Читать книгу Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen - Katharina Becker - Страница 100
1. Allgemeines
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Der neue § 1 Abs 5 soll in Übereinstimmung mit den Überlegungen der OECD die Grundsätze regeln, nach denen der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz sowohl auf die Aufteilung der Gewinne zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte als auch auf die Ermittlung der Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens durchzuführen sei.[751] Folge ist, dass zB eine Betriebsstätte Gewinne erzielt, obwohl das Unternehmen insgesamt Verluste hinnehmen muss (sogar dann, wenn das Unternehmen insgesamt nie einen Gewinn erzielt), oder Verluste hinnehmen muss, auch wenn das Unternehmen insgesamt Gewinne erzielt.[752] Der Ansatz von Fremdvergleichspreisen aufgrund sog „Dealings“ könne auch dazu führen, dass die Summe der Einzelergebnisse verschiedener Betriebsstätten vom Gesamtergebnis des Einheitsunternehmens abweiche. Solche Abweichungen entstünden dadurch, dass steuerrechtlich aufgrund der angesetzten „Preise“ stille Reserven aufgedeckt würden, die das Unternehmen insgesamt (bilanziell) noch nicht realisiert habe.[753] Die Abweichungen würden sich allerdings über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg regelmäßig ausgleichen – um Steuerbelastungseffekte zumindest zu mildern, werde die Anwendung des § 4g EStG insoweit nicht eingeschränkt (§ 1 Abs 5 S 6).[754] Die uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion hat also nur Bedeutung für die Einkünftezuordnung, nicht aber für die Einkünfteermittlung.[755]
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Als wesentlichen Grund für die Einführung des neuen § 1 Abs 5 kann dem RegE[756] folgender Ansatz entnommen werden: „Zur Sicherung des deutschen Steueraufkommens und zur Vermeidung unbesteuerter („weißer“) Einkünfte ist eine eindeutige Rechtsgrundlage erforderlich, die eine vollständige und verbindliche, innerstaatliche Umsetzung des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 ermöglicht. Deshalb soll diese Rechtsgrundlage grds Vorrang vor dem DBA haben, die den bisherigen Art 7 MA oder dem Art 7 des Musterabkommens der Vereinten Nationen entsprechen. Nur so ist es möglich, im Bereich der Besteuerung internationaler Betriebsstättenfälle durch weitere Konkretisierung und Präzisierung des im DBA vereinbarten Fremdvergleichsgrundsatzes zu klaren und eindeutigen Regelungen für die innerstaatliche Praxis zu kommen. Soweit internationale Besteuerungskonflikte entstehen, zB weil der andere Staat einer von der deutschen Regelung abw Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes folgt und sich insoweit auf das jeweils geltende DBA beruft, das eine Regelung enthält, die dem bisherigen Art 7 MA in seiner Kommentierung 2008 entspricht, gilt § 1 Abs 5 S 8. Diese Regelung überwacht einerseits die auf dem Abk beruhenden Besteuerungsrechte des anderen Staates und vermeidet andererseits Doppelbesteuerung in Fällen, in denen es sonst aufgrund der Neuregelung zu einer einseitigen Anwendung der Grundsätze des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 durch Deutschland kommen könnte. Sie ermöglicht so auf völkerrechtskonforme Weise eine übereinstimmende Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes durch die Vertragsstaaten.“[757]
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Zunächst ist hervorzuheben, dass dem Gesetzgeber mit der Verortung der Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten in § 1 ein Fehler in systematischer Hinsicht unterlaufen ist.[758] Auch wenn es verständlich und evtl auch notwendig ist, dass der Gesetzgeber eine innerstaatliche Rechtsgrundlage schafft, welche das in Art 7 MA vorgesehene Besteuerungsrecht in innerstaatliches Recht transformiert. Die Umsetzung (alleine) in § 1 ist jedoch nicht sachgerecht; vielmehr handelt es sich bei der Gewinnermittlung der Betriebsstätte um einen Tatbestand der Gewinn- bzw Unterschiedsbetragsermittlung (sowohl für in- als auch ausländische Betriebsstätten), welcher im EStG hätte geregelt werden müssen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob WG in der Gesamtunternehmensbilanz der Höhe nach anders als in der Stammhaus- bzw Betriebsstättenbilanz bewertet werden können. § 1 ist demgegenüber eine Einkünftekorrekturvorschrift, welche nur dann greift, wenn die deutsche Finanzverwaltung einkünfteerhöhende Korrekturen vornehmen möchte.[759] Zudem ist der AOA damit nur einseitig zugunsten der deutschen Finanzverwaltung umgesetzt, während die OECD von einer einheitlichen Anwendung des AOA sowohl im Stammhaus- als auch im Betriebsstättenstaat ausgeht.[760] Die Einkünftefiktion in § 1 hat dementsprechend nur eine begrenzte Reichweite: Sie gilt nur für Zwecke der Einkünftekorrektur zu Ungunsten des StPfl mit der Folge, dass einerseits von einem ausl Stammhaus auf der Grundlage einer dort ebenfalls geltenden AOA-Regelung der inl Betriebsstätte berechnete (fiktive) Dienstleistungsentgelte steuerlich unberücksichtigt bleiben und andererseits umgekehrt von der inländischen Betriebsstätte berechnete (fiktive) Entgelte, etwa Lizenzgebühren, keiner Quellensteuer unterliegen.[761]
