Читать книгу Obscuritas - Jutta Pietryga - Страница 8

Оглавление

Betty und Jane Carter

Frustriert äugte Jane die Straße hinunter, seufzte und widmete sich zwangsläufig abermals dem Fußweg. Lustlos schwang sie den Besen, nebenbei suchend umherspähend. Das Fegen diente lediglich als Vorwand, damit war sie längst fertig. Im Grunde genommen hoffte sie, dass jemand vorbeikäme, mit dem sie ein Schwätzchen halten konnte. Leider tat ihr niemand den Gefallen.

Die gelangweilte Frau fand, es wäre mal wieder Zeit, nach dem Grab der Eltern zu schauen. Unkraut jäten, war längst überfällig. Falls ihr dort Jason Farlow über den Weg lief, könnte sie ihn, ihrer Schwester zu Liebe, zum Kaffee bitten. Fraglich allerdings, ob er die Einladung annahm. Egal! Wie, um den Gedanken zu bestätigen, nickte Jane leicht mit dem Kopf. Was fand Betty bloß an diesem Kerl, fragte sie sich zum x-ten Male.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr der Einfall, zum Friedhof zu gehen. Bei der Gelegenheit erfahre ich unweigerlich, was dort vorgefallen ist, frohlockte sie und beschloss, ihr Vorhaben im Laufe des Vormittages in die Tat umzusetzen.

Auf den Besen gestützt schaute sie die Hauptstraße hinunter. Sie stutzte, runzelte verständnislos ihre Stirn. Etwas war anders! Jane überlegte, was sie störte. Sonderbar, wie die Stadt heute aussah. So eigentümlich grau. Kritisch musterte sie ihre Umgebung. Die leuchtenden Farben der bunten Häuser, sahen aus, wie von einem Grauschleier überzogen. Selbst den Menschen haftete diese Farblosigkeit an. Die paar, die schließlich aufgetauchten, hastete stumm, ohne Gruß vorbei. Das befremdete sie. Das machte man nicht mit Jane Carter! In Angeltown fand man stets Zeit für ein paar Worte.

Verblüfft starrte sie in die Ferne. Wie aus dem Nichts schlenderte eine Gestalt die Straße herunter. Wo kam die mit einem Mal her!

Trotz der langen Haare schien es sich, der Kleidung nach zu urteilen, um einen Mann zu handeln. Der Fremde wechselte auf die gegenüberliegende Straßenseite. Fahrig suchte sie in ihrem Kittelkleid nach ihrer Brille, vergeblich. Schließlich kniff sie die Augen zusammen, versuchte, die Gestalt dadurch deutlicher zu erkennen. Sie kannte ihn nicht, sah ihn noch nie zuvor.

Was mag der hier wollen, die Ferienzeit ist doch vorbei. Der Mann blieb stehen, sah allem Anschein nach suchend umher. Vielleicht kann ich ihm ja behilflich sein, ihn eventuell ein wenig aushorchen, frohlockte Betty. Endlich würde sie zu neuem Gesprächsstoff kommen! Erwartungsvoll sah sie der Gestalt entgegen. Jetzt befand er sich auf gleicher Höhe mit ihr, schaute zu ihr herüber. Strahlend lächelte sie ihn an, das typische Bild einer netten älteren Kleinstadtfrau.

"Kann ich Ihnen helfen?" bot sie beflissen an.

Der Fremde starrte sie an, sagte kein Wort. Seine abweisende Aura ließ Jane schaudern. Sie wandte ihren Blick ab, traute sich nicht, weiter in diese kalten Augen zu schauen. Sie fürchtete, darin etwas zu erkennen, was sie nicht sehen wollte.

Bekommen eilte sie zurück in den Laden, stellte den Besen geräuschvoll in eine Ecke. Überrascht hielt ihre Schwester Betty beim Staubwischen der Verkaufstheke inne:

"Hast du was?"

"Nee, was soll ich haben!"

