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Wie man über Generationen denken sollte
ОглавлениеWir stehen an einer nie dagewesenen Wegmarke der Geschichte: Mehrere Generationen von relativ gleicher Größe teilen sich die Bühne und kämpfen um Einfluss. Generationen sind wichtig, weil sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten, sowohl im Hinblick auf die Zeit, als sie erwachsen wurden, als auch im Hinblick auf ihre gegenwärtige Situation. »Die Herausbildung einer Weltsicht ist nicht die Arbeit eines Einzelnen, sondern die einer Generation«, schrieb der Schriftsteller John Dos Passos. »Doch jeder von uns trägt seinen Ziegelstein zum Gebäude bei.«
Dieser Tage sehen sich Unternehmen mit einem zweistufigen Problem konfrontiert: Sie sind vom Konsumverhalten der Millennials verwirrt und unsicher, wie man eine ältere Generation anspricht, die länger lebt und konsumiert als je zuvor (die Vorstellung, wonach man sich mit fünfundsechzig aus dem aktiven Leben zurückzieht, ist womöglich nicht mehr zeitgemäß). Und um dieses Problem noch weiter zu verkomplizieren, stellt sich die Frage, ob es zwischen diesen Generationengruppen eine gemeinsame Basis gibt. »Babyboomer schlechtzumachen ist in«, schrieb Linda Bernstein 2016 in einem Artikel für Forbes. Viele Junge seien wütend auf die Babyboomer und machten sie für alles verantwortlich – von der Finanzkrise über den Klimawandel bis hin zu einer unberechenbaren Wirtschaft. Auch politisch gebe es ein Zerwürfnis zwischen beiden Gruppen. Während junge Leute eher progressiv denken, sehen sie unter ihren Eltern und Großeltern eine breite Unterstützung für populistische Politiker, neue Formen von Nationalismus und den Bau von Mauern, die unerwünschte Personen draußen halten. Des Weiteren brachte die Finanzkrise von 2008 die alte Vorstellung ins Wanken, wonach es jeder nachfolgenden Generation finanziell besser gehen werde als der vorherigen. Doch gehen die Schuldzuweisungen in beide Richtungen, beide Generationen werfen sich gegenseitig vor, selbstbezogen und narzisstisch zu sein.
Fundamental neu an diesem Kräftemessen zwischen den Generationen ist, dass mit dem Näherrücken des Jahres 2030 alle herkömmlichen Definitionen von »jung« und »alt« überholt erscheinen. Wir können nicht länger voraussetzen, dass »Dynamik« ein Synonym für Jugend ist und »Stillstand« ausschließlich mit dem Alter verknüpft wird. Neue technische Entwicklungen werden unsere Sicht auf Ruhestand und Altenpflege von Grund auf verändern. Halten wir einen Augenblick inne und malen uns eine Welt aus, in der unsere Eltern und Großeltern zu den produktivsten und aktivsten Menschen auf dem Planeten zählen. Denken wir an die Millennials, die in einer Hightech-Welt großgeworden sind und Unternehmen gründen, die einer Bevölkerungsschicht der über Sechzigjährigen zugutekommen. Stellen wir uns eine Welt vor, in der das Alter bei der Anstellung neuer Mitarbeiter kaum eine Rolle spielt – wo die Neuanstellung etwa einer Siebzigjährigen nichts Ungewöhnliches ist. Wie wird sich die Kaufkraft dieser Gruppe der über Sechzigjährigen, die nach Schätzungen jährlich 15 Billionen US-Dollar betragen wird, äußern?
Ist Siebzig das neue Fünfzig?
Der deutsche Soziologe Karl Mannheim war der Erste, der auf die Bedeutung von »Generationen« hinwies. In seinen vor einem Jahrhundert entstandenen Schriften definierte er sie als Gruppen von Leuten, die durch Zeit und Raum vereint sind und einzigartige Verhaltensweisen annehmen, die über ihre gesamte Lebenszeit anhalten und eine Art von kollektiver Bedeutung formen, die an bestimmte herausragende Erlebnisse geknüpft ist: etwa an die Weltwirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg, die Bürgerrechtsbewegung, das Internet oder Social Media. Eine solche Generation ist etwas anderes als eine »Alterskohorte«, die lediglich angibt, in welchem zufälligen Zeitraum, zum Beispiel einem Jahrzehnt, jemand geboren wurde, und die kein vereinigendes Merkmal prägt.
Mitglieder einer bestimmten Generation entwickeln trotz Unterschieden, etwa bezüglich ihres sozioökonomischen Status oder ihrer kulturellen Werte, ein gemeinsames Bewusstsein. Mannheim nannte solche Untergruppen »Generationseinheiten«. Man denke zum Beispiel an die Unterschiede innerhalb der amerikanischen »Bürgerrechtsgeneration«, was ihre Ansichten über die Gesellschaft, ihren unmittelbaren Einsatz für die Sache und den Grad ihres politischen Engagements betrifft.
Doch enthält der Generationenbegriff noch einen anderen Aspekt, den zuerst der französische Anthropologe und Soziologe Pierre Bourdieu formulierte. Statt ein historisches Ereignis auszumachen, das die Generation vereint, konzentrierte sich Bourdieu auf sogenannte Prädispositionen. Seiner Ansicht nach erlebt jede Generation »natürliche und vernünftige Praktiken oder Bestrebungen als selbstverständlich und sinnvoll, die andere [Generationen] als undenkbar oder skandalös ablehnen«. Mit anderen Worten: Jede Generation hebt sich durch bestimmte Formen des Auftretens und Verhaltens (die Bourdieu »Habitus« nennt) und durch die Sozialisation von den anderen ab.
Dieses Identitätselement ist wesentlich, um den Einfluss von Generationen auf die Wirtschaft zu verstehen, insbesondere wenn es um Sparen und Ausgeben geht. Man denke an die Folgen, wenn verschiedene Generationen darum wetteifern, ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Ziele voranzubringen. Und man bedenke außerdem, dass es innerhalb dieser Generationen verschiedene Untergruppen gibt, die ihre eigenen Sorgen und Nöte haben.
Wir müssen aber auch der Frage nachgehen, wie das Älterwerden innerhalb einer spezifischen Generation mit der Zeit die Einstellungen oder Verhaltensweisen beeinflusst. Egal, was die Menschen bei ihrer Geburt unterschied – kann es sein, dass sie sich im Laufe eines Lebensalters auf ein Wertesystem einigen?