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Sodann werden gegen die Neuregelung in § 1 Abs. 5 europarechtlichen Bedenken erhoben.[762] Dies könne sich aus dem Fehlen einer allgemeinen Stundungsregelung im Hinblick auf die Gewinnsrealisierung bei unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ergeben und Folge aus einem Vergleich zu den allgemeinen Entsprechungsregeln, für die die hM davon ausginge, sie verstoßen gegen europarechtliche Grundfreiheiten, insbesondere gegen die Niederlassungsfreiheit. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit lasse sich allenfalls mit dem Argument der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und damit mit der Sicherung des Besteuerungsrechts des Staates rechtfertigen, in welchem stille Reserven gebildet bzw eine bestimmte Wertschöpfung erbracht wurde. Allerdings ist nach der aktuellen EuGH-Rspr im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die sofortige Erhebung von Steuern auf noch nicht tatsächlich realisierte stille Reserven im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte unverhältnismäßig.[763] Der genannten Entsch des EuGH in der Rs Naional Grid Indus ist gleichfalls zu entnehmen, dass auch die aufschiebende Besteuerung von im Stammhaus gebildeten stillen Reserven, die regelmäßig zwangsweise bei Verlust des Besteuerungsrechts an einem Veräußerungsgewinn im Fall der späteren Veräußerung der Wirtschaftsgüter aufzudecken sind, dann nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, wenn an die aufschiebende Besteuerung die besondere Mitwirkungs- und Nachweispflichten hinsichtlich des weiterbestehenden (wirtschaftlichen) Eigentums des Steuerpflichtigen gekoppelt sind. Insoweit erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Steuerpflichtige zwischen einer Sofortbesteuerung und einer aufgeschobenen Besteuerung wählen kann. Ein solches Wahlrecht sei in § 1 Abs 5 nicht vorgesehen, vielmehr sehe § 1 Abs. 5 eine Einkünftekorrektur im Hinblick auf eine sofortige Gewinnrealisierung vor, wenn fiktive Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen inländischen Stammhaus nicht fremdvergleichskonform bepreist würden.[764]
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Aber auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht wird die Norm nicht für unbedenklich gehalten.[765] Das Fingieren von Einkünften bei grenzüberschreitenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ist eine Abkehr von dem im Bilanzsteuerrecht geltenden Realisationsprinzip. Als Ausfluss des Vorsichtsprinzips dürfen danach nur realisierte Gewinne ausgewiesen werden, so dass ggf eingetretene Wertsteigerungen in den Vermögensgegenständen bis zu diesem Zeitpunkt keinen Einfluss auf den Gewinn haben, § 252 Abs 1 Nr 4 letzter HS HGB. Eine Realisation erfordert am immer eine Außentransaktion. Dieses über § 5 Abs 1 S 1 EStG für das Steuerrecht anzuwendende Realisationsprinzip beruht zwar auf dem handelsrechtlichen Normensystem der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, es erfährt aber auch eine spezifisch steuerrechtliche Legitimation durch das Fundamentalprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sowie durch das Übermaßverbot.[766] Hiernach ist eine Besteuerung nicht realisierter Wertzuwachs für grundsätzlich nicht gerechtfertigt, steuerliche Leistungsfähigkeit setzt nämlich stets Liquidität für die Steuerzahlung voraus.[767] und das Übermaßverbot gebietet eine vorsichtige Besteuerung, dh eine Besteuerung erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Leistung erbracht wird, was das BVerfG in seinem Beschluss v 7.7.2010[768] so ausdrückt: „Dass Wertsteigerungen erst im Zeitpunkt ihrer Realisation zu versteuern sind, findet seinen Grund aber allein im Prinzip einer vorsichtigen, substanzschonenden Besteuerung.“ Diese in § 5 Abs 1 S 1 EStG in Ausrichtung an das Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit getroffene normative Grundlageentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt der Belastungsgleichheit durchgängig folgerichtig umzusetzen.[769] Ausnahmen hiervon bedürfen eine besondere Begründung. Diese können sich nach dem BVerfG[770] bei außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecken sowie bei Typisierungs- und Vereinfachungserfordernissen ergeben, nicht jedoch aus nur fiskalischen Zwecken staatlicher Einnahmeerhöhung. Eine weitere Ausnahme soll für die zeitlich vorgezogene Besteuerung in Fällen gelten, in denen ein steuerlicher Zugriff später nicht mehr möglich ist. Dies soll vor allem für die Erfassung stiller Reserven in materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern gelten, so dass es zulässig ist, die stillen Reserven im jetzt noch möglichen Zeitpunkt für steuerliche Zwecke abzurechnen.[771] in § 1 Abs 5 ist aber anders als in § 4 Abs 1 S 3 EStG keine Ultima Ratio Besteuerung geregelt, sondern eine Einkünftekorrektur. Gleichwohl zielte § 1 Abs 5 ebenfalls auf den Verlust von Besteuerungssubstrat, so dass er sich an den Grundsätzen von § 4 Abs 1 S 3, 4 EStG messen lassen muss. Dann kann die Anwendung in Abkommensfällen nach Auffassung des BFH[772] „ausgeschlossen“ sein. Aber auch wenn man dem entgegen davon ausgeht, dass § 4 Abs 1 S 3 EStG in jedem Fall bei einem grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer zwischen Betriebsstätte und Stammhaus eingreift ist die sofortige Besteuerung als Rechtsfolge mit dem in Art 3 Abs 1 GG verankerten Leistungsfähigkeitsprinzip unvereinbar.[773]