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Ist Brain-Drain ein Mythos?
ОглавлениеSelbst die erbittertsten Gegner der Einwanderung geben zu, dass in den USA hochqualifizierte Ausländer benötigt werden, um die Lücken der Wirtschaft zu füllen. Doch heißt dies, dass wir ärmere Länder übervorteilen, da sie einige ihrer qualifiziertesten Arbeiter an uns verlieren? In den fünfziger Jahren wurde in England der Begriff »Brain-Drain« geprägt, um den Verlust von Humankapital an die Vereinigten Staaten und Kanada zu beklagen, wo Ärzte, Ingenieure und andere Fachkräfte besser bezahlte Arbeit fanden als in ihrer Heimat. In den letzten drei Jahrzehnten hat ein ähnlicher Prozess Entwicklungsländer wie Bangladesch, Nigeria und die Philippinen um einen Teil ihrer am besten ausgebildeten Bürger gebracht. Laut AnnaLee Saxenian, Geographin und Politologin an der University of California in Berkeley, kann der Zyklus der Verarmung, der durch Brain-Drain verursacht wurde, in einen positiven Kreislauf der »Brain-Zirkulation« verwandelt werden, von dem sowohl die Ursprungs- als auch die Zielländer profitieren.
Miin Wu zum Beispiel kam aus seinem Heimatland Taiwan in die Vereinigten Staaten, um an der Stanford University einen Doktortitel in Elektrotechnik zu erwerben. Nachdem er seinen Abschluss 1976 gemacht hatte, begann er für Firmen wie Siliconix und Intel zu arbeiten. Zehn Jahre später war er Mitbegründer von »VLSI Technology«, einer Firma, die sich der Entwicklung und Herstellung integrierter Schaltkreise widmete. Als Taiwan Ende der achtziger Jahre zu einem weltweiten Zentrum der Chipherstellung wurde, beschloss er, seine Verbindungen nach Amerika zu nutzen, um Macronix zu gründen, eine der ersten Firmen im Land, die Halbleiter herstellten, und die erste taiwanesische Firma, die im Nasdaq gelistet wurde. Von nun an überquerte Wu regelmäßig den Pazifik. Sein Unternehmergeist profitiert sowohl von seinem Geburtsland als auch von seiner Wahlheimat. Sein Erfolg kommt beiden Ländern zugute.
Joo-Jin Kim verließ in den sechziger Jahren Südkorea, um in den Vereinigten Staaten zu studieren. Als er an der Wharton School ankam, waren »beide Teile der koreanischen Halbinsel vom Krieg versehrt, und man kann sich nicht vorstellen, wie düster die Aussichten für alle Koreaner damals waren. Wir waren unglaublich arm, und unser Land glich einem Trümmerhaufen«, so Kim. Nachdem er seinen Doktortitel erworben und als Hochschulprofessor gearbeitet hatte, gründete er 1969 Amkor Technology, ein Unternehmen, das sich auf Gehäuse für Halbleiter und Testequipment spezialisierte und 2018 Umsätze in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar meldete. Darüber hinaus beschäftigt Amkor fast dreißigtausend Fabrikarbeiter in ganz Ostasien und Portugal sowie in mehreren Werken in den Vereinigten Staaten. Der Name der Firma sagt alles – er ist ein Koffer aus »Amerika« und »Korea«. Amkor hat Südkorea dabei geholfen, die technologische Macht zu werden, die das Land heute ist. »Wir haben überlebt, wir haben durchgehalten, und dann sind wir gut vorangekommen«, sagt Kim.
Visionäre Unternehmer wie Wu und Kim beweisen, dass die Kraft der Immigration einen positiven Einfluss auf mehrere Länder haben kann. Aufgrund niedrigerer Transportkosten und einfacherer Kommunikation über digitale Medien kann ein Unternehmer heute ein Geschäft führen, das zwei weit voneinander entfernte Länder wie Indien und die Vereinigten Staaten oder China und die Vereinigten Staaten verbindet und dabei die sich ergänzenden Ressourcen beider Länder ausschöpft. Heute können einfache wie komplexe Aufgaben in Echtzeit und über Kontinente hinweg erledigt werden. Dadurch werden Arbeitsplätze sowohl im Ursprungsland der Migranten als auch in ihren Zielländern geschaffen. Bis vor kurzem war der Markt für eine solche Zusammenarbeit vorrangig in den Vereinigten Staaten zu finden, künftig wird vor allem das Wachstum der chinesischen und indischen Verbrauchermärkte Möglichkeiten für diese Art von transnationalem Unternehmertum schaffen.
