Читать книгу Zweihundertneunundneunzig - Lorens Tabert - Страница 20

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Auf dem Weg zum Physikfachraum hatte Friedrich noch schnell seine Planung für die kommende Stunde umrissen: „Alles Lernen ist nicht einen Heller wert, wenn Mut und Freud’ dabei nicht währt. Pestalozzi. Der Kognitionsgewinn muss emotional begleitet werden. Das positive Begleitgefühl bindet den Wissenszuwachs ins Gedächtnis ein.“ Nach dem Begrüßungsritual führte Friedrich einiges über Masse und Gewicht aus. Dann bat er eine zierliche Schülerin nach vorn, die ein Zwei-Kilogramm-Gewicht, das Friedrich vor ihre Füße gestellt hatte, bis auf Bauchhöhe anheben sollte. Nachdem die Schülerin die Aufgabe mühelos bewältigt hatte, ermittelte die Klasse die Gewichtskraft, die das Mädchen überwunden hatte. Der Schulleiter hielt das Ergebnis in einer Tabelle an der Tafel fest. Nun legte der Schulleiter am Boden vor dem Lehrertisch ein mehrere Meter langes Seil aus, an dessen Mitte er das Zwei-Kilogramm-Gewicht befestigte. Dann bat er zwei Jungs nach vorn, die er an die beiden Seil-Enden stellte. Er forderte sie auf, daran zu ziehen, damit sich das Seil spanne und das Gewicht ebenso weit angehoben werde, wie es zuvor dem Mädchen gelungen war. Die beiden Schüler mühten sich erkennbar, aber es gelang ihnen nicht einmal ansatzweise. Die Klasse raunte. Zwei weitere Jungs wurden nach vorn gebeten, ohne dass sich das Ergebnis deutlich änderte. Da passierte es: Während Friedrich in der Seilmitte stehend gespannt die Bewegung des Gewichtes verfolgte, flutschte den beiden Jungs auf der einen Seite das Seil durch die Hände. Das Gewicht stürzte zu Boden. Noch ehe es die Füße Friedrichs berühren konnte - schrie dieser auf: „Nein, ...“ weiter kam er nicht, weil das Gewicht auf Spann und Zehen schlug. Daraufhin sprang der Direktor brüllend mehrfach um die eigene Achse, bis er mit dem Gesicht zur Tafel zum Stehen kam, um nach hinten in die erste Bankreihe hineinzustraucheln. Den zwei Schülerinnen, die dort saßen, gelang es gerade noch kreischend seitwärts von ihren Stühlen zu flüchten, ehe der Lehrer ihren Tisch mitsamt allen darauf liegenden Utensilien nach unten riss. Die ganze Klasse schreckte auf und Wiebke Schill wartete mit Spannung, was weiter geschehen würde. Aber es geschah fast nichts. Nach kurzem, verhaltenem Gelächter wurde routiniert aufgeräumt. Die beiden vertriebenen Schülerinnen halfen Friedrich auf die Beine, der zur Tafel humpelte. Dann gab er den Auftrag zu einem Versuch mit Protokoll. Experimentierkästen mit kleineren Gewichten, Kraft- sowie Winkelmessern wurden ausgeteilt und den Rest der Stunde gingen die Schüler der Frage nach, wie sich die Zugkraft in Abhängigkeit von der Zugrichtung änderte. Nach dem Läuten zum Stundenende räumten die Schüler die Experimentierkästen ein und stellten sie ins Regal zurück. Die Schill wartete derweil vor der Tür auf Friedrich. Als die Schüler an ihr vorbeizogen, konnte sie deutlich vernehmen, wie einer derjenigen, denen das Seil entglitten war, zu dem anderen sagte: „Das klappt also wirklich jedes Jahr.“ Schließlich kam auch Friedrich herausgehumpelt. „Na, gesehen? Kognitionstransport durch Emotionsgewinn.“ Die Schill fragte nach: „Der Unfall?“ „Nicht doch der Unfall, so etwas kann immer mal passieren. Nein, die Schüler haben erlebt, dass vier Schüler nicht dieselbe Zugkraft entwickeln konnten wie eine einzelne Schülerin. Das wirft die Frage auf: Warum? Die Ungelöstheit der Frage schafft Unzufriedenheit, also Neugier. Die Neugier bildet die treibende Emotion auf der Suche nach ihrer Befriedigung. Die erfolgreiche Befriedigung entspricht der Kognition.“

Zweihundertneunundneunzig

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