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Können »Big Brother«-Regierungen unseren Kinderwunsch beeinflussen?
ОглавлениеVor wenigen Jahren versuchte die Regierung von Singapur, diese Frage auf die Probe zu stellen. Sie zeigte sich besorgt, dass Paare dieses kleinen, aber wohlhabenden Inselstaats, dessen Bevölkerung zu drei Vierteln aus ethnischen Chinesen besteht, auf Kinder verzichten, um sich die fünf wichtigsten Statussymbole leisten zu können: Autos, Kreditkarten, Eigentumswohnungen, die Mitgliedschaft im Country Club und immer gut gefüllte Bankkonten. Regierungsbeamte schrieben einen Brief an eine Auswahl kinderloser verheirateter Paare, in dem sie anführten, wie notwendig es für das Land sei, eine junge Bevölkerung zu haben, die das Wachstum seiner expandierenden Wirtschaft sichere. Daneben enthielt das Schreiben noch ein ungewöhnliches Angebot: eine kostenlose Urlaubsreise nach Bali, die den Paaren nach Ansicht der Regierung dabei helfen könne, in die richtige Stimmung zu kommen. Die Paare, die natürlich gerne ein paar Tage an einem Traumstrand verbringen wollten, ergriffen die Gelegenheit beim Schopf. Sie traten ihren Urlaub an, hielten sich jedoch nicht an ihren Teil der Abmachung – es wurden keine Babys gezeugt, zumindest nicht genug, um die Regierungsbeamten zufriedenzustellen. Das Pilotprogramm wurde nach neun Monaten eingestellt.
Auch die Volksrepublik China hat versucht, die Bevölkerungsentwicklung zu beeinflussen, mit seiner drakonischen Ein-Kind-Politik. In den späten 1970er Jahren, als das Land unter einer rückständigen und chaotischen kollektivistischen Wirtschaft litt, kamen Reformer unter Führung von Deng Xiaoping zu dem Schluss, dass das rasante Bevölkerungswachstum des Landes nur zu einer fortgesetzten Armut führen könne. Sie hatten die chinesische Geschichte genau studiert: Zwischen 1500 und 1700 wuchs die Bevölkerung des Landes in etwa derselben Geschwindigkeit wie in Westeuropa, viel schneller jedoch im achtzehnten Jahrhundert, während eines langen Zeitraums des Friedens und Wohlstands, als sich die landwirtschaftlichen Erntemengen in nie dagewesener Form vervielfachten. Während dieser Zeit vergrößerten sich die Erträge von Reis- und Weizenfeldern um das Zwei- oder sogar Dreifache. Neue Pflanzen aus Amerika wie Mais und Süßkartoffeln halfen ebenfalls, die Produktivität zu steigern. So erhöhte sich der Lebensstandard in Teilen Chinas sogar früher als in England, dem Geburtsort der Industriellen Revolution. Doch zwischen 1800 und 1950 verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum am unteren Jangtse. Dies hatte mit der Übernutzung der Böden, aber auch mit politischen Unruhen, Bürgerkriegen sowie ausländischen Interventionen und Invasionen zu tun.
Doch dann – und trotz der schrecklichen Hungersnot, die der »Große Sprung nach vorn« der fünfziger Jahre und die Umsiedlungen der Kulturrevolution in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts verursachten – wuchs die Bevölkerung der Volksrepublik China in den zwei Jahrzehnten zwischen 1950 und 1970 um jeweils zwischen 120 und 150 Millionen Menschen. China stand damals kurz davor, als erstes Land der Welt mehr als eine Milliarde Einwohner zu zählen. Deng und seine Anhänger nahmen an, das Land werde seinem wirtschaftlichen Ruin entgegensteuern, würde man nichts dagegen unternehmen. Im Jahr 1979 wurde die für alle verbindliche Ein-Kind-Politik eingeführt.
Damit erwiesen sich die politischen Entscheidungsträger als einigermaßen realitätsfremd. Denn auch in China war die Geburtenrate schon seit den sechziger Jahren gefallen, und das aus denselben Gründen, die auch in anderen Teilen der Welt für diese Entwicklung bestimmend waren: Verstädterung, bessere Bildungs- und Arbeitsmarktchancen für Frauen sowie eine zunehmende Präferenz, lieber weniger Kindern bessere Chancen zukommen zu lassen, als möglichst viele von ihnen zu bekommen. Die politischen Entscheidungsträger hatten es versäumt, lateral über das Problem nachzudenken.
Vergegenwärtigen wir uns folgende Zahlen: Im Jahr 1965 lag die Geburtenrate im städtischen China noch bei etwa sechs Kindern pro Frau. Als 1979 die Ein-Kind-Politik in Kraft trat, war sie dort bereits auf 1,3 Kinder pro Frau gefallen, weit unter das sogenannte »Ersatzniveau der Fertilität« von mindestens zwei Kindern pro Frau, bei dem die Bevölkerungszahlen konstant bleiben. Gleichzeitig lag Mitte der sechziger Jahre die Geburtenrate im ländlichen China bei zirka sieben Kinder pro Frau und fiel bis 1979 auf drei. Während der Zeit der Ein-Kind-Politik ging die städtische Geburtenrate von 1,3 auf 1,0 zurück, die ländliche von 3 auf 1,5. Die Demographen des China Journals sahen dies durchaus: »Der Hauptanteil des chinesischen Geburtenrückgangs kann nicht auf die Ein-Kind-Politik zurückgeführt werden.« Der Rückgang hatte vor allem damit zu tun, dass die Menschen aufgrund sich verändernder Umstände andere Entscheidungen trafen, weniger mit der Staatsbürokratie. »Die Ein-Kind-Kampagne war lediglich politisch motiviert und basierte auf Pseudowissenschaft, demographisch notwendig war sie nicht«, so die Schlussfolgerung der Experten.
Im Jahr 2015 gab China diese Politik ganz auf. Wird das Bevölkerungswachstum in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nun wieder anziehen? Der Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen bemerkt, dass der »Fortschritt der Frauen Chinas Ein-Kind-Politik überflüssig machte«. Chinesische Frauen erhalten weiterhin verstärkt Zugang zu Bildung und haben gute berufliche Aufstiegschancen, weshalb ein Anstieg der Geburtenrate eher unwahrscheinlich ist. Zum Vergleich bewegt sich die Geburtenrate in den Nachbarstaaten Taiwan und Südkorea – wo eine ähnliche Politik nie existierte – auf einem Niveau von etwa 1,1 Kindern pro Frau, weit unter Chinas derzeitigem Niveau von 1,6. Die Losung »Wirtschaftliche Entwicklung ist das beste Verhütungsmittel« bewahrheitet sich letztendlich in China genauso wie überall sonst auf der Welt.
Paradoxerweise wird die chinesische Ein-Kind-Politik vor allem von generationaler Bedeutung sein: Bis 2030 wird China 90 Millionen Menschen weniger im Alter von fünfzehn bis fünfunddreißig haben, und 150 Millionen mehr im Alter über sechzig. Das Land erlebt den weltweit größten und schnellsten Prozess einer Bevölkerungsalterung. Wir werden die Folgen dieser gewaltigen generationalen Veränderungen in Kapitel 2 analysieren.