Die Vorzüge der von AnnaLee Saxenian beschriebenen »Brain-Zirkulation« sind mannigfach. Sie führt einer Wirtschaftsnation wie den Vereinigten Staaten, die regelmäßig mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert ist, hochqualifizierte Immigranten zu und schafft in einigen Zukunftsbranchen Arbeitsplätze für Amerikaner. Doch vor allem schafft sie eine Brücke zwischen den Vereinigten Staaten und einigen der größten Schwellenmärkte der Welt, was mit großer Wahrscheinlichkeit bald schon riesige Gewinne abwirft, da das Gravitationszentrum der wirtschaftlichen Aktivitäten und des Konsums sich vom Nordatlantik in Richtung Asien und schließlich in Richtung Afrika verlagern wird.
Die Weltbank versucht, das gewaltige Ausmaß internationaler Zusammenarbeit durch sogenannte »Diasporanetzwerke« von Unternehmern und Ingenieuren abzuschätzen, die zum Studieren in die Vereinigten Staaten gekommen sind: Abhängig vom Ursprungsland kehrten zwischen der Hälfte und drei Vierteln von ihnen in ihre Heimat zurück, wo viele dann Start-ups gründeten. Von jenen, die in den Vereinigten Staaten blieben, reiste die Hälfte wenigstens einmal im Jahr dienstlich in ihre Heimat zurück. Die positiven Effekte von Diasporanetzwerken hochqualifizierter Migranten waren in Israel, Taiwan und Indien am auffälligsten. Und die Informationstechnologie ist der Wirtschaftszweig, der sich für diese Form der transnationalen Entwicklung am besten eignet, womöglich aufgrund ihres geringen Kapitalbedarfs.
So groß die Chancen der Immigration auch sind, besteht doch immer die Gefahr, dass Einheimische den Eindruck gewinnen, sie würden dabei den Kürzeren ziehen. Es braucht eine ruhige Debatte über die besten Strategien, um den Umfang, das Timing und die Zusammensetzung von Migrationsströmen festzulegen. Nur so sind die Chancen sowohl für die Ursprungs- als auch für die Zielländer zu maximieren, nur so lässt die Globalisierung nicht Millionen von Menschen ohne Jobs und in darbenden Gemeinden zurück. Forschungsergebnisse zeigen, dass quotenbasierte Systeme nicht die beste Alternative zu sein scheinen, um dieses Ziel zu erreichen. Auswahlkriterien, die auf der Nachfrage nach Arbeitskräften und Qualifikationen beruhen, haben bessere Erfolgsaussichten. Kanada ist ein hervorragendes Beispiel: Das Land hat mit Erfolg hochqualifizierte Einwanderer angezogen, indem es ausländischen Studenten eine Arbeitserlaubnis in Aussicht stellte, wenn sie ihren Abschluss in Kanada machten. Das »Conference Board of Canada«, ein Arbeitgeberverband, hat 2018 ermittelt, dass die wirtschaftliche Wachstumsrate in den nächsten zwei Jahrzehnten um ein Drittel sinken werde, wenn man die Einwanderungsquoten senkt: »Würde Kanada die Einwanderung stoppen, hätte das Land mit einer schrumpfenden Arbeiterschaft, einem schwachen Wirtschaftswachstum und größeren Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Sozialeinrichtungen wie dem Gesundheitswesen zu kämpfen.« Die erfolgreichsten Volkswirtschaften werden 2030 jene sein, die es schaffen, aus den dynamischen Beiträgen ihrer Immigranten Vorteile zu ziehen und sich gleichzeitig um jene zu kümmern, die sich von der andauernden Transformation der Wirtschaft benachteiligt fühlen.