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Die Neuerfindung des Alters
Оглавление»Meine kürzlich pensionierte Mutter ist eine ziemlich technikbegeisterte Rentnerin«, schreibt die US-Journalistin Jennifer Jolly in einem Beitrag für USA Today. »Sie ist eine begeisterte Words-with-Friends-Spielerin, sie weiß, wie man auf Facebook Fotos postet, und macht hin und wieder ganz brauchbare Selfies«, erklärt sie. »Nun, wie es aussieht, sind diese kleinen harmlosen digitalen Spielereien genau das, was Ärzte älteren Menschen eines Tages verschreiben werden.« Eine im Journal of Gerontology veröffentlichte Studie unter der Leitung von Shelia Cotten, Professorin an der Michigan State University, kam zu dem Ergebnis, dass Senioren, die im Internet unterwegs sind, weniger häufig unter Depressionen leiden. Rentner sind über die Ergebnisse der Studie nicht sonderlich überrascht. Mit siebzig erholte sich Annena McCleskey von einer Hüftoperation. »Mir graute davor, von meinen Freunden und allem anderen ausgeschlossen zu sein«, sagte sie. Das Internet hat »meine Familie zu mir gebracht, meine Freunde und auch meine Spiele«.
Die Digitalisierung hat unser Leben grundlegend verändert, und das gilt in zunehmendem Maß auch für das Leben der Senioren.
Entgegen der gängigen Meinung, wonach aufkommende Felder wie künstliche Intelligenz, virtuelle Realität und Nanotechnologie, um nur einige zu nennen, von den Wünschen und Anliegen junger Leute vorangetrieben werden, entspringen die aufregendsten Durchbrüche und Entwicklungen unserer Tage den Bedürfnissen der über Sechzigjährigen.
Betrachten wir zum Beispiel Rendever, ein Start-up, das sich auf die Entwicklung von virtueller Realität (VR) spezialisiert hat, um Rentnern dabei zu helfen, ihr Gefühl von Isolation zu überwinden. »Rendever entwickelt VR-Erlebnisse vor allem für Bewohner von Altenheimen, denen es nicht länger möglich ist, hinauszugehen und die Welt selbst zu erkunden«, sagt CEO und Mitgründer Kyle Rand. »Mithilfe von VR setzt man sich einfach ein Headset auf und kann sich auf der Welt bewegen. Man spielt Bingo, man bastelt etwas – und plötzlich befindet man sich auf dem Eiffelturm.«
Isolation kann den kognitiven Verfall alter Menschen beschleunigen. Viele Senioren in Pflegeheimen lehnen den Einsatz von digitalen Technologien ab, weil sie fürchten, diese könnten das Gefühl der Einsamkeit noch verstärken. Doch der Trick besteht darin, VR so zu nutzen, dass daraus eine soziale Interaktion, ein Spiel entsteht. »In Seniorenwohngruppen gibt es sechs Bewohner, die alle ein Headset tragen und dieselben Erlebnisse zur selben Zeit haben«, sagt Rand. »Netzwerktechnologien erlauben es ihnen, diese Gruppenerlebnisse zu teilen.« Rendever setzt auch »Reminiszenz-Therapie« ein, um Stress abzubauen. Die Rückkehr »an einen Ort, der im Leben eines Menschen bedeutsam war«, kann eine tröstende Erfahrung sein.
Eine weitere faszinierende Möglichkeit, die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern, ist die Entwicklung von sogenannten Exoskeletten, also am Körper tragbare Roboter, die den Träger stützen und/oder seine Bewegungen verstärken und die an ganz spezifische Bedürfnisse angepasst werden – wie Treppensteigen, das Tragen von Einkaufstaschen, Bettenmachen oder die Reha nach einer Hüftoperation. Das japanische Start-up Innophys hat bereits Tausende Sets seines »Muscle-Suit« verkauft, einer Art Rückenstütze, die Menschen dabei hilft, schwere Gegenstände wie Einkaufstaschen oder Koffer zu tragen. Die günstigsten Modelle kosten etwa 6000 US-Dollar. »Das Wichtigste bei den Exoskeletten ist die Steuerung: Das Gerät muss genau verstehen, wann es eine Bewegung einleiten soll«, sagt CEO Takashi Fujimoto. Andere Firmen entwickeln Sensoren, die elektrische Signale des Nervensystems wahrnehmen, um Muskelbewegungen zu erkennen.
