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Die unerwarteten Nutznießer von Chinas Ein-Kind-Politik

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Dieser Tage sind die Zeitungen voll mit Geschichten über Handelsdefizite, erschlichene Technologien und chinesische Spione, die sich als seriöse Geschäftsleute ausgeben. »Eine von fünf Firmen gibt an: China hat geistiges Eigentum gestohlen«, lautet 2019 eine Schlagzeile im Magazin Fortune. Vielen Beobachtern mag es so scheinen, als wäre China auf seinem Weg an die Spitze des globalen Marktes nur darauf aus, die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder übers Ohr zu hauen. Nur wenigen Politikern oder Journalisten ist es je in den Sinn gekommen, dass Chinas Ein-Kind-Politik für die Verbraucher westlicher Länder ein regelrechter Glücksfall gewesen sein könnte.

In einem faszinierenden Beispiel lateralen Denkens fanden Wirtschaftswissenschaftler eine überraschende Verbindung zwischen Geburtenraten und Ersparnissen. Solange sie Gesetz war, schuf die Ein-Kind-Politik ein Ungleichgewicht von etwa 20 Prozent mehr jungen Männern als Frauen, wobei traditionell Jungen favorisiert wurden. »Deformierte Geschlechterverteilung stiftet bei Eheschließungen in China Chaos« lautete 2017 eine Schlagzeile im Economist. Und die New York Times titelte: »In China wartet auf Millionen von Männern ein einsamer Valentinstag«. Eltern entschieden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. »Aufgrund eines verschärften Wettbewerbs auf dem Heiratsmarkt erhöhen Haushalte mit einem Sohn ihre Sparrate in der Hoffnung, die Chancen ihres Sohnes, eine Frau zu finden, zu erhöhen« – so die Wirtschaftswissenschaftler Shang-Jin Wie und Xiaobo Zhan, nachdem sie eine Fülle an Daten analysiert hatten. »Die zunehmend ungleiche Geschlechterverteilung von 1990 bis 2007 erklärt etwa 60 Prozent des tatsächlichen Zuwachses privater Ersparnisse im selben Zeitraum.« Dieses Phänomen war so weit verbreitet, dass China nicht nur eine ganze Bandbreite an Fabrikwaren exportierte, sondern auch seine überschüssigen Ersparnisse. Das unersättliche Konsumverhalten von Amerikanern wurde hauptsächlich durch Familiensparbücher finanziert. Ohne das chinesische Geschlechterungleichgewicht und das damit zusammenhängende hohe Sparniveau hätten Amerikaner in den vergangenen zwei Jahrzehnten höhere Zinsen auf ihre Hypotheken und Verbraucherkredite zahlen müssen. Hätten sich zum Beispiel die Zinsen für eine über dreißig Jahre laufende Hypothek auf 6 Prozent statt auf 5 Prozent belaufen, dann wären die monatlichen Raten um etwa 25 Prozent höher ausgefallen, und es hätte viel weniger Geld für andere Anschaffungen zur Verfügung gestanden. Die Kosten für einen Hauskauf in San Francisco haben also tatsächlich etwas damit zu tun, ob in China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt.

Das chinesische Geschlechterungleichgewicht hat auch den Konsum in der neuen Digitalwirtschaft beeinflusst. Man bedenke nur, wie viel Geld Menschen für Online-Dating-Dienste in unterschiedlichster Form ausgeben. Dating-Plattformen haben heute weltweit Hunderte von Millionen Kunden, die dort jährlich etwa 5 Milliarden US-Dollar ausgeben. Die Menschen strömen ihnen auf der Suche nach potenziellen Ehepartnern, romantischen Beziehungen oder One-Night-Stands in Scharen zu. Doch ist es bezeichnend, wenn man die Unterschiede im Kaufverhalten nach Ländern auffächert. In China fallen nur 2 Prozent der Gesamtausgaben an für Partnersuche auf Dating-Apps, die zwanglose Zusammenkünfte vermitteln, während in Europa und den Vereinigten Staaten 21 Prozent an Plattformen wie Ashley Madison, C-Date, First Affair, Victoria Milan und Tinder gehen, die genau dies anbieten. Dagegen teilen sich in China Ehevermittlungsinstitute wie Baihe oder Jiayuan 85 Prozent der Umsätze, im Vergleich zu nur 40 Prozent in Europa und den Vereinigten Staaten. Diese Unterschiede sind leicht erklärt. Für chinesische Männer ist es wichtiger, eine Langzeitpartnerin zu finden (statt eines One-Night-Stands), da das Geschlechterungleichgewicht so etwas wie eine nationale Krise hervorgerufen hat. Es kann auch nicht überraschen, dass chinesische Frauen wählerischer geworden sind. In einem Experiment, für das auf einer der größten chinesischen Dating-Plattformen gefälschte Profile von Männern und Frauen erstellt wurden, besuchten »Männer aller Einkommensklassen unsere weiblichen Profile aus den unterschiedlichen Einkommensklassen zu mehr oder weniger gleichen Anteilen«, so die Autoren der Studie. »Dagegen besuchten Frauen aller Einkommensklassen bevorzugt unsere männlichen Profile aus den höheren Einkommensklassen … Unsere männlichen Profile aus den höchsten Einkommensklassen wurden zehnmal so oft besucht wie jene aus der untersten Einkommensklasse.«

Interessanterweise bewegt sich das Geschlechterungleichgewicht in anderen Ländern in die entgegengesetzte Richtung. In Russland herrscht ein Defizit an jungen Männern, da, zumeist aufgrund exzessiven Alkoholmissbrauchs, viele von ihnen vorzeitig sterben. Das Problem erscheint so gravierend, dass der Mangel an Männern im heiratsfähigen Alter Frauen in einigen Regionen Sibiriens dazu bewogen hat, die Regierung aufzufordern, Polygamie zu legalisieren. Laut der Anthropologin Caroline Humphrey von der Universität Cambridge sind sibirische Frauen zunehmend davon überzeugt, dass »ein halber Mann besser ist als gar keiner«. Sie argumentieren, so Humphrey, »die Legalisierung der Polygamie wäre ein Gottesgeschenk. Sie würde ihnen das Recht auf finanziellen und körperlichen Beistand des Mannes sichern, ihren Kindern Legitimität verleihen und ihnen das Recht auf Sozialhilfe gewähren.« Wenn man bedenkt, dass in China mehr Männer und in Russland mehr Frauen leben, würde die ideale Lösung zweifellos lauten, dass die beiden Länder eine Art Tauschgeschäft vereinbaren. Leider ist das chinesische Geschlechterungleichgewicht siebenmal so groß wie das russische, da in China so viel mehr Menschen leben. Vermittlungs-Apps werden es richten müssen.

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