Betty schaute sie skeptisch an. Sie wartete, manchmal kam ja noch was hinterher. Aber Jane gab keinen Mucks von sich, schob nur die Souvenirs in den Regalen hin und her. Achselzuckend setzte Betty die Tätigkeit des Staubwischens fort.

"Schau mich nicht dauernd so an", schnauzte Jane plötzlich:

"Kontrollierst du mich etwa!"

"Ich schau dich nicht an!"

"Doch tust du!"

"Ach lass mich in Ruhe!"

Genervt nahm Betty den Verkaufsständer mit den Sonderangeboten, um ihn draußen vor den Laden zu stellen. Jählings blieb sie stehen. Etwas Dunkles huschte am Fenster vorbei. Beinahe wäre ihr das Gestell entglitten. Zitternd umklammerte sie den Ständer, hielt sich daran fest. Kalte Schauer liefen vom Steißbein hoch zum Nacken, überzogen den Kopf und hinterließen Gänsehaut am ganzen Körper. Sie zauderte hinaus zu gehen, trat zaghaft einen Schritt vor.

"Was ist los?" Jane sah sie fragend an.

"Ach nichts".

"Klar ist was, ich kenne dich."

Betty druckste herum:

"Da war jemand am Fenster. Vielleicht hat der uns ja beobachtet."

"Siehst du, ich hatte Recht, irgendwer belauert mich", sagte Jane, lächelte ihrer Schwester entschuldigend zu:

"Konntest du erkennen, wer es war?"

"Nee, ich sah lediglich einen Schatten vorbeihuschen. Jetzt bringe ich aber endlich die Sachen raus, bevor die ersten Kunden kommen."

"Viele werden es nicht mehr sein."

"Ja leider, die Saison ist vorbei. Bald fängt die trübe, dunkle Zeit an. Hoffentlich dauert sie diesmal nicht so lange."

Mit einem bedauernden Seufzer trat Betty vor die Ladentür und blieb erneut abrupt stehen. Der Boden vor dem Laden war übersät mit Laub und Schmutz. Indigniert drehte sie den Kopf Richtung Tür.

"Ich denke, du hast hier gefegt Jane!"

"Selbstverständlich! Was glaubst du, was ich dort draußen gemacht habe."

"Na, dann komm raus und schau dir das an!"

Die Hände in der Taille gestützt, eine Hüfte vorgeschoben, wartete Betty auf ihre Schwester. Mit hochrotem Kopf kam diese aus dem Laden geschossen:

"Das gibt es nicht! Wie sieht es denn hier aus! Ich habe doch sauber gemacht!"

Augen und Mund vor Erstaunen weit geöffnet starrte sie ungläubig auf den von Unrat übersäten Fußweg. Rasch klappte sie den vor Verwunderung offenen Mund wieder zu, da sie wusste, wie lächerlich das aussehen musste, um ihn gleich darauf erneut zu öffnen. Ihr zum O geformter Mund drückte maßloses Erstaunen aus.

Er war wieder da! Sie trat zu ihrer Schwester, fasste sie am Arm.

"Betty", raunte sie: "Hast du den Mann da drüben schon mal gesehen?"

"Warum flüsterst du."

"Ich weiß nicht irgendwie sieht er danach aus."

"Sieht schon eigenartig aus der Typ. Diese Klamotten, wie aus dem letzten Jahrhundert."

"Mindestens!"

"Vielleicht hat der uns ja beobachtet."

Unschlüssig standen sie auf dem Gehweg und betrachteten den Fremden, der seinerseits keine Notiz von ihnen nahm. Einzig das Geschäft, interessierte ihn. Unverwandt, ohne eine Miene zu verziehen, fixierte er es. Hämisch grinsend senkte er den Kopf, hob einen Arm und deutete mit der linken Hand, Ring und Mittelfinger geschlossen, auf das Schaufenster. Deutlich gewahrten sie, die Bewegung seiner Lippen, glaubten, ihn flüstern zu hören.