Japan ist in der Robotertechnik für Ältere weltmarktführend. In Japan ist es fast unmöglich geworden, bezahlbare Pflegekräfte zu finden. Das Problem wird durch fehlende Zuwanderung noch verschärft. (In den meisten Ländern, darunter auch in den Vereinigten Staaten, werden etwa 90 Prozent der bezahlten privaten Pflege von Immigranten geleistet.) Bis 2025 wird Japan zusätzlich eine Million Betreuer und Betreuerinnen benötigen, über die das Land derzeit nicht verfügt. Wird Japan mit dieser Knappheit umzugehen versuchen, indem es sich auf Roboter konzentriert? Firmen wie Toyota haben Prototypen von »Human Support Robots« entwickelt, die über Sprachbefehle Medizin verabreichen, ein Glas Wasser anbieten oder die Vorhänge zuziehen können. Ein anderes Beispiel ist Paro, eine kleine weiße Roboterrobbe, die einen beruhigenden Einfluss auf Patienten ausüben soll. Die Erfolge sind erstaunlich: Patienten berichten von einem Rückgang ihrer Ängste und Depressionen. Demente Personen, die die Tendenz hatten, wegzulaufen, werden durch die Interaktion mit der Roboterrobbe davon abgehalten. Paro wird derzeit in mehr als dreißig Ländern benutzt. Dänemark hat die Robbe in 80 Prozent seiner staatlichen Pflegeheime eingeführt.
Aber warum ausgerechnet eine Robbe? Warum hat man nicht einen Hund oder eine Katze entworfen? Hund und Katze waren in der Tat die erste Wahl, doch der Erfinder Takanori Shibata stellte fest, dass die Patienten sie mit echten Tieren verglichen und »ihre Erwartungen zu hoch« waren. Hinzu kam, dass »Hundeliebhaber keine Katzenroboter und Katzenliebhaber keine Hunderoboter mochten«. Die Robbe läuft da einfach außer Konkurrenz.
Zwar hinken die Vereinigten Staaten in Sachen Robotik für die ältere Generation Japan hinterher, doch auch hier bemüht man sich um technische Innovationen. »Brookdale Senior Living«, das größte Netzwerk von Wohngemeinschaften für Senioren mit über 100000 Bewohnern, investiert viel in sprachgesteuerte digitale Assistenten, die sich insbesondere bei Patienten mit Arthritis oder altersbedingter Makula-Degeneration (einer Erkrankung der Netzhaut) als nützlich erwiesen haben. »ElliQ« – Brookdales Roboter – animiert Senioren dazu, mit Online-Spiele, Videochats, TED-Talks und anderen sozialen Unternehmungen aktiv zu bleiben. Senioren, die mit Robotern interagieren, sind seltener niedergeschlagen und häufig engagierter. Brookdales Slogan für die Initiative lautet: »Roboter mit offenen Armen«.
Japan arbeitet auch an Anwendungen von Roboter-Technologien für andere Altersgruppen. Der Roboter »Nao Evolution VS« interagiert mit Kindern, die für längere Zeit im Krankenhaus liegen. Er bringt Diabetikern bei, ihren Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Er leitet Physiotherapiestunden und gibt Studenten in unterschiedlichen Fächern Nachhilfeunterricht. Anscheinend genießen vor allem Kinder den Umgang mit dem Roboter, womöglich sogar mehr als mit menschlichen Betreuern.
Eine Zukunft, in der sich Roboter um ältere Bürger und Kinder kümmern, ist für viele Menschen heute eine Schreckensvorstellung. Doch ehrlich gesagt haben wir keine Alternative, und das aus den bereits erwähnten Gründen: Es werden heutzutage nicht annähernd genügend Kinder geboren, um alle Pflegeaufgaben, die erforderlich sein werden, erfüllen zu können. Außerdem wird mit Unterstützung vieler Regierungen weltweit versucht, Migrationsbewegungen zum Erliegen zu bringen, die, wie ich gezeigt habe, diese Aufgaben in der Vergangenheit üblicherweise erledigt haben.
Bedenken wir auch, dass immer mehr Senioren noch einmal ein Studium anfangen oder eine Firma gründen. »Im Jahr 1997 stellten die Fünfundfünfzig- bis Vierundsechzigjährigen nur 15 Prozent der aufstrebenden Unternehmer«, heißt es in einem Artikel des Magazins Entrepreneur. »Im Jahr 2016 kam diese Altersgruppe laut Kauffman-Index bereits auf 24 Prozent.« Angesichts des künftig noch größeren Bevölkerungsanteil an Älteren und ihrer höheren Lebenserwartung könnte 2030 bereits die Hälfte aller Unternehmer aus dieser Altersgruppe stammen.