Читать книгу 2030 - Группа авторов - Страница 26
Die graue Brieftasche
ОглавлениеNeben Gesundheitswesen, Einzelhandel und Robotik wird als Folge einer alternden Bevölkerung die Finanzwirtschaft zu den sich am schnellsten verändernden Branchen der Weltwirtschaft gehören. Mit dem Alter verändern sich auch in Geldangelegenheiten die Bedürfnisse, Vorlieben und Einstellungen. Eine neuere Studie zweier Wirtschaftswissenschaftler von der Federal Reserve Bank of San Francisco verdeutlicht diese Dynamik. Sie beobachteten auf dem US-Aktienmarkt einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem Kurs-Gewinn-Verhältnis – der Price-to-Earnings- oder PE-Ratio – für börsennotierten Aktien und dem Altern der Bevölkerung. PE-Ratios berechnen sich aus dem Preis einer Aktie geteilt durch den Gewinn pro Aktie. Hohe PE-Ratios zeigen an, dass Investoren bereit sind, gutes Geld zu bezahlen, um einen Anteil an den Profiten zu erhalten, die eine Firma erzielt. Mit anderen Worten sind sie optimistisch, dass der Wert der Aktie steigt, weil sie glauben, dass die Firma sich in der Zukunft gut entwickeln wird. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass zwischen den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und den zehner Jahren dieses Jahrhunderts die PE-Ratios aller börsennotierten Unternehmen in den Vereinigten Staaten einem Muster folgten: Sie fielen, wenn die Bevölkerung älter, und stiegen, wenn sie jünger wurde.
Wie war das möglich? In welchem Verhältnis stehen Altern und Aktienkurse zueinander?
Es gibt zwei Gründe für diesen anhaltenden Zusammenhang: Aus dem Blickwinkel der Investoren scheuen Menschen mit zunehmendem Alter das Risiko. Junge Leute neigen dazu, ihre Ersparnisse in Anlagekategorien zu investieren, die hohe Wertzugewinne bieten und damit ein höheres Risiko bergen. Zu dieser Anlagekategorie zählen auch Aktien. Wenn die Anleger nun fünfzig oder sechzig Jahre alt werden, beginnen sie, ihre Portfolios neu zu gewichten und zunehmend Anleihen zu kaufen, die weniger riskant sind. Schließlich, nachdem sie das Rentenalter erreicht haben, beginnen sie, sich auszahlen zu lassen, oder erwerben eine Annuität (eine festgelegte Geldsumme, die in Intervallen ausbezahlt wird).
Es gibt auch eine Verbindung zwischen Alter und Konsum: Menschen ändern mit dem Alter ihr Kaufverhalten. Sie ersetzen nicht länger ihre Autos oder Haushaltsgeräte und kaufen eher keine Eigentumswohnungen mehr. Wenn überhaupt, dann verkleinern sie sich. Wenn man bedenkt, wie sich das Investitions- und Kaufverhalten im Laufe eines Lebens verändert, überrascht es nicht, dass Börsenbewertungen demographische Trends widerspiegeln. In Bezug auf 2030 scheint eines wahrscheinlich: Mit dem weltweiten Altern der Bevölkerung werden die Aktienpreise im Verhältnis zu Firmenprofiten nicht so hoch ausfallen, wie dies traditionell der Fall war. Kommt es jedoch zwischen heute und 2030 zu einer Transformation unserer Denkweise über das Altern und nutzen wir die damit verbundenen Chancen, könnte eine Verflechtung zwischen Börse und Altern gewinnbringend sein.
In Bezug auf Bankendienstleistungen werden die Folgen des Alterns ziemlich umfassend sein. Zunächst ist es sehr wahrscheinlich, dass die Nachfrage nach Hypotheken und Verbraucherkrediten zurückgehen, gleichzeitig aber ein größerer Bedarf an Finanzprodukten entstehen wird, die es den Menschen erlauben, ihr Investitionsrisiko so zu minimieren, dass ihre Ersparnisse bis ins hohe Alter ausreichen. Hinzu kommt ein wachsendes Interesse unter Senioren, mit den Häusern, in denen sie leben, Einkommen zu generieren. Wie wir in Kapitel 7 sehen werden, ermöglicht eine Plattform wie Airbnb genau das. In vielen Regionen weltweit bieten Banken umgekehrte Hypotheken an oder Arrangements, in denen Hausbesitzer ihr Eigentum zum Todeszeitpunkt an die Bank übergeben und im Gegenzug ab Vertragsbeginn einen Pauschalbetrag oder eine Reihe monatlicher Zahlungen erhalten. Der Eigentümer darf weiter zu Hause wohnen und erhält auf seinen Besitz eine Art von Einkommen.
