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(1) Der „Umweg“ über die Grundsätze der Gleichheit und Nichtdiskriminierung

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Bereits die ersten Urteile, die Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz betrafen, machten deutlich, dass der Gerichtshof nicht gewillt war, sich in den engen Rahmen seiner Zuständigkeiten zwängen zu lassen. So stellte er klar, dass er die Art. 10 und 11 der Verfassung zukünftig weit auslegen werde.[139] Dem lag folgende Überlegung zugrunde: Jede Verletzung eines Grundrechtes kann im Widerspruch zu den Grundsätzen der Gleichheit und Nichtdiskriminierung stehen, wenn das fragliche Grundrecht einer Person oder einer Gruppe von Personen entzogen wird, gleichzeitig jedoch uneingeschränkt für jede andere Person weiter gelten würde; daraus ergibt sich, dass der Gerichtshof auch für diese Konstellationen zuständig ist.[140]

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Der Gerichtshof übt demzufolge seine Kontrolle über jede Art der Diskriminierung ungeachtet ihres Ursprungs aus. Auf diese Weise erweitert er seine Zuständigkeit auf alle Grundrechte und -freiheiten, unabhängig davon, ob diese durch die Verfassung gewährleistet werden[141] oder durch eine Norm des internationalen Vertragsrechts mit oder ohne unmittelbare Wirkung (wie im Falle der EMRK).[142] Durch diese Vorgehensweise hat der Gerichtshof sich die Kompetenz zuerkannt, mittelbar die Übereinstimmung der innerstaatlichen Rechtsnormen mit Normen des internationalen Rechts zu prüfen.

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Diese Methode, die es dem Gerichtshof erlaubt, die Übereinstimmung der Gesetzesnormen mit den Grundrechten zu überprüfen, wird Kombinationsmethode genannt. Denn die Parteien müssen sich immer auf eine Verletzung der Art. 10 und 11 der Verfassung in Verbindung mit einer Bestimmung, durch die ein spezifisches individuelles Recht geschützt wird, berufen.[143]

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Entsprechend kommt den Art. 10 und 11 der Verfassung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes eine große Bedeutung zu. Denn die Argumentation der Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof beruht in den meisten Fällen auf den Grundsätzen der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, wobei diese entweder allein oder zusammen mit anderen Bestimmungen vorgebracht werden.[144]

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Hinsichtlich der Definition der Gleichheit und Nichtdiskriminierung bleibt die Rechtsprechung des Gerichtshofes bemerkenswert konstant. So formuliert der Gerichtshof in einem Großteil seiner Urteile, dass

„[d]ie Verfassungsvorschriften der Gleichheit und des Diskriminierungsverbots nicht ausschließen, dass ein Behandlungsunterschied zwischen Kategorien von Personen eingeführt wird, soweit dieser Unterschied auf einem objektiven Kriterium beruht und in angemessener Weise gerechtfertigt ist. Das Vorliegen einer solchen Rechtfertigung ist im Hinblick auf Zweck und Folgen der beanstandeten Maßnahme sowie auf die Art der einschlägigen Grundsätze zu beurteilen; es wird gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, wenn feststeht, dass die eingesetzten Mittel in keinem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.“[145]

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Diese Formel lässt erkennen, dass der Gerichtshof zunächst die Vergleichbarkeit der Kategorien untersucht. Kommt er zu dem Schluss, dass die Kategorien ausreichend vergleichbar sind, überprüft er anschließend die Objektivität und die Stichhaltigkeit des seitens des Gesetzgebers verwendeten Unterscheidungskriteriums. Zum Schluss prüft er die Angemessenheit und die Verhältnismäßigkeit zwischen der angewendeten Maßnahme und dem durch die beanstandete Norm verfolgten Sinn und Zweck.[146]

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Diese extensive Auslegung der Zuständigkeiten hatte zunächst für heftige Diskussionen gesorgt. Seit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des SGVerfGH im Jahre 2003, durch das die weite Auslegung des Gerichtshofes bestätigt wurde, sind diese jedoch nur noch Geschichte.

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