Ein Poltern hinter ihrem Rücken ließ die Frauen herumfahren. Nichts Gutes ahnend hasteten sie zurück in den Laden. Entgeistert erfassten sie das Chaos, schauten fassungslos umher. Viele der Souvenirs lagen zerschmettert am Boden, mittendrin umgestoßene Regale. Überall verstreut sahen sie Prospekte und dazwischen ihre Blumendekorationen. Die Schwestern betrachteten fassungslos das Durcheinander.

"Was ist denn hier passiert? Wir waren doch nur einen Moment vor der Tür. Hast du jemanden das Geschäft betreten sehen, Jane?"

"Wie denn?! Ich habe da nicht drauf geachtet. Erst lenkte mich der schmutzige Boden ab und dann dieser Mann."

Rasch schickte Jane einen Blick durch die Schaufensterscheibe:

"Er ist weg."

"Wer ist weg?"

"Na, der Fremde!"

Zeitlupenmäßig drehte Betty sich um, zeigte ihrer Schwester ein kalkweißes Gesicht mit zitternden Lippen. Ihre fiebrig glänzenden Augen schauten Jane vielsagend an. Jane weigerte sich zu glauben, was sie in Bettys Augen las. Aufgewühlt überlegte sie, womit sie ihre Schwester beruhigen konnte. Ein sirrendes Geräusch über ihren Köpfen zwang die Frauen ruckartig nach oben zu schauen. Einige der Ansichtskarten aus den Ständern schwirrten in der Luft. Erst wirbelten nur ein paar umher. Dann wuchs der Strudel aus Karten, wuchs und wuchs.

"Wieso sind das so viele?" schrie Jane:" Das sind ja mehr, als wir haben! Mehr als wir je hatten!"

Ein scharrendes Geräusch ließ sie herumfahren. Krachend öffneten sich die Schubladen der Ladentheke und schlugen lautstark wieder zu. Ununterbrochen auf und zu, auf und zu. Broschüren, Landkarten, wie von Geisterhand bewegt, schwebten heraus, rotierten pfeifend mit dem Karten an der Decke.

Das durchdringende, schrille Sirren schmerzte ihnen in den Ohren. Das und das Krachen der Laden beherrschten den Raum. Beide Hände auf die gepeinigten Ohren gepresst sahen sie abwechselnd nach oben und zur Theke, außerstande rational zu denken.

Die Papiere an der Zimmerdecke formierten sich zu einem tornadoähnlichen Strudel. Unaufhaltsam näherte dieser sich den erstarrt da stehenden Frauen. Ihre Panik lauthals herausschreiend packte Jane ihre Schwester am Unterarm und zog sie, in das Hinterzimmer, das sowohl als Büro wie auch als Sozialraum fungierte. Bebend standen sie einander gegenüber, lautlose Tränen rannen über Bettys Gesicht:

"Es fängt an!"

"Bitte lass uns diesmal auch verreisen", bat Jane.

"Und was ist mit Jason Farlow."

"Keine Sorge, den schnappt dir niemand weg. Der wird noch hier sein, wenn wir wiederkommen," versicherte Jane heftig.

Die bedrohlichen Geräusche aus dem Geschäft gewannen an Intensität.

"Du hast Recht", flüsterte Betty: "Wir sollten dieses Jahr ebenfalls verreisen."

"Gut, gleich nachher besorgen wir die Fahrkarten für den Überlandbus, ehe es keine mehr gibt."

"Dann nehmen wir halt den nächsten Bus."

"Wer weiß, ob später noch einer fährt. Das Wetter kann jederzeit umschlagen. Und dann geht nichts mehr."

Erschrocken sah Betty sie an:

"Okay, stimmt! Fahren wir so schnell es geht! Sicher ist sicher!"

"Genau! Ich will so schnell wie möglich weg von hier."

Der Entschluss beruhigte sie. Das Beben ihrer Körper ließ nach. Sich an den Händen haltend, warteten sie, bis die Geräusche verstummten.

Irgendwann würde es vorbei sein. Das wussten sie! Dann würden sie in ihrer Wohnung über dem Laden gehen und für die Reise packen.

Obscuritas

Подняться наверх