Traditionelle Bankhäuser stehen dieser Tage unter großem Druck, Vertrauen wiederzuerlangen, neue Technologien zu integrieren und innovative Produkte anzubieten. Das Altern erzeugt allerdings noch eine andere Herausforderung: einen Rückgang der Sparquote, da Menschen ab einem bestimmten Alter eher mehr ausgeben als sparen. Es ist einfach so, dass die Einlagen ihrer Kunden traditionell die günstigsten Einnahmequellen von Banken waren. In der Folge müssen Konsumenten womöglich künftig höhere Zinsen zahlen, wenn sie sich Geld leihen wollen.
Andererseits wird die Alterung der Bevölkerung die Nachfrage nach Beratungsdiensten, Vermögensverwaltungen, Immobilienverrentung und anderen Produkten fördern. Das Problem ist, dass nicht nur Banken diese Art von margenstarken Produkten anbieten. Alle möglichen Zwischenhändler und Start-ups aus dem Bereich der Finanztechnologie (FinTech) konkurrieren heute auf dem Markt der Grauhaarigen. Die FinTech-Industrie muss sich »davon lösen, nur technische Lösungen für Achtzehn- bis Fünfunddreißigjährige zu entwickeln. Sie muss sich auf Lösungen fokussieren, die den Bedürfnissen von uns allen, die wir ja alle älter werden, entgegenkommt«, sagt Theodora Lau, Gründerin von »Unconventional Ventures« und ehemalige Leiterin der Abteilung Marktinnovation bei AARP. FinTech bietet eine großartige Möglichkeit, Dienstleistungen über verschiedene Generationen hinweg anzubieten. »Entscheidend für diese Strategie ist es, eine Infrastruktur zu fördern, die es älteren Menschen und ihren Pflegekräften leichter macht«, gibt sie zu bedenken.
Eine drängende Frage, die von der Fachzeitschrift American Banker aufgeworfen wurde und die die FinTech beantworten kann, lautet, was zu tun ist, wenn der Ehepartner, der für die Familienfinanzen verantwortlich zeichnet, arbeitsunfähig wird oder stirbt. Was sollen die 40 Millionen amerikanischen Witwen und Witwer, die keine Ahnung von Finanzen haben, tun, wenn ihre Partner nicht mehr da sind, um sich um ihr Geld zu kümmern? Brad Kotansky musste sich diesem Problem stellen, als sein Vater starb. »Es hat mich drei Jahre gekostet, um alle Teile dieses Puzzles zusammenzufügen. Es hatte sich in achtzig Jahren einfach unglaublich viel angesammelt. Der erste Schritt bestand für mich darin, mit meiner Mutter zu sprechen«, die ihrem Mann die Familiengeschäfte überlassen hatte. Kotansky beschloss 2017, die Firma Onist zu gründen und eine gleichnamige App zu entwickeln, die Familienmitgliedern und anderen Anspruchsberechtigten dabei hilft, Finanzdaten und Dokumente wie Testamente, Vollmachten und Eigentumsansprüche zu teilen, damit sie nach dem Tod eines Angehörigen die Familienfinanzen in Ordnung bringen können. Die Firma verkauft ihre Software an Banken und andere Finanzinstitute.
Oder denken wir an folgende allzu häufige Situation: Ein älterer Mensch verliert seinen Arbeitsplatz und ist finanziell nicht auf einen Vorruhestand vorbereitet. Allein den Überblick über all die Möglichkeiten zu behalten, die Sozial- und Krankenversicherungen anbieten, kann zu einer beängstigenden Aufgabe werden, und ein tragfähiges Finanzkonzept zu erstellen, kann sich in einer Zwangslage als schwierig erweisen. All das wird womöglich noch erschwert dadurch, dass der Verlust des Arbeitsplatzes, nicht gerade das Selbstbewusstsein stärkt. Ramya Joseph gründete die Firma Pefin, nachdem sein Vater seine Arbeit verloren hatte. Von jedem der 5000 Klienten des Unternehmens wird mithilfe künstlicher Intelligenz und Big Data ein individuelles Profil gezeichnet, um ihm automatisch erstellte Finanzplanungen, Beratungen und Anlageoptionen zur Verfügung zu stellen. »Auch wenn Geld das notwendige Mittel hierfür ist, geht es letzten Endes doch darum, dass Menschen genau das im Leben erreichen, was ihnen am wichtigsten ist. Dann erst folgen Coaching und Ratschläge«, sagt CEO Catherine Flax. »Was mache ich mit meinen Extraeinnahmen? Sollte ich sie sparen, sollte ich meine Schulden abbezahlen oder meine private Altersvorsorge optimieren?« Das Unternehmen verkauft seine Software an große Pensionsfonds.
