkte sich, die Reifen glühten jetzt. Das war unmöglich! Einen Moment sah es aus, als ob der Wagen minimal in der Luft schwebte. Er ruckte erneut und dann setzte sich das Auto in Bewegung.
April sah Carol entsetzt die Hände vor dem Mund halten. Der Wagen fuhr, obwohl sie nicht steuerte. Telematisch rollte er auf die Straße. Sie hörte Carol schreien! Dann rannte sie aus dem Haus auf die Straße.
Auf der entgegengesetzten Straßenseite starrte Mary Falcon fassungslos auf das Fahrzeug, das immer schneller fuhr. Unaufhaltsam steuerte der Wagen auf sein Ziel, der dicken Linde am Ende der Straße zu.
Der ohrenbetäubende Knall rief alle Bewohner aus ihren Häusern. Dann Stille! Wenig später von einem knisternden Geräusch durchbrochen. Rauch stieg von den Rädern auf. Das Knistern steigerte sich zum Fauchen. Dahinter hörte jeder das verzweifelte, schrille Schreien nach Hilfe. Einige liefen zu dem brennenden Auto. Es knallte erneut. Jäh blieben sie stehen. Das Fauchen wurde lauter, die Rufe leiser, verstummten schließlich ganz. Der Wagen verschwand im grauschwarzen Qualm und den rot-gelben Flammen, die grell an den anthrazitfarbenen Himmel leckten.