Читать книгу Zweihundertneunundneunzig - Lorens Tabert - Страница 12

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In seinem Büro hatte sich Friedrich in der Zwischenzeit sortiert: „Ich habe Ihnen zunächst eine fünfte und eine zwölfte Klasse zugeteilt. Die Fachkollegen unterstützen Sie natürlich, um Ihnen den Start bei uns zu erleichtern. Sie dürfen selbstredend bei allen Kollegen hospitieren, um sich ein Bild von uns zu machen. Wann immer Sie Fragen oder Probleme haben - meine Tür steht Ihnen offen.“ Das war alles gewesen. Jetzt, am Nachmitttag, stand sie vor ihrem neuen Heim: Ein mittelgroßes Haus, sechs Mietparteien, drei rechts, drei links. Eine Bank vor dem Hauseingang, Fahrradständer, Mülleimer. Die Wohnung war frisch tapeziert und sogar möbliert. Becker hatte sich ins Zeug gelegt. „Warum eigentlich?“ wollte sie sich fragen, als das Handy sie aufschreckte: Streller. Laut Strellers Bericht war bei der Obduktion festgestellt worden, dass die Lage des Leichnams im Schacht durchaus einen Sturz voraussetzte, der die tödliche Fraktur hätte auszulösen können, aber ... “ Die Lehrerin Schill mochte Streller nicht mehr antreiben. Sie wartete. „... aber ... sind Sie auf eine Überraschung vorbereitet?“ Es blieb ihr nichts übrig, als ihre Überraschungsbereitschaft zu bekräftigen, damit Streller endlich auspackte: Der Tod sei zwar durch eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen Kopf und oberen Halswirbel eingetreten. Das Erscheinungsbild der Verletzung passe aber nicht zum Abflussrohr im Schacht. Auch weitere Indizien sprächen dafür, dass der tote Körper in den Schacht herabgelassen worden sei, allerdings in eine Position, die suggerierte, dass der Fundort ein Unglücksort gewesen sei. Auf Schills Nachfrage hin wusste Streller noch nichts über den Verschluss der Abdeckung zu melden. Die Techniker benötigten für die Interpretation der Befunde noch Zeit. Jedoch kündigte er an, Herrn Klee nächstens gründlich zu befragen. Nachdem Frau Schill den Rest des Abends damit zugebracht hatte, ihr Lehrerdomizil einzurichten und nachdem sie sich zur ersten Nacht in das fremde Bett gelegt hatte, zogen alles Neue dieses Tages an ihr vorbei: Der Todesfall war Folge einer Straftat. Der Fundort der Leiche war nicht der Tatort. Der Täter musste sich am Fundort auskennen. Vielleicht stammte er aus dem Schul-Umfeld. Den Schulleiter konnte sie als Täter ausschließen: Seine Schilderung des Schlüsselmissgeschicks im Schularchiv war glaubwürdig. Sie passte zur heutigen Vorstellung im Schulleiterbüro. Strecker hatte sich völlig unbefangen am Leichenfundort bewegt, er hatte gewissermaßen den Deckeltest bestanden. Seiner Lobhudelei gegenüber der Toten wollte sie allerdings kein Gewicht beimessen: Nach ihrer verunglückten Präsentation im Lehrerzimmer hatte sie sich allen Lehrern, denen sie im weiteren Verlauf des Schulvormittags begegnet war, persönlich vorgestellt: „Mein Name ist Wiebke Schill. Ich bin die Nachfolgerin von Frau Klee.“ Die Erwähnung der Verstorbenen hatte meist dieselbe Reaktion ausgelöst: Die Angesprochenen gaben sich als enge Freunde der Verstorbenen und zeigten sich bereit, Wissen über sie weiterzugeben. Frau Mutze hatte die Tote mit getragener und lauter Stimme gelobt, bis alle Umstehenden herüberblickten. Berthold hatte sich geradezu verzweifelt gezeigt, dass die Tote niemals zu ersetzen sein werde. Frau Schmelzig, Spanisch und Philosophie, war kaum zu verstehen gewesen, sie hatte hauptsächlich geseufzt. Frau Scholtheiß hatte die Einsatzbereitschaft der Klee gerühmt. Nur Neumann hatte kaum verständlich gebrabbelt. Das hatte nach: „Das woll’n wir lieber nicht hoffen!“, geklungen. Und Dr. Gabriel hatte lakonisch: „Na dann viel Glück!“ gewünscht. In diesem Augenblick war ihr bewusst geworden, dass sie damit ihr Kriminalistenblatt ausgespielt hatte. Aber am nächsten Morgen würden neue Karten ausgegeben werden, denn dann würde sie das erste Mal vor einer Klasse stehen. Die Frage, wie das funktionieren sollte, hielt sie noch längere Zeit wach.

Zweihundertneunundneunzig

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