Womöglich einer der wichtigsten Aspekte, die man in Zukunft im Auge behalten sollte, ist die finanzielle Ausbeutung – ein wachsendes Problem, das Senioren überproportional zu treffen scheint. Beunruhigenderweise sind es Verwandte, Freunde, Nachbarn, Pflegekräfte, Anwälte, Bankangestellte und Vertreter der örtlichen Kirche, die diese Form des Verbrechens am häufigsten verüben. Räuberische Kreditvergaben und Identitätsbetrug grassieren ebenso. Der Hilfsorganisation »National Adult Protective Services Association« zufolge berichtet einer von zwanzig Senioren darüber, finanziell übervorteilt worden zu sein, doch nur einer von vierundvierzig Fällen wird zur Anzeige gebracht. Die »National Coalition on Aging« schätzt, dass finanzielle Ausbeutung und Betrug allein in den Vereinigten Staaten jährlich einen Schaden von mindestens 3 Milliarden, womöglich sogar 36 Milliarden US-Dollar verursachen. Dass die Schätzungen so weit auseinandergehen, zeigt, wie wenig man über diese sich ausbreitende Form der Kriminalität weiß. AARP berichtet, dass der Verlust die Opfer im Schnitt 120000 US-Dollar kostet. Wie üblich könnte man mithilfe technologischer Neuerungen, etwa durch spezielle Apps, alle Altersstufen dabei unterstützen, ihre Einkünfte, Ausgaben, Ersparnisse und Vermögenswerte genau nachzuverfolgen. Man könnte das Problem dadurch aber auch verschärfen.
Cyber-Kriminalität ist schwer einzudämmen, was immerhin ein sicheres Zeichen dafür ist, dass gute Lösungen dieses Problems hervorragend vergütet würden.
FinTech kann auch ahnungslose Senioren vor Verlusten durch betrügerische Pläne bewahren. »Meine Mutter war Buchhalterin. Es war nicht so, dass sie von Finanzdingen keine Ahnung gehabt hätte«, sagt Howard Tischler, Mitgründer und CEO von EverSafe. Weil seine Mutter blind war, »holte sie eine Person dazu, die ihr beim Bezahlen ihrer Rechnungen half – und sich jede Woche selbst einen Scheck ausstellte. Am Ende hatte meine Mutter ihr gesamtes Erspartes verloren. Irgendwann stellte sich heraus, dass meine Mutter bereits seit längerem an Alzheimer litt. Bis dahin hatte ich keine Ahnung, dass sie ausgenutzt wurde.« Die Mitgründerin von EverSafe ist Liz Loewy, die davor die »Elder Abuse Unit« des Staatsanwaltsbüros von Manhattan leitete. Neben anderen prominenten Fällen verfolgte sie auch Anthony D. Marshall, den einzigen Sohn der Millionenerbin und »letzten Lady von New York«, Brooke Astor. Er musste zwei Monate ins Gefängnis, weil er seine Mutter um einen Großteil ihres Vermögens gebracht hatte. Warum? Er hatte erfahren, dass sein Erbe um die Hälfte, auf 14,5 Millionen Dollar, gekürzt werden sollte. Seine Mutter konnte sich nicht mehr wehren, denn auch sie litt an Alzheimer.
EverSave verwendet auch maschinelles Lernen, um ungewöhnliche Veränderungen im Finanzgebaren aufzuspüren, die womöglich auf den Missbrauch durch Dritte zurückzuführen sind. »Die Grundidee bestand darin, den Konsumenten und ihren nächsten Angehörigen einen Bericht über verdächtige Aktivitäten auszuhändigen, damit sie gewarnt werden können, dass hier etwas vor sich geht – und zwar, bevor es zur Krise kommt«, erklärt Tischler. »Wir berücksichtigten die Muster, die Liz in ihren Strafverfahren gegen die finanzielle Ausbeutung von Senioren erkannte, reicherten sie mit Algorithmen des maschinellen Lernens an und machten auf Dinge wie fehlende Einlagen aufmerksam – etwa Sozialversicherungen oder Renten –, aber auch auf Veränderungen im Ausgabeverhalten, ungewöhnliche Investitionstätigkeiten und nicht autorisierte Kontoeröffnungen, um nur einige Beispiele zu nennen.«