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ff) Die Gesetze, Dekrete oder Ordonnanzen, mit denen einem internationalen Abkommen zugestimmt wird

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Eine weitere, hier kurz anzusprechende Situation betrifft den Fall, in dem der Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit einer ganz besonderen Art von Rechtsnorm überprüfen soll, nämlich derjenigen, mit der einem internationalen Abkommen zugestimmt wird. Denn eine derartige Zustimmungsnorm (Gesetz, Dekret, Ordonnanz) bildet ein sogenanntes „rein formelles“ Gesetz, also eine Rechtsnorm, die über keinen eigenen normativen Gehalt verfügt und sich darauf beschränkt, die Anwendung von Bestimmungen des internationalen Rechts innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung zu ermöglichen.[97]

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Aus Art. 3 § 2 SGVerfGH geht hervor, dass sich die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes – jedenfalls bezüglich der Nichtigkeitsstreitsachen – auch auf die Überprüfung der Verfassungskonformität von Gesetzesbestimmungen, die die Zustimmung zu einem internationalen Abkommen zum Gegenstand haben, erstreckt. Für Vorabentscheidungsverfahren hingegen ging Art. 26 SGVerfGH, die hierfür zentrale Bestimmung, ursprünglich auf diese Frage nicht ein.[98] Allerdings wurde seit Beginn der neunziger Jahre dieser Ungewissheit durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Ende gesetzt. So sei aus keiner einzigen Bestimmung des SGVerfGH abzuleiten, „dass der Sondergesetzgeber die Zuständigkeit des Schiedsgerichtshofes, auf eine präjudizielle Frage über ein Gesetz, ein Dekret oder eine Ordonnanz, durch welche einem Vertrag zugestimmt wird, zu antworten, hätte ausschließen wollen“.[99] Dies bedeutet, dass sich der Gerichtshof auch im Bereich der Vorabentscheidungsverfahren entsprechend für zuständig erklärt hat.

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Im Jahre 1994, also drei Jahre später, ergänzte der Gerichtshof diesen Standpunkt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verfassunggeber, der dem Gesetzgeber die Verabschiedung innerstaatlicher Gesetzesnormen verbietet, welche gegen die in Art. 142 der Verfassung erwähnten Normen verstoßen, es letzterem erlauben würde, dies mittelbar auf dem Umweg der Zustimmung zu einem internationalen Abkommen zu tun.[100] Der Gerichtshof hat jedoch ebenfalls klargestellt, dass er bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Zustimmungsnorm zu einem internationalen Abkommen der Tatsache Rechnung trägt, dass der Verfassung de facto nicht ein einseitiger Hoheitsakt gegenübersteht, sondern eine Vertragsnorm, die auch außerhalb der innerstaatlichen belgischen Rechtsordnung Rechtsfolgen nach sich zieht.[101]

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Da die Beziehungen zwischen innerstaatlichem und internationalem Recht in der belgischen Verfassung keine Erwähnung finden,[102] ging diese prinzipiell eindeutige Haltung des Gerichtshofes in der Praxis doch mit Schwierigkeiten einher. Denn danach hätten Zustimmungsgesetze zu für Belgien bedeutsamen Verträgen über ein Vorabentscheidungsverfahren vor den Verfassungsgerichtshof gebracht werden können. Allerdings sind Vorabentscheidungsverfahren keinerlei Fristen unterworfen und können daher noch Jahre nach der Annahme des Vertrages und des diesbezüglichen Zustimmungsgesetzes eingeleitet werden. So hätte also die Möglichkeit bestanden, den Gerichtshof mit einer präjudiziellen Frage zu befassen, aufgrund derer er die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen von 1957 oder zum Vertrag von Maastricht, dem Gründungsdokument des Euros, hätte prüfen müssen. Derartige Verfahren hätten unter juristischen Gesichtspunkten natürlich eine potenzielle Gefahr für die Zugehörigkeit Belgiens zur Europäischen Union oder zur Eurozone dargestellt – eine Gefahr, der sich die Regierung, gestützt auf eine breite parlamentarische Mehrheit, zu Recht nicht aussetzen wollte. Denn welche Folgen hätte es wohl, wenn der Verfassungsgerichtshof das Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen für verfassungswidrig erklären würde?

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Der Gesetzgeber hat auf diese Situation und ihre möglichen Konsequenzen für die Zugehörigkeit des Königreiches zur Europäischen Union reagiert und 2003 eine Gesetzesreform verabschiedet, um die Stabilität der europäischen Beziehungen Belgiens zu gewährleisten.[103] Durch dieses Gesetz wird Art. 26 SGVerfGH um einen Paragraphen 1bis ergänzt, der die Zuständigkeit des Gerichtshofes für Vorabentscheidungsverfahren im Hinblick auf Zustimmungsgesetze, -dekrete und -ordonnanzen zu den Gründungsverträgen der Europäischen Union, zur EMRK oder zu einem ihrer Zusatzprotokolle ausschließt.[104] Die Zustimmungsgesetze, -dekrete und -ordonnanzen zu diesen Verträgen unterliegen also nur noch der Kontrolle des Gerichtshofes mittels einer innerhalb von sechzig Tagen nach ihrer Veröffentlichung eingereichten Nichtigkeitsklage.[105]

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Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen, mit denen anderen Verträgen als den genannten zugestimmt wird, können jedoch ohne zeitliche Begrenzung Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